„Ich haben Ihnen also bei Ihrer Arbeit zugesehen, Sherlock“, fuhr Norton ungerührt weiter fort und sein freches Grinsen fraß sich dabei auf seinem Gesicht fest.
„Und noch so vieles lernen können. Obwohl, wozu muss ich lernen, wenn ich ja sowieso alles haben kann, nicht wahr? Aber es hat so viel Spaß gemacht, zu beobachten wie ihr beide die ganze Zeit umeinander herum geschlichen seid, wie ihr euch gegenseitig bespitzelt und nur darauf gelauert habt, dass der andere sich eine Blöße gibt. Wie Ihr eure Fallen aufbautet und euch versuchtet hinein zu locken, oder dem anderen irgendeine verräterische Reaktion abzugewinnen.“
Er warf den Kopf in den Nacken und lachte wiehernd. Nervenzerrend hallte es von den kahlen Zimmerwänden zurück. Dann hockte er sich provozierend zu Sherlock hinunter und brachte sich mit ihm direkt auf Augenhöhe.
„Sie haben all diese Organisationen zerschlagen Sherlock, Sie haben Verbrechersyndikate und Terrornetzwerke ins Wanken gebracht und als das alles nichts nutzte, Irene zu einem Vorgehen gegen Ihr Tun zu bewegen, gleich auch noch mit all diesen verdammten Banken und Regierungsverstrickungen aufgeräumt. Könnte jetzt für eine gewisse Zeit eine schöne neue Welt geben. Das ganze korrupte Zeug ist weg und die anderen müssen aufpassen wo sie hintreten. Denke für eine Weile traut sich keiner mehr so recht, sich erwischen zu lassen. Jeder wird jeden mit Samthandschuhen anfassen und sogar Washington eine ganze Weile versuchen, sich mal nicht einzumischen. Schöne nette Welt könnte das werden, haben Sie gedacht und die ganze Zeit gehofft, Irene würde versuchen, Sie aufzuhalten. Sie waren so sehr fasziniert von Ihrem Tun, lieber Sherlock, dass Ihnen nicht ein einziges Mal die Idee kam, dass Sie womöglich die Falsche verdächtigten. Aber Sie waren ja nicht alleine mit dieser Fehleinschätzung, denn unserer Schönen, ging es genauso.“
Wider machte Norton mit seinem Revolver eine liebkosende Handbewegung in Irenes Richtung, ohne ihre Wange jedoch direkt zu berühren, während sein herausfordernder Blick weiterhin Sherlocks Augen festhielten.
„Sie hat Ihnen die ganze Zeit verwundert zugesehen und sich gefragt, wie weit Sie noch gehen wollen, wann Sie sich, oder möglicherweise doch Mycroft, endlich offenbaren. Und dann kam Ihnen beiden die einzige Idee, die noch machbar war. Wer hatte sie zuerst, Sie, Sherlock?“
Selbstzufriedener Spott lag in Nortons Stimme und er richtete sich wieder zu seiner überlegenen Größe auf.
„Ja, ich denke Sie. Sie erkannten, dass es bei der ganzen Sache eine winzig kleine Schwachstelle gibt. Die Schwachstelle, dass es am Anfang eines solchen Projektes immer noch jemanden gibt, der Bescheid weiss. Das auch ein Genie darauf angewiesen ist erst in das Rennen eingebracht zu werden. Es musste irgendwo noch einen Mitwisser geben, der um die Identität des Ideengebers wusste.
Jimmy war tot, er konnte nicht mehr gefährlich werden, also blieb nur noch der Initiator des Projektes, der, der zu dumm war es selber tun zu können und der daher jemanden an entsprechender Stelle platzieren musste. Sie wussten, Sherlock, das Irene eine Geheimagentin war und Sie haben daher geglaubt, dass Moran sie damals bewusst auf Sie ansetzte, um ihr damit die richtige Position zu verschaffen. Und Irene dachte genau das gleiche über Sie. Keiner kam auf die Idee, dass Morans Mann, ihr Puppenspieler, ihr Superhirn oder Professor wie es ihr Codename war, ein simpler doofer Scharfschütze ist, ein Versager, den man aus dem Corp warf und der mitleidheischend bei einem der Spürhunde unterkroch, die doch gegenseitig längst glaubten ihn gefunden zu haben. Die ganze Zeit hatte ich auf diese Weise Sie beide unter Kontrolle und jeder hielt mich für einen harmlosen dummen Welpen.“
„Aber in dem Moment, als die Jagd auf Moran eröffnet wurde, brach ihr Schutz zusammen.“, warf Sherlock ungerührt von Nortons Provokation ein und seine Augen folgten dem Blick des Kontrahenten.
„Moran ist ein alter Haudegen und er lässt sich nicht zum Sündenbock machen, wenn er sich irgendwie herauswinden kann. Er hätte irgendwann geredet. Jim Moriarty wusste Bescheid, aber er war tot. Übrig blieb nur noch Moran. Das war der einzige Fehler, der Ihnen bei der ganzen Sache unterlaufen ist, dass Sie ihn nie eliminiert haben. Warum ist mir nicht ganz klar. Wahrscheinlich glaubten Sie, seine Immunität wäre absolut undurchbrechbar und er sei unantastbar oder aber Sie fürchteten, dass ein Tötungsakt doch zu auffällig gewesen wäre. Washington hätte aufgehorcht, erneut Ermittlungen gestartet und das Spiel, welches Sie mit uns trieben, wäre dadurch zunichte gemacht worden. Sie hatten wirklichen Spaß daran und Sie haben beschlossen, es solange wie irgend möglich hinaus zu zögen. Bis heute... und dann patzten Sie erneut.“
„Ja, ich dachte, ich könnte irgendwie schnell genug sein und Moran vor Ihnen erwischen. Aber Sie haben mir das Motorrad abgeknöpft und Mycroft und unsere Süße hier bestanden darauf, mich direkt zum Flughafen mitzunehmen. Alle Ausreden nutzten nichts, ich musste erst einmal mit, wollte ich nicht zu sehr auffallen. Die Zeit lief mir davon. Tja, auch Genies machen Fehler im Detail, wie wir ja hier gerade sehen.“ Zufrieden fächerte er mit dem Revolver über die drei Köpfe seiner Opfer hinweg. „Ist es nicht erstaunlich, wie große Pläne an so kleinen alltäglichen Patzern zerbrechen? Wenn Moran Ihnen gegenüber auspacken würde, gab es nur noch eine Option für mich.“
„Ihre eiserne Disziplin aufzugeben, sich im Hintergrund zu halten und direkt einzugreifen.“, nickte Sherlock.
„Genau. Ich dachte mir, dass das hier Ihre Falle ist, Ihre Falle für Irene.“
„Aber was, wenn wir früher dahinter gekommen wären? Wenn wir beide diese Falle hier gemeinschaftlich abgekartet hätten? Das Risiko hierbei zu sterben, war doch mehr als gegeben.“
Norton lachte zynisch. „Sie glauben mir wohl noch immer nicht so richtig, Sherlock. Selbsternannter Meister der Deduktion. Sie wunderbares Genie. Ich mache Fehler, aber glauben Sie wirklich, dass ich solch dumme Fehler mache?“
„Ahhh, ich verstehe.“, Sherlock schien die Sache wirklich als eine besondere intellektuelle Herausforderung zu betrachten. „Sie haben in Ihren Code einen Sicherheitsmechanismus eingebaut, einen Countdown, eine Schaltuhr oder dergleichen. Und Sie haben sie aktiviert, bevor Sie hierher kamen.“
„Ganz genau. Wenn ich sterbe, wenn also einer von Ihnen hier versuchen möchte, mich zu überlisten oder gar umzulegen...na, irgendjemand Interesse?“ Er hob die Hand mit dem Revolver, die Bedrohung seiner Opfer kurz unterbrechend und drehte sich herausfordernd wie ein Bühnengeck. „Nur zu...dann gehen meine Schläferzellen innerhalb der nächsten achtundvierzig Stunden von alleine los. Dann nehme ich Sie und alles anderen mit. Sie siegen, aber es wird ein Pyrrhussieg werden, völlig sinnlos.“
Nortons Augen hielten Sherlocks Gesicht unter angespannter Beobachtung, doch als die gewünschte Reaktion darauf ausblieb, schniefte er enttäuscht. Doch plötzlich, schien sich ein diabolischer Einfall seiner zu bemächtigen und erregt kniete er sich zu seinem Gegner hinunter und streckte Sherlock, mit vor Anspannung weit aufgerissenen Pupillen, den Revolver auf der flachen Hand entgegen.
„Hier nehmen Sie! Erschiessen Sie mich! Das ist es doch was Sie jetzt fühlen, was Sie jetzt wollen? Erledigen Sie das Problem, Ihr Problem. Das letzte Problem...“
Nortons Gesicht kroch dicht zu dem Sherlocks heran. „Nehmen Sie!", zischte er verführerisch. „Eine einzige Kugel nur... retten Sie sich, retten Sie ihre Freunde! Was schert Sie alles andere?“
John und Irene starrten entsetzt zu den beiden Kontrahenten hinüber und John bemerkte das angespannte Zittern, dass durch Sherlocks Gestalt floß. Seine Nasenflügel bebten kurz, doch seine Augen begegneten weiterhin völlig ruhig denen des Teufels.
Nortons Blick überflog suchend Sherlocks Gesicht.
„Nein? Kein Interesse? Wie schade.“
Er richtete sich mit einem resegnierten Schulterzucken wieder auf und brachte die Waffe erneut zum Anschlag.
„Sie könnten natürlich auch noch versuchen, mich zu überwältigen und dann die Sache aus mir herauspressen...“
„Aber Sie sind der Meinung, dass niemand, auch nicht die stärkste Folter, Sie zu brechen vermag.“, vollendete Sherlock den Satz.
„Oh“, Norton grinste zynisch. „Zuviel der Ehre, nein, nein, ich bin schwach. Das könnte ich nicht, das wollte ich gar nicht. Ich bitte Sie, wozu so etwas? Um dann irgendwo, mit gebrochenen Knochen, meinen hasserfüllten Lebensabend zu verbringen? Nein, nein. Es hat keinen Zweck. Wissen Sie, ich kennen den Code selber nicht. Viel zu kompliziert um ihn sich merken zu können. Keine Chance. Keine Folter und keine Hypnosetechnik der Welt kommen da ran. Nicht ihre wundervollen Denkleistungen und Codeknackerfähigkeiten, Mr. Holmes...“, er verneigte sich schwungvoll Richtung Sherlock „Und auch nicht die Kombination...“ er lächelte provokant zu Irene hinüber, „... mit Ihren besonderen Fähigkeiten...“ , Er beugte sich erneut zu ihr hinunter und flüsterte schmeichelnd. „Schade nicht wahr, mein Täubchen? Das mit uns beiden hätte was werden können, wenn Sie nicht die ganze Zeit mit dem falschen Genie beschäftigt gewesen wären. Wissen Sie“, er bückte sich direkt an ihr Ohr. „Hat mir wirklich ein wenig wehgetan, dass ich so gar nicht Ihr Interesse fand. Ich hatte soviel Geduld mit Ihnen. Aber was ja nicht ist, kann ja noch werden....“ Er lachte ihr frech ins Gesicht. „Sie können ja versuchen mich noch zu becircen. Möglicherweise verschone ich dann unseren guten Meisterdetektiv hier...Oooder“ dehnte er genüsslich das Wort und seine Augen fixierten sie lauernd, „Wenn Sie umgekehrt mehr Spaß daran haben....“ Er riss den Revolver hoch und drückte ihn direkt an Sherlocks Kopf.
„Nein!“ Irene federte auf.