So, da bin ich endlich wieder.
Tut mir leid, dass ich euch habe so lange warten lassen.
Mir ging der Router kaputt und so hatte ich einige zeitlang keinen Zugang zum Netz. Aber immerhin habe ich nun gleich zwei Kapitel fertig bekommen und kann euch heute endlich, wenn auch etwas spät, das neue Kapi präsentieren.
Es ist diesmal etwas länger, vielleicht länger als jedes andere zuvor, aber es wird auch ein wenig traurig gegen Ende hin, also seid gewarnt.
Ich will nicht mehr lange drum herum reden, aber ich hoffe, ihr seid nicht allzu böse, dass ich euch habe warten lassen.
Jetzt wünsche ich euch viel Spaß und gute Unterhaltung mit dem
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18. Kapitel
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Als ob mit Darius Verschwinden auch ihr Denkvermögen verschwunden sei, lag Alexa nun schon seit mehr als einer Stunde auf ihrem Bett und starrte regungslos zum Fenster hinaus. Zunächst hatte sie noch geweint, wobei Elisha nicht viel mehr tun konnte, als eine gute Mutter und Freundin zu sein und Trost zu spenden. Aber auf das gute Zureden und die vereinzelten Fragen hatte Alexa kaum geantwortet. Auch nicht, als Elisha inständig darum bat, sie solle zumindest eine Kleinigkeit essen. Auch ihr Vorhaben, ihrem Onkel Marsilius einen Besuch abzustatten, ihn ein wenig zu befragen und ihm auf den Zahn zu fühlen- immerhin wusste er von Darius Aufstieg und vermutlich auch von seinen Beweggründen, sie wieder zu verlassen -verlief im Sande, den der alte Mann schlief.
Aber wahrscheinlich würde er ohnehin nichts sagen. In den wenigen Augenblicken, in denen sie in ihm hatte lesen können, spürte sie eine ähnliche Beklommenheit und Sorge, wie bei ihrem Vater, ihrer Mutter, sogar ihrem Bruder. Je mehr sie sich damit beschäftigte, die Zusammenhänge zu erkennen und zu verstehen, desto verworrener wurde alles.
So hatte Alexa einen großen Bogen um die Kantine gemacht und sich in ihr Quartier zurückgezogen. Ihr fehlte noch immer die Kraft und der Elan, aber wahrscheinlich war es auch ganz gut so, denn sie bezweifelte, dass Darius doch wieder zurückkehren und ihr Quartier wieder ordnen und ihre Sachen reparieren würde.
Er war weg … für immer … schon wieder.
Noch eine ganze Weile hatte sie einfach nur da gelegen, bis der Türsummer ertönte. Doch Alexa hatte weder irgendwelche Anstalten gemacht, sich zu regen, etwas zu antworten, ihren Besucher hereinzubitten, geschweige denn zu erspüren, wer möglicherweise vor der Tür stand. Sie hatte keine Lust auf Besuch, völlig gleich, wer es sein mochte. Aber verdammt derjenige war aufdringlich und nerv tötend, denn der Summe ertönte bereits zum dritten Mal.
Sie stöhnte leise auf, als die Türen sich öffneten. Nur einer war dreist genug, die Sperre zu überbrücken und einfach so herein zu platzen.
„Warum hast du nicht geöffnet ... oder sonst irgendwie reagiert?“, fragte Dorian, als er mit voll beladenem Tablett in das Quartier seiner Schwester stürmte.
„Warum hast du dir nicht gedacht, dass ich vielleicht niemanden sehen will … oder bist einfach draußen geblieben?“
„Okay … Alarmstufe orange-rot“, gab Dorian zurück und registrierte besorgt ihre Passivität, die doch mit leichtem Ärger gemischt zu sein schien. „Ma möchte, dass du etwas isst.“
„Ich krieg nichts runter.“
„Mit einer solchen Antwort rechnete sie, daher hat sie mich autorisiert, dich notfalls zu füttern. Bist du immer noch nicht willig, wäre Zwangsernähren die nächste Stufe.“
„Versuch es doch.“
Nur kurz schien Dorian ernsthaft darüber nachzudenken, ob er seine Schwester wirklich zum Essen zwingen könnte. Aber da er ihre momentane Stimmung nicht wirklich gut einschätzen konnte, entschied er sich sicherheitshalber dagegen. Sie wirkte zwar ruhig, und seit er ihr Quartier betreten hatte, hatte sie sich auch noch nicht gerührt, aber er kannte seine kleine Schwester nur zu gut, um zu wissen, wie schnell gerade eine solche Stimmung kippen konnte, besonders wenn man sie ihrer Meinung zu sehr drangsalierte.
Dorian stellte das Tablett auf der Kommode ab und setzte sich dann auf die Bettkante. „Willst du darüber reden?“
„Was gibt es denn viel zu reden?“
„Weiß nicht … vielleicht, wie es dir geht? Was du denkst … was du fühlst.“
„Wie soll es mir denn gehen, Dorian? Hm? Was glaubst du, wie ich mich fühle? … Und was ich denke, willst du sicher nicht wissen … das weiß ich selbst nicht einmal.“
„Okay … okay, ich gebe zu, ich kann mir nicht annähernd vorstellen, wie das für sich sein muss. Aber … sag irgendwas. Rede mit mir. Es klingt blöde ich weiß, aber vielleicht-„
„Er hat mich verlassen, Momo. Ich habe ihn einmal verloren. Ich habe zweimal um ihn getrauert und jetzt … jetzt hat er mich verlassen.“
„Dennoch wird er immer ein Teil von dir sein“, antwortete Dorian und ignorierte die Tatsache, dass er wieder einmal mit seinem verhassten Spitznamen benannt wurde.
„Wird er das? … Ist er das? War er es je? Ich sah ihn streben … ich hielt ihn für tot … stattdessen … lebt er. Auf einer anderen Ebene, mit Macht und Wissen und trotzdem …“
„Ich weiß nicht genau, wie das mit dem Aufstieg funktioniert, Al“, gab Dorian zurück, „aber ich glaube, er ist schon irgendwie … gestorben. Um den Aufstieg zu erreichen, muss man loslassen, sich befreien und sich seiner sterblichen Hülle entledigen … vielleicht war es nur dieser eine Moment … der Moment, in dem wir Zeugen waren, wie er … der Moment, in dem er … wirklich …“
„Spielt das überhaupt eine Rolle, wenn er jetzt eine andere Art von Leben führt?“, fragte Alexa mit bedrückter Stimme, doch Dorian hatte eine Antwort parat. „Bin ich ein schlechter Mensch?“
„Was? Nein! Wie kommst du denn auf so etwas?“
„Er hat mich verlassen“, entfuhr es Alexa, als sie sich ruckartig vom Bett erhob.
„Aber doch nicht, weil du … es muss doch nichts mit dir zu tun haben. Er ist ein Aufgestiegener. Wer weiß, welche Regeln und Gesetze die haben. Und wer weiß, was er zu tun hat. Vielleicht hat er irgendwelche Aufgaben zu erfüllen.“
„Was hat das damit zu tun? Er hätte bleiben können. Hier und da vielleicht etwas für sie erledigen, aber doch hier bleiben oder … er hätte zurückkehren können. Er hätte die menschliche Form wieder annehmen können. Es sind wohl mehr als genug andere Aufgestiegene da, die sich bestimmt um ihre Aufgaben streiten … nein. Ich bin es. Es ist etwas mit mir. Warum sonst ist er gegangen?“
„Al …“
„Er hat mich verlassen, Momo! Er hat mich … einfach so abserviert! Ich weigere mich, zu glauben und zu verstehen, dass ihm jetzt sein neues Leben als Aufgestiegener so gut gefällt und er mich deswegen fallen lässt, anstatt zurückzukommen, was er locker könnte. Aber dass er … dass er mich an einen anderen verschachern will …“
„Er will dich doch nicht … das hat er nie im Leben gesagt“, meinte Dorian leicht lächelnd, als er ihrer Aussagen nicht so recht Glauben schenken wollte.
„Du bist nicht für mich bestimmt, hat er gesagt … Du wirst dich in jemand anderen verlieben … du wirst ihm gehören und du wirst glücklich sein. Er wird dir das Leben bieten, das ich dir nicht bieten kann“, äffte Alexa ihren ehemals Verlobten nach. „Ich soll es ihm nicht so schwer machen, hat er gesagt … er wird dich lieben, du wirst ihn lieben … dass stinkt doch bis zur nächsten Galaxie nach verschachern!“
„Okay, das ist …“, versuchte Dorian zu antworten, doch er fand nicht wirklich die richtigen Worte.
Er wusste, dass es zwischen seinem besten Freund und seiner Schwester zu einem Streit gekommen war. Mittlerweile wusste die gesamte Stadt, dass selbst ein Aufgestiegener nicht sicher vor ihrem Temperament und fliegendem Porzellan war. Aber er hatte erst später einige Hintergründe erfahren.
Dorian musste schon zum Teil schmunzeln über die Art und Weise, wie sie sich nun über seinen besten Freund äußerte und aufregte. Der andere Teil litt mit ihr. Auch er glaubte einst, seinen besten Freund verloren zu haben. Er selbst half damals, nach ihm zu suchen, pflügte sich durch ein Schlachtfeld, das die Galaxie so noch niemals gesehen hatte, und war schließlich auch anwesend, als Darius in den Armen seiner Schwester starb. Auch er glaubte bis vor Kurzem, er sei tot. Doch nun kannte er die Wahrheit. Zumindest kannte er die Umstände des Geschehens und seines Handelns besser und genauer als seine Schwester. Dennoch waren vielleicht genau diese Geschehnisse und Handlungen zum Teil ein Grund für den leichten Groll, den er nun gegenüber seinem Freund hegte.
Er beobachtete, wie Alexa mittlerweile regelrechte Gräben durch ihr Quartier zog. Mit zügigen Schritten lief sie hin und her, von einer Seite ihres Quartiers zur anderen. Dorian war zwar nicht besonders versiert im psychologischen Bereich, aber er glaubte, dass sie offenbar bereits tief in einer Art Verarbeitungsprozess steckte. Zumindest schien sie nicht mehr am Boden zerstört und verzweifelt, wie seine Mutter noch vor Kurzem meinte, als sie ihn darum bat, nach seiner Schwester zu sehen.
„Es mag nicht ganz richtig von ihm gewesen sein, so etwas zu sagen, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass es irgendetwas gibt, das ihn an dir stört. Alexa, der Mann … er war schon damals vollkommen vernarrt in dich. Wenn ich dir nur begreiflich machen könnte … wenn ich dir nur zeigen könnte, wie glücklich er war, als du dich ihm versprochen hast …“
„Und warum hat er sein Versprechen dann … warum will er sein Versprechen mir gegenüber nicht einlösen? Warum … hat er mich von meinem entbunden? … Warum hat er … warum hat er mich freigegeben?“, wispert Alexa, als sie für einen Moment ruhig stehen blieb und ihre Arme um sich selbst schlang, als würde sie von einer undefinierbaren Kälte erfasst.
Jedem anderen fiele es womöglich leicht, nun zu sagen, er wüsste es nicht, doch Dorian wusste, es wäre eine Lüge. Eine von vielen, die er seiner Schwester bereits unterbreitet hatte. Und er hatte das Lügen satt und dennoch …
„Alexa … es ist viel Zeit vergangen. Mehr als dreizehntausend Jahre sind vergangen, die an uns einfach so vorübergezogen sind. Während wir in unseren Kapseln lagen, hat das Universum nicht halt in seiner Entwicklung gemacht. Ich denke, wir alle sind ein Teil dieses Universums. Aber während wir geschlafen haben, hat Darius sich mit dem Universum weiterentwickelt.“
„Wozu überhaupt? Er hätte es nicht müssen. Er hätte … er hätte direkt nach seinem Aufstieg zurückkommen können. Er hätte den Überfall auf Celtes verhindern können oder vielleicht wäre es auch niemals passiert, wenn er direkt zurückgekehrt wäre. Oder … oder er hätte uns zumindest in unseren Kapseln zurück nach Atlantis bringen können … statt uns einfach all die Jahrtausende unserem Schicksal zu überlassen.“
„Wer weiß, welche Erkenntnisse und Erfahrungen er bei seinem Aufstieg gewonnen hat. Vielleicht gibt es irgendetwas das ihn hinderte einzugreifen. Vielleicht gibt es einen Grund für sein Handeln.“
„Ja, bestimmt gibt es den. Ich will nur wissen, welchen? Ich will Genaueres wissen. Aber … einen anderen Mann, den ich … dem ich verfallen soll, so wie er sagte? … Oh, Momo, das ist doch … das ist doch Wahnsinn!“
„Al … für uns mögen all die Jahrtausende in einem Wimpernschlag vergangen sein. Uns mag es so erscheinen, als sei nichts geschehen, aber … es ist geschehen. Es ist so viel geschehen. Das Universum hat sich verändert, das Leben hat sich verändert, wir haben uns verändert … trotz allem … und Darius auch. Das müssen wir akzeptieren, sonst … gehen wir zugrunde. Alles, was wir jetzt tun können, alles was wir tun müssen, ist leben und das nachholen, was wir brauchen, um in der jetzigen Zeit zu überleben. Wir sind die letzten unseres Volkes. Wir müssen dementsprechend handeln.“
„Nachholen? Momo, das wollte ich doch, aber er … Darius wollte sein Versprechen nicht einlösen. Er wollte mich nicht … er wollte mich einfach nicht. Weder … weder hier“, wisperte sie und sah zu ihrem Bett, als die Erinnerung an jenen intimen Moment in ihr aufkam, „noch überhaupt.“
„Wir werden vielleicht niemals die genauen Hintergründe verstehen. Wir werden vielleicht niemals erfahren, wieso, warum und weshalb“, meinte Dorian und hoffte inständig, diesmal die Wahrheit zu sagen. „Vielleicht haben wir gar nicht Zeit, es überhaupt jemals zu verstehen. Aber vielleicht ist das auch nicht wichtig. Al, das Universum existiert durch Regeln und Gesetze, denen jeder und alles unterworfen ist. Aufgestiegene als auch wir.“
„Oh Momo! Fang du jetzt bitte nicht auch damit an! Darius wollte mir schon etwas vom Universum und seinen Regeln erzählen. Das ist doch … das ist doch Schwachsinn!“
„Das denke ich nicht. Nun schon gleich zweimal nicht. Darius hat nun Zugang zu Wissen und Macht … und wenn er schon so etwas sagte … dann muss doch wohl etwas an dieser Theorie dran sein. Oder? … Vielleicht lässt das Universum uns nicht nur einfach so vor uns hin existieren. Vielleicht hat es Pläne mit uns. Vielleicht … vielleicht sind unsere Wege, unsere Leben vorherbestimmt … und vielleicht hat Darius genau das bei seinem Aufstieg erfahren.“
„Du meinst, er weiß, was die Zukunft für uns birgt?“
„Wäre doch möglich.“
„Wir bestimmen unsere Zukunft selbst, Momo.“
„Ja, das mag sein. Aber wohl nur so weit, wie es uns erlaubt wird.“
„Du glaubst wirklich an einen kosmischen Plan oder so was?“
„Ja … ja das tue ich. Jeden Tag geschehen Dinge im Universum, die vielen Lebewesen nicht gefallen. Einige sterben, andere leben, einige leiden, andere … lieben und einige … einige schlafen Jahrtausende in ihren Kapseln. Vielleicht ist es uns so vorbestimmt. Vielleicht … vielleicht musste all das geschehen.“
„Warum?“
„Das werden wir vielleicht nie erfahren … aber willst du deswegen einfach stehen bleiben? Willst du dich deswegen an die Vergangenheit klammern, obwohl sie dir unaufhaltsam aus den Händen gleitet? Willst du die Vergangenheit heraufbeschwören, auf dass vielleicht wieder alles so geschieht, wie es geschah?“, fragte Dorian leise und beobachtete, wie seine Schwester neben ihm Platz nahm.
„Was soll ich denn sonst tun, Momo? Was bin ich denn? Wer bin ich denn? Was bleibt mir denn noch?“
„Du, Alexa. Du bleibst. Eine schöne junge Frau, deren Leben gerade beginnen kann. Dein Leben, deine Aufgabe, deine Erinnerungen, deine Fähigkeit zu leben, zu lachen, zu denken, zu handeln, zu kämpfen … zu lieben.“
„Lieben?“, wisperte Alexa, als langsam Tränen über ihre Wangen rollten. Seufzend sank ihr Kopf zur Seite, bis er auf der Schulter ihres Bruders zu ruhen kam. „Ich weiß nicht … ich weiß nicht, ob ich jemals wieder jemanden so lieben kann … wie Darius.“
„Und das wirst du auch nicht, wenn du stehen bleibst. Du hast eine Chance bekommen, Al. Entweder ist es eine zweite Chance, ein neues Leben aufzubauen, oder all das, was mit dir geschah, was mit uns geschah, war so für uns vorausbestimmt und wir müssen nun weitermachen. So oder so … wir dürfen jetzt nicht stehen bleiben. Und wir dürfen uns auch nicht umdrehen und dem Vergangenem hinterher trauern. Es blockiert unseren Weg, der uns vielleicht zu ein wenig Glück führen kann ... oder zu einem großen Glück, dass wir bisher noch nicht kennen.“
„Ich weiß nicht, ob ich einfach so weiter gehen kann.“
„Es ist in Ordnung, eine kurze Pause zu machen. Manchmal ist es sogar notwendig, damit man nachsehen kann, ob man immer noch in die richtige Richtung geht und sein Ziel neu anzupeilen.“
„Und Darius?“
„Er hat seinen Weg gefunden.“
„Weg von mir.“
„Mag sein. Ich weiß, du liebst ihn. Aber er liebt dich ebenso sehr. Vielleicht kann er dir nur auf diese Weise das geben, was du brauchst … was du verdienst. Vielleicht war auch der Aufstieg für ihn vorgesehen. Vielleicht ist er nun wirklich schlauer und weiser als wir alle zusammen.“
„Und was soll ich jetzt machen? Momo … ich weiß nicht … was ich machen soll“, wisperte Alexa leise, als ihre Tränen nicht trocknen wollten.
„Durchatmen … erst einmal durchatmen. Dann aufstehen, den Schmutz von den Kleidern klopfen, die Tür öffnen und den dunklen Raum verlassen, in dem du dich eingebunkert hast. Du weißt gar nicht, wie schön es da draußen sein kann und du weißt auch nicht, wie viel Liebe in dir steckt, die du jemandem geben kannst. Tritt durch die Tür auf den Weg, der vor dir liegt, und kümmere dich nicht mehr um das, was hinter dir war.“
„Einfach so?“
„Einfach so“, stimmte Dorian zu und hielt seine Schwester in einer engen Umarmung. „Vielleicht solltest du dir allerdings nicht alles auf einmal aufbürden oder dich blindlings in etwas neues stürzen.. Fang mit kleinen Schritten an.“
„Mit Durchatmen?“
„Genau. Zum Beispiel damit.“
„Ach Momo … weißt du, dass du mein Lieblingsbruder bist?“
„Klar weiß ich das! Ich bin schließlich der Einzige und einer muss dir den Kopf wieder gerade rücken.“
„Und du machst es wahrscheinlich auch ziemlich gerne, hm?“
„Nicht unbedingt. Aber wenn es nötig ist, dann tue ich es. Und ich tue es richtig.“
„Ja … das kannst du laut sagen … wahrscheinlich kann es keiner so gut, wie du.“
„Gehört alles zum Gesamtpaket ... mich gibt es leider nur in begrenzter Anzahl, aber dafür inklusive langjähriger Studien und Erfahrungen.“
Alexa musste doch tatsächlich etwas schmunzeln. Wie schaffte ihr Bruder es nur, sie immer wieder aufzurichten? Woher besaß er solche Weisheiten, die sie trösten und zugleich zum Nachdenken brachten? Wie konnte ein Wissenschaftler, der den lieben langen Tag nichts anderes tat, als das Universum zu erforschen, mit Molekülen und Atomen zu jonglieren und Eltern und Kollegen in den Wahnsinn zu treiben, solche Ruhe und Stärke besitzen? Wie konnte er sie derart tief in ihrem Inneren erreichen und ihr mehr als Trost und Hoffnung schenken?
Alexa wusste es nicht. Alles, was sie wusste, war, dass sie gerade mehr als dankbar für ihren großen Bruder war, auch wenn es sonst hin und wieder Zeiten gab, in denen sie ihn zu gerne ins All befördern würde. Aber war das nicht bei allen Geschwistern so?
Und tief in ihrem inneren wusste sie auch, dass er recht hatte. Es hätte keinen Sinn, der Vergangenheit hinterher zu trauern. Sie hatte Darius schon vor langer Zeit verloren und die neue Gewissheit, dass er in Wahrheit aufgestiegen war, würde auch nichts daran ändern. Er würde nicht zu ihr zurückkommen. Er würde seine Meinung nicht ändern. Sie musste es akzeptieren. Zu ihrem eigenen Wohl.
Alexa war nun doch etwas hungrig und trotz der innigen Umarmung drang das knurren lautstark durch den Raum.
„Weißt du, ich habe da einen Schritt bei dem universellen Überlebensplan vergessen“, meinte Dorian, als er den lauten Protest ihres Magens hörte und lächeln musste.
„Vergessen? Du vergisst doch sonst niemals etwas.“
„Ja, ich muss diesmal auch besondere Umstände geltend machen.“
„Zum Beispiel?“, fragte Alexa, die ihren Bruder immer noch nicht losließ.
„Zum Beispiel der Umstand, gerade von meiner Schwester in einer Umarmung gehalten zu werden, von der ich nicht weiß, ob es geschwisterliche Liebe oder geschwisterlicher Hass bis zum Erstickungstod ist“, keuchte Dorian mit dem Letzten bisschen an Atem hinaus, bis Alexa sich endlich erbarmte und ihn losließ, was ihn dann japsend nach Luft ringen ließ.
„Ich hasse dich doch nicht.“
„Gut zu wissen, dennoch gehöre ich wie du zu den Warmblütern, die Sauerstoff atmen müssen, um ihr schweres Hochleistungshirn ausreichend mit sauerstoffangereichertem Blut zu versorgen. Soll heißen, auch wenn ich diese geschwisterliche Umarmung sehr genieße … aufpassen, du machst mich sonst putt.“
Wieder entrang ihr ein leichtes Schmunzeln, von dem Dorian sich anstecken ließ.
„So gefällst du mir schon viel besser“, sprach er leise und lächelnd, als er ihr Gesicht in seine Hände nahm, mit dem Daumen ihre Tränen wegwischte und sie danach kurz auf die Stirn küsste. „Komm Schwesterchen. Auf zum nächsten Schritt …“
Schnell beugte Dorian sich vor, griff nach dem Tablett mit dem Essen, während Alexa zum Kopfende des Bettes kroch und sich dagegen lehnte. Ihr Bruder tat es ihr dann gleich und ließ sich vorsichtig mit dem voll beladenen Tablett neben sie nieder.
"… nach dem Durchatmen, stärken. Und nach dem Stärken …“, meinte Dorian und hob die Serviette hoch. Darunter entdeckte Alexa eine kleine Packung mit den köstlichsten Schokoladenpralinen der Erde. Nun wandelte sich ihr leichtes schmunzeln in ein breites Grinsen. „ … genehmigt man sich einen Seelentröster … oder zwei … drei … na ja, eben ausgehend von der Art und Schwere des Kummers, können es auch mal mehr sein.“
~~~///~~~
Es war bereits später Abend, als Alexa leise das Krankenzimmer ihres Onkels betrat und ihn schlafend vorfand. Doch diesmal wollte sie nicht gleich wieder gehen. Wer wusste, wie viel Zeit ihm noch vergönnt war und so wollte sie gerne bei ihm sein, selbst wenn er schlief. Vielleicht konnte er sie sogar irgendwie wahrnehmen. Außerdem hatte sie sich in letzter Zeit ohnehin eher selten gezeigt und das hatte ihr liebster Onkel wohl nicht verdient.
Leise schob sie sich einen Stuhl zurecht, setzte sich an eine Seite und nahm vorsichtig seine Hand in die ihre. Sie konnte und wollte nicht verhindern, dass einige Erinnerungen an ihre Kindheit in ihr hochkamen. Schöne Erinnerungen, lustige Erinnerungen, in denen auch ihr Onkel einen Platz fand.
Wie oft hatte sich ihr Onkel Zeit für sie und ihren Bruder genommen, wenn ihr Vater durch seine Arbeit zu sehr in Beschlag genommen wurde? Wie oft hatte er sie und ihren Bruder im Spiel durch die Räume und Flure der Stadt gejagt, wie oft hatten sie sich an den unmöglichsten Orten vor ihm versteckt und warteten darauf, bis er sie fand und wie oft hatten sie ihn zu suchen, ohne ihn jedoch zu finden? Wie oft hatte er sie und ihren Bruder auf seinen Schultern getragen, während sie über Felder und Wiesen streiften und er ihnen einige Tiere und Pflanzen auf anderen Planeten zeigte, während sie mit ihren Händen in seinen Haaren festkrallten und sie zerzausten? Wie oft hatte er sie nach ihren Lehrplänen gefragt und sich angehört und überprüft, wie gut sie im Unterricht aufpassten? Wie oft hatte er ihnen ein Ohr geliehen, als sie mit ihren Problemen, ihren Fragen und auch mit ihrer Wut über Lehrer in der Stadt und dem harten Ausbilder an der Militärakademie zu ihm kamen und ihre Herzen ausschütteten? Wie oft hatte ihr Onkel sie wieder beruhigen können, als gerade dieser Ausbilder ihr Kollege wurde und sie schier in den Wahnsinn trieb, bevor sie sich in eben jenen Kollegen verliebte? Wie oft hatte er an ihrer Seite gestanden und sie getröstet, als sie glaubte, ihn für immer verloren zu haben?
„Sei ihm nicht böse, Krümel“, ertönte die leise, raue Stimme ihres Onkels und riss sie aus ihren Gedanken.
„Du bist wach?“, fragte sie überrascht, als sie in seine blauen Augen blickte.
„Immer wieder. Oft, aber niemals sehr lange. Ich bin ein alter Mann, Krümelchen. Bald … bald werde ich ewig schlafen“, erwiderte Marsilius und Alexa sah wieder zu ihrer Hand, die noch immer die seine hielt. „Du darfst ihm nicht böse sein.“
„Du weißt … dass er mich verlassen hat?“
„Es war abzusehen … und nicht zu ignorieren. Ich glaube, die ganze Stadt hat es mitbekommen. Du hast nichts von deinem Temperament eingebüßt, hm?“
„Warum? Kannst du mir sagen, warum, Onkel?“
„Ach Krümel … ich wünschte ich könnte dir eine Antwort geben.“
„Kannst du es nicht … oder darfst du es nicht?“
„Auch das kann ich dir nicht sagen, Kind. Ich wünschte … ich weiß, wie sehr du ihn liebst und ich weiß, wie sehr er dich liebt. Glaube mir, es ist ihm nicht leicht gefallen, dich zu verlassen. Aber es musste geschehen. Irgendwann wirst du verstehen … irgendwann wirst du … alles verstehen“, wisperte Marsilius leise und schloss die Augen.
„Onkel? … Onkel Marsilius?“
Wieder war Marsilius eingeschlafen und Alexa rang sehr mit sich und dem Bedürfnis, ihn wieder zu wecken und weiter zu befragen. Merkwürdige Dinge gingen vor sich und die Geheimnisse nahmen zu. Je mehr sie versuchte herauszufinden, je mehr sie fragte und forschte, umso verworrener und unglaublicher erschien ihr alles. Und das frustrierte sie und machte sie beinahe wütend. Dennoch entschied sie, es gut sein zu lassen. Sie würde schon noch dahinter kommen. Es war nur einer Frage der Zeit und der Geduld. Und die besaß sie reichlich.
Alexa blieb an der Seite ihres Onkels und wachte an seinem Bett, ohne wirklich zu merken, wie die Müdigkeit sie langsam übermannte …
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Oben in der Dunkelheit des Beobachtungsraums stand John alleine in einer Ecke und sah hinunter in das Krankenzimmer. Er sah, wie Alexas Kopf in ihrem Schlummer langsam immer mehr zum Bett sank, bis sie endgültig tief und fest schlief, während sie noch immer die Hand des alten Antiker hielt. Keine sehr bequeme Position, aber immerhin schlief sie.
Und bei Gott, Schlaf konnte sie alle im Moment brauchen. Auch John spürte, wie die Müdigkeit an ihm zehrte und doch war er rast- und ruhelos durch die Stadt gewandert, bis ihn seine Schritte hier her geführt hatten.
Er hatte gehört, wie sie sich unterhielten und auch John war nicht entgangen, wie anstrengend es für den Alten war. Er bedauerte es, den Alten schon sehr bald zu verlieren. Er mochte ihn irgendwie, auch wenn er ihn nicht besonders gut kannte. Viel mehr jedoch zählte die Gewissheit, dass er etwas wusste. Er wusste, was vor sich ging, er wusste um die Veränderungen, die er in seinem Inneren spürte, er wusste um Problematik und das Schweigen des Generals und John wusste genau, dass auch der Alte eine große Rolle darin spielte. Eine größere, als bisher angenommen.
John beobachtete, wie Elisha leise den Raum betrat und schmunzelte, als sie ihre Tochter schlafend an der Seite ihres Onkels vorfand. Ganz leise und vorsichtig griff sie nach einer weiteren Decke und legte sie behutsam über den Rücken ihrer Tochter. Dann glitt ihr prüfender Blick über Marsilius und die Geräte, an die er angeschlossen war. Doch bevor sie wieder ging, richtete sich ihr Blick zum oberen Fenster des Beobachtungsraumes.
John stand in einer dunklen Ecke, in der man ihn eigentlich nicht hätte ausmachen können und doch wusste er, dass Elisa seine Anwesenheit irgendwie wahrnehmen musste. Ein sanftes Lächeln, beinahe ein kleines Nicken ihrerseits konnte er erkennen, bevor Elisha den Raum verlies.
John atmete durch. Hier ging wirklich mehr vor sich, als man überhaupt in Worte fassen konnte. Dann ließ er seinen Blick wieder wachsam über den Alten und Alexa streifen.
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Es war früher Morgen in Atlantis.
Während ein Großteil der Expedition gerade erst so langsam aus dem Schlummer erwachte, waren Woolsey und der General bereits im Büro und besprachen einige Dinge des Tagesplanes, als Tristanius Kommunikationsgerät zum Leben erwachte.
„Tristan?“
„Elisha.“
„Tristan, bitte komm zur Krankenstation … ich glaube, es ist so weit.“
Woolsey konnte beobachten, wie der Gesichtsausdruck des Mannes vor ihm sich von einer Sekunde zur anderen änderte und doch war es nur ein winziger Augenblick, in der er glaubte, eine Gefühlsregung ausmachen zu können, bevor dessen Miene zu einem starren und geradezu nüchternem Ausdruck wechselte.
„Ich komme sofort.“
~~~///~~~
Sekunden nach dem Tristanius das Krankenzimmer betreten hatte, fand auch Woolsey sich im Beobachtungsraum ein und gesellte sich zu Sheppard, der mit seiner Familie, Teyla und Jennifer bereits anwesend war. Er sah seinem Militärkommandanten an, dass er nicht besonders viel Schlaf gefunden haben musste. Aber abgesehen von den dunklen Ringen unter seinen roten Augen, glaubte Richard auch Sorge und sogar Trauer in ihnen zu erkennen. Und das war ungewöhnlich, denn Richard glaubte, den Colonel doch schon relativ gut zu kennen. Irgendeine Wandlung schien in letzter Zeit in und mit dem Mann vorzugehen. Vielleicht sollte er alsbald mal ein Gespräch mit dem Soldaten führen.
Sein Blick glitt wieder hinunter zum Krankenzimmer.
~~~///~~~
„Er driftet immer wieder weg“, meinte Elisha flüsternd, als sie ihren Mann am Eingang zum Zimmer abgepasst hatte. „Er kommt immer seltener zu Bewusstsein.“
„Kannst du denn wirklich nichts für ihn tun?“, wisperte Tristanius leise, doch Elisha schüttelte mit dem Kopf.
„Er ist schwach, Tristan. Sein Geist mag vielleicht noch stark und jung wirken, aber sein Körper ist alt und labil. Ich habe ihm etwas gegen die Schmerzen gegeben, auch wenn sie offenbar nicht sehr stark zu sein scheinen, aber mehr kann ich nicht für ihn tun. Jede Maßnahme, sein Leben zu verlängern … ihn bei uns zu behalten, wäre eine unsägliche Qual für ihn … bitte verlange das nicht von mir … und auch nicht von ihm.“
Tristanius schluckte hart, bevor sein Blick zu seinem Freund glitt, der friedlich in seinem Bett lag. Dann nickte er stumm seiner Frau zu, deren Arm er sanft drückte, bevor er an das Bett trat.
Marsilius Brust hob und senkte sich nur sehr langsam und selbst das schien ihm eine enorme Anstrengung zu kosten. Der Blick des Generals glitt weiter über ihn und erstaunt stellte er fest, dass er sonst ganz entspannt wirkte. Vielleicht waren es die Schmerzmittel, die ihm diese enorme Entspannung und Erleichterung verschafften. Vielleicht war es aber auch die Gewissheit, diesem Moment bei seiner Wahlfamilie zu verbringen.
Seine rechte Hand lag ruhig und sanft in Alexa Händen, die mittlerweile zwar etwas wacher wirkte, aber ihr Blick war zunächst starr auf Marsilius gerichtet.
Für einen kurzen Moment überlegte Tristanius, ob es wirklich gut sei, dass sie nun an Marsilius Seite war und ihn mit ihrer Anwesenheit ehrte und ihn in den letzten Atemzügen begleitete. Hatte sie denn in den letzten Tagen nicht schon genug durchgemacht? Musste sie da noch den Augenblick des Todes miterleben?
Alexa hingegen beantwortete die stummen Fragen ihres Vaters nur mit einem kurzen Blick. Ihre Augen wirkten nun nicht mehr so wach und ausgeruht. Er sah, wie sich bereits die ersten Tränen bildeten, die die Trauer und den Schmerz hinaus spülen sollten. Und doch schien sie bleiben zu wollen, als sie sich auf die Bettkante ihres Onkels setzte, seine Hand jedoch für keine Sekunde losließ.
Auch Dorian war an seiner Seite. Still und regungslos saß er auf einem Stuhl neben seiner Schwester. Seine Hand glitt über die ihre und die seines Onkels, und auch Elisha fand sich neben Tristanius ein. Doch ihr Blick glitt immer wieder zwischen den Geräten und Marsilius hin und her.
„Bitte … mach dir keine Gedanken, gute Elisha“, wisperte Marsilius leise und ergriff mit letzter Kraft ihre Hand. „Es … es ist alles in Ordnung. Du hast dich sehr gut … um mich gekümmert … wir wussten doch alle … das es so weit kommen würde. Aber ich danke dir … für deine Sorge … und deine Liebe.“
„Sprich nicht so viel, mein Freund. Das strengt nur an“, sprach Tristanius leise, als seine Hand zur Schulter seines Freundes glitt.
„Man kann niemals … zu viel sprechen, wenn man wichtiges zu sagen hat, Tristan. Hast du das … immer noch nicht … begriffen? Aber du warst schon immer … ein Sturkopf.“
„Hast du Schmerzen? Brauchst du etwas?“, fragte Elisha leise, doch Marsilius schüttelte langsam den Kopf.
„Ich sagte doch … mach dir keine Gedanken. Es fehlt mir nichts. Es fehlt mir … an gar nichts ... ich habe immer gehofft … noch einmal diese Stadt zu sehen … noch einmal euch zu sehen ... bei euch zu sein. Ich hatte fast die Hoffnung aufgegeben, aber … man war gnädig zu mir … mit mir.“
Es war für niemanden zu übersehen, wie schwer ihm der nächste Atemzug fiel. Als würde eine schwere Last auf seiner Brust, auf seinem Herzen ruhen, gegen die er anzukämpfen hatte, aber es gab keine Möglichkeit ihn zu unterstützen.
„Du musst dich ausruhen, Marsilius“, sagte Tristanius leise.
„Ausruhen? Ich habe dreizehntausend Jahre geruht und bald werde ich … für immer ruhen.“
„Sprich nicht so …“
„Bald … bald … sehe ich sie wieder“, hauchte Marsilius, als sein Blick in die Ferne zu gleiten schien. „Glaubst du … ich sehe sie wieder? Glaubst du … sie warten auf mich?“
Niemand musste fragen, wer gemeint war. Den Tod seiner Frau Leana hatte Marsilius niemals gänzlich überwunden. Seit jenem verhängnisvollen Tag, glaubte er fest daran, dass Leana ihre Ewigkeit an einem ruhigen, friedlichen Ort verbrachte und auf ihn wartete. Leana und sein ungeborenes Kind.
„Es war eine lange Reise …“, sprach Marsilius weiter, „… sie haben lange warten müssen.“
„Sie werden es verstehen“, flüsterte Elisha leise, als sie sachte seine Hand drückte. „Leana hat dich immer geliebt und das wird sie immer. Sie wartet auf dich … da bin ich mir sicher.“
Ein kleines Lächeln huschte über seine Lippen.“Leana … und unser Kind …“
Dorian und Alexa haben Leana niemals kennenlernen können. Sie starb einige Zeit vor Dorians Geburt. Ihr Onkel hatte ihnen nur ein einziges Mal ein Bild von ihr gezeigt. Ein Bild, das eine junge wunderschöne Frau mit langen blonden Haaren zeigte, die glücklich in der Umarmung ihres frischangetrauten Ehemannes zu sein schien. Auch gesprochen hatte ihr Onkel kaum über sie. Alexa erinnerte sich noch sehr genau daran, diese Trauer und den unsäglichen Schmerz in seinen Augen gesehen zu haben, als Dorian und sie ihn nach Leana befragte. Beide taten es jedoch nur ein einziges Mal. Danach verloren sie niemals wieder ein Wort über sie. Auch wenn die Neugier fast übermächtig war.
Dorian und Alexa waren sich jedoch unausgesprochen einig darüber, dass sie Leana genauso gemocht und in ihr Herz geschlossen hätten, wie sie es bei Marsilius taten.
„Ihr wisst gar nicht ... wie gut es tut, euch in Sicherheit und am Leben zu wissen … und ich bete zu den Erleuchteten … dass es noch eine ganze Weile … so anhalten möge … aber all die vergangenen Jahrtausende … ich hoffe, es hat sich … gelohnt ... mach nicht die gleichen Fehler noch einmal, Tristan … denke an meine Worte … denke gut darüber nach …“
„Das werde ich. Du weißt, deine Meinung war mir immer sehr wichtig.“
„Ich hoffe … das wird sie auch weiterhin … sein und du Elisha … hör nicht auf … ihm immer wieder mal … gut zuzusetzen. Er braucht das … gelegentlich und niemand … kann ihn so gut ins Schwitzen bringen … wie du.“
Elisha musste lächeln, doch ihre Aufmerksamkeit richtete sich schnell auf den Monitor, der die Herzschläge des alten Antikers überwachte und nun warnend piepte. Immer schwächer und unregelmäßiger wurden die Signale und seine Atmung.
„Und ihr beide … macht euren Eltern keine Schande … verstanden? Dorian, mein Stöpsel … du weißt, du bist ein schlauer Mann … lass dir von niemandem etwas anderes einreden … zweifle niemals an dir selbst … und du Alexa … kleiner Krümel … höre auf dein Herz … ich meine nicht die Stimme … von der du nur glaubst, es sei … dein Herz. Höre ganz tief in dich … ganz tief … und vertraue darauf … hörst du mich? Hast du … hast du mich verstanden? Es ist …“
„Ich habe dich verstanden, Onkel Marsilius. Ich habe dich verstanden.“
„Es ist wichtig … es ist wirklich … wichtig … nur deine innere Stimme … tief in deinem Herzen …“
Wieder atmete Marsilius mühevoll auf und für einen kurzen Augenblick schien es …
„Marsilius?“, fragte Tristanius leise und drückte sachte die Schulter des Alten. „Marsilius, mein Freund … mein Bruder …“
„Mein … Bruder …“, sprach Marsilius leise und Tristanius schloss sich an.
„Brüder im Geiste … in Frieden und im Krieg … Im Herzen, in Seele und … im Blut … Brüder für ewig …“
„Ewig …“, schloss Marsilius leise ab, als sein Blick wieder in die Leere glitt. „… Leana …“
Marsilius Brust senkte sich, aber sie hob sich nicht mehr. Sein Blick war auf einmal starr und leblos, sein Herzschlag wandelte sich in ein andauernd und endlos scheinendes Signal.
„Marsilius“, rief Tristanius leise nach seinem Freund. „Marsilius … Marsilius.“
Aber er antwortete nicht mehr. Langsam strich Tristanius über die Augen seines Freundes, um sie zu schließen … für immer.
tbc...