Auf der großen Kinoleinwand sind die Marvelikonen dem breiten Publikum längst ein Begriff, beim Ursprungsmedium, aus welchem diese stammen, sieht es ein wenig anders aus. Zum einen sind Comics ja nur was für Kinder und, wie wir spätestens seit The Big Bang Theory wissen, Nerds (aber zu letzteren gehören wir ja oder?), zum anderen ist es für die Unwissenden, die gerne mal vom MCU in die Comics wechseln möchten, nicht einfach einen Einstiegspunkt für sich zu wählen.
Schier endlos erscheint dieses Multiversum, welches seit Jahrzehnten Woche für Woche, Monat für Monat weiter wächst. Nicht nur die Superhelden und Superheldenteams sind mit der Zeit immer zahlreicher geworden, sondern auch deren Inkarnationen. So schwingen mit Peter Parker und dessen beiden Klonen, Jessica Drew, Mike O‘Hara aus der Zukunft, Miles Morales und Gwen Stacy aus anderen Realitäten, sowie Cindy Moon, welche einst von derselben Spinne wie Peter gebissen wurde, zur Zeit mindestens acht Spinnen durchs Marvels Comicuniversum, wo es im MCU nur erstgenannter tut. Selbst Helden, die lange größtenteils Alleinstellungsmerkmale hatten, wie Iron Man, Wolverine oder Thor haben jüngst weibliche Nachfolgerinnen erhalten.
Darüber hinaus gibt es in den zahlreichen Reihen auch Gastauftritte anderer Marvelhelden, Team-Ups, Crossover und sogar ganze Großereignisse, die Jahr für Jahr das (fast) komplette Universum betreffen. Da kann es leicht passieren, dass man zu Beginn den Strand vor lauter Sandkörnern nicht sieht und die Flinte ins Korn wirft, bevor man überhaupt beginnt. All jenen sei gesagt: Trotz der Größe ist das Comicuniversum sehr einsteigerfreundlich und man kann an fast jedem Punkt mit diesem beginnen. Am besten sucht man sich einfach seinen Lieblingshelden aus, wählt einen Band, der einem sympathisch erscheint und wagt es einfach mal.
Wer keinen solchen Lieblingshelden hat oder doch nicht ganz „Mitten drin“ einsteigen möchte, dem seien die Comics rund um Kamala Khan empfohlen, einer noch jungen Heldin, welche erst um das Jahr 2014 herum im Marveluniversum auftauchte, um erste Erfahrungen zu sammeln.
Bei Kamala handelt es sich um ein 16-jähriges muslimisches Mädchen, welches ursprünglich aus Pakistan stammt, mit ihrer Familie aber seit ihrer jüngsten Kindheit in New Jersey lebt. Natürlich wird in den Comics auch dieser muslimische Hintergrund thematisiert, allerdings nicht aufgrund von „wir wollen Multi-Kulit sein, welche Religion hatten wir denn noch nicht?“-Vorschlaghammers, sondern schlicht, weil Autorin G. Willow Wilson mehrere Jahre in Ägypten lebte und von der dortigen Kultur so begeistert war, dass sie diese in ihre Werke einfließen lässt. Jedoch nimmt dieses Thema kein so großes Feld ein, wie man nun zunächst annehmen würde, denn im Gegensatz zu ihrem hochreligiösem großen Bruder ist Kamala mehr ein Nerd, treibt sich in Internetforen herum und schreibt leidenschaftlich gerne Fanfictions. Eine besondere Begeisterung legt sie dabei für die Superhelden an den Tag, ganz besonders für Carol „Captain Marvel“ Danvers, welche ihr besonderes Idol ist und in zahlreichen ihrer Fanfictions auftaucht. Insgeheim träumt Kamala davon, selbst zu werden wie ihre Vorbilder und die Menschheit vor bösen Schurken zu retten.
Doch man sollte vorsichtig mit seinen Wünschen sein, denn als sich Kamala eines Nachts aus dem Haus schleicht um, verbotenerweise, auf eine Party zu gehen, gerät sie in einen Terrigen-Nebel, welcher ein Inhuman-Gen in ihr weckt, von dessen Existenz sie keine Ahnung hatte. Von diesem Moment an kann sie ihren Körper beliebig umformen, verkleinern, vergrößern, andere Gestalten annehmen und verfügt über erstaunliche Selbstheilungskräfte. Für Kamala steht, nachdem der erste Schock überwunden ist, schnell fest, was sie mit ihren neu erworbenen Fähigkeiten machen will: Sie wird New Jerseys neue Superheldin! Da sich ihr Idol Carol Danvers inzwischen Captain Marvel nennt, nimmt sie als Geheimidentität deren ursprünglich ersten Superheldennamen an und ist von nun an als Ms. Marvel unterwegs.
Superheldin sein zu wollen und wirklich Superheldin zu sein sind allerdings zwei paar Schuhe, wie Kamala schnell leidvoll erfahren muss. Zum einen muss sie lernen mit ihren neuen Fähigkeiten umzugehen, was alles andere als einfach ist und zu Beginn mehr Chaos als Hilfe hervorruft, zum anderen stellt sich die Frage, wie zum Teufel man als Ms. Marvel die Welt – oder zumindest New Jersey – retten soll, wenn man Vormittags in die Schule gehen muss und den Rest des Tages Hausarrest hat.
Doch auch positive Seiten bringt das neue geheime Leben mit sich, denn bei ihren Heldentaten trifft Kamala auch hin und wieder andere Helden, über die sie früher nur in Fanforen mit anderen Nerds diskutierte und in ihre Fanfictions einbaute, wie Iron Man, Wolverine, Spider-Man Miles Morales, Nova, Inhuman-Königin Medusa oder Captain Marvel und muss sich immer wieder erstmal selbst daran erinnern, dass sie mit diesen lieber ein Team-Up bilden sollte, statt sie begeistert um Autogramme zu bitten.
Mit Ms. Marvel hat G. Willow Wilson eine Figur geschaffen, welche ein liebenswerter Nerd ist und langsam ins Superheldendasein hineinwächst – und Kamala dabei zu beobachten, macht richtig Spaß. Der etwas ungewöhnliche Zeichnungsstil, an welchen man sich aber schnell gewöhnt hat, macht einen weiteren Reiz und Pluspunkt dieser nicht ganz gewöhnlichen Superheldenreihe aus. Bereits 2015, also kurz nach ihrem Erscheinen, wurde Ms. Marvel mit dem Hugo Award, einem der wichtigsten Preise der Science-Fiction-Literatur, in der Kategorie Best Graphic Story ausgezeichnet, genießt unter der Leserschaft eine große Beliebtheit und ist jetzt schon zu einer wichtigen Figur im Marvel-Comic-Universum geworden. So absolvierte sie bereits zahlreiche Gastauftritte in anderen Reihen, war außerdem schon ein Jahr lang Mitglied der Avengers (Neue Helden, Aufstand in Pleasant Hill, Standoff: Ohne Ausweg!, Wahre Helden), gründete anschließend mit anderen Junghelden die Champions (deren Abenteuer ab Dezember in deutschen Paperbacks erscheinen) und wurde darüber hinaus von S.H.I.E.L.D.-Agentin Daisy Johnson für die Secret Warriors rekrutiert (Secret Empire Sonderband 2: Inhumans gegen Hydra). Auch der Sprung ins MCU ist wohl nur noch eine Frage der Zeit.
Bis dahin kann man Ms. Marvel aber erstmal in Comicform kennen lernen (und sie vielleicht als Sprungbrett ins Marvel-Comic-Multiversum benutzen? Die Gastauftritte anderer Helden in Ms. Marvel macht dies zumindest ziemlich einfach). Bisher sind von ihr auf deutsch sieben Paperbacks erschienen, deren Inhalt identisch mit den ersten 43 US-Heften ist und über ein Dutzend Storylines beinhalten, die auf den geneigten Leser warten:
Ms. Marvel – 1. Serie:
Ms. Marvel – 2. Serie: