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Eine kleine abgelegene Welt am Ende der Handelsrouten
Die Genii
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Mit einem leisen Zischen verlosch das Tor der Ahnen. Der hochgewachsenen Mann trat sogleich ein paar Schritte zur Seite und verschmolz mit den Schatten der überhängenden Felsen, die den metallenen Ring umgaben und gesellte sich zu den anderen Personen, die darunter Schutz gesucht hatten.
„Und nun zu unserem Stützpunkt. Wir wollen doch nicht, das uns einer der Einheimischen bemerkt, oder?“, befahl Acastus Kolya den sieben anderen Männern und Frauen, die bereits auf ihn warteten. Der Atem kondensierte vor ihrem Gesicht und alle sahen so aus, als würden sie erbärmlich frieren.
Nur er spürte die beißende Kälte nicht besonders, denn nach einem Blick in die Aufzeichnungen anderer Agenten und einer kurzen Berechnung hatte er unter seiner dünnen Uniformjacke ein warmes Hemd über das eigentliche gezogen.
Ein dünnes Lächeln spielte um seine Lippen.
Seine Schüler hatten sich nicht vorbereitet, obwohl er ihnen erst vor ein paar Tagen geraten hatte, das Archiv zu nutzen, um sich über die möglichen Ziele ihrer Reisen zu informieren. Aber so waren die Jüngeren nun einmal. Ohne Schmerzen lernten sie nicht viel dazu - sei es beim Stockkampf oder Überlebenstraining in der Wildnis. Und nun mussten sie die Erfahrung machen, was unzweckmäßige Kleidung bedeuten konnte..
Nicht einmal Ladon Radim hatte sich informiert, was ihn doch sehr enttäuschte, denn der bärtige Mann hätte sich nur einen Gang von seinem Labor weiter in die Archive begeben und dort nachfragen können.
Andererseits war der Wissenschaftler zumindest etwas entschuldigt, denn er hatte bis zuletzt daran gearbeitet, eine Verbindung zwischen den Geräten der Genii und einem Beutestück zu schaffen, mit dem man seiner Ansicht nach die großen Mutterschiffe der Feinde orten konnte. Und wußten sie erst einmal, wo sich diese aufhielten, dann konnten sie vielleicht in nicht all zu ferner Zukunft einen Erstschlag wagen.
Doch das lag noch in weiter Zukunft. Jetzt waren sie hier, und das schien auch für Radim die erste Reise durch das Tor der Ahnen zu sein. Hatte er zuvor überhaupt jemals den Bunker verlassen und sich auf der Oberwelt bewegt?
Acastus schmunzelte, als er die verlegenen Blicke der anderen sah.
Nun schien ihnen auch einzufallen, was er erst vor ein paar Tagen gesagt hatte. Und damit es ihnen deutlich bewusst wurde, wiederholte er sie. „Und ja, hier geht es nicht auf den Sommer, sondern auf den Winter zu. Das ist etwas, an das ihr euch gewöhnen müsst. Nicht alle Planeten haben das Klima von Genii und vor allem sind die Jahreszeiten fast überall verschoben. Seid immer auf andere Wetterlagen vorbereitet. Manchmal ist es sehr weit bis zu unseren geheimen Depots oder Bunkern.“
„Ja, da habt ihr wohl recht, Kommandant Kolya“, meinte Ladon zerknirscht. „Das hattet ihr also mit den ‚Unwägbarkeiten, die man durch kluge Vorabinformation minimieren kann‘ gemeint.“ Der bärtige Mann rieb sich die Arme. „Ich werde Ihre Erklärungen demnächst sehr genau beherzigen, Kommandant.“
„Das ist eine kluge Entscheidung. Und ich hoffe, auch ihr anderen habt es nun begriffen. Damit wäre diese Lektion gelernt.“ Acastus wurde wieder ernst. „Aber nun sollten wir zusehen, das wir hier weg kommen. Die Sonne steht schon sehr tief, und wir müssen noch das halbe Tal durchqueren, um den Bunker zu erreichen. Ihr wollt sicherlich nicht gänzlich erfrieren.“
„Nein, Kommandant“, murmelten die anderen einstimmig und klapperten mit ihren Zähnen, bevor sie sich in Bewegung setzten.
Nur Ladon Radim wartete, bis Acastus zu ihm aufgeschlossen hatte und ging dann neben ihm her. „Gehe ich recht in der Annahme, das wir nicht nur aus Übungszwecken hier sind, Kommandant?“ fragte er leise, so dass die anderen es nicht hören konnten.
„Nichts was wir tun, geschieht ohne Grund, Ladon“, entgegnete Kolya. „Die Sethrain besitzen etwas, was wir dringend für unsere Projekte benötigen. In ihren Minen schürfen sie ein ganz bestimmtes Erz.“
Das Gesicht des bärtigen Wissenschaftlers hellte sich auf. „Hier kommt der Rohstoff also her. Und ich habe mich immer gefragt, mit wem wir han...“ Er verstummte und sah Kolya plötzlich an. „Wir treiben keinen Handel mit den Sethrain, richtig?"
„Wir kommen durch die Hintertür, um sie nicht auf dumme Gedanken zu bringen. Wie sollen sie auch ahnen, dass die Reste des Erzes, die sie nicht verwerten können das Wertvollste an ihren Bodenschätzen sind? Es war sehr einfach, ihren Aberglauben so stark zu schüren, dass wir uns unbemerkt an ihrem Abraum bedienen können.“ Acastus sah ihn nachdenklich an. „Deshalb werden wir uns ihnen auch nicht zeigen, und das zerstören, was andere aufgebaut haben. Aber in der letzten Zeit soll etwas mit der Qualität nicht mehr stimmen. Deshalb habe ich Sie mitgenommen Radim.“
Ladon nickte und legte eine Hand auf die Tasche. „Ich verstehe jetzt, warum sie Chief Cowen speziell um meine Begleitung baten. Herdon ist zu alt und krank und ich werde seine Position bald übernehmen.“
Acastus nickte nur.
Schweigend gingen sie nebeneinander her und folgten den anderen zügigen Schrittes. Vor ihnen öffnete sich ein schmales Tal. Ein Fluss durchschnitt die Mitte und trennte zwei Siedlungen, Felder und Weiden voneinander, ehe er am Horizont in einer Lücke zwischen zwei Bergen verschwand. Menschen und Tiere waren als kleine und sich bewegende Punkte zu erkennen.
Ein wenig erinnerte die bäurisch-ländliche Kultur der Sethrain an die der Genii, oder besser das Bild einer einfachen Gesellschaft, das ihr Volk den anderen Rassen der Galaxis vorgaukelte, um ihr wahres Gesicht zu verstecken.
Aber dennoch empfand Kolya keine Verbundenheit zu den Menschen im Tal. Aus den Aufzeichnungen in den Archiven wußte er, dass das Denken der Menschen hier in die Vergangenheit gerichtet war. Für die Genii spielte das Vergangene nur so weit eine Rolle, als dass sie aus dem Wissen der weit fortgeschritteneren Ahnen Vorteile für die Zukunft herauszuschlagen versuchten, um eines Tages wieder die Größe zu erreichen, die sie besessen hatten, bevor die Wraith alles zerschlugen.
Denn nur so konnte man zwischen diesen Sternen überleben. Diese bittere Lektion hatte sein Volk gelernt und seit dem Fall der Welten beherzigt.
Der Weg dem sie folgten führte durch ein Waldgebiet, das sich an den Berghängen entlang zog. Zwar wurde der Baumbestand mit zunehmender Höhe immer geringer, aber einer der Zugänge zu ihrem Ziel lag inmitten dichten Buschwerks. Wenn die Sethrain nicht gerade auf die Idee gekommen waren, die Dornenbüsche abzubrennen, dann lag er immer noch gut verborgen.
Sie kamen gut voran, nutzten immer wieder auch Tierpfade um den Weg abzukürzen und die einfachen Pfade der Menschen, die zu dieser Tageszeit noch nicht oder schon nicht mehr benutzt wurden.
Das Bauernvolk fürchtete die in den Wäldern herum streifenden „bösen Geister“, eine Angst, die die Genii immer wieder durch gezielte Aktionen verschärft hatten. Und weil seine Begleiter nicht noch mehr frieren wollten, ließen sie sich auch nicht unnötig von der Landschaft oder irgendwelchen Tieren ablenken und eilten schnellen Schrittes voran, vor allem Sora, die Tochter von Tyrus, dem Zweiten hinter Chief Cowen. Das Mädchen war seine vielversprechendste Schülerin, geschickt im Kampf, aufmerksam und klug, wenn sie nicht gerade der Übermut der Jugend erfasste.
Acastus schmunzelte über die Zielstrebigkeit seiner Schüler, die mit verbissenen Gesichtern auf dem Pfad entlang eilten. Jetzt froren sie vermutlich nicht mehr ganz so sehr wie am Anfang. Aber die meisten achteten auch darauf nicht ins Schwitzen zu geraten. Schön, wenigstens diese Überlebenslektion hatten sie begriffen.
Doch dann erstarb das Lächeln auf seinen Lippen plötzlich. In dem Moment, in dem die Vögel in den Bäumen verstummten erfüllte ein anderes Geräusch die Luft.
Es war ein hohes Sirren, ähnlich dem Geräusch, das die aggressive Horn-Stechmücke über den Sümpfen von Genii erklingen ließ.
Nur sehr, sehr viel lauter und intensiver...
Die anderen waren stehen geblieben und blickten verwirrt und verängstigt nach oben, versuchten durch das Blattwerk hindurch zu erkennen, was diesen Lärm verursachte.
Nur Acastus Kolya nicht.
Er kannte dieses Geräusch nicht nur aus alten und stark verzerrten Bild- oder Tonaufnahmen, sondern hatte es bereits selbst zwei Male in seinem Leben gehört und die Folgen miterlebt.
Kurz ballte er die Hand zur Faust und zwang sich tief Luft zu holen, um seine eigene Furcht zu bekämpfen. Es ärgerte ihn, dass er nach all den Erfahrungen auf anderen Welten immer noch so reagierte wie ein Frischling.
Aber genau das war es, was die Wraith bezweckten. Generationen der Ausdünnung hatten die Geräusche zu einer genetischen Erinnerung in den Köpfen Menschen gemacht. Genau so wie die Reaktion mancher Tiere auf Licht, war auch dies eine programmierte Reaktion.
Aber im Gegensatz zu den anderen hatte er die Erfahrung, die unterbewußte Angst zu überwinden und zu handeln, ehe es zu spät war.
So löste er sich aus seiner Erstarrung und stieß Ladon grob an. „Los lauf! Es ist nicht mehr weit zum Bunker!“ zischte er und setzte sich in Bewegung, um bei den anderen das Gleiche zu wiederholen. „Nicht auf dem Weg bleiben!“ befahl er. „Ins Dickickt, sofort!“
Ladon, Sora und die anderen gehorchten. Gerade noch rechtzeitig lösten sie sich aus ihrer Erstarrung. Das Sirren kam über sie und ein weißer wabernder Lichtstrahl fuhr über den Waldweg, auf dem sie gerade noch gestanden hatten. Laub verwirbelte raschelnd.
Sie mussten in Bewegung bleiben.
„Hier lang!“
Acastus trieb seine Leute immer tiefer in das Unterholz hinein.
„Nur nach vorne sehen! Achtet auf nichts anderes!“
Seine Stimme war schneidend kalt geworden. Aber er wußte - nur so konnte er sie davon abhalten, einen Fehler zu begehen und auf die wabernden Nebel zu achten, die zwischen den Bäumen erschienen und dann wieder verschwanden.
Verflucht. Eines der Nadelschiffe der Feinde schien ihre Witterung aufgenommen zu haben und sie um jeden Preis einfangen zu wollen.
Denn warum sonst kreiste es immer wieder in scharfen Wendungen über den Wald? Und warum nahm es nicht die viel lohnendere Siedlung der Sethrain ins Visier?
Verdammt, er war nicht hier her gekommen, um seine Schüler und sich zur Beute der Wraith zu machen.
Noch bestand die Chance, das das Schiff sie nicht so genau orten konnte, und deshalb musste unbedingt dafür sorgen, das keiner der Jüngeren die Nerven verlor und sich durch Schüsse oder Geschrei verriet. Er schloss zu einem der Männer auf und schlug ihm heftig gegen den Arm, als dieser nach seiner Handwaffe griff. „Weiter, Teius! Sofort!“
Als der Jüngling nicht sofort reagierte schlug er ein zweites Mal zu und zerrte ihn dann mit sich.
Endlich - nach quälenden Augenblicken erreichten sie das Dornendickicht. Acastus stieß Teius zwischen zwei andere und führte die Sieben dann durch einen Dornentunnel zu der präparierten Stelle. Schnell war die Öffnung angehoben und abgedeckt. „Los rein da!“ Acastus schob den ersten nach vorne. Dann den zweiten. Sie hatten keine Zeit zu verlieren, denn das Sirren, das für einen Moment leiser geworden war, näherte sich erneut.
Einer nach dem anderen verschwand auf den halb überwucherten Treppe ins Dunkel der Erde. Ein Schmerzensschrei erklang. als jemand stürzte, aber das war jetzt egal. Prellungen, Aufschürfungen, selbst ein Bruch konnten sie jetzt verschmerzen, dass einer von ihnen gefangen wurde jedoch nicht.
Und schon gar nicht er.
Acastus Kolya sah, wie der weiße Strahl vom Himmel schoss und unerbittlich näher kam bereits den Rand des Dornengehölzes erreichte. Hatte man sie geortet?
Vermutlich. Warum sonst näherte sich ihnen der Strahl so zielstrebig.
Acastus verschwand augenblicklich im Gang und sprang fast in die Tiefe. Dabei stieß er gegen Ladin Radim, der einen unterdrückten Schmerzenslaut von sich gab. Egal. Sie mussten weiter hinein. Tiefer - weg von der Öffnung.
Kolya entging nur um Haaresbreite dem gleißenden Strahl, der durch die Öffnung in den Gang schoss, und diesen für einen Moment taghell erleuchtete. Sein Herz schlug noch einen Takt schneller, als er die Sogwirkung spürte.
Und dann war es erst einmal vorbei. Es wurde wieder dunkel im Gang.
Doch es gab trotzdem noch keinen Grund, sich in Sicherheit zu fühlen. „Weiter!“, brüllte Acastus die anderen an. „Bleibt nicht stehen. Wir müssen unter das Gestein.“
Er ahnte, erst dort würden sie wirklich sicher sein. Und so stolperten sie mehr, als das sie gingen weiter in den stockdunklen Gang hinein. Er ging nicht sanft mit denen, die direkt vor ihm waren um, denn jetzt ging es um das nackte Überleben.
Um jeden Schritt, jede Länge, den sie weiter kamen. Und da war es nicht wichtig, ob Teius vor Schmerzen schrie oder Sora über den harten Schlag in ihren Rücken fluchte.
Denn es war einfach, sich bei den wieder lauter werdenden Geräuschen von Außen auszumalen, was als nächstes geschehen würde: Das Wraithschiff flog erneut eine Wende, visierte sein Ziel an und aktivierte seine Laser.
Erde spritzte auf.
Die dünne Schicht aus Erde und Wurzeln die die Decke im vorderen Teil des Ganges ausmachte verging in einem lodernden Brand und gab den Himmel frei. Wieder fuhr der Strahl mit dem die Wraith ihre Opfer holten, taghell in den Untergrund hinab.