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Thema: [SGA] History of a Hybrid

  1. #1
    Trickster Avatar von Cats_Cherry
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    Standard [SGA] History of a Hybrid

    Was, wenn es nicht Michael selbst war, der die Wahrheit über sich herausfand? Was, wenn es eine Person war, die ihm näher steht als irgendjemand sich jemals vorstellen könnte?
    _______________________________________________
    Hey ;-)

    Ich bin neu hier und ich dachte, ich beginne mal mit einer Geschichte, die mir sehr am Herzen liegt. Allerdings ist die Thematik etwas... ungewöhnlich, deshalb weiß ich nicht, inwiefern sie auch angenommen wird. (Gesetzt den Fall, ich kann sie endlich mal posten, denn irgendwie spinnt die Plattform jedes Mal o.O)

    Es ist eine Art "Was wäre wenn"-Geschichte. Meine Alternative zu der Folge "Michael" (2x18), demnach AU, auch wenn ich natürlich trotzdem versucht habe, mich an die Charaktere und den Canon zu halten. Ich habe lediglich ein Detail in Michaels Vergangenheit geändert, was aber keinen allzu großen Einfluss auf seinen Charakter und seine Handlungen hat. Nur auf die Art, wie er die nächsten Jahre erlebt.
    Was genau das war – Nun, das werdet ihr selbst herausfinden müssen ;-)
    Insgesamt ist es eine Reihe (8 Songfics und Oneshots plus eventuelle Zusätze), aber ich werde nicht für jeden Teil ein neues Thema anfangen.
    Wegen den gelegentlichen Zeitsprüngen werde ich vor jedem Teil eine Übersicht mit den Informationen posten.
    Für Teil 1 wäre das das hier:
    Song: Body Crumbles (Dry Cell)
    Personen: Michael,Todd, paar Atlanter (Dr. Heightmeyer, Carson Beckett, Teyla, Sergeant Cole)
    Zeitliche Einordnung: Wie gesagt während "Michael" (2x18)
    Summary: Was, wenn es nicht Michael selbst war, der die Wahrheit über sich herausfand? Was, wenn es eine Person war, die ihm näher steht als irgendjemand sich jemals vorstellen könnte?
    Warnungen: Wie bereits gesagt ist es AU, obwohl ich natürlich trotzdem versuche, mich einigermaßen an die Begebenheiten zu halten.
    Wenn es sonst etwas gibt, das jemandem aufstößt, kann er es mir ruhig sagen.

    Das hier ist mein Baby, ich hänge sehr daran, deshalb würde ich mich wirklich über Kommentare jeglicher Art freuen, egal ob Kritik, Lob, Kekse, fliegende Steine, … Wonach auch immer euch gerade ist ;-) (Wobei konstruktive Kritik schon irgendwie sinnvoller wäre als Steine *g*)
    Viel Spaß!
    _________________________________________
    01. Gefährten – It's been too long

    Stunden. Tage. Wochen. Es war egal.
    Langsam begann alles ineinander über zu gehen. Menschen, die an mir vorbei gingen, mit mir sprachen oder mich ignorierten, Geräusche, Gerüche, Gefühle, alles war unwichtig.
    Irgendetwas fehlte.
    Ich wusste nicht, woher dieser Gedanke kam, aber er war da.
    Tief in mir drin kannte ich die Wahrheit, ich wusste, was geschehen war, aber ich konnte es nicht genau benennen.
    Da waren Bilder in meinem Kopf, die sich ins Nichts auflösten, sobald ich sie näher zu ergründen versuchte. Stimmen, Gerüche, die immer wieder kehrten und deren Bedeutung ich nicht kannte.
    Und über all dem hing diese merkwürdige Gewissheit, irgendetwas unendlich wichtiges verloren zu haben und nie mehr wiederzufinden.
    Was war nur mit mir los?

    „Michael?“
    Ich schreckte hoch, als ich so unvermittelt angesprochen wurde, und blickte in blaue Augen, die mich fragend und besorgt musterten.
    Richtig, ich war nicht allein. Eine der unzähligen Sitzungen mit Doktor Heightmeyer. Unwichtig und nervtötend. Als würde es irgendetwas ändern, wenn ich über das sprach, was ich sowieso nicht wusste. Trotzdem bestand sie darauf.
    Hatte sie mir eine Frage gestellt?

    „Entschuldigung“, sagte ich möglichst freundlich. „Ich fürchte, ich habe Ihnen gerade nicht zugehört.“
    Sie lächelte, furchtbar gestellt. „Das macht doch nichts. Ich wollte wissen, ob Ihnen wieder etwas eingefallen ist, irgendeine Kleinigkeit. Vielleicht nur ein Geräusch, irgendetwas?“ Sie klang zu gleichen Teilen höflich, zuvorkommend, und … Was war das, ängstlich? Als wollte sie meine Antwort eigentlich gar nicht hören.
    Oder war es nur eine bestimmte Antwort, die sie fürchtete?

    „Nein, tut mir leid.“ Ich wollte ihr nicht die Wahrheit sagen. Es war egal, sie würde es ohnehin nicht verstehen. Sie war und blieb ein gewöhnlicher Mensch, einer von vielen auf Atlantis, und sie würde mir nicht helfen können.
    Woher dieser Gedanke so plötzlich kam, wusste ich nicht, aber es war nicht das erste Mal, dass ich so dachte. Im Gegenteil, ich tat es oft, sehr oft.
    Gewöhnliche Menschen, unwichtig und nervtötend, genauso wie diese Sitzungen.
    Warum war ich hier?

    Heightmeyer redete noch etwa eine halbe Stunde auf mich ein, doch ich hörte ihr nicht wirklich zu, als sie mir Techniken erklärte, die mich beruhigen und meine Alpträume fernhalten würden. Als würde ich das wollen!
    Also ließ ich nur meine Gedanken schweifen, nickte an den passenden Stellen, schaute verwirrt und traurig drein, wann immer ich es für angemessen hielt, und sagte hier und da ein paar Worte, die sie zum Weiterreden brachten.
    Dann ließ sie mich endlich gehen und ich wurde von meiner Eskorte zu meinem Quartier gebracht.
    Noch so etwas, das mich an ihrer Version der Geschichte zweifeln ließ. Wenn ich wirklich zu ihrem Team gehört hatte, warum stand ich dann unter ständiger Bewachung? Warum war ich nie, wirklich niemals allein?

    Ich legte mich auf mein Bett, die Arme im Nacken verschränkt und den Blick starr an die Decke gerichtet. Ich ignorierte die beiden Wachen, die vor meiner Tür standen, und versuchte zu schlafen.
    Zumindest im Traum wurden die Bilder manchmal etwas klarer, auch wenn ich sie immer noch nicht richtig zuordnen konnte. Aber das war auch egal, ich musste es nur immer weiter versuchen.

    *~*~*~*~*~*~*~*~*~*
    Schwärze um mich herum.
    Ich glaubte zu fallen, sekundenlang stürzte ich in einen Abgrund, dann wurde es plötzlich heller. Nicht genug, um wirklich etwas zu sehen, aber hell genug, um zumindest Andeutungen wahrzunehmen.
    Es roch leicht süßlich, nach Verwesung, aber nicht so stark, dass ich es als unangenehm empfunden hätte.

    „Da bist du ja endlich“, flüsterte eine leise, dunkle Stimme direkt hinter mir, bevor ich meine Umgebung erkunden konnte.
    Ich fuhr erschrocken herum und starrte in gelbe blitzende Augen. Weiß-grünliche Haut und weiße, leicht zerzauste Haare. Mehr konnte ich nicht erkennen, und trotzdem kam mir die Person merkwürdig bekannt vor.
    Das Leuchten der Sterne, schoss es mir durch den Kopf, bevor ich bewusst darüber nachdenken konnte.
    „Ich hatte Angst, du würdest nicht mehr zu mir zurückkehren“, fuhr die Stimme fort. Ein leises Lächeln zeichnete sich auf den weißen Lippen ab.
    „Ich werde immer zurückkehren“, erwiderte ich.
    „Ja.“ Mehr sagte die Stimme nicht, nur dieses eine Wort.

    Sekundenlang herrschte Schweigen zwischen uns, ich konnte nur seinen Herzschlag hören, ruhig und gleichmäßig und so beruhigend.
    Ba-Bumm, Ba-Bumm, Ba-Bumm.
    Ich kannte dieses Geräusch und ich wusste, dass ich es unter tausenden erkannt hätte. Aber als was hätte ich es erkannt? Als den Herzschlag welcher Person?

    „Du warst so lange fort.“ Seine Stimme klang wirklich ganz ruhig und sehr tief, ich spürte die Vibration irgendwo in meiner Brust und es fühlte sich gut an. Es beruhigte meine eigenen, sich überschlagenden Gedanken. „Wo bist du gewesen?“
    „Ich weiß es nicht“, antwortete ich und spürte gleichzeitig leichte Panik in mir aufsteigen. „Ich glaube, ich habe mich verlaufen, ich finde den Weg nicht mehr.“
    Die Umgebung veränderte sich, wurde zu Atlantis. Atlantis mit seinen hellen Räumen und den langen Gängen, doch obwohl es ein freundlicheres Umfeld war, machte es mir mehr Angst als die vorherige Umgebung.
    Er runzelte die Stirn und sah sich um, verwirrt und besorgt, dann lächelte er erneut und streckte vorsichtig eine Hand nach mir aus. „Lass mich dich führen.“
    Augenblicklich wurde ich innerlich wieder ganz ruhig, als ich nach seiner Hand greifen wollte. Er würde mich führen, er würde mir helfen, wieder ich selbst zu werden.
    Alles, was ich tun musste, war …

    *~*~*~*~*~*~*~*~*~*
    „Lieutenant Kenmore? Lieutenant! Wachen Sie auf!“
    Schlagartig setzte ich mich auf und wäre fast seitlich aus dem Bett gekippt, als mir sofort schwindelig wurde.
    Gott. Was war …

    „Lieutenant? Alles in Ordnung?“
    „Nein, verdammt! Nichts ist in Ordnung!“, zischte ich wütend und rappelte mich umständlich wieder auf. „Wie können Sie es wagen, mich zu wecken?!“
    Der Sergeant machte einen Satz nach hinten, völlig überrascht von meinem Ausbruch. Aber mir erging es nicht anders.
    Was war mit mir los? Warum war ich nur so gereizt? Hatten die Atlanter nicht gesagt, dass ich eine ruhige und besonnene Persönlichkeit gewesen war?
    Und wenn schon, knurrte eine gehässige Stimme in meinen Gedanken.

    Ich schüttelte den Kopf in dem Versuch, ihn wieder frei zu bekommen und die verwirrenden Bilder und Eindrücke des Traumes zu vertreiben.
    „Es tut mir leid, Sergeant. Ich wollte Sie nicht anschreien“, sagte ich, sobald ich wieder einigermaßen ruhig war. „Ich hatte nur einen … merkwürdigen Traum. Verzeihen Sie.“
    Er lächelte zögernd. „Mir tut es leid, Lieutenant. Ich hätte Sie nicht so abrupt wecken dürfen.“ Vorsichtig, als erwarte er jede Sekunde einen erneuten Angriff meinerseits, wedelte er mit einer Spritze. „Doktor Beckett bat mich, Ihnen das hier so schnell wie möglich zu geben. Er sagt, Sie hätten Ihre letzte verschlafen.“

    „Oh, natürlich.“ Das hatte ich ganz vergessen.
    Bereitwillig krempelte ich meinen linken Ärmel nach oben und nahm ihm dann die Spritze aus der Hand.
    Doktor Beckett hatte mir sofort nach meinem Erwachen gezeigt, wie ich meinen Arm abbinden musste, um mir die Spritze selbst geben zu können. „Für den Fall“, hatte er gesagt und mich dabei auf seine scheue Art angelächelt.
    Jetzt befolgte ich genau seine Anweisungen und setzte dann die Nadel an.
    „Nicht!“
    Der Glaskörper in meiner Hand zerbrach und ich hob ruckartig den Kopf. „Was?“
    „Was?“, fragte der Sergeant verwirrt zurück.
    „Sie haben doch gerade ...“ Ich brach ab und starrte auf die Flüssigkeit, die langsam über meine Handfläche rann und sich mit meinem Blut vermischte.
    „Lieutenant! Wie ist das denn passiert? Kommen Sie, Sie müssen sofort auf die Krankenstation.“

    Ich schüttelte den Kopf, perplex und verwirrt. Was war passiert? War die Stimme nur Einbildung gewesen? Aber es hatte sich so echt angehört.
    Es hatte geklungen … wie die Stimme aus meinem Traum.
    Ich schluckte trocken und setzte mich auf. „Es tut mir leid, ich weiß auch nicht, warum ich ...“
    „Ist schon in Ordnung.“ Er sprach mit mir als wäre ich geistig verwirrt. Aber war ich das nicht auch? „Ich bringe Sie zu Doktor Beckett, okay?“
    Ich nickte nur stumm und ließ mich von ihm zur Krankenstation bringen.

    Meine Gedanken rasten.
    Die Stimme aus meinem Traum …
    Es war Einbildung gewesen, natürlich war es das, was sollte es auch sonst gewesen sein?
    Diese Tatsache machte das Ganze jedoch nicht weniger verwirrend, denn auch wenn die Stimme nur eine Produktion meiner Fantasie gewesen war, bedeutete das, dass mein Unterbewusstsein mir etwas sagen wollte. Es hatte mich gewarnt. Es wollte nicht, dass ich mein Insulin bekam.
    Aber wieso?

    Finally recover and the mood is right
    Looking up into a neon sky
    Child in me takes over, guess it's been too long
    Since the last time that I tried to fly

    „Möchten Sie mir von Ihrem Traum erzählen?“
    Natürlich. Weil ich auch nichts besseres zu tun hatte und Sie mir ganz sicher helfen konnten. Pah!
    „Ich weiß nicht, Doktor“, antwortete ich zögernd. „Ich kann mich kaum noch daran erinnern. Nur noch bruchstückhaft. Es war dunkel und roch merkwürdig, nach Tod, und ...“ Ich brach ab und tat so, als müsste ich darüber nachdenken. „Ich glaube, ich habe mit jemandem gesprochen, aber ich bin mir nicht sicher.“
    Selbstverständlich erinnerte ich mich noch an alles, an jedes noch so kleine Detail, aber ich würde mich hüten und Doktor Heightmeyer das auch noch erklären.

    Inzwischen hatte ich herausgefunden, dass diese andere Person, mit der ich gesprochen hatte, ein Wraith gewesen war.
    Das bestätigte mein Gefühl, dass hier irgendetwas ganz und gar nicht in Ordnung war. Sie verheimlichten mir etwas, etwas wichtiges. Ich war kein Mitglied ihrer Expedition gewesen, ich hatte mit den Wraith zu tun gehabt.
    Vielleicht war ich ein Wraithanbeter gewesen und sie hatten mich aufgegriffen und mithilfe irgendeiner Droge erreicht, dass ich alles vergaß.
    Egal was es war, ich würde es herausfinden, und ich würde ganz sicher niemandem erzählen, was in mir vorging. In meinen Wochen hier hatte ich die Fähigkeit perfektioniert, Gefühle vorzutäuschen, die sie von mir erwarteten.

    „Sind Sie sicher?“, fragte sie noch einmal nach und machte sich eine kurze Notiz.
    „Ja, ich … ich denke schon.“
    Sie nickte mehr zu sich selbst und kritzelte wieder etwas auf ihren Block, dann lächelte sie mich an. „In Ordnung, Michael, Sie können dann gehen. Aber Sie wissen, dass Sie immer zu mir kommen können, wenn Sie etwas beschäftigt.“
    „Danke, Doktor“, sagte ich artig, ehe ich aufstand und den Raum verließ, meine Eskorte ignorierte und sofort zum nächsten Transporter ging. Ich musste allein sein und der einzige Ort, an dem ich zumindest andeutungsweise allein sein konnte, war mein Quartier.

    Wieder setzte ich mich sofort auf mein Bett, doch dieses Mal wollte ich nicht schlafen. Jedenfalls nicht wirklich. Ich wollte meditieren, mich in eine tiefe Trance versetzen und mein Unterbewusstsein anzapfen, um endlich zu erfahren, was ich all die Zeit vergessen hatte. Heightmeyer hatte es mir beigebracht und dabei vermutlich niemals gedacht, dass ich es auf diese Art anwenden würde.
    Mir war klar, dass man das, woran man sich zu erinnern glaubte, beeinflussen konnte, wenn man jemanden mit Informationen fütterte. Man glaubte dann nur das, was in das Bild dieser falschen Informationen passte, alles andere war egal.
    Aber ich kannte die Wahrheit. Sie konnte mich nicht mehr manipulieren.

    Ganz ruhig saß ich da, während ich mich nur auf mich selbst konzentrierte, auf meinen Herzschlag, meinen Atem, gleichmäßig ein und aus, immer wieder.
    Langsam drifteten meine Gedanken ab, weit weg in eine Zeit, an die ich mich heute nicht mehr erinnern konnte.

    Ba-Bumm, Ba-Bumm, Ba-Bumm.
    Einatmen. Ausatmen. Einatmen. Ausatmen. Immer wieder.
    Ruhig und gleichmäßig.

    *~*~*~*~*~*~*~*~*~*
    „Verdammt, was tust du hier?“
    Ich fuhr erschrocken herum und starrte in die selben gelben Augen wie in meinem letzten Traum. Der Rest seines Gesichtes lag verborgen im Schatten, ich konnte ihn einfach nicht erkennen.
    „Ich … Was?“
    „Du weißt ganz genau, wie gefährlich das in der momentanen Situation ist!“ Eine harte Hand griff nach meinem Arm und zog mich mit. „Wenn Sie dich jemals hier findet, sind wir beide tot!“
    Ich war immer noch zu verwirrt, um zu reagieren, und so schwieg ich und ließ mich einfach von ihm durch die dunklen Gänge ziehen.

    Ich befand mich anscheinend auf einem Hive, was nicht schwer herauszufinden gewesen war. Das Hive des Wraith vor mir, soviel war klar, und er schien nicht gerade erfreut über meine Anwesenheit zu sein.
    Aber warum war ich überhaupt hier?

    Er stoppte vor einer Tür und schob mich hindurch, ehe er sich nach allen Seiten umsah und ebenfalls den Raum betrat. Hinter ihm schloss sich die Tür mit einem leisen Zischen.
    Und von der einen Sekunde zur anderen änderte sich seine gesamte Haltung von wütend und angespannt zu … War das froh?

    „Also, Sha'alee, was tust du hier?“ Auch seine Stimme klang plötzlich wieder ganz ruhig, so wie sie in meinem ersten Traum geklungen hatte.
    Trotzdem war ich noch viel zu verwirrt für eine Antwort, also schwieg ich weiterhin.
    Er machte besorgt einen Schritt auf mich zu und hob die Hand, doch er ließ sie wieder sinken, ohne mich zu berühren. „Was ist passiert?
    Die Worte waren heraus, bevor ich überhaupt wusste, wovon ich sprach: „Sie wollte mich töten lassen. Ich bin geflüchtet, ehe Sie Ihren Plan in die Tat umsetzen konnte.“
    „Was?!“ Fassungslosigkeit flutete meinen Geist, aber ich brauchte ein paar Sekunden, um zu begreifen, dass es seine Fassungslosigkeit war, die ich spürte. „Bist du dir sicher?“
    „Ja.“ Meine Stimme war nur ein leiser Hauch, kaum hörbar.
    Wieder streckte er die Hand nach mir aus, seine Fingerspitzen berührten meine Wange, doch er zog sie sofort wieder zurück. „Wieso?“
    „Ich weiß es nicht“, antwortete ich leise. „Vielleicht hat mich jemand verraten.“

    Ein gefährliches Knurren entkam seiner Kehle und ich machte instinktiv einen Schritt zurück. Seine Augen blitzen hasserfüllt auf, sein gesamter Körper schien sekundenlang wie unter Strom zu stehen, dann entspannte er sich plötzlich wieder etwas und sah mich an.
    „Und nun möchtest du … Wie sagen die Menschen? Um Asyl bitten?“
    Ich verzog leicht das Gesicht. „Was hast du nur immer mit den Menschen?“, murmelte ich angewidert, doch dann nickte ich. „Auch wenn ich weiß, dass es mir vermutlich verwehrt wird.“
    „Ich könnte mit Ihr sprechen“, bot er an. „Ich habe immer noch einen großen Einfluss auf Sie.“
    „Aber Sie wird wohl kaum jemanden in Ihren Reihen aufnehmen, der einst den Kokon Ihrer Nachfolgerin zerstörte.“ Ich wusste, dass es ein Fehler war, das auszusprechen, auch wenn ich nach wie vor keine Ahnung hatte, worum es hier eigentlich genau ging.

    Sein Gesicht verzog sich, ein erneutes Knurren vibrierte in seiner Brust. „Du solltest aufhören, mich daran zu erinnern.“ Er flüsterte nur, doch seine Stimme hätte nicht drohender oder gefährlicher klingen können.
    „Verzeih.“ Ich war mir nicht sicher, warum ich das tat, aber ich machte einen weiteren Schritt auf ihn zu, sodass ich ganz dicht vor ihm stand.
    Wieder konnte ich seinen Herzschlag hören, etwas schneller als im letzten Traum und somit eindeutiges Zeichen für seine innere Anspannung.
    „Du weißt, dass es nicht meine Entscheidung war. Es tut mir leid.“ Dieses Mal war ich es, der die Hand nach ihm ausstreckte und durch seine Haare gleiten ließ, ganz kurz nur.

    Doch als ich sie wieder sinken lassen wollte, packte er sie plötzlich und führte sie an seinen Mund.
    „Ich werde mit Ihr sprechen“, versprach er leise, sein Atem streifte über meine Haut. „Sie wird dich nicht wegschicken. Du hast Informationen für Sie, die von großem Nutzen sein können. Das heißt ...“ Er zögerte. „Wenn du bereit bist, sie mit Ihr zu teilen.“
    Ich konnte nur stumm nicken, viel zu verwirrt durch sein Verhalten, das ich einem Wraith niemals zugetraut hätte, allein den Erzählungen der Atlanter nach. Aber das war auch nicht das einzige Thema, zu dem sie gelogen hatten …

    Er lächelte sanft. „Das ist sehr gut“, wisperte er, ehe er meine Hand umdrehte und seine Lippen kurz in die Handfläche drückte.
    Als er sich wieder aufrichtete, konnte ich einen Blick auf die Hand werfen. Ich sah die grünliche Haut, die langen Fingernägel – und die Öffnung, die sich längs durch meine Handfläche zog.
    Und ich schrie.

    *~*~*~*~*~*~*~*~*~*
    „Lieutenant? Alles in Ordnung?“
    Ich machte vor Schreck einen Satz in die Luft und fuhr herum. „Herrgott, können Sie nicht einmal anklopfen, bevor Sie mich zu Tode erschrecken?!“, herrschte ich den Sergeant an, der schon wieder ganz unvermittelt hinter mir stand.
    Meine Atmung ging heftig, viel zu schnell und unnatürlich laut, aber ich brauchte ein paar Sekunden, bis ich mich erinnerte, woran das lag. Mein Traum. Oder war es überhaupt ein Traum gewesen? War es nicht viel mehr eine Erinnerung?
    Es hatte sich alles so echt, so real angefühlt. Was war passiert?

    „Entschuldigung. Sie sahen aus, als würde es Ihnen nicht ...“ Der Sergeant brach ab und starrte mich an als würde er mich zum ersten Mal sehen.
    „Was ist?“, fragte ich unbeherrscht.
    „Sie haben … Sie sind … Sie müssen sofort zu Doktor Beckett!“
    „Und wieso sollte ich das tun?“, wollte ich genervt wissen und schielte gleichzeitig zu dem Spiegel, der gegenüber meines Bettes angebracht war.
    Der Sergeant stellte sich mir in den Weg und deutete zur Tür. „Sofort! Irgendetwas stimmt nicht mit Ihnen.“
    „Ich bin ganz sicher nicht die einzige Person in Atlantis, mit der etwas nicht stimmt“, gab ich aggressiv zurück.
    Er erzitterte leicht und machte einen Schritt zurück. „Sie müssen sofort zu Doktor Beckett. Jetzt!“
    „Zwingen Sie mich dazu“, sagte ich provokant, dann stutzte ich. War das wirklich meine Stimme? Sie klang so anders, so … tief. Ein leises Echo schwang in ihr mit, kaum hörbar.
    Und da war noch etwas. Ein heftiges Kribbeln in meinen Handflächen, zusammen mit einem unglaublichen Hunger, ein quälendes Brennen, das sich langsam durch meinen gesamten Körper zog.

    Du wirst wieder du selbst, flüsterte eine leise Stimme in meinem Kopf. Du verwandelst dich in das zurück, was du warst. Die Stimme stoppte kurz und fügte dann leise hinzu: Was du bist und auf ewig sein wirst.
    Aber das würde ja bedeuten, dass ich …

    Ich konnte den Gedanken nicht zu Ende denken, denn in der nächsten Sekunde durchzuckte mich ein schmerzhaftes Stechen, dann wurde alles um mich herum schwarz.

    Finally I find when I lose control
    Inside my body crumbles
    It's like therapy for my broken soul
    Inside my body crumbles

    „Fassen Sie mich nicht an!“, fauchte ich aggressiv und ruckte so stark wie nur möglich an den Fesseln. „Ich warne Sie! Wenn Sie auch nur daran denken, mir eine Spritze zu geben, ich schwöre, ich werde Sie in der Luft zerfetzen!“
    Doktor Beckett starrte mich nur vollkommen verschreckt an. „Michael, was ist los mit Ihnen?“
    „Nennen Sie mich nicht so!“, herrschte ich ihn an und kämpfte ein weiteres Mal gegen die Fesseln an. „Das ist nicht mein Name und das wissen Sie auch!“
    Sein Blick huschte unsicher zu Colonel Sheppard, der mit versteinertem Gesicht neben ihm stand, und dann zurück zu mir. „Michael, ich weiß wirklich nicht ...“
    „Lügen Sie mich nicht an!“
    Erneuter Seitenblick zu Sheppard. Dieser zögerte, dann atmete er tief ein und nickte.

    Doktor Beckett wandte sich wieder mir zu und setzte die Spritze an.
    „Nein! Lassen Sie mich sofort los!“ Ich brüllte und knurrte und tobte, aber ich konnte mich kaum bewegen und als die Nadel meine Haut durchstach, wurde mein Bewusstsein von einer überwältigenden Verzweiflung überschwemmt.
    Dass es nicht allein meine Verzweiflung war, spürte ich erst, als es schon zu spät war. Sekunden danach sank ich in tiefe Bewusstlosigkeit.


    Als ich wieder aufwachte, lag ich immer noch in dem Bett in einem gesonderten Raum der Krankenstation, aber sie hatten die Fesseln gelöst. Dafür schienen sie die Wachen verdoppelt zu haben, wenn meine Wahrnehmung mich nicht täuschte.
    Sehen konnte ich sie nicht, die einzige Person neben mir in diesem Raum war Doktor Beckett.

    „Michael?“
    „Nennen Sie mich nicht so.“ Meine Stimme war nur noch ein leises Flüstern und sämtliche Anzeichen dafür, dass ich ein Wraith war, waren daraus verschwunden. Ich musste es nicht sehen, um zu wissen, dass auch meine Augen wieder normal waren und die Öffnungen meiner Hände sich geschlossen hatten.

    Doktor Beckett schwieg kurz, dann fragte er: „Wie soll ich Sie sonst nennen?“
    Ja, wie eigentlich?
    „Woher soll ich das wissen? Sie haben mir meine Erinnerungen genommen.“
    Er seufzte leise, dann drehte er sich um und blätterte in einigen Unterlagen. „Sie wissen, dass wir sie Ihnen nicht einfach zurückgeben können.“
    Ich schnaubte und setzte mich etwas auf, was ihn dazu veranlasste, einen Schritt von mir weg zu machen. Wie lächerlich.

    „Ich weiß, dass Sie mich entführt und unter Drogen gesetzt haben, und ich weiß, dass Sie nicht damit aufhören werden, völlig egal, was ich Ihnen sagen werde. Deshalb frage ich mich, warum ich überhaupt noch mit Ihnen reden sollte.“
    Er schluckte hörbar und wandte sich wieder mir zu. Sekundenlang schien er zu überlegen, was er darauf antworten sollte, während er auf seiner Unterlippe herumkaute.
    „Sie … Sie müssen verstehen, dass wir … Wir versuchen, zu überleben.“
    „Und ich bin eben nur ein Opfer dieses Krieges, nicht?“
    Jetzt sah er wütend aus. „So wie unzählige andere unschuldige Menschen!“
    „Das ist Unsinn und das wissen Sie auch“, entgegnete ich gezwungen ruhig. Er stockte und sah mich verdutzt an, sodass ich leise erklärte: „Ich wurde in dieses Leben geboren, ich konnte es mir nicht aussuchen, aber ich bin zufrieden damit. Sie hingegen, Sie gehören nicht einmal in diese Galaxie. Was also gibt Ihnen das Recht, unser Leben hier derart aggressiv zu verändern?“

    Seine Augen weiteten sich, er sah ehrlich erschrocken aus, doch dann verschloss sich sein Gesicht von einer Sekunde zur anderen wieder. „Das ändert nichts an der Tatsache, dass diese Menschen unschuldig sterben.“
    „Es gibt hier keinen Krieg, Doktor, schon seit 10.000 Jahren nicht mehr“, erwiderte ich gereizt. „Seit die Antiker sich, feige wie sie waren, aus diesem Sonnensystem zurückgezogen haben. Wir haben uns arrangiert und wir lassen die Menschen größtenteils ihr Leben leben. Sie leben für Generationen, ohne dass wir sie aufsuchen.“ Ich schloss einen Augenblick lang die Augen und durchsuchte meine lückenhaften Erinnerungen, dann fuhr ich leise fort: „Und Sie sind diejenigen, die unser Arrangement aus dem Gleichgewicht gebracht haben.“
    „Aber wir wussten doch nicht ...“, hob er an, doch ich unterbrach ihn: „Und wir haben keine andere Wahl!“

    Damit hatte ich ihn mundtot gemacht.
    Minutenlang sah er mich nur an, völlig in Gedanken versunken, dann schüttelte er den Kopf. „Wir geben Ihnen die Möglichkeit, das zu ändern. Wir erschaffen Ihnen eine Alternative. Warum nehmen Sie sie nicht an?“
    „Weil wir nicht verändern werden, was wir sind“, antwortete ich und schloss die Augen, wandte mein Gesicht von ihm ab. „Weil wir uns nicht aufgeben werden.“

    Weil ich etwas habe, wofür sich dieses Leben lohnt.
    Aber das sagte ich nicht laut.


    Die nächste Person, die mich besuchte, war Teyla.
    Ich mochte sie nicht, sie war mir von Anfang an suspekt gewesen, und jetzt kannte ich auch den Grund. Sie war mir viel ähnlicher als ein Mensch es sein sollte. Sie hatte Wraith-Gene in sich. Die Frage war nur, ob sie künstlich oder natürlich erschaffen worden war.
    Letzteres wäre ein Verstoß gegen alle Gesetze, die ich kannte. Wir hatten alle Vergessenen, die wir finden konnten, schon vor Jahrhunderten ausgelöscht, aber es war gut möglich, dass wir einige übersehen hatten.

    „Wie geht es Ihnen?“, erklang ihre ruhige Stimme.
    Ich ignorierte sie einfach und hielt die Augen weiterhin geschlossen.
    Sie seufzte leise. „Ich weiß, dass Sie wach sind, Michael.“
    Ich schwieg.
    Ein erneutes Seufzen verklang im Raum, dann spürte ich, wie sie sich auf dem einzigen Stuhl niederließ. „Michael, ich weiß, wie Sie sich fühlen, aber Sie müssen mir glauben, wenn ich Ihnen sage, dass ...“
    „Es ist mir egal, was Sie mir sagen wollen“, unterbrach ich sie harsch. „Und jetzt lassen Sie mich allein.“
    „Ich will Ihnen doch nur helfen ...“
    „Das ist mir egal“, wiederholte ich.

    Minutenlang herrschte Schweigen, doch sie verließ nicht den Raum.
    Dann flüsterte sie plötzlich leise: „Ich kann Ihnen helfen, mit ihm in Kontakt zu treten.“
    Ich riss die Augen auf und starrte sie fassungslos an. „Was ...“
    „Ich habe ihn gespürt“, antwortete sie einfach. „Als man Sie nach Ihrem Anfall ruhiggestellt hat. Er war in Ihrem Geist, er wollte Sie schützen, aber es war schon zu spät.“
    Ich atmete tief ein und aus, dann wandte ich mein Gesicht wieder ab. „Warum sollten Sie das tun?“
    „Weil ich Mitleid mit Ihnen habe.“
    Ich schnaubte herablassend. „Mitleid ist das Letzte, was ich will.“
    „Aber das Einzige, das Ihnen hilft, ihn wieder zu spüren“, erwiderte sie.

    Meine Hand verkrallte sich im Bettlaken, so fest, dass ich die Nähte knacken hörte. Wieder war es lange still im Raum, während ich innerlich einen Kampf mit mir selbst ausfocht.
    Schließlich antwortete ich: „Gehen Sie. Sofort. Ich will Sie hier nie wieder sehen.“
    Ihre Augen weiteten sich leicht, dann sah sie einfach nur noch unglaublich niedergeschlagen aus. „Schön, wenn das Ihr Wunsch ist.“
    Damit verließ sie das Krankenzimmer.

    Sie hatte die Türe kaum hinter sich geschlossen, als ich wieder die Augen schloss und mich so entspannt wie nur möglich hinlegte.
    Ich hatte keinesfalls vor, ihn einfach zu vergessen, wer auch immer er war, aber ich würde mich niemals einem Menschen wie Teyla anvertrauen, Wraith-Gene hin oder her!

    Ruhig, ganz ruhig und gleichmäßig. Nichts war mehr wichtig, nichts außer meiner Atmung und meinem Herzschlag.
    Ich wusste nicht, worauf ich achten musste, ich wusste nicht, wie ich ihn finden konnte, aber ich wusste, dass ich es konnte. Irgendwo in meinem Kopf hatte ich die Erkenntnis, dass ich es bereits mehrmals getan hatte, also würde ich es auch dieses Mal können.

    Einatmen. Ausatmen. Ein. Aus.
    Immer wieder.
    Ruhig und gleichmäßig.

    Ich war mir nicht sicher, wie ich es schaffen sollte, ihn wirklich zu erreichen, wenn er Millionen Lichtjahre von mir entfernt sein konnte, aber ich musste es einfach. Ich musste.

    Ein. Aus. Ein. Aus.

    Ich ließ meinen Geist einfach schweifen, tastete mich durch das Bewusstsein der einen Wache, dann der anderen, dann weiter durch jedes Bewusstsein auf Atlantis.
    Ich erkannte Colonel Sheppard, Doktor McKay, Ronon, aber sie waren unwichtig, deshalb ignorierte ich sie. Ich suchte jemand anderen.

    Ein. Aus.

    Meine Gedanken schweiften weiter, zu dem Raumschiff, das über Atlantis im Weltraum schwebte, dann immer weiter ins All.
    Lange fühlte ich nichts anderes als die Leere des Alls, dann stieß ich auf ein weiteres Bewusstsein, noch eins, viele mehr, aber es waren nur unwichtige Menschen auf einem winzigen Planeten.

    Ein. Aus.

    Dann war da ein Wraith-Schiff, ein Hive. Ich suchte in den Köpfen einiger Drohnen nach irgendeinem Anhaltspunkt, aber natürlich fand ich keinen. Wie auch?
    Weitere Schiffe in der Nähe, aber auch sie lieferten keinen Hinweis.
    Vielleicht bewegte ich mich auch in eine völlig falsche Richtung. Aber eigentlich konnte ich mir das nicht vorstellen. Ich wusste einfach, dass er sich irgendwo in diesem Teil der Galaxie befinden musste.

    Und dann war da plötzlich ein anderes Bewusstsein, das sich in meinen Geist drängte.
    Nein, drängen war das falsche Wort, das klang als wäre es unangenehm, aber das war es nicht. Ganz im Gegenteil, es fühlte sich richtig an, so unglaublich beruhigend, als wäre die Person schon sehr oft dort gewesen.
    Ich hielt vor Anspannung den Atem an, traute mich nicht einmal zu denken, bis ich die leise Stimme hörte: „Du lebst noch.“
    Mein Herz machte einen Satz und ich spürte sofort, wie sich eine tiefe Ruhe in meinem Körper ausbreitete. Er war es wirklich. Wer auch immer er war, er war da, und er würde dafür sorgen, dass ich frei kam.

    All I need's a moment, just to get away
    From the stressfulness of every day
    Know if I don't question and I never doubt
    Everything is gonna be okay

    „Ja, das tue ich“, dachte ich ruhig.
    Die Antwort bestand aus einem Geräusch, das sich fast wie ein Schnurren anhörte und mir wiederum ein leises Lächeln entlockte.
    „Und du erinnerst dich wieder an mich“, fuhr die Stimme fort. Erleichterung flutete meinen Geist und ließ mich tatsächlich ein bisschen euphorisch werden, doch dann verschwand dieses Glück plötzlich und machte dem leichten Anflug von Verbitterung Platz. „Aber du bist immer noch gefangen.“
    „Ja“
    , flüsterte ich und wünschte mir in der gleichen Sekunde, ich hätte eine andere Antwort.
    Ein leises Knurren erklang, gefolgt von einem Gefühl als würde er gegen eine Wand schlagen. Den Bruchteil einer Sekunde lang schoss ein stechender Schmerz durch meine Hand, dann war er wieder verschwunden. Was zurück blieb, war die unbändige Wut, die sein Bewusstsein vereinnahmte und auch von meinem Geist Besitz ergriff.

    „Es tut mir leid, Sha'alee.“ Seine Stimme war nur ein leises Wispern, doch das gefährliche Knurren schwang trotzdem deutlich hörbar darin mit. Hass, der sich eindeutig gegen die Menschen richtete, die mich gefangen hielten. „Dieses Mal kann ich dich nicht retten.“
    Das hatte ich bereits gewusst. Aus irgendeinem Grund wusste ich, dass es ihm im Moment unmöglich war, einfach hierher zu kommen und Atlantis dem Erdboden gleich zu machen. Er war ebenfalls gefangen, sehr lange schon, aber wo und warum, das wusste ich nicht. Nicht mehr.

    „Ich weiß.“ Sekundenlang schwieg ich, dann wiederholte ich: „Sha'alee. Ist das mein Name?“
    Er schwieg lange, doch ein leiser Schmerz ging von ihm aus und das ließ mich stutzen. Was hatte ich falsch gemacht?
    „Nein“, antwortete er schließlich. „Das ist unsere Anrede für unsere Gefährten.“
    Für unsere … Oh. Das bedeutete also, dass wir beide … Nun, das erklärte auf jeden Fall die tiefe Verbundenheit, die ich zu ihm fühlen konnte.
    Dieses Mal hatte ich das Gefühl, er würde lächeln, doch er sagte nichts.

    „Und wie lautet dann mein richtiger Name?“
    Zuerst bekam ich keine Antwort und ich wollte die Frage gerade ein zweites Mal stellen, als ein Bild mein Bewusstsein erreichte. Es war eine Sternenkonstellation irgendwo in Pegasus, ich erinnerte mich dumpf an den Standort, aber der war eigentlich unwichtig. Nicht so der Name.
    Der ewige Krieger.
    Ich musste lächeln, als ich daran dachte, doch es war ein bitteres Lächeln. „Wie passend.“
    Erst jetzt fiel mir wieder ein, dass wir eigentlich keine richtigen Namen in dem Sinne hatten, wie es bei den Menschen der Fall war. Es konnten Gefühle sein, Empfindungen, Gerüche, Geräusche. Oder solche Dinge wie eben Sternenkonstellationen.
    Jetzt kamen mir die Menschen wirklich albern vor, wenn sie versuchten, alles und jeden zu benennen. Manche Dinge konnte man einfach nicht in Worte fassen.

    Als ich mir sein Gesicht vor Augen rief, fiel mir auch sein Name wieder ein. Sein Tattoo verriet es, das sternförmige Zeichen um sein linkes Auge, so wie es bei mir die verschlungenen Linien an meiner linken Hüfte waren.
    Das Leuchten der Sterne.
    Ein seit Jahrtausenden nicht mehr genutzter Name, was wirklich sehr bedauerlich war.

    „Genau“, erklang seine Stimme erneut in meinem Kopf. „Es ist gut, dass du dich daran erinnerst. Es wird dir helfen, auch deine restlichen Erinnerungen zurückzugewinnen.“
    „Wie es ist, sich an jemandem zu nähren?“
    Das kam spitzer als ich es beabsichtigt hatte, doch als ich an meine Hand dachte, wusste ich auch, wieso. Ich konnte es nicht mehr und vielleicht würde ich es nie mehr können. Vielleicht würden die Veränderungen irgendwann dauerhaft sein.

    Ein erneutes Knurren schien in meinem ganzen Körper zu vibrieren, obwohl nicht ich es war, der knurrte.
    „Was haben sie dir angetan?“ Seine Stimme war nur ein Zischen, gefährlich, aggressiv, drohend.
    Ich schloss die Augen und schüttelte leicht den Kopf. Nein, ich wollte es ihm nicht sagen. Nicht jetzt, nie. Es war entwürdigend.
    „Es ist nichts, was ich nicht wieder ...“
    „Lüg mich nicht an“
    , unterbrach er scharf, aber ich wusste, dass diese Schärfe nicht wirklich gegen mich gerichtet war.

    In der nächsten Sekunde hatte ich das Gefühl, aus meinem Körper gezogen zu werden, und dann stand ich in einem komplett schwarzen Raum. Jedenfalls nahm ich an, dass es ein Raum war, denn ich konnte absolut nichts erkennen.
    Bis er vor mir auftauchte, der einzige helle Punkt in der Dunkelheit. In seinem Gesicht zeichneten sich Wut und Hass ab, doch als er mich sah, verwandelte es sich in Unglauben und Entsetzen.
    „Oh nein. Sie haben … Sie … Wie konnten sie ...“ Er brach ab und schüttelte den Kopf, machte vorsichtig einen Schritt auf mich zu und berührte meine Wange, meine Stirn, meine Schulter. „Du bist … Du bist ein Mensch.“ Fassungslos.
    Ich knirschte mit den Zähnen. „Danke, das ist mir aufgefallen.“ Eigentlich hatte ich für Sarkasmus nicht viel übrig, aber in dieser Situation konnte ich nicht anders.

    Er stockte, schüttelte erneut den Kopf, dann legte er beide Hände auf meine Schultern und beugte sich nach unten, bis seine Stirn meine berührte.
    Sekundenlang verharrten wir in dieser Position, ehe er sich wieder aufrichtete und nach einem kurzen Zögern seine Finger durch meine Haare gleiten ließ.
    „Wie haben sie das geschafft? Was haben sie dir angetan?“, fragte er leise, nahm meine Hand in seine und strich über die glatte Handfläche, als würde er etwas suchen.
    „Spritzen“, antwortete ich knapp, während ich ihn verwundert betrachtete. Er benahm sich so anders als die Atlanter es beschrieben hatten. Besorgt und sanft.
    „Ein Serum?“ Seine Fingerspitzen fuhren ganz zart an meinen Armen entlang nach oben bis zu meiner Schulter und hielten dort inne, als er wieder den Kopf schüttelte als könnte er einfach nicht fassen, was geschehen war.
    „Ich denke schon.“
    Er schloss für einen Moment die Augen. „Das bedeutet, dass sie es als Waffe testen, nicht wahr? Sie werden ...“

    „Michael!“
    Ich zuckte heftig zusammen und landete mit einem Schlag wieder in der Wirklichkeit. Einer Wirklichkeit, die schlimmer wohl nicht sein konnte.
    Doktor Beckett stand neben meinem Bett und musterte mich besorgt. „Alles in Ordnung?“
    Ich ballte die Hände zu Fäusten und knurrte. „Wieso fragen Sie mich das eigentlich jedes Mal, wenn Sie mich sehen? Ja, mir geht es wirklich hervorragend! Immerhin kann ich gerade Ihre Gastfreundschaft genießen, ist das nicht fabelhaft?“ Schon wieder Sarkasmus. Vielleicht zählte das zu den mir verhassten menschlichen Eigenschaften, die mich mit jedem Tag mehr zu überrollen schienen.

    „Wer ist das?“, fragte die Stimme des Wraith in meinem Kopf und ich merkte sofort, wie ich mich wieder etwas entspannte. Er war immer noch da, das war gut.
    „Doktor Beckett.“ Als er nichts antwortete, erklärte ich: „Er ist für das alles hier verantwortlich.“
    Daraufhin schien er sekundenlang verschwunden zu sein und ich wurde bereits unruhig, als er plötzlich wieder in mir war, noch viel tiefer als zuvor. Und dann verlor ich die Kontrolle über meinen Körper.

    „Wie können Sie es wagen!“ Ich sprang auf und in der nächsten Sekunde hatte ich Doktor Beckett an die Wand gedrückt, meine Hand um seinen Hals geschlossen.
    Nein, das war nicht ich. Der Wraith war es, mein Gefährte, der meinen Körper übernommen hatte und an meiner statt damit agierte.

    Doktor Beckett schnappte nach Luft, doch sie kam kaum in seiner Lunge an. Er zappelte und wehrte sich, aber gegen den festen Griff konnte er nichts ausrichten. Kein einziger Ton entkam seiner Kehle.
    „Sie werden ihn gehen lassen, auf der Stelle!“, zischte der Wraith und beugte sich nach vorne, bis sein Gesicht nur noch Millimeter von Becketts entfernt war. „Andernfalls werde ich persönlich dafür sorgen, dass Atlantis dem Erdboden gleich gemacht wird, und glauben Sie mir, ich habe die Möglichkeiten dazu!“ Sein Griff verstärkte sich noch etwas, der Doktor lief langsam blau an. „Ich werde nicht zulassen, dass Sie ihn hier gefangen halten, haben wir uns verstanden?“

    Einen Herzschlag später hatte ich die Gewalt über meinen Körper wieder. Ich ließ Doktor Beckett los und stolperte nach hinten, völlig geschockt.
    Er sank auf den Boden, sein Atem ging schnell und heftig, aber davon abgesehen er rührte sich nicht mehr.

    Wie hatte er das gemacht? Unsere Verbindung musste unglaublich stark sein, wenn er auf diese riesige Distanz meinen Körper übernehmen konnte. Was bedeutete das noch für uns?
    Aber was momentan wichtiger war: Warum waren keine Wachen gekommen, um mich aufzuhalten?
    Ich ließ meinen Blick durch den Raum schweifen, doch ich konnte keine Kameras ausmachen.
    „Es sind auch keine Wachen vor der Tür“, erklang die leise Stimme in meinem Kopf. Irgendwie schien er sich wieder etwas beruhigt zu haben, auch wenn er immer noch eigenartig außer Atem klang. „Sie dachten, dass von dir keine Gefahr mehr ausgeht.“
    „Was anscheinend nicht stimmt.“

    Er klang amüsiert. „Anscheinend nicht. Ich kann dich führen.“
    Ich stutzte. „Tatsächlich? Wie?“
    Irgendwie hörte er auch die Gedanken, die ich nicht an ihn richtete, denn er seufzte leise. „Nein, das meine ich nicht. Ich kann dich erst führen, wenn du Atlantis verlassen hast.“
    Das war nicht gut, denn das bedeutete, dass ich alleine einen Weg finden musste. Was relativ unmöglich war.

    Dann fiel mir etwas anderes ein. „Warum tust du das?“
    „Warum tue ich was?“
    „Warum ...“
    Ich zögerte und griff nach dem ersten waffenähnlichen Gegenstand, den ich finden konnte. „Warum hilfst du mir? Ich bin nur ein Mensch, ich ...“
    „Das ist nicht wahr“
    , unterbrach er mich. „Du magst vielleicht aussehen wie ein Mensch, aber du bist nach wie vor ein Wraith. Ein starker, intelligenter, machtvoller Wraith.“ Wieder dieses Gefühl, als würde er lächeln. „Du wirst entkommen. Aber du wirst zurückkehren, mit einer mächtigen Flotte, und du wirst Atlantis zerstören und uns allen endlich den Sieg bringen.“
    Seine Worte erfüllten mich mit Stolz. Und doch …
    „Ich glaube kaum, dass die anderen auch so von mir denken werden.“
    „Das macht keinen Unterschied. Ich tue es. Du tust es. Wir beide zusammen können sie überzeugen. Und du wirst der mächtigste und stärkste Wraith werden, den wir nach der Altmutter jemals haben werden.“

    In dieser Sekunde war ich mir vollkommen sicher, dass ich es schaffen konnte.

    I don't know if I'll be alright
    It's okay to be myself
    Why do we always have to fight?
    (Now I know) it's alright

    „In Ordnung“, murmelte ich vor mich hin. „Und wie werde ich entkommen?“
    „Sage mir nicht, dass diese Menschen so stark sind.“
    Er klang ziemlich skeptisch, was mir tatsächlich ein leises Lächeln entlockte.
    „Das sind sie nicht. Aber die Antiker waren es. Unglücklicherweise befinde ich mich gerade in ihrer … Hauptstadt, das macht es nicht leichter.“

    Sekundenlang blieb er stumm, dann sagte er langsam: „Weißt du, vielleicht musst du gar nicht entkommen. Vielleicht bringen sie selbst dich von Atlantis weg.“
    „Wie bitte?“ Das war mir mit meinem doch noch sehr angeschlagenen Gehirn ein wenig zu hoch.
    „Nun ja ...“ Er zögerte und vor meinem inneren Auge tauchte unwillkürlich sein Gesicht auf. Ich wusste genau, wie er aussah, wenn seine Stimme so klang. Nachdenklich, konzentriert und vielleicht ein bisschen verwirrt von seinen eigenen Gedankengängen. „Sie sind sehr auf Sicherheit bedacht. Das bedeutet, dass du sie nur dazu bringen musst, in dir ein erhebliches Sicherheitsrisiko zu sehen. Dann werden sie dich auf einen anderen Planeten bringen, wo du keine Gefahr mehr für die Stadt darstellst. Von dort kannst du leichter entkommen.“
    Das könnte sogar funktionieren …
    „Wenn ich das nächste Mal etwas gegen deine Vorliebe für menschliche Verhaltensweisen sage, schulde ich dir einen Gefallen.“
    Er lachte leise. „Ich werde dich daran erinnern.“ In seinen Worten klang ein Unterton mit, der mich innerlich schlucken ließ. Das war doch etwas zu viel für meinen von menschlichen Gedanken dominierten Kopf.

    Ich konzentrierte mich schnell auf etwas anderes und das erste, das mir in den Blick kam, war Doktor Beckett, der immer noch bewusstlos neben mir auf dem Boden lag.
    „Glaubst du nicht, dass das genug ist?“, wollte ich wissen und ließ meine provisorische Waffe, ein langer, leicht spitz zulaufender Teil irgendeines Gerätes, wieder sinken. Mir war gar nicht aufgefallen, dass ich ihn die ganze Zeit fest umklammert vor meine Brust gehalten hatte.
    „Wir sollten kein Risiko eingehen. Wenn es nicht funktioniert ...“ Er brach ab, aber ich wusste auch so, was er meinte. Wenn es nicht funktionierte, würde ich nie wieder die Gelegenheit dazu haben, denn sie würden mich so gut einsperren, dass ich vermutlich niemals irgendetwas anderes sehen würde als die Wände meines Gefängnisses.
    „Du hast recht.“

    Ich schloss einen Augenblick lang die Augen und atmete ruhig ein. Tief in meiner Kehle löste sich ein gefährliches Knurren, mein ganzer Körper begann zu kribbeln.
    Irgendwo in meinem Bewusstsein spürte ich die Zerstörungswut und den Hass meines Gefährten. Er schien sie zusätzlich auf mich zu übertragen, um meine eigenen Aggressionen zu verstärken.
    Und in der nächsten Sekunde sah ich rot. Alles um mich herum verschwamm und ich konzentrierte mich nur noch darauf, möglichst viel Schaden anzurichten, gleichgültig ob bei Menschen oder Gegenständen.

    Ich schlug gegen alles, was mir in den Weg kam, Geräte, Maschinen, Wände; ich schleuderte Tische und Stühle durch den Raum, zerfetzte Dokumente und Aufzeichnungen auf Blättern. Und es fühlte sich so gut an. Es befreite. Es musste ewig her sein, dass ich mich so frei gefühlt hatte, so zufrieden. Lebendig.
    Ich war ein Wraith! Ich war ein Wraith, kein lieber, braver, ruhiger Mensch, und ich würde es auf ewig bleiben, auch wenn sie mich bis zu meinem Lebensende hier festhalten würden.
    Ich war ein Wraith.

    Erst als ich vor Doktor Beckett stand, hielt ich einen Moment lang inne.
    Mein Atem ging viel zu schnell, genau wie mein Herzschlag, aber trotzdem war beides gleichmäßig und auf eine geradezu unwirkliche Art beruhigend. Das Knurren in meinem Kopf, die Gefühle meines Gefährten, das alles war so klar für mich, gestochen scharf. Es beruhigte mich noch mehr, aber das bedeutete nicht, dass es mich davon abhielt, weiterhin den Raum und alles, was mir in die Quere kam, zu zerstören.
    Aber was sollte ich mit Beckett machen? Da war ein Teil in mir, der mir zuflüsterte, dass ich ihn nicht weiter verletzen durfte. Was, wenn ich es übertrieb und sie dachten, dass es besser wäre, mich gleich zu töten?
    Das, was meinen Geist dann erreichte, waren keine echten Worte in dem Sinne, und ich wusste trotzdem, was mein Gefährte mir sagen wollte. Lass ihn liegen. Was ich mit ihm getan habe, genügt völlig.

    Wieder atmete ich tief ein, dann beugte ich mich zu ihm nach unten und wühlte in seinen Taschen nach einem Schlüssel oder irgendetwas anderem, was die Türe öffnen könnte.
    Keine zwanzig Sekunden später stand ich vor dem Labor im Gang und sah mich um. Keine Wachen, was wirklich mehr als verwunderlich war. Wie konnten sie nur annehmen, dass ich so harmlos war, nach allem, was bereits geschehen war?
    Ich bewegte mich schnell und sicher durch die Gänge von Atlantis, indem ich mich in den Köpfen der anderen Menschen hier orientierte. Es war mir sogar egal, dass sie mich dabei eventuell spüren konnten, denn eigentlich war es mein Plan, erwischt zu werden.
    Trotz der Wut, die durch jede Faser meines Körpers zu pulsieren schien, waren meine Gedanken absolut klar und scharf. Ich fühlte mich so leicht und frei in diesem Moment.

    Wo konnte ich wohl den größten Schaden anrichten?
    Der Begriff „ZPM“ tauchte irgendwo in meinem Kopf auf und ließ mich einen Augenblick lang inne halten. ZPM. Eine Energiequelle, ohne die in Atlantis nichts mehr funktionierte, Schutzschild, Waffen, nicht einmal Wasserversorgung oder Luftfilter. Sie wären vollkommen hilflos, wenn ich es zerstören würde.
    Aber wo war es?

    „Michael!“, kreischte plötzlich eine nervtötende Stimme hinter mir. „Was zur Hölle tun Sie hier?“
    Ich drehte mich langsam um und funkelte Doktor McKay hasserfüllt an. „Das wollen Sie nicht herausfinden, glauben Sie mir.“ In diesem Moment erkannte ich meine Stimme kaum wieder. Sie hatte dieses leise Echo, das die Wraithstimmen normalerweise begleitete und das ich nicht mehr kannte.
    Er zuckte erschrocken zurück. „Wo … Wo ist Carson?“
    Ich lächelte leicht und machte einen Schritt in seine Richtung. „Sind Sie sicher, dass Sie das wissen möchten, Doktor?“
    Er wich nach hinten aus, die Augen weit aufgerissen, der ganze Körper starr. „Was haben Sie getan.“ Es war mehr eine Aussage denn eine Frage.
    „Halten Sie mich auf“, erwiderte ich provokant.
    Natürlich spürte ich die Anwesenheit der anderen Personen. Colonel Sheppard war nur zehn Meter von uns entfernt, was mich nicht wirklich überraschte, denn er befand sich immer in McKays Nähe. Eine Etage über uns war Ronon bereits losgerannt, der McKays Schrei ebenfalls gehört hatte.

    „Ich werde zu dir kommen, wenn du erwacht bist“, flüsterte die Stimme in meinem Kopf.
    In der nächsten Sekunde durchzuckte mich ein heftiges Stechen und dann wurde wieder einmal alles schwarz.
    Ich war meinem Ziel so nah. Ich wusste es.

    It's like therapy for my broken soul
    Inside my body crumbles

    Als ich wieder zu mir kam, war das Erste, was mir auffiel, die Tatsache, dass meine Hände und Füße gefesselt waren. Welche Überraschung.
    Ich befand mich auf einer Liege, ähnlich der im Labor, auf der ich erwacht war, in einem weißen Raum mit hohen Wänden. Mir stieg sofort der Geruch in die Nase, nach Wald und Regen und nach Freiheit. Ich war nicht mehr in Atlantis, genau wie er es prophezeit hatte.
    Erst jetzt spürte ich die Anwesenheit einer anderen Person, ich musste nicht einmal den Kopf drehen, um sie zu erkennen. Carson Beckett. Merkwürdig, dass er sich trotz allem noch in meine Nähe traute. Allerdings konnte ich ihm in meinem momentanen Zustand auch keine große Gefahr werden. Noch.
    Ich konnte die blauen Stellen an seinem Hals sehen. Meine Handabdrücke, die sich langsam immer mehr vertieften. Ich war auf eine verdrehte Weise stolz, dass ich es war, der sie ihm zugefügt hatte, auch wenn das nicht ganz der Wahrheit entsprach.

    „Ist das hier wirklich nötig?“
    Er erstarrte für die Dauer eines Herzschlags auf der Stelle, dann drehte er sich langsam zu mir um. In seinen Augen stand Angst und das gab mir ein unbeschreiblich gutes, machtvolles Gefühl.
    „W-Was meinen Sie?“, stotterte er unsicher.
    Ich seufzte und ruckte einmal mit meinen Fesseln. „Ich habe dazu gelernt. Jeder Fluchtversuch ist absolut zwecklos. Also können Sie mir die hier auch losmachen.“
    Er zog beide Augenbrauen hoch und wandte sich dann wieder seiner Arbeit zu. „Ich denke nicht.“ Trotz seiner gespielten Ruhe hörte ich seine Stimme zittern.
    Na schön. Es war einen Versuch wert gewesen.

    Ich schloss meine Augen und versuchte, es mir möglichst bequem zu machen – ein schier unmögliches Unterfangen. Die Liege war hart, die Fesseln unnachgiebig. Was hatte ich erwartet?
    Als ich es endlich doch geschafft hatte, eine Position zu finden, in der ich nicht jeden einzelnen Knochen und Muskel in meinem Körper spürte, ließ ich meine Gedanken schweifen. Ich konnte meinen Gefährten nicht aufspüren, noch nicht. Es war zu früh, mein Bewusstsein war noch ein wenig angeschlagen, und so blieb mir nichts anderes übrig, als darauf zu warten, dass er zu mir kam.
    Ich überbrückte die Zeit, indem ich versuchte, mich an Gegebenheiten zu erinnern, die in meinem früheren Leben geschehen waren. Vieles blieb im Dunkeln, doch manche Dinge waren bereits zurückgekehrt.
    Das Gefühl, wenn man sich in einem Hive befand, hunderte andere Bewusstseine in unmittelbarer Nähe. Man war nicht allein und das war beruhigend. Man war sicher.
    Die Macht, die von einer Königin ausging. Dieses Gefühl, Ihr völlig ausgeliefert zu sein, und der unbeschreibliche Stolz, von dem man erfüllt wurde, wenn man es schaffte, Sie umzustimmen und dazu zu bringen, das zu tun, was man von Ihr wollte.
    Und so viele Erinnerungen an meinen Gefährten. Die Umstände unseres Zusammentreffens. Der Tag, an dem meine Königin von mir verlangte, den Kokon der Nachfolgerin seiner Königin zu zerstören. Seine Wut, beinahe Hass, und die darauffolgenden Jahrzehnte des Schweigens zwischen uns, als er es herausfand. Und der Tag, an dem er in meinem Hive aufgetaucht war. An dem er mir endlich verziehen hatte.
    Verrückt. Wenn mir all diese Dinge wieder einfielen, sein Verhalten, seine Sanftheit, dann wunderte ich mich immer mehr, wieso die Atlanter uns hassten, obwohl sie von sich selbst behaupteten, so viel über die Wraith zu wissen. Sie konnten uns nicht kennen, nicht so, wie wir wirklich waren.

    Plötzlich spürte ich eine kühle Berührung an meinem Arm. Ich zuckte unwillkürlich zusammen und riss die Augen auf, ein leises Fauchen entkam meiner Kehle.
    Carson Beckett machte vor Schreck einen Satz nach hinten, verlor das Gleichgewicht und fiel fast hin. Erst in letzter Sekunde konnte er sich abfangen, doch er ließ die Spritze los und warf sie durch den Raum. Sie zerbarst mit einem lauten Klirren an einem Tisch.

    Ich konnte mir ein kleines Lächeln nicht verkneifen. „Wenn Sie solche Angst vor mir haben, Doktor, dann ist es vielleicht nicht gerade klug, sich in meiner Nähe aufzuhalten, meinen Sie nicht auch?“
    Er räusperte sich und bückte sich schnell nach einem kleinen Besen, um die Überreste der Spritze zusammenzukehren. „Ich … Ich habe mich nur erschreckt.“
    „Wenn Sie das sagen.“

    In diesem Moment spürte ich wieder das fremde Bewusstsein, das sich in meines schob, und sofort entspannte ich mich. Endlich.
    „Du hast doch nicht wirklich geglaubt, dass ich dich alleine lasse, nicht wahr?“ Er klang unbestreitbar amüsiert, als er das sagte. Einige Sekunden herrschte Schweigen, während ich spürte, wie er meine Gedanken durchsuchte, dann fragte er leise: „Darf ich?“
    Ich wusste sofort, was er meinte, und so flüsterte ich: „Natürlich.“ Und da war es wieder, dieses Gefühl, ich würde komplett die Kontrolle über mich verlieren. Er hatte meinen Körper übernommen. Aber noch verhielt er sich ruhig.

    Zwei Minuten später stand Doktor Becket mit einer neuen Spritze an meiner Seite und desinfizierte meinen Arm. Ich spürte, dass mein Gefährte gegen den Drang ankämpfte, sie ihm aus der Hand zu schlagen, doch er hielt sich ganz still.
    Becketts Hand zitterte ein wenig, ein sicheres Zeichen für seine innere Anspannung. Das sollte mich beunruhigen, immerhin befand er sich gerade mit einem spitzen Gegenstand nahe an einem wichtigen Blutgefäß, aber ich wusste, dass es mir nicht viel ausmachen würde. Es würde nur Minuten dauern, bis eine eventuelle Wunde verheilt wäre.
    Aber es sorgte dafür, dass er zögerte, was vielleicht meine Rettung war, denn das gab meinem Gefährten die Zeit, die er brauchte, um sich auf meinen Körper einzustellen. Ich wusste, was er jetzt tun wollte, noch bevor ich bewusst darüber nachgedacht hatte. Im ersten Moment machte es mich fast wütend, dass er nicht zuließ, dass ich es tat, doch im nächsten war ich ihm dankbar. Ich war mir nicht sicher, ob ich es tatsächlich geschafft hätte.

    „Doktor Beckett?“ Es war ungewohnt, meine Stimme mit diesem sanften Unterton zu hören, der in seinen Worten immer mitzuschweben schien.
    Der Doktor zuckte ein zweites Mal heftig zusammen und riss den Blick von meinem Arm los. „Was?“ Er sah ehrlich verwirrt aus.
    Mein Gefährte lächelte leicht. In seinem Kopf breitete sich eine wohlige Ruhe aus, die sich auch auf mich und besonders auf Beckett übertrug. In diesem Moment fühlte ich mich so mit meinem Gefährten verbunden. Ich war ihm näher als jemals zuvor.
    Doktor Beckett hingegen saß erstarrt auf der Stelle, reagierte nicht einmal darauf, dass wir uns soweit aufrichteten, wie die Fesseln es zuließen.

    „Wollen Sie das wirklich tun, Doktor?“, fragten wir leise.
    Er zögerte, die Augen weit aufgerissen und gefangen in unserem Blick. „Ich … Ich weiß nicht, was Sie ...“
    Wir seufzten leise. „Ich bitte Sie, Doktor. Sie wollen mich nicht verletzen. Sie wollen nicht, dass ich leide, nicht wahr? Das verstößt gegen Ihre Moralvorstellungen, habe ich recht?“
    Er blinzelte irritiert, durch seinen Körper ging ein kurzer Ruck, als würde er sich losreißen wollen, doch dann blieb er ruhig sitzen. „Ich habe … leider keine … keine andere … Wahl.“ Er klang als hätte er bewusstseinserweiternde Substanzen zu sich genommen, was vielleicht gar nicht mal so abwegig war, wenn man bedachte, in welchem mentalen Zustand er sich gerade befand.
    „Doktor Beckett, möchten Sie, dass das endet?“
    „Ob ich … Was? Ich verstehe nicht ...“ Er schüttelte leicht den Kopf, fast als wollte er seine innere Ruhe abschütteln, aber natürlich konnte er es nicht. Sein Blick blieb mit unserem verschränkt.
    „Doktor Beckett, lösen Sie meine Fesseln.“
    Die Antwort ließ länger auf sich warten als ich erwartet hätte. „Ich kann … nicht … Es tut mir sehr … sehr leid.“ Und momentan war das die Wahrheit. Es tat ihm tatsächlich leid.
    Wir seufzten erneut. „Doktor Beckett, ich weiß, ich kann auf sie zählen. Sie würden mich nicht enttäuschen, richtig? Sie wollen niemanden enttäuschen, nicht wahr? Das würden Sie niemals tun. Also bitte ich Sie, lösen Sie meine Fesseln.“
    Seine Hände zuckten, doch seine Augen wichen nicht von unseren. Und dann hob er langsam die Hand und fummelte einige Sekunden lang am Verschluss meiner linken Fessel.
    „Die Beine“, wisperten wir und dieses Mal gehorchte er ohne zu zögern. „Und die rechte Hand“, fuhren wir fort. Wieder gehorchte er widerstandslos und stand dann still neben der Liege, während wir aufstanden.

    Das war der Augenblick, in dem mein Gefährte mir die Kontrolle über meinen Körper zurückgab.
    Ich atmete leise aus, dann lächelte ich Doktor Beckett an. „Ich danke Ihnen.“
    Er blinzelte wieder verwirrt und ließ sich kraftlos blindlings auf einen Stuhl fallen. „Was ist … Was habe ich getan?“ Er lallte fast und schien dabei immer noch nicht richtig anwesend zu sein.
    „Sie haben das Richtige getan.“ Damit drehte ich mich um und huschte leise aus dem Zelt.

    Ich brauchte nur wenige Minuten, bis ich das Gelände verlassen hatte.
    Es war mir völlig unverständlich, wie sie nur so wenige Wachen hier postieren konnten, wo sie doch wussten, wozu ich fähig sein konnte. Einem Wraith würde ein solcher Fehler niemals unterlaufen!

    Ich war etwa zwei Kilometer von der Basis entfernt, als ich das erste Mal stehenblieb und erleichtert tief durchatmete. Freiheit.
    Himmel und Wind und Wolken und sogar ein winziges bisschen Sonne. Kaum zu glauben, dass ich das alles so vermisst hatte.

    „Bist du noch bei mir?“
    „Natürlich“, kam die sofortige Antwort. Gleichzeitig spürte ich seine innere Erregung aufwallen. Ich war wieder frei und das brachte seinen Wunsch zum Überkochen, sich ebenfalls zu befreien. Den Himmel zu sehen. Den Wind zu spüren. Ich hätte nicht geglaubt, dass er als … nun ja, richtiger Wraith tatsächlich so denken konnte, doch er tat es.

    „Wo ist das Sternentor?“, fragte ich schnell, um mich von dem Gedanken abzulenken. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass er ihn sonderlich erfreulich gefunden hätte.
    „Schließe deine Augen und konzentriere dich. Du kannst es spüren, wenn du sehr aufmerksam lauschst.“
    „Auf was?“, wollte ich fragen, doch ich kam gar nicht mehr dazu, denn ich spürte es tatsächlich. Ein leises Kribbeln in meiner Wirbelsäule, das mich in die richtige Richtung zu lenken schien. Als würde das Sternentor mich rufen.

    Keine zehn Minuten später hatte ich es erreicht und sofort übermittelte mir mein Gefährte die Adresse, an der sich unser Hive momentan aufhielt. Wir waren gerade erst aus dem Winterschlaf erwacht und ich konnte nur hoffen, dass wir uns immer noch dort befanden.
    Und das taten wir. Ich fühlte es, sobald ich auf der anderen Seite aus dem Ereignishorizont trat.
    Es tat so gut, die Anwesenheit der anderen spüren zu können. Ich war nicht mehr allein und ich würde es auch niemals wieder sein.

    Doch bevor ich nur einen Schritt tun konnte, hatte ich plötzlich wieder das Gefühl, aus meinem Körper gezogen zu werden, und in der nächsten Sekunde stand ich in dem unendlich schwarzen Raum.
    Er stand direkt vor mir, uns trennten vielleicht zwanzig Zentimeter, und allein sein Anblick reichte aus, um eine ganze Flut an Erinnerungen durch mein Bewusstsein zu schicken.
    Alle Erinnerungen, die ihn betrafen, kamen schneller als die anderen. Ich hatte das Gefühl, bereits alles über ihn zu wissen, auch wenn nach wie vor gewisse Details und Szenen fehlten. Kleinigkeiten.

    Seine Hand legte sich auf meine Schulter. Ich schloss die Augen und genoss das Gefühl, wieder hier zu sein. Und dennoch …
    „Ich verstehe immer noch nicht, warum du mir geholfen hast. Du warst nicht immer so hilfsbereit deiner Rasse gegenüber.“ Aber das waren wir alle nicht.
    Seine Hand verkrampfte sich kurz. „Wenn man einige Jahre in Gefangenschaft und vollkommener Isolation verbringt, gerade so am Leben gehalten wird, verschieben sich die Prioritäten. Dann beginnt man, über gewisse Dinge nachzudenken.“
    Ich öffnete wieder meine Augen und sah ihn an. Sein Blick war unergründlich, aber das lag nicht an meinen Veränderungen. Auch früher hatte ich selten sagen können, was er wirklich dachte, wenn er es darauf angelegt hatte.
    „Und zu welchem Schluss bist du gekommen?“, fragte ich leise.

    Ganz langsam breitete sich ein Lächeln auf seinen Lippen aus. Er neigte den Kopf und beugte sich nach vorne, bis sein Mund nur noch wenige Millimeter von meinem Hals entfernt war.
    Vorfreude schoss durch jede Faser meines Körpers, denn ich wusste genau, was jetzt folgen würde. Es war nicht das gleiche, wenn er es nur in unserer kleinen Gedankenwelt tat, aber es war besser als gar nichts. Und ich hatte es so sehr vermisst.
    „Ich kam zu dem Schluss, dass es manche Dinge wert sind, unsere Regeln zu brechen“, flüsterte er.

    TBC
    _____________________________
    Und, was haltet ihr von diesem Anfang? *Engelsblick*
    Etwaige Fragen werden hoffentlich in den nächsten Teilen beantwortet, besonders diesen letzten Abschnitt betreffend. Nur so viel: Das sind keine Vampire o.O
    Geändert von Cats_Cherry (25.07.2011 um 20:55 Uhr)

  2. #2
    Trickster Avatar von Cats_Cherry
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    Hey ;-)

    Ich bin nicht mal wirklich überrascht... Auch wenn's schon schade ist, dass niemand einen Kommentar hinterlassen hat, aber ich hab mich langsam an meine durchgeknallten Themen gewöhnt - und daran, dass nur wenige was damit anfangen können *smile*
    Trotzdem, vielleicht findet sich ja doch noch jemand... Deshalb hier der zweite Teil meiner (kleinen) Reihe rund um Michael und wie es noch hätte laufen können, wenn ich ein Wörtchen mitzureden gehabt hätte *g*
    Spielt kurz nach "Ein schlechter Plan", knüpft also nicht direkt an den ersten Teil an, aber das macht hoffentlich nichts. Wir wissen ja alle, was danach passiert ist, und so groß sind die Veränderungen in der Zeitlinie nicht...

    Übliches Vorgeplänkel und dann geht’s schon los ;-) Viel Spaß und ich freue mich immer über Reviews, egal ob Lob oder Kritik!
    Personen: Michael, Todd, Gastauftritt eines Menschen
    Zeitliche Einordnung: Kurz nach "Ein schlechter Plan" (3x02)
    Summary: Nachdem Michael ein zweites Mal aus der Gefangenschaft der Atlanter entkommen konnte, entdeckt er immer stärkere Veränderungen an sich – Dinge, die ihn zu dem werden lassen, was er mehr als alles andere verabscheut. Doch wie kann er diese Veränderungen aufhalten?
    Warnungen: Wenn es etwas gibt, das jemandem aufstößt, kann er mich drauf aufmerksam machen, aber ich glaube nicht, dass es hier großartigen Grund für Warnungen gibt. Außer vielleicht... Ich hab mir sagen lassen, dass Michael ein wenig "passiv" und "unwraithig" ist, aber das ändert sich in den folgenden Teilen noch. Momentan ist er einfach zutiefst verunsichert und das zeigt sich natürlich in seinem Verhalten.
    ______________________________________
    02. Gedanken

    Ich schwebte. Schwerelos, so wunderbar leicht, frei. Ich konnte nicht mehr sagen, wann ich das letzte mal so zufrieden gewesen war.
    Es konnte nur ein Traum sein, denn ich wusste genau, dass die Realität momentan ganz anders aussah. Aber es war ein guter Traum.

    „Sha'alee.“
    Mein Herz setzte einen Augenblick lang aus, dann drehte ich mich langsam zu der Stimme um.
    Er stand mitten im Licht, das keine bestimmte Quelle zu haben schien. Es war einfach nur da und brachte seine Augen zum Leuchten. Auf seinen Lippen lag ein sanftes Lächeln, als er sich mir langsam näherte.
    „Sha'alee“, wiederholte er leise und seufzte. Er klang nicht im mindesten so zufrieden wie ich mich fühlte, trotz des Lächelns. „So lange bist du verschollen. Wieso?“
    Ich runzelte verwirrt die Stirn. „Du weißt doch, wo ich war. Du hast mir geholfen, von dort zu entkommen ...“
    „Das meine ich nicht“, flüsterte er. Er stand jetzt etwa einen halben Meter von mir entfernt, seine Augen leuchteten immer noch, doch sein Lächeln wirkte irgendwie verrutscht. „Du bist verschollen. Nach wie vor. Ich kann dich nicht mehr finden.“
    „Aber ich bin doch hier.“
    Sein Blick huschte über meinen Körper, fahrig, blieb einen winzigen Augenblick lang an den Malen an meinem Hals hängen, dann nickte er leicht. „Jetzt, das ist wahr. Aber die Realität sieht momentan ganz anders aus.“

    Seine Worte ergaben keinen Sinn. Was meinte er? Ich war nicht verschollen, ich wusste genau, wo ich war und was ich dort tat.
    Ich hatte sogar vor ein paar Stunden noch mit seinem realen Ich gesprochen, warum also behauptete sein Traum-Ich jetzt, dass ich nicht da war?
    Das war vollkommen widersinnig!

    „Du bist verschollen“, wiederholte er eindringlich. „Verschollen. Nicht verschwunden oder ähnliches. Du bist da, aber gleichzeitig ...“ Er brach ab und seufzte ein zweites Mal, dann überbrückte er den letzten Abstand zwischen uns und legte seine Hände auf meine Schultern.
    In der nächsten Sekunde war ich nicht mehr schwerelos, leicht oder zufrieden. In meiner Brust war es eiskalt.
    Ich stand in einem Raum mit großen Fenstern, hell und offen. Mein Herzschlag beschleunigte sich unwillkürlich, als ich den Ort erkannte.
    Atlantis.

    „Was haben sie dir angetan?“, erklang seine leise Stimme hinter mir.
    Ich wirbelte herum und sah in seine traurigen Augen. „Was? Du … Du weißt doch, was sie ...“
    „Das meine ich nicht“, unterbrach er mich. Wieder legte sich dieses schmale Lächeln auf seine Lippen, doch es wirkte mehr verbissen als irgendetwas anderes. „Sie haben dich gebannt.“
    „Sie haben was?“, fragte ich verwirrt, doch ich erhielt keine Antwort.
    Stattdessen schüttelte er den Kopf und wandte sich ab. „Du bist nicht mehr mein Gefährte. Du bist nicht mehr derjenige, an den ich mich vor so vielen Jahrhunderten gebunden habe.“ Und ohne ein weiteres Wort ging er.
    Fassungslosigkeit und eine unglaubliche Angst fluteten meinen Geist und machten es mir für Sekunden unmöglich, mich zu bewegen, geschweige denn angemessen zu reagieren. Und so konnte ich ihm nur zusehen, wie er sich von mir entfernte, während alles in mir ihm nachschrie, dass er mich nicht verlassen konnte, dass er das nicht tun durfte. Doch er war zu schnell und dann war er weg.

    *~*~*~*~*~*~*~*~*~*
    „Nein!“ Ich setzte mich schlagartig auf und ließ meinen Blick hektisch umherschweifen, um mich zu orientieren. Mein Herz klopfte unnatürlich schnell in meinem Brustkorb, mein Atem ging keuchend und unregelmäßig, und so brauchte ich ein paar Sekunden, bis ich erkannte, wo ich mich befand.
    Mein erster Impuls war es, nach dem anderen Bewusstsein zu suchen, das meinem immer so nahe schien, doch ich wusste gleichzeitig, dass ich nicht stark genug war, um es von mir aus zu erreichen. Nicht mehr.

    Mit einem leisen Ausatmen ließ ich mich wieder zurück auf den Boden sinken und presste meine Hände auf meine geschlossenen Augen.
    Was war das für ein verrückter, sinnloser Traum gewesen? Ich war nicht verschollen, auch nicht verschwunden oder gefangen oder sonst was, ich war hier! Ich befand mich in relativer Freiheit (so frei man eben sein konnte, wenn man von Wraith und Menschen gleichermaßen gejagt wurde) und mir ging es … nun, nicht unbedingt gut, aber es war mir auch schon um einiges schlechter gegangen.
    Dann allerdings fiel mir wieder ein, dass es nicht mein erster Traum dieser Sorte war. Sie häuften sich in letzter Zeit, besonders seit mein Hive mich verstoßen hatte. Begonnen hatten sie an dem Tag, an dem ich endlich aus der Gefangenschaft der Atlanter entkommen war.
    Die Frage war nur, was genau sie bedeuteten …

    Ich rieb mir noch ein letztes Mal fahrig über die Augen, als könnte ich die letzten Reste des Traumes abwischen, dann rappelte ich mich umständlich auf und klopfte mir Laub und Schmutz aus meinem langen Mantel. Dabei konnte ich ein leises Zischen nicht unterdrücken.
    Ich hasste es. Ich hasste dieses Leben hier so sehr, dass ich manchmal mit dem Gedanken spielte, mich einfach vor den nächsten Dart zu werfen und darauf zu warten, was sie mit mir anstellten, sobald sie mich in ihrer Gewalt hatten. Sie würden bestimmt um einiges „humaner“ mit mir sein als die Atlanter, die mich ohne Zweifel für ihre Experimente benutzen würden.
    So, wie sie es jetzt bereits zum zweiten Mal getan hatten. Zwei Mal.
    Von Zeit zu Zeit wünschte ich mir, sie hätten mich dabei umgebracht. Das hier war kein Leben, das ein Wraith leben wollte, leben konnte. Wir waren mental nicht dazu in der Lage, menschlich zu sein, nicht einmal dann, wenn wir dachten, dass wir ein Mensch waren. Das hatte ich bereits schmerzlich erfahren müssen.

    „Ich mag es nicht, wenn du so pessimistisch denkst“, erklang eine leise Stimme in meinem Kopf und sofort stellten sich mir sämtliche Nackenhaare auf. Er war wieder da. Ich hatte nicht die leiseste Ahnung, ob er wirklich fühlen konnte, wenn es mir gerade schlecht ging, oder ob er einfach nur zufällig ständig in meinem Bewusstsein war, einfach weil er ohnehin nichts besseres zu tun hatte. Doch egal, woran es lag, ich war ihm unendlich dankbar dafür.
    Laut aussprechen würde ich das nie.
    „Und ich mag es nicht, wenn du meine Gedanken belauschst, ohne auf dich aufmerksam zu machen“, erwiderte ich ruhig und griff endlich nach meiner Waffe. Mein einziger Schutz allein hier draußen. Aus irgendeinem Grund beunruhigte es mich weniger als es vielleicht sollte.

    Er seufzte leise, doch er ignorierte meine Worte und ging stattdessen auf besagte Gedanken ein: „Du bist kein Mensch.“
    „Aber ich bin auch kein Wraith.“

    Er lachte in sich hinein. „Das sollte dich nicht kümmern. Wir sind Monster, erinnerst du dich?“
    Ich schnaubte unwirsch und machte mich möglichst lautlos und sehr vorsichtig auf den Weg zum Stargate. Irgendwo hier in der Nähe befand sich ein kleines Dorf und ich wollte sie nicht unnötig auf mich aufmerksam machen, nachdem ich sie gerade von der Last eines kranken Menschen befreit hatte. Ich bezweifelte, dass sie mir wirklich dankbar waren.
    „Dir ist aber durchaus bewusst, dass sich das immer ein wenig so anhört als würdest du dich über mich lustig machen, oder?“, fragte ich.
    „Vielleicht tue ich das auch.“

    Das war der Moment, in dem ich ihn aus meinen Gedanken ausschloss. Ich hasste es, wenn er das tat! Jedes Mal, wenn er mich, ob versehentlich oder nicht, an meine Vergangenheit erinnerte. An die Wochen, in denen ich mehr Mensch als alles andere gewesen war. Die Wochen, in denen ich gedacht hatte, dass ich die Wraith allesamt auslöschen sollte für das, was sie mir angeblich angetan hatten.
    Natürlich hatte ich gleichzeitig gespürt, dass ich das nicht wirklich wollte. Aus einem Grund, den ich damals nicht verstanden hatte, hatte ich mich den Wraith gegenüber verbunden gefühlt, was mein inneres Chaos perfekt gemacht hatte.
    Das Problem an der Sache war, dass diese innere Solidarität sich jetzt ins Gegenteil umkehrte. Ich wusste wieder, was ich war – zumindest was ich gewesen war – und im selben Moment dachte ich mir, dass ich das nicht sein wollte. Menschen töten, mich mit Wraith verbünden (nicht dass ich ohnehin viel Auswahl gehabt hätte), Atlantis suchen und niederbrennen, um einen Krieg zu gewinnen, der längst unwichtig geworden war. Das alles wollte ich nicht mehr. Niemals wieder.

    Ersteres machte mir besonders zu schaffen. Wie konnte ich ein Wraith sein, wenn ich mich nicht an Menschen nähren wollte?
    Wie konnte ich wieder vollständig ich selbst werden, wenn ein Teil von mir sich mit aller Macht dagegen sträubte? Und wenn dieser Teil mit jedem Tag, mit jeder Sekunde sogar, stärker und stärker wurde und mich immer mehr zu überrollen drohte?
    Ich war verloren. Und das schlimmste war, dass ich es wusste und trotzdem nichts dagegen tun konnte. Ich war völlig allein.

    „Da sind sie wieder, diese Gedanken“, wisperte seine Stimme in meinem Kopf. „Du weißt, dass das sehr selbstzerstörerisch ist, nicht wahr?“
    „Raus“
    , war alles, was ich erwiderte, während ein winziger Teil von mir – der, der mich nicht daran hinderte, ich selbst zu sein – murmelte, dass ich das eigentlich gar nicht wollte.
    „Das weiß ich. Deshalb werde ich auch nicht gehen.“
    „Wunderbar“
    , knurrte ich sarkastisch. Ich mochte es tatsächlich nicht sonderlich, wenn er auch die Gedanken hörte, die nicht an ihn gerichtet waren, aber ich war nach der zweiten Behandlung der Atlanter noch schwächer geworden und konnte die Barrieren in meinem Kopf kaum noch aufrecht erhalten. Was wohl auch der Grund war, warum er immer noch dort herumspukte.
    Seine einzige Antwort bestand aus einem erneuten Lachen und einem warmen Gefühl tief in meiner Brust. Ich war mir nicht ganz sicher, ob es von ihm oder von mir kam, aber das war auch egal, denn es machte auch mich etwas ruhiger und zufriedener.
    Genau genommen war er das einzige Wesen in der Galaxie, im gesamten Universum, dem ich erlaubte, so tief in mein Bewusstsein einzudringen.

    In der Zwischenzeit hatte ich das Stargate erreicht und stand unschlüssig vor dem Anwahlgerät. Ich wusste nicht, zu welchem Planeten ich jetzt reisen sollte, da sich die Liste der ungefährlichen Orte in den letzten Wochen stark dezimiert hatte. Wir führten keine Koordinaten von „leeren“ Planeten und so kannte ich nur noch die, die entweder ein bevorzugter Weidegrund waren oder von uns während des Winterschlafs genutzt wurden.
    Wobei letzteres vermutlich um einiges sicherer war, wenn ich mich nicht völlig dumm anstellte.
    Dann war allerdings die Frage, welche Drohnen sich wohl am leichtesten beeinflussen ließen, sollte ihnen doch meine Anwesenheit auffallen. Oder welcher Stamm mich am ehesten nicht zerfleischen würde, wenn ich gefunden wurde.

    „Ich kenne noch einen Planeten“, riss er mich aus meinen Überlegungen.
    „Nennst du mir die Koordinaten?“ So ganz sicher war das nicht. Manche Wraith hatten ihre geheimen Nahrungsquellen, die sie niemals preisgaben.
    Er lachte schon wieder, dieses Mal seltsam entrückt. „Du enttäuschst mich, Sha'alee. Du enttäuschst mich wirklich.“
    „Warum?“
    , fragte ich verwirrt, während mein Herz gleichzeitig schneller schlug. Der menschliche Teil in mir lebte quasi nur für die Augenblicke, in denen er mich Sha'alee nannte. Gefährte.
    Vielleicht sollte ich mich dagegen wehren, so schwach zu werden, aber dafür fühlte es sich viel zu gut an.

    Statt einer verbalen Antwort tauchte vor meinem inneren Auge ein Bild auf – und jetzt setzte mein Herz ganz aus.
    Eine kleine Lichtung, künstlich entstanden, umringt von unzähligen Bäumen und Büschen. Das Blätterwerk war so dicht, dass man sie vermutlich niemals finden würde. Ich wusste, dass das genau der Zweck dieses Ortes war.
    „Du hast lange gebraucht“, flüsterte ich leise und drehte mich um.
    Er stand etwa zwei Meter von mir entfernt, sein Gesicht war vollkommen ausdruckslos, als er sich umsah, aber das verunsicherte mich in keinster Weise. Er war verschlossen, schon immer gewesen, und nur in unseren Gedanken ließ er zu, dass ich seine Gefühle kannte.
    „Es ist ruhig hier“, sagte er schließlich.
    Ich nickte leicht und machte gleichzeitig einen Schritt zurück, eine stumme Aufforderung. Er ging sofort darauf ein und kam auf mich zu, bis er direkt vor mir stand. Seine Hände legten sich auf meine Schultern, er senkte seinen Kopf, seine Stirn berührte meine.
    Als er sich wieder aufrichtete, stand ein unbeschreiblich zufriedener, beinahe glücklicher Ausdruck in seinen Augen. „Ich musste etwas für meine Königin erledigen. Verzeih.“
    Ich kam gar nicht dazu, zu antworten, denn in der nächsten Sekunde hatte er mich ruckartig an sich gezogen.
    „Eine Stunde“, wisperte er und mehr musste er nicht sagen. Eine Stunde, bis sein Fehlen auffallen würde. Eine einzige Stunde. Selbst mein damaliges Wraith-Ich hasste den Gedanken, aber ich verdrängte ihn, so gut ich konnte.

    „Ich kann nicht auf diesen Planeten gehen“, murmelte ich bedauernd und unterbrach damit die Erinnerung.
    „Aus welchem Grund?“
    „Wenn sie mich verfolgen, werden sie dort sein. Das will ich nicht.“ Es ist der letzte sicherer Ort, den ich in dieser Galaxie noch habe
    , wollte ich hinzufügen, doch die Worte verließen nicht den Teil meines Kopfes, der früher allein mir vorbehalten gewesen war.
    Er atmete leise aus. „Da hast du recht. Wenn sie dich allerdings bei einem Hive finden, spielt das vermutlich ohnehin keine Rolle mehr.“ Ich wusste nicht ganz, ob das auf den lautlosen Zusatz bezogen war und er ihn doch gehört hatte. Manchmal war ich mir da nicht sicher.
    „Sie werden mich nicht finden“, erwiderte ich stur.
    „Vielleicht nicht. Doch wenn du noch lange hier stehen bleibst, erhöht das deine Chancen nicht unbedingt.“
    Ich knurrte genervt und wählte endlich einen Planeten an. Ich war zwar bereits dort gewesen, aber einmal mehr würde sie wohl kaum sofort auf meine Fährte führen. Jedenfalls hoffte ich das.

    Als ich aus dem Ereignishorizont trat, wäre ich fast wieder rückwärts zurückgestolpert. Ein starker Sturm peitschte mir Regen und Hagelkörner ins Gesicht, Blätter und ganze Äste wirbelten herum und verfehlten mich nur, weil ich geistesgegenwärtig genug war, um auszuweichen.
    „Das ist wirklich unglaublich“, murmelte ich in mich hinein und seufzte. Irgendwie war es mir egal. Ich hatte mich mittlerweile an mein Pech gewöhnt.
    „Auf unserem Planeten stürmt es nie", murmelte er in meinem Kopf. „Auf jeden Fall nicht so stark.“
    „Auf unserem Planeten gibt es auch Wesen, die uns innerhalb von zehn Minuten bis auf die Knochen abnagen können“
    , schoss ich schroff zurück, schlug den Kragen meines Mantels hoch und lief schnell über die Lichtung und zwischen die Bäume. Bis zu dem sicheren Unterstand waren es vielleicht zweihundert Meter. Zweihundert Meter zu viel, genauer gesagt. Das Eis zerschnitt mir schmerzhaft das Gesicht und im Wald war die Gefahr, von einem Ast erschlagen zu werden, um einiges größer.

    Ich kam etwa bis zur Hälfte des Weges, als ich den Mark erschütternden Schrei hörte. Mein gesamter Körper erstarrte sekundenlang auf der Stelle, dann drehte ich mich auf dem Absatz um und rannte in die Richtung, aus der der Schrei gekommen war.
    „Was glaubst du, was du da tust?“, rief er überrascht aus. Ich spürte, wie er sich dagegen wehrte, dass ich das tat, doch gleichzeitig war es mir egal. Da war jemand in Gefahr und ich musste ihm helfen!
    Kaum hatte der Gedanke mein Bewusstsein erreicht, als ich schon die Fersen in den Boden rammte und fast vornüber gefallen wäre, als ich so abrupt anhielt.
    Verdammt, was tat ich hier? Ich wollte doch keinen Menschen retten! Nein, nein, nein, NEIN!!!
    Doch
    , wisperte eine leise Stimme in meinem Kopf und drängte mich weiter nach vorne.
    Ich machte einen unsicheren Schritt und blieb dann wieder stehen. In meinen Gedanken herrschte ein einziges Chaos. Der Wraith in mir kämpfte gegen die menschliche Seite. Gleichgültigkeit gegen Hilfsbereitschaft. Ignoranz gegen Mitleid.
    Was war nur mit mir los?

    „Sha'alee?“
    Dieses Wort allein reichte, um meinen Kopf komplett leerzufegen. Zeit für einen Neustart meiner Gedanken.
    Ich atmete ruhig durch.
    Ich bin ein Wraith. Ich bin ein Wraith. Ich bin ein Wraith. Die Menschen sind mir egal. Ich brauche sie höchstens als Nahrungsquelle. Ich bin ein Wraith und wenn es jemals einen Menschen gibt, der mich kümmert, dann höchstens einer ein Wraithanbeter, der mir Informationen über neue Weidegründe geben kann. Ich bin ein Wraith.

    Ich atmete tief ein und wieder aus, dann drehte ich mich um und rannte weiter zum Unterstand.
    Eine halbe Minute später hatte ich die alte halb verfallene Hütte erreicht. Ich schlug unwirsch die Tür hinter mir zu und ließ mich kraftlos auf das Lager aus Stroh und Decken fallen.
    Verdammt! Was war da gerade passiert?! Das war doch schon längst nicht mehr ich!
    Wie hatte das nur geschehen können? Ich kümmerte mich nicht um Menschen! Genau genommen kümmerte ich mich um niemanden, nur um mich selbst. Und um meinen Gefährten, aber da er momentan nicht wirklich „erreichbar“ war, war das ohnehin zweitrangig.

    „Sha'alee?“ Da war sie wieder, seine weiche, sanfte Stimme. Ein Teil von mir wollte, dass er hier bei mir war und ich dieses Wort wirklich hören konnte. Ich wollte, dass er bei mir war und mir sagte, was mit mir geschah.
    Ich brauchte ihn, sonst würde ich durchdrehen. Und das sehr bald.

    Ich schloss die Augen und vergrub mein Gesicht zwischen den Decken. Mittlerweile war es mir sogar egal, dass sie schon seit Jahren hier liegen konnten. Sie würden mich schon nicht umbringen und wenn doch … Nun, wen kümmerte es?

    „Es kümmert mich.“ Obwohl er flüsterte, klang er dabei eigenartig schroff, geradezu aggressiv.
    Mein Kopf schoss hoch, ich ballte die Hände zu Fäusten und starrte wütend an die Wand, weil ich ihn ja nicht anstarren konnte. Die gesamte Situation zerrte an meinen Nerven und das musste ich jetzt an jemandem auslassen.
    „Könntest du bitte endlich damit aufhören? Ich hasse es, wenn du das tust! Bleib gefälligst aus den Gedanken raus, die nicht an dich gerichtet sind! Wenn es etwas gibt, das ich dir mitteilen will, wirst du es schon noch früh genug bemerken, vielen Dank auch!“
    Daraufhin war es sekundenlang still in meinem Kopf und ich nutzte diese Stille, um mich selbst wieder ein wenig zu beruhigen. Verdammt, was tat ich hier? Ich konnte ihn doch nicht so anfahren! Ich brauchte ihn doch!

    Ich hörte sein leises Einatmen, obwohl ich es eigentlich nicht hören sollte. In Gedanken atmete man normalerweise nicht, aber er ließ es mich trotzdem hören, als wollte er die Illusion erschaffen, er wäre wirklich bei mir.
    „Es tut mir leid“, sagte er schließlich. „Ich kann nichts dagegen tun. Natürlich versuche ich, mich von deinen Gedanken abzuschirmen, aber das ist so gut wie unmöglich.“ Er brach ab und atmete wieder leise ein, zögerte lange, dann fuhr er fort: „Du schreist. Alles in dir schreit und knurrt und tobt. Ich kann dir nicht einmal sagen, woran das liegt und was dieses Schreien will, aber es ist da und ich kann es nicht ignorieren.“ Erneutes Atmen, als würde er sich selbst beruhigen. „Ich hasse es, wenn du so zerrissen bist und ich absolut nichts dagegen tun kann, und die einzige Möglichkeit, dieses Schreien weniger laut zu hören, ist es, mich auf etwas anderes in deinem Kopf zu konzentrieren, und das sind deine restlichen Gedanken.“ Atmen. „Bitte verzeih mir.“

    Mit seiner Erklärung hatte er mich komplett mundtot gemacht. Ich war mir sogar relativ sicher, dass selbst mein Kopf kurz leer war.
    Was? Ich schrie? Das war völliger Unsinn! Ich würde doch hören, wenn da etwas in mir so laut wäre, wie er es beschrieb … Oder?
    Andererseits bekam ich manchmal nicht einmal mit, was ich dachte, bis er mich darauf aufmerksam machte. Und nach den ganzen Veränderungen in meinem Bewusstsein würde mich auch das nicht sonderlich wundern. Aber das war doch verrückt!

    Dieses Mal war ich derjenige, der durchatmete. „Geh“, wisperte ich leise. „Bitte, geh. Ich will allein sein.“
    Stille. Er schwieg so lange, dass ich fast glaubte, er wäre bereits verschwunden, doch ich konnte ihn immer noch irgendwo zwischen meinen Gedanken spüren. Er wirkte merkwürdig aufgewühlt, auch wenn er es zu verstecken versuchte. Aufgewühlt und besorgt und unendlich niedergeschlagen.
    „Nein.“ Einen Moment lang dachte ich, ich hätte mich verhört, doch er wiederholte: „Nein, ich werde dich jetzt nicht allein lassen. Du … Du tust Dinge, wenn du allein bist. Du sprichst mit dir selbst, du schreist und schlägst gegen Wände und Bäume. Du verletzt dich.“ Diese Worte klangen so fürsorglich, dass es mir komplett unwirklich erschien, dass ich gerade tatsächlich mit einem Wraith sprach. „Ich werde dich nicht verlassen.“
    Auf eine verdrehte Art rührte mich, was er sagte, doch gleichzeitig wollte ich unbedingt allein sein. Ich wollte ihn nicht in meinen Gedanken haben. Nicht, wenn ich dort tatsächlich schrie, wie er es nannte. Er hatte schon genug Belastungen durch mich zu ertragen.

    „Das ist doch Unsinn“, murmelte er leise.
    Ich seufzte, doch ich sagte nichts dazu, dass er schon wieder gelauscht hatte. Stattdessen knurrte ich: „So viel Mensch bin ich auch wieder nicht, dass du mich so … bemuttern musst.“ Es war das erste Mal, dass ich diesen Gedanken wirklich aussprach, seit ich Atlantis verlassen hatte. Er musste von meinen Ängsten wissen, natürlich, aber wir hatten nie darüber gesprochen.
    Auch jetzt ging er nicht genauer darauf ein. „Es ist nichts menschliches daran, jemanden zu haben, der dir beisteht.“
    Ich schnaubte leise. „Ich hätte schon stutzig werden sollen, als du dich so für die Menschen eingesetzt und gesagt hast, dass du sie tatsächlich bewunderst.“
    Ich konnte sein Lächeln geradezu vor mir sehen, schief und ein wenig überheblich. „Das tue ich auch, denn sie verdienen unsere Bewunderung. Jede Rasse, die es schafft, in ihrer Situation für mehrere hunderttausend Jahre zu überleben, verdient Bewunderung und Respekt. Wir vergessen das nur viel zu oft.“
    „Du wiederholst dich“
    , murmelte ich genervt, auch wenn ich es gar nicht wirklich war. Früher hatte es sogar fast Spaß gemacht, mit ihm über die Stellung der Menschen in dieser Galaxie zu diskutieren. Jetzt machte es mich unsicher und nervös.
    Er lachte leise in sich hinein. „Ich kann dir nur die Dinge vorlesen, die ich vor mir liegen habe. Wenn du etwas anderes hören willst, musst du die Parameter ändern.“

    Das ließ mich schlagartig ernst werden.
    Ändern. Nein. Es hatte schon viel zu viele Änderungen gegeben, viel mehr als ich verkraften konnte.
    „Das habe ich bereits“, wisperte ich fast lautlos, dann fuhr ich lauter fort: „Könntest du jetzt bitte gehen? Ich bin nicht dein Alleinunterhalter, nur weil du gerade nichts besseres tun kannst, verstanden?“ Das kam um einiges härter heraus als es beabsichtigt war.
    In seinen nächsten Worten hörte ich das leise Knurren mitklingen, auch wenn er es vermutlich vor mir zu verstecken versuchte. Doch ich hatte ihn zu sehr gereizt und auch seine Geduld war nicht unendlich. „Ich habe andere Dinge zu tun. Ich könnte beispielsweise meine Wachen töten, um stärker zu werden, und dann meine Flucht planen. Stattdessen kümmere ich mich um dich. Passe auf, dass dir nichts geschieht. Ist das in deiner verdrehten Wertevorstellung auch ein Zeichen von Schwäche?“[/I]
    Darauf konnte ich nichts mehr erwidern und so schwieg ich.

    Stattdessen ließ ich mich langsam wieder zurück in die Decken sinken, drehte mich auf den Rücken und verschränkte die Hände hinter meinem Kopf.
    Es war lange still, sehr lange. Weder er noch ich sprachen wirklich, jeder hing nur seinen eigenen Gedanken nach.
    Von Zeit zu Zeit fing ich einen kleinen Hauch dessen auf, was ihn gerade beschäftigte, doch ich konnte mir keinen rechten Reim darauf machen, wie das alles zusammenhing. Er war verwirrt, aufgewühlt, besorgt und sehr, sehr hungrig, außerdem wollte er zurück zu unserer Königin, auch wenn diese ihm jegliche Hilfe verweigert hatte, und er dachte daran, dass er damals seinen Dart auf dem Planeten hatte zurücklassen müssen, auf dem sie ihn gefangen genommen hatten, er sich aber nicht mehr an die Koordinaten erinnern konnte.
    Vielleicht hatten diese Gedanken auch gar keinen Zusammenhang und er ließ sie einfach nur ziellos umherschweifen, so wie ich es mit meinen gerade tat.
    Er konnte das hören, das hätte ich selbst gewusst, wenn er es mir nicht zuvor gesagt hätte. Ich spürte ihn, wie er sich in meinem Bewusstsein zu bewegen schien und Fragmente meiner momentanen mentalen Verfassung aufschnappte, doch aus irgendeinem Grund machte es mir nicht mehr allzu viel aus. Es war in Ordnung, dass er das tat, einfach weil er es war. Mein Gefährte. Die einzige Person in dieser Galaxie, die ich noch hatte.
    Außerdem beruhigte mich seine Anwesenheit ein wenig, auch wenn ich das freiwillig niemals ausgesprochen hätte. Es war ein Zeichen von Schwäche, wenn man jemand anderen brauchte.
    Natürlich lag es in der Natur eines Wraith, andere zu brauchen, und sei es nur die Tatsache, dass sie da waren. Wir lebten in einem riesigen Hive, es gab immer viele Wraith in unserer Nähe, und das gab uns ein Gefühl von Sicherheit.
    Dass ich jetzt völlig allein war, machte mir mehr zu schaffen als ich zugeben wollte und konnte.

    Doch irgendwann hielt ich auch das Schweigen nicht mehr aus. Ich musste immer wieder daran denken, was er über das Schreien in meinem Kopf gesagt hatte, und das beruhigte mich nicht unbedingt.
    Ich musste mich ablenken. Und ihn wahrscheinlich auch.

    „Könntest … Könntest du vielleicht ...“ Natürlich hatte er gehört, was ich dachte, und so musste ich den Satz nicht einmal beenden.
    Keine zwei Sekunden später stand ich wieder in dem unendlichen schwarzen Raum. Er tauchte nur Augenblicke nach mir auf, leuchtend, als würde er angestrahlt werden. Unwillkürlich blitzte das Bild meines Traumes vor meinem inneren Auge auf.
    Er runzelte leicht die Stirn, doch er sagte nicht dazu. Stattdessen kam er näher und legte seine Hände auf meine Schultern, um dann seine Stirn gegen meine zu legen.
    Ich hatte einmal gesehen, dass auch manche Völker der Menschen sich auf diese Weise begrüßten, und ich fragte mich, wer es ursprünglich zuerst getan hatte. Dann allerdings dachte ich mir, dass es gleichgültig war. Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass der Grund, warum sie das taten, genauso tief und rein war wie unserer es war. Viele taten es bei beinahe jedem Menschen, der ihnen begegnete, während es bei uns nur unseren engsten Verbündeten vorbehalten war.

    „Unfassbar“, riss mich seine leise Stimme aus den Gedanken.
    Ich zuckte zusammen und sah ein wenig desorientiert zu ihm hoch. „Was? Was meinst du?“
    „Dass du es selbst in dieser Situation nicht schaffst, deine Überlegungen für nur einen Moment zu unterbrechen.“
    Er lächelte sanft. „Du denkst immer viel zu viel nach, wenn du mich fragst.“
    „Und du denkst nicht?“
    , zog ich ihn auf und fing mir damit einen Schlag gegen die Schulter ein.
    „Ich denke nicht so viel wie du“, verbesserte er mich. „Aber es ist gut, dass du das tust. Es lenkt dich ab.“
    Darauf erwiderte ich nichts.

    Seine rechte Hand glitt von meiner Schulter in meinen Nacken und verharrte dort eine Sekunde lang, ehe er sie zurückzog. Ich legte verwirrt den Kopf schief und als seine Augen dabei unmerklich aufleuchteten, ließ ich ihn einfach dort und wartete.
    Er zögerte einen Augenblick, dann zog er mich wieder an sich. „Es ist wirklich faszinierend“, ein kleines Lächeln legte sich dabei auf seine Lippen, „dass du es nach all der Zeit noch zulässt.“
    „Sollte ich nicht?“
    , fragte ich verwundert.
    „Oh doch. Natürlich solltest du. Aber es fasziniert mich trotzdem.“
    Damit legte er ebenfalls den Kopf schief und beugte sich nach unten, bis sein Mund nur noch Millimeter von meinem Hals entfernt war. Ich schloss in freudiger Erwartung die Augen und ich musste nicht lange warten.
    Nur eine Sekunde später spürte ich seine Zähne auf meiner Haut und dann biss er zu. Fest. Es tat fast weh, aber das machte mir nicht das geringste aus. Ganz im Gegenteil, es führte dazu, dass ich mich wieder lebendig fühlte, zumindest ein kleines Stück, und es vertrieb die quälenden Zweifel aus meinen Gedanken.
    Er beschützte mich immer noch, trotz der vielen Dinge, die inzwischen geschehen waren. Er half mir und er fing mich auf, so kitschig und übertrieben das vielleicht klang.
    Und ich war ihm unendlich dankbar dafür.


    Es war etwa eine halbe Stunde später, als er mich verlassen musste. Die Genii hatten sich endlich dazu erbarmt, ihm Nahrung zu geben, und so schwach, wie er inzwischen war, würde er sich das niemals entgehen lassen.
    Seine Abwesenheit löste in meinem Inneren eine Mischung aus Wehmut und Erleichterung aus. Die Wehmut erklärte sich von selbst. Und Erleichterung, weil ich immer noch das Gefühl hatte, ihn mehr zu belasten als alles andere. Auch wenn die Bisse vorhin bewiesen hatten, dass er das tat, weil er es wollte, nicht weil er es musste oder nichts anderes zu tun hatte, wie ich es nicht sehr charmant ausgedrückt hatte.

    Die Bisse an sich waren nicht sehr besonders. Genau genommen waren sie eher nebensächlich, denn was wirklich zählte, waren die daraus resultierenden Abdrücke auf der Haut. Das Einzige an uns, das uns zumindest die Andeutung von Schutz gab, wenn wir auf andere Hives trafen.
    Kaum jemand würde es wagen, einen markierten Wraith zu töten oder auch nur zu verletzen. Er konnte sich sicher sein, dass derjenige, der ihn markiert hatte – in den meisten Fällen der Gefährte –, alles tun würde, um ihn zu rächen.
    Und jeder, der einmal einen wütenden Wraith erlebt hatte, wusste genau, dass diese Rache zu den schlimmsten Dingen zählte, die hier in Pegasus geschehen konnten. Das galt für uns ganz besonders, denn bei Menschen waren wir viel … nun, netter traf es nicht ganz. Es war lediglich das Aussaugen und der Mensch spürte nichts mehr. Untereinander allerdings ließen wir uns leiden, manchmal wochenlang.

    Bei ihm konnte ich mich wirklich darauf verlassen, dass er das tun würde, dass er mich beschützen und gegebenenfalls rächen würde, immer noch, obwohl ich kein Wraith im eigentlichen Sinne mehr war.
    Leider waren die Markierungen, die er mir zufügte, wenn wir in unserer kleinen Gedankenwelt waren, in der Realität nicht sichtbar, was unweigerlich dazu führte, dass ich vollkommen schutzlos war, sollte ich doch eines Tages von den Wraith gefunden werden. Aber es war der Gedanke daran, der für mich zählte.
    Der Gedanke, nicht völlig allein zu sein in dieser Galaxie.

    TBC
    _____________________________
    Uh, und nur noch mal so zur Verdeutlichung: Das hier ist kein Slash! Ist es wirklich nicht. Auch die eine Erinnerungsszene von Michael, als die beiden auf der schicken Lichtung stehen, das sollte ebenfalls kein Slash werden. Todds Bemerkung war nicht auf irgendwelche... slashigen Aktivitäten bezogen, wie man vielleicht denken könnte, sondern auf die Markierungen. Sie haben nur eine Stunde für die Markierungen, den Schutz der Wraith, den sie beide brauchen, besonders aber Michael. Oder allgemein nur eine Stunde zusammen und da Michaels Leben auf seinem Hive nicht gerade toll ist (Andeutungen darauf gibt es in späteren Teilen), lässt ihn das nicht wirklich froh werden.
    Geändert von Cats_Cherry (25.07.2011 um 20:56 Uhr)
    Light thinks, it travels faster than anything. But it is wrong. No matter how fast light travels, it finds the darkness has always gotten there first - and is waiting for it.
    [Terry Pratchett]
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  3. #3
    kolonialer Spion Avatar von Scout
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    Ich finde die Idee super und auch dein Schreibstil gefällt mir,
    ich finde nur leider nicht die Zeit, noch mehr Geschichten zu lesen



  4. #4
    Trickster Avatar von Cats_Cherry
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    Hey ;-)

    Erst mal: Danke, Scout! Freut mich, wenn es dir gefällt :-) Bloß schade, dass du gerade keine Zeit für mehr hast... Aber vielleicht ändert sich das ja bald wieder.

    Dann komm ich wieder zu meinem ellenlangen Vorgelaber *g*
    Das hier ist anders als die ersten beiden Teile, genau genommen auch anders als die folgenden, jedenfalls wenn ich keinen Geistesblitz bekomme.
    Es ist eine... Naya, "kurze Zusammenfassung" wäre irgendwie untertrieben. Ich habe die Geschichte geschrieben, wie Michael und Todd sich kennen gelernt haben und wie ihre... nennen wir es mal Beziehung (in Ermanglung eines besseren Wortes, auch wenn das hier nach wie vor kein Slash ist!!) anfing.
    Außerdem wird die Bedeutung der Bisse bzw. der daraus resultierenden Markierungen genauer ausgeführt.
    Wie auch immer, ich hoffe jedenfalls, dass euch dieser kleine Ausflug in die Vergangenheit gefällt! Viel Spaß und ich bin immer für Kritik und Verbesserungsvorschläge offen!

    Personen: Michael, Todd, mehrere OC-Wraith
    Zeitliche Einordnung: Etwa 1000 Jahre vor "Michael" bzw. in meiner Version "Gefährten", ergo sind die Antiker bereits verschwunden, während die Menschen vom SGP noch nicht da sind. Die Wraith haben also freie Bahn bei allem und führen nur ihre üblichen Kleinkriege gegeneinander.
    Summary: „Du bist markiert.“ „Und du nicht“, erwiderte ich und runzelte dabei die Stirn. Worauf wollte er hinaus? Er lachte leise. „Ich denke nicht, dass das im Endeffekt einen Unterschied macht.“
    Warnungen: Hmm, schwer zu sagen. Sie beißen sich, aber das haben sie vorher auch schon getan... *g* Sie sind hier vielleicht ein bisschen mehr OOC als in den anderen Teilen, jedenfalls wenn man es aus Sicht der Atlanter betrachtet (was ja die einzige Sichtweise ist, der der Zuschauer jemals mitbekommt). Ergibt sich einfach aus der Situation heraus.
    Und sonst das Übliche: Sagt mir, was euch stört. Ich kann das so schlecht einschätzen, weil ich sowieso ziemlich verdrehte Ansichten hab, was die Wraith betrifft, also weiß ich nicht recht, inwiefern das hier jetzt Warnungen braucht oder nicht.

    __________________________
    03. Markierungen

    Als ich das Quartier meines Gefährten verließ, brannten neue Bissmale auf meiner Haut, besonders viele an meinem Hals. Er hatte sich dieses Mal von Anfang an nicht zurückgehalten und vielleicht hätte mir das schon Warnung genug sein sollen.
    Es tat weh. Ich gab diese Schwäche nur sehr ungern zu, aber es tat unglaublich weh, als hätte er mir die Wunden mit Säure in die Haut geätzt. Doch das tat es beinahe jedes Mal.
    Ich wollte lieber nicht darüber nachdenken, woran das lag.

    Meine Königin hatte mich dazu auserkoren, mit Ihr und einigen anderen Wissenschaftlern zu einer … befreundeten Königin zu fliegen, um mit deren Schiff zusammen neue Waffen zu konfigurieren. Wobei befreundet wirklich eine der größten Übertreibungen war, die ich je gehört hatte.
    Das war der Grund, aus dem ich zu meinem Gefährten gegangen war, quasi um mich zu verabschieden. Das redete ich mir jedenfalls ein.
    In Wirklichkeit lag es eher daran, dass er nach mir verlangt hatte. Er wollte vor meiner Abreise noch einmal seinen „Besitz“ markieren, damit niemand auf dem fremden Schiff auf die Idee kam, mich anzufassen.
    Aus diesem Grund war es mir auch verboten, die Wunden einfach zu heilen, auch wenn es mich wirklich einiges an Überwindung kostete, diesen Reflex zu unterdrücken. Doch aus irgendeinem Grund, den ich selbst nicht kannte, kam ich nicht gegen meinen Gefährten an. Ich tat, was auch immer er von mir verlangte, auch wenn ich nicht erklären konnte, woran das lag.


    Der Flug zu dem fremden Schiff dauerte verhältnismäßig kurz.
    Ich war schon einmal hier gewesen und kannte die meisten Ihrer Wissenschaftler noch, doch einer war mir fremd. Ein sehr großer Wraith mit zerzausten Haaren und einem sternenförmigen Tattoo um sein linkes Auge.
    Das Leuchten der Sterne.
    Ich musste innerlich lächeln, als ich das sah. Noch jemand mit einer Vorliebe für diese Himmelskörper. Das kam relativ selten vor, denn wenn man sein gesamtes Leben zwischen ihnen verbrachte, wurden es irgendwann normal. Für mich hatten sie ihre Faszination trotzdem nie verloren.
    Und da war noch etwas an ihm, irgendetwas, das ich nicht genau benennen konnte. Er wirkte so stark, aber auf eine andere Art als alle anderen Wraith, die ich bis jetzt getroffen hatte.
    Es war schwer zu erklären, doch ich beschloss, dass ich ihn nicht hassen würde.

    Die Königinnen hielten eine kurze Ansprache und drohten die üblichen Dinge an, sollten Sie nicht bald die erhofften Ergebnisse zu sehen bekommen, dann verschwanden Sie und wir begannen mit unserer Arbeit.
    Mein Blick schweifte immer wieder zu den Sternen.


    Es waren zähe und vor allem harte Tage, auch wenn niemand von uns das jemals laut ausgesprochen hätte.
    Normalerweise standen einem Wraith nach etwa 36 Stunden Arbeit vier Stunden Ruhepause zu, was insgesamt einer Periode entsprach, doch hier war es anders. Wir arbeiteten länger und schliefen weniger, was unweigerlich zur Folge hatte, dass einige von uns unkonzentriert und fahrig wurden.
    Besonders die jüngeren Wraith machten Fehler, bis sie letztendlich von einigen anderen aus dem Weg geräumt wurden, um unseren Auftrag nicht noch mehr zu gefährden. Das war genug Anreiz für jeden von uns, um sich zusammenzureißen und weiterzuarbeiten.

    Der erste Offizier der fremden Königin, der Wraith mit dem Sternennamen, war einer der wenigen, dem Stress und Schlafmangel nicht viel auszumachen schienen. Er war immer noch konzentriert und sehr genau in seinen Berechnungen, sodass ihm kaum ein Fehler unterlief.
    Aber was mich am meisten verwirrte, war die Tatsache, dass er meistens allein arbeitete – mit einer einzigen Ausnahme. Er hielt sich fast schon auffällig oft in meiner Nähe auf, erklärte mir die Besonderheiten des Schiffes, die ich für meine Arbeit kennen musste, und manchmal half er mir sogar.
    Das fiel mir besonders auf, da ich von allen anderen Wraith seines Stammes gemieden wurde, wegen meiner Markierungen, wie ich annahm. Einige unserer Rasse kamen mit diesem Zurschaustellen von Verbundenheit nicht zurecht.
    Auch wenn sie nicht wussten, dass es zwischen mir und Ciar kaum Verbundenheit dieser Art gab.


    Ich war wütend, sehr wütend sogar. Irgendjemand hatte es geschafft, die Berechnungen, die wir für die Höhe der Stromstärke aufgestellt hatten, falsch einzugeben, was beim ersten Testlauf zu einem Kurzschluss in einer wichtigen Hauptleitung geführt hatte. Vereinfacht ausgedrückt bedeutete das, dass wir erstens im Dunkeln standen und zweitens die Luft langsam knapp wurde.
    Das Schiff würde sich nach einiger Zeit zwar von selbst repariert haben, doch leider hatten wir diese Zeit nicht. Die Königinnen wollten Ergebnisse sehen, und so stand ich jetzt hier und überbrückte einige Kabel in dem Versuch, nicht noch einen zweiten Kurzschluss zu verursachen.

    Ich hatte meine Arbeit gerade beendet, als ich die Anwesenheit eines anderen Wraith spürte. Er war vollkommen lautlos gekommen.
    Ich musste mich nicht einmal umdrehen, um zu wissen, wer es war. Wahrscheinlich hätte ich diese Stärke unter tausenden erkannt.

    „Meine Königin würde gerne erfahren, was du hier so lange tust.“ Seine Stimme war leise und ruhig, wie eigentlich immer, aber dieses Mal schwang ein Unterton mit, den ich absolut nicht einordnen konnte.
    „Warum fragt Sie mich das nicht selbst?“, fragte ich und verschloss die Öffnung in der Wand.
    Zuerst kam keine Antwort, doch als ich mich aufrichtete, spürte ich plötzlich einen anderen Körper in meinem Rücken und in der nächsten Sekunde hatte ich die Wand vor der Brust.
    Im ersten Moment spannten sich sämtliche Muskeln in mir an und meine Reflexe drängten mich, ihm auf der Stelle den Kopf abzureißen, aber dann tat ich es doch nicht. Die Wahrscheinlichkeit, dass er mich verletzte, war wirklich schwindend gering, dafür stand der Frieden unserer Königinnen auf viel zu wackeligem Boden und das würde er nicht riskieren.

    „Vielleicht weiß Sie noch nicht, dass Sie es erfahren möchte“, murmelte er leise.
    Ich schnaubte, doch ich sagte nichts.

    Seine Hände waren links und rechts meines Kopfes an die Wand gestützt und ich fragte mich, ob er das mit Absicht getan hatte. Einerseits schuf das eine Nähe, die ein Wraith einem anderen normalerweise nicht erlaubte, aber andererseits gab es mir auch die Möglichkeit, ihn ohne weiteres wieder auf Abstand zu bringen.
    Als wollte er mir die Chance lassen, mich zu wehren, sollte ich es wollen. Dir Frage war nur, ob ich das tat.

    „Du bist markiert.“
    „Und du nicht“, erwiderte ich und runzelte dabei die Stirn. Worauf wollte er hinaus? Es war wirklich nur schwer zu übersehen.
    Er lachte leise, sein Atem streifte meinen Nacken. „Ich denke nicht, dass das im Endeffekt einen Unterschied macht.“
    Ich hielt vor Überraschung einen Augenblick lang die Luft an, dann fragte ich gereizt: „Worauf willst du hinaus?“
    „Ich kann dich sehen.“
    Mein Herz setzte aus und ein leises Knurren löste sich aus meiner Brust.
    Jeder Wraith hasste diesen Satz – und fürchtete ihn. Die Bedeutung lag tief in dem verborgen, was die Menschen Empathie nannten. Das, was unser Untergang sein konnte. Kein Wraith durfte zu viel über einen anderen wissen, denn das war gefährlich. Es machte uns verletzlich und angreifbar.

    Endlich fand ich meine normale Stimme wieder. „Und damit möchtest du was sagen?“
    Wieder dieses leise Lachen, doch dieses Mal klang es irgendwie traurig. „Ich kann ihn überall an dir spüren. An deinem Körper, in deinem Geist. Trotzdem bist du nicht vollständig. Du fühlst dich falsch an.“
    Ich fletschte die Zähne und spannte mich unwillkürlich an, drängte mich gegen ihn, doch natürlich ließ er nicht locker. Seine Hand drückte in meine Schulter und presste mich zurück an die Wand. Allerdings waren meine Versuche auch nur sehr halbherzig.

    Ich hatte diesen Satz gefürchtet, schon seit ich mich für Ciar entschieden hatte.
    Selbstverständlich war mir klar, dass mein Leben mit ihm nicht wirklich das war, was Partnerschaft eigentlich für uns bedeutete, aber die Markierungen hatten mich zumindest geschützt. Und so schlimm war es nicht gewesen. Nahm ich an.

    Als ich nicht antwortete, flüsterte er leise: „Weißt du, was ich jetzt tun könnte?“
    „Ich weiß, was du tun solltest“, zischte ich.
    „Ach, und was wäre das?“ Er klang unbestreitbar amüsiert und gleichzeitig irgendwie stolz. Weil ich mich nicht gegen ihn wehrte?
    „Du solltest hoffen, dass Ciar dir nicht den Brustkorb zerfetzt, wenn er herausfindet, was du hier gerade tust.“
    „Ciar. Wie einfallslos.“ Aus seinem Mund klang es fast als wäre er ein Mensch. Aus irgendeinem Grund machte mich das nicht so wütend wie es vielleicht sollte.
    Trotzdem bleckte ich gewohnheitsmäßig die Zähne, obwohl er recht hatte. Es kam nur selten vor, dass ein Wraith einen Namen hatte, den man tatsächlich aussprechen konnte. Die, bei denen es so war, wurden häufig mit Menschen verglichen, doch Ciar hatte immer gesagt, dass es ihm nichts ausmachen würde. Geglaubt hatte ich es nie, aber den wahren Grund hatte ich auch nicht erfahren.

    Die Hand, die eben noch an meiner Schulter gelegen hatte, glitt an meinen Hals und strich kurz über die Markierungen. Eine Sekunde lang erstarrte ich völlig, dann versuchte ich ihm auszuweichen, doch er ließ das nicht zu und drückte mich fester an die Wand.
    „Weißt du, was ich denke?“
    Ich stieß ein Knurren aus, das zwischen „Könntest du das bitte unterlassen?“ und „Noch ein Mal und ich reiße dir den Kopf ab!“ so ziemlich alles bedeuten konnte. Ich war mir selbst nicht sicher, welche Bedeutung ich verdeutlichen wollte.

    „Ich nehme an, dein Gefährte hat nicht ein einziges dieser wunderbaren Zeichen auf seiner Haut. Habe ich recht?“
    Ich fauchte, doch merkwürdigerweise hatte ich immer noch nicht den Drang, ihn an die Wand zu schleudern und das Leben aus ihm auszusaugen, so verrückt das auch schien.
    „Das geht dich nichts an!“
    „Also ja.“ Er seufzte. „Bedauerlich.“
    „Ich kann auf dein Mitleid verzichten!“
    „Das ist kein Mitleid.“ Er senkte den Kopf und dann tat er etwas, das ihn unter normalen Umständen das Leben kosten würde: Seine Zähne schabten über die Haut an meinem Hals, allerdings ohne Spuren zu hinterlassen.
    Das war sein Glück. Ciar würde ihn zerreißen, wenn er das sehen würde.
    Doch ich reagierte nicht. Aus einem Grund, den ich selbst nicht kannte, wollte ich wissen, was er tat und worauf er hinaus wollte.

    Einige Sekunden lang herrschte Schweigen zwischen uns, er wartete ab, was ich jetzt tun würde, dann flüsterte er: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass er dich wirklich so vehement verteidigen würde, wie du dir das wünschst. Denn so, wie ich das sehe, bedeutest du ihm nicht viel.“
    „Woher willst du das wissen?“, fragte ich gereizt.
    Seine Fingerspitzen strichen ein weiteres Mal über die Markierungen und ließen mich tatsächlich erschaudern. Verdammt!
    „Es geschieht häufig, gerade bei älteren Wraith. Sie suchen jemanden, an dem sie ihre Aggressionen und vor allem ihren Kontrollzwang ausleben können, der durch die Jahrtausende unter dem Kommando der Königinnen entstand. Jemand, der sie als seinen Gefährten erwählt, läuft praktisch ins offene Messer.“

    Darauf erwiderte ich nichts mehr, denn er hatte recht. Ich selbst hatte schon oft darüber nachgedacht, darüber, wie Ciar mit mir umging. Ich war in seiner Nähe kein Wraith im eigentlichen Sinne mehr, aber ich war geschützt gewesen.
    Die Zeichen verboten es jedem anderen, mir zu nahe zu kommen und mir etwas zu tun. Es beschützte mich, solange ich mich nicht in einem wirklichen Kampf befand.
    Aber nicht zum ersten Mal fragte ich mich, ob es das wert war.

    „Ich denke, Ciar hat dich nicht verdient. Er weiß dich nicht zu würdigen.“
    „Und du tust es?“, fragte ich herausfordernd.
    Zuerst sagte er nichts und gerade, als ich dachte, dass keine Antwort mehr kommen würde, senkte er erneut den Kopf und biss fast unmerklich in meinen Hals, wieder ohne jegliche Spur zu hinterlassen. Dann wisperte er leise: „Möchtest du es herausfinden?“
    Und mein Herz setzte ein zweites Mal für einen Schlag aus.
    Ein Mensch hätte es vielleicht als „unmoralisches Angebot“ betrachtet, aber das war es nicht. Das hier ging so viel tiefer. Es setzte ein gewisses Maß an Vertrauen voraus. Vertrauen und Zuneigung. Und es konnte unser beider Ende bedeuten.
    Wenn er es überhaupt ernst meinte. Wenn nicht, war es egal, was ich antwortete, es würde aufs Gleiche hinauslaufen. Aber wenn er es ernst meinte, eröffnete es mir ungeahnte Möglichkeiten. Dann konnte die falsche Antwort ein gewaltiger Fehler sein.

    In diesem Moment durchbrach eine fremde Stimme meine Gedanken: „Die Königinnen erwarten euch auf der Brücke.“ Ein leises Echo schwang in dem Satz mit und das, zusammen mit der Art, wie der Wraith hinter mir sich anspannte, zeigte mir, dass er ebenfalls gemeint war.
    Ich bedeutete dem Offizier, dass ich ihn gehört hatte, doch dann bewegte ich mich nicht mehr. Ich wollte wissen, wie er sich verhalten würde, denn egal, was er tat, es würde mir Aufschluss darüber geben, was genau er hiermit zu erreichen gedachte.
    Sekundenlang tat er gar nichts, dann drückte sich sein Körper kurz gegen meinen, ehe er sich von mir löste und zwei Schritte zurück trat. „Du solltest ehrlich über mein Angebot nachdenken. Ich denke, dass du selbst genau weißt, wie sehr er dich in Wirklichkeit zerstört.“ Er stockte kurz. „Und du solltest wissen, dass ich das nicht tun würde.“
    Damit drehte er sich um und rauschte mit wehendem Mantel davon.
    Und ich hatte meine Antwort. Er meinte es ernst.


    Irgendwann im Laufe des Tages hatte ich mich mit einem Datenbord in meinem Quartier verschanzt. Ich konnte die Anwesenheit der anderen nicht mehr ertragen, sie machten mich nervös.
    Ich war mir darüber im Klaren, dass das nichts weiter als reine Paranoia war, aber ich hatte das Gefühl, dass sie genau wussten, was in mir vorging.

    Ich ließ gerade einige Berechnungen durchlaufen, als es an der Tür „klopfte“. Im ersten Moment wollte ich es einfach ignorieren, dann spürte ich den Geist, der meinen berührte, ohne in ihn einzudringen.
    Mein Körper spannte sich kurz an, dann stand ich doch auf und öffnete die Tür.
    Auf seinem Gesicht lag dieses leise Lächeln, das er schon seit Tagen trug. „Guten Abend.“
    Ich richtete mich auf, machte mich so groß wie möglich, und fragte betont genervt: „Was kann ich für dich tun?“
    „Wie wäre es, wenn du mich erst einmal hereinlässt?“, fragte er amüsiert.
    Ich knurrte und trat einen Schritt zur Seite, um ihn durchzulassen. Hinter ihm schloss sich die Tür mit einem Zischen, doch davon abgesehen war es sekundenlang totenstill.
    „Du scheinst es auch nicht lange bei ihnen auszuhalten.“
    „Ich weiß nicht, was du meinst.“
    Sein Lächeln vertiefte sich. „Wenn du das sagst.“

    Ein lautes Piepsen kündigte an, dass der Computer mit den Berechnungen fertig war, aber ich kümmerte mich nicht darum.

    Wieder herrschte Schweigen, bis er leise sagte: „Du hast bemerkt, dass die anderen dich schneiden, nicht wahr?“
    Ich fletschte leicht die Zähne, was ihn allerdings nicht im Mindesten beeindruckte. „Das ist nur sehr schwer zu übersehen.“
    Er nickte mehr zu sich selbst. „Sie sind das nicht gewohnt. Auf diesem Schiff gibt es momentan nur zwei … Nun, nennen wir es Paare. Vier Wraith, die einen Gefährten haben.“ Er machte eine kurze Pause. „Mit dir wären es fünf.“

    Ich schwieg lange, während ich einen innerlichen Kampf ausfocht. Dann sagte ich etwas, von dem ich mir nicht sicher war, ob ich es nicht sofort wieder bereuen würde.
    „Ich habe keinen Gefährten mehr.“
    Seine Augen weiteten sich überrascht, doch schon eine Sekunde später bemühte er sich wieder um eine ruhige Maske. „Tatsächlich? Weiß Ciar das schon?“
    Ich zögerte. „Ich denke, er … er wird es noch herausfinden.“
    Sein Gesichtsausdruck veränderte sich und wurde zu etwas, das man fast als echtes Lächeln bezeichnen konnte. „Ich würde zu gerne dabei sein, wenn er es tut.“
    Ich schnaubte. „Nein, das willst du nicht. Glaube mir.“ Ich konnte mir schon lebhaft vorstellen, wie … aufgebracht er sein würde. Wahrscheinlich wäre es besser, wenn auch ich dann nicht in seiner Nähe war.

    Erneute Stille, dann machte er einen Schritt auf mich zu. „Das bedeutet, dass du es dir überlegt hast.“ Obwohl es wie eine Feststellung formuliert war, klang es eher wie eine Frage, aber ich beantwortete sie nicht.
    Stattdessen machte ich ebenfalls einen Schritt in seine Richtung, sodass ich genau vor ihm stand. Zwischen uns hätte vielleicht noch mein Datenbord gepasst, quer, und das war für unsere Verhältnisse bereits unglaublich nah.
    Dann tat ich etwas, von dem ich später nicht mehr sagen konnte, warum ich es tat: Ich legte den Kopf zur Seite und bot ihm so quasi meinen Hals an. Absolute Unterwürdigkeit und eigentlich sollte kein Wraith so etwas freiwillig tun.
    Ich rede mir gerne ein, dass Ciar derjenige war, der mich so trainiert hatte, aber ich weiß auch, dass das nicht stimmt. Bereits damals musste ich etwas in ihm gesehen haben, von dem ich wusste, dass es mein Vertrauen wert war.

    In seinem Gesicht stand die pure Überraschung, als sein Blick unruhig zwischen meinen Augen und meinem Hals hin und her huschte. Er war verwirrt und ein wenig verunsichert, weil er nicht wusste, was er mit dieser Situation anfangen sollte. Vermutlich hatte er mit allem gerechnet, nur nicht damit, dass ich so schnell nachgab.
    Aber das hätte ich selbst auch nicht erwartet.

    Er schluckte und überbrückte den letzten Abstand zwischen uns, legte seine Hände auf meine Schultern und beugte sich nach vorne, bis sein Mund nur noch Millimeter von meinem Hals entfernt war. Ganz kurz zögerte er, ob aufgrund seiner eigenen Unsicherheit oder wegen mir, konnte ich nicht sagen.
    Dann versenkten sich seine Zähne in meiner Haut.
    Durch meinen Körper ging ein Ruck und ich wartete fast auf das heftige Brennen, das Ciars Bisse immer begleitet hatte, aber es blieb aus. Stattdessen begann die Stelle leicht zu kribbeln, doch es war kein unangenehmes Gefühl.
    Seine Hände an meinen Schultern verkrampften sich eine Sekunde lang, ehe seine Fingerspitzen über meine Brust nach unten kratzten, als würde er versuchen, Halt zu finden.

    Als er sich wieder aufrichtete, waren seine Augen merkwürdig verschleiert. Er sah mich sekundenlang nur an, abschätzend und zögernd.
    Ich wusste nicht, was er dachte, aber ich wollte auch nicht in ihn dringen und so wartete ich einfach ab.
    Als er ebenfalls seinen Kopf zur Seite legte, hätte ich nicht überraschter sein können. Das war das Letzte, womit ich gerechnet hätte! Ciar hätte das niemals getan.
    Aber du hast es dir dein Leben lang gewünscht, flüsterte eine Stimme in meinem Kopf. Und ich musste ihr recht geben.

    Ich legte beinahe vorsichtig meine Hand in seinen Nacken und zog ihn ein Stückchen zu mir nach unten.


    Die nächsten Tage vergingen eher schleppend. Wir konnte uns nicht oft treffen, da wir in unserer Forschung kurz vor einem Durchbruch standen und die Königinnen uns zwangen, unsere Pausen auf ein Minimum zu reduzieren.
    Aus diesem Grund blieb uns beiden nur die Zeit, in der sich gleichzeitig auch mindestens ein bis zwei andere Wraith in unserer Nähe aufhielten. Deshalb war mir natürlich klar, dass wir uns genauso distanziert benehmen mussten wie sonst auch, und doch …

    Ich konnte nicht sagen, was genau ich erwartet hatte, aber ich hatte doch zumindest angenommen, dass er ein wenig freundlicher sein würde. Er beschränkte jeglichen Kontakt soweit es nur möglich war und gab sehr knappe Antworten. Ich war regelrecht enttäuscht, so sehr das unserem Verhalten auch widersprach. Er war also nicht viel anders als Ciar, auch wenn er so vehement das Gegenteil behauptet hatte.
    Bis mir nach nicht ganz einer Woche auffiel, dass er doch anders war. Kurze Blicke, Berührungen, wenn er mir etwas brachte oder ich ihn um Hilfe bat, ein zustimmendes Nicken hier und da.
    Es verwirrte mich. Und was mich daran wohl am meisten verwirrte, war die Tatsache, dass die anderen Wraith nichts davon zu bemerken schienen. Oder taten sie es doch und ließen es sich nur nicht anmerken?

    Ich musste schon wieder einen Kurzschluss reparieren, den ein Fehlversuch verursacht hatte.
    Einer der noch jungen „Assistenten“ stand neben mir und reichte mir die Geräte und Werkzeuge, die ich brauchte. Ich konnte spüren, dass ihm das ganz und gar nicht gefiel. Er war ein Mitglied des anderen Hives und somit quasi mein Feind, was die Sache für ihn nicht unbedingt besser machte.
    Trotzdem musste er sich damit zufriedengeben, denn unsere Königinnen hatten bedingungslose Zusammenarbeit gefordert und er würde es nicht wagen, sich gegen dieses Wort zu stellen.

    Ich war so in meine Arbeit versunken, dass ich die fremde Anwesenheit nicht gleich bemerkte. Erst als der Assistent nicht sofort auf meinen Gedanken reagierte, hob ich den Kopf – und blickte zu den Sternen.
    Mein Herz setzte einen Augenblick lang aus und ich hoffte inständig, dass es niemand bemerkte.

    „Ah, du arbeitest schon wieder.“
    „Immer noch“, verbesserte ich leise und richtete mich auf. Ich befand mich schon seit fast einer halben Stunde in dieser gebückten Position und langsam begann es doch ein wenig zu schmerzen. „Manche von uns müssen die Fehler ausbessern, die eure Fehlschläge verursacht haben.“
    Er lachte in sich hinein und kam dabei auf mich zu, den anderen Wraith vollkommen ignorierend.
    Der stand mit gesengtem Kopf und sehr geradem Rücken neben uns und tat so als wäre er nicht anwesend. Er war noch so jung, dass er es sich nicht erlauben durfte, etwas zu sagen, wenn ein ranghoher Offizier im Raum war.

    Mein … Durfte ich ihn Gefährte nennen? Ich wusste es nicht.
    Aber er stand jetzt direkt vor mir und lächelte immer noch. „Es tut mir leid. Das nächste Mal werde ich die Berechnungen besser überprüfen. Auch wenn es deine Berechnungen waren“, fügte er hinzu und sein Lächeln wurde überheblich.
    Ich knurrte leise und wandte mich mit einem Ruck wieder den Kabeln zu, die aus der Wand hingen, doch bevor ich in die Hocke gehen konnte, hatte er mich plötzlich am Arm gepackt und zu sich herumgezogen.
    „Möchtest du, dass ich dir helfe?“
    Ich traute meinen Ohren nicht. Hatte er das gerade wirklich gefragt? Er wollte mir wirklich helfen? Normalerweise …
    „Ich bin nicht normalerweise“, unterbrach er den Gedanken, doch dann trat er einen Schritt zurück. „Aber gut, wenn du es nicht möchtest ...“ Damit verneigte er sich in meine Richtung und verließ mit schnellen Schritten den Raum.

    Sekundenlang war es totenstill, während ich ihm verwirrt nachsah, dann erklang eine unscheinbare Stimme in meinen Gedanken: „Du bist das also ...“
    Mein Kopf fuhr zu dem anderen Wraith herum und ich bleckte wütend die Zähne. „Was hast du gesagt?“
    Er zuckte zusammen und wich ein kleines Stück zurück. Obwohl ich nicht zu seinem Stamm gehörte, respektierte er doch bis zu einem gewissen Grad mein Alter und meinen Rang – notgedrungen, wie ich annahm. Ich war stärker als er.
    „Es tut mir leid, ich wollte nicht ...“
    „Wie meinst du das?“, fiel ich ihm ins Wort, bevor er seine lahme Entschuldigung komplett herausgebracht hatte.
    Er zögerte und senkte wieder den Kopf. „Die Markierungen. Ich habe mich gefragt, wer ihn markiert hat, aber ich habe es nicht herausgefunden. Ich hätte auch niemals angenommen, dass es ein Wraith eines anderen Stammes sein könnte, denn ...“ Er brach ab und schüttelte den Kopf, als wollte er sich selbst den Gedanken verbieten, doch seine innere Standhaftigkeit war noch nicht sehr stark ausgeprägt und so hörte ich es trotzdem. … denn ihr seid, im Gegensatz zu uns, nicht würdig genug. Ihr seid es nicht wert, dass wir uns auch nur in eurer Nähe aufhalten.
    Ich sah etwas wie Panik in seinen Augen aufblitzen, als ihm bewusst wurde, dass ich seine Gedanken gehört hatte. Doch statt ihn zu bestrafen, wie es eigentlich mein Recht gewesen wäre, wandte ich mich endgültig wieder den Kabeln zu und arbeitete weiter.

    Das war es also, was mein Gefährte gemeint hatte, als er gesagt hatte, dass sie es nicht gewohnt waren. Auf meinem Schiff war es … nun, fast normal, dass wir uns Gefährten aus einem anderen Stamm suchten. Es wurde mehr oder weniger stillschweigend geduldet, denn niemals würde einer von uns auf die Idee kommen, deshalb unsere Königin zu verraten. Die Bindungen, die wir eingingen, waren meist nicht stark genug für einen solch schwerwiegenden Verrat.
    Erst jetzt wurde mir bewusst, dass das alles hier für ihn noch um einiges komplizierte sein musste als es das für mich bereits war.


    Ich hatte es endlich geschafft, eine Ruhepause durchsetzen zu können, und so lag ich zum ersten Mal seit einer gefühlten Ewigkeit in meinem Quartier in dem Versuch, mich zu entspannen. Doch ich konnte es nicht. In meinem Kopf wirbelten immer noch Fragmente von Gleichungen und Berechnungen herum, die ich zur Modifikation der Waffensysteme brauchte.
    Aber das war nicht mein einziges Problem. Genauso blitzten immer wieder Bilde auf, Erinnerungen an die letzten Tage. Erinnerungen an ihn. Eigentlich sollte ich mich nicht so gut fühlen, wenn er sich in meiner Nähe aufhielt, denn verdammt, offiziell war er mein Feind! Aber ich konnte nicht anders. Wir waren Wesen, die, obwohl sie immer Kontakt mit tausenden anderen ihrer Rasse hatten, doch ihr Leben lang allein blieben. Das war eine Notwendigkeit, die sich aus unserer Lebensart ergab, doch das bedeutete nicht, dass wir alle damit zufrieden waren.

    In diesem Moment war da das Gefühl eines fremden Bewusstseins, das meines streifte, und ich saß sofort senkrecht in meinem Bett. Was tat er hier?
    Ohne Nachzudenken stand ich auf und ging zur Tür, um sie zu öffnen – und machte vor Schreck fast einen Satz nach hinten. Er stand so dicht vor mir, dass wir uns beinahe berührten.
    Er lachte in sich hinein, als er spürte, wie sehr er mich erschreckt hatte, auch wenn ich äußerlich natürlich versuchte, es mir nicht allzu stark anmerken zu lassen.

    „Verzeih, ich wollte nicht … Nun, eigentlich war das genau meine Absicht.“ Immer noch lächelnd verneigte er sich vor mir. „Darf ich eintreten?“
    Ich verkniff mir jede Beleidigung, die gerade durch meinen Kopf schoss, und trat stattdessen wortlos zur Seite.
    „Ich danke dir“, flüsterte er und wartete, bis die Tür sich hinter ihm geschlossen hatte. Erst dann sah er mich richtig an. „Du wirkst erschöpft.“
    „Ich weiß“, knurrte ich leicht gereizt und drehte mich zurück zum Bett. „Wenn du also nur gekommen bist, um dich über mich lustig zu machen, würde ich ...“
    Weiter kam ich nicht, denn er hatte mich ganz plötzlich zu sich herumgezogen, sodass ich dicht vor ihm stand.
    „Verzeih“, wiederholte er und sah dabei wirklich ehrlich aus. „Ich wollte mich nicht auf deine Kosten amüsieren.“ Er senkte seinen Kopf, bis seine Stirn meine berührte.
    Ich konnte ihn nur völlig verblüfft anstarren. Was tat er da?

    Als er sich von mir löste, lächelte er wieder sanft. „Ich war auf dem Weg zu meinem Quartier und als ich an deiner Tür vorbeiging, habe ich bemerkt, dass du aufgewühlt zu sein scheinst. Ich dachte mir, dass ich dir vielleicht ein wenig dabei helfen sollte, dich zu entspannen, wenn du es zulassen würdest.“
    Damit brachte er mich noch mehr aus dem Konzept als ohnehin schon. Ich war es nicht gewöhnt, dass es tatsächlich jemanden gab, der sich um mich kümmerte, denn Ciar war … Nun, er war eben Ciar. Ein sehr alter Wraith, der sich nur um sich selbst sorgte und der auch von mir verlangte, mich um ihn zu kümmern. Es war nicht so als hätte ich mich bis jetzt großartig um Zuwendung gerissen, doch ich musste zugeben, dass es sich gut anfühlte. Zumindest von Zeit zu Zeit.
    Mit einem leisen Seufzen gab ich nach und legte für eine Sekunde meine Stirn gegen seine Schulter – er war so groß, dass ich seine Stirn nicht erreichen konnte –, dann richtete ich mich wieder auf.
    Sein Blick klebte geradezu an meinem Hals, während sein Gesichtsausdruck zwischen freudig-stolz und missbilligend schwankte. Ich konnte mir den Grund bereits denken.

    Seine Fingerspitzen glitten über die Markierungen. „Du hast dich nicht geheilt.“ Es klang verwundert.
    „Nein. Damit würde ich auch deine Male auslöschen.“ Mein Blick huschte zu seinem Hals und ich fügte leise hinzu: „Du hast es auch nicht getan.“
    „Nein.“ Er lächelte leicht, dann runzelte er wieder missbilligend die Stirn.
    Ich kannte seinen Gedanken. Unter seinen Bissen waren immer noch Ciars sichtbar und das gefiel ihm gar nicht.

    Er seufzte und strich ein zweites Mal über meine Haut. „Sie sehen entzündet aus.“
    „Was?“ Meine Hand zuckte unwillkürlich an meinen Hals, als würde ich es auf diese Weise erkennen können.
    „Ich spreche von den alten“, fuhr er fort.
    „Ah, das.“ Ich zögerte kurz. „Ciar hat es von Zeit zu Zeit bevorzugt, menschliche Nahrung zu sich zu nehmen. Ich nehme an, dass mein Körper darauf reagiert.“
    Sein Gesicht verzog sich zu einem schiefen Lächeln. „Das glaube ich kaum. Ich tue das auch und bei mir scheint es keine Probleme zu geben.“ Er beugte sich nach vorne und kratzte mit seinen Zähnen über die Male. „Ich denke eher, dass dein Körper ihn abgestoßen hat.“
    Oh. Das würde auf jeden Fall einiges erklären. Vor allem die Tatsache, dass seine Bisse jedes Mal gebrannt hatten als hätte er mir die Haut verbrannt. Dass sie so viel schneller geheilt waren als ähnliche Wunden, obwohl ich meinen Heilmechanismus unterdrückt hatte. Mein Körper hatte sich gewehrt.

    Er seufzte erneut und beugte sich nach vorne, seine Zähne strichen kurz über meine Haut. „Mir gefällt der Gedanke nicht, dass es noch jemanden gibt, der dich besitzt.“ Bei diesen Worten spannte sich sein Körper an.
    Instinktiv wollte ich ausweichen, doch er war zu schnell und in der nächsten Sekunde lag ich rückwärts auf meinem Bett. Mir entwich ein überraschtes Knurren, zu mehr war ich nicht mehr imstande.
    Er saß auf meiner Hüfte, seine rechte Hand presste sich auf meine Brust, und alles in mir schrie, dass ich ihn sofort von mir stoßen musste, doch irgendwie konnte ich es nicht. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass er mich tatsächlich verletzen könnte – töten könnte. Und wenn schon nicht wegen mir, dann doch zumindest wegen seiner Königin, die sicherlich nicht sehr erfreut wäre.

    „Was tust ...“
    „Still“, unterbrach er mich. Seine Stimme klang eigenartig sanft und das brachte mich dazu, ihm zu gehorchen, obwohl meine Instinkte immer noch tobten.
    Er atmete tief ein, verstärkte den Druck auf meiner Brust, und dann spürte ich die unglaubliche Hitze, die sich von seiner Hand ausgehend in meinem Körper ausbreitete und sich besonders an meinem Hals konzentrierte.
    Ich keuchte ein zweites Mal, meine Hände verkrallten sich unwillkürlich an seinen Schultern, doch keine Sekunde später ließ er mich wieder los und beugte sich zu mir nach unten.
    Seine Lippen an meinem Ohr flüsterte er: „Was hältst du von einem kleinen Neustart, Sha'alee?“
    Ich erschauderte, als er mich so nannte. Gefährte. Wieso tat er das? Nicht einmal Ciar hatte das getan und wir waren um einiges länger „Gefährten“ gewesen.

    Er richtete sich etwas auf, sodass ich den missbilligenden Ausdruck auf seinem Gesicht sehen konnte. „Du solltest damit aufhören, mich mit ihm zu vergleichen. Dir sollte bereits aufgefallen sein, dass wir unterschiedlicher nicht sein könnten.“
    „Ich weiß. Es ist nur ...“
    Er ließ mich gar nicht ausreden, sondern beugte sich stattdessen wieder nach unten. „Dann ist es gut. Und jetzt sollten wir dir vielleicht einige neue Markierungen verschaffen, bevor jemand auf diesem Schiff auf die Idee kommt, dich anzugreifen, was denkst du?“
    Ich konnte nur stumm nicken.


    Zwei Perioden darauf hatten wir unsere Arbeit beendet. Wir nahmen die Berechnungen mit zurück zu unserem Hive, um auch unsere Waffen zu konfigurieren, und gingen.
    Der Rückflug machte mich nicht so zufrieden wie es normalerweise der Fall sein sollte.
    Ich hasste es, diese Schwäche zuzugeben, aber ich war unsicher. Ich wusste nicht, was ich bezüglich Ciar tun sollte, und genauso wenig wusste ich, wie ich meinem Gefährten das nächste Mal gegenübertreten sollte. Oder ob es überhaupt ein nächstes Mal geben würde.
    Es war kompliziert.

    Jetzt ging ich gerade mit schnellen Schritten durch die langen Gänge auf dem Weg zu meinen Quartier. Meine Königin hatte mir und den anderen Wissenschaftlern die nächsten vierzig Stunden, also eine ganze Periode, zur freien Verfügung gestellt und ich hatte vor, diese Freiheit zu nutzen, um in Ruhe über die Situation nachzudenken.
    Doch so weit kam es zuerst gar nicht.

    „Da bist du wieder “, erklang plötzlich eine kratzige Stimme hinter mir.
    Ich erstarrte eine Sekunde lang auf der Stelle, dann schloss ich resigniert die Augen. Heute blieb mir wirklich nichts erspart.
    „Schön, dass es dir endlich aufgefallen ist“, murmelte ich und drehte mich zu ihm um. „Was kann ich für dich tun?“
    Er runzelte verwirrt die Augenbrauen. „Fühlst du dich nicht gut? Du bist anders.“
    Ich musste mir den enttäuschten Gesichtsausdruck wirklich stark verkneifen. Er bemerkte nicht einmal die Markierungen an meinem Hals, aber eigentlich wunderte mich das auch nicht. Allerdings würde ich mich hüten und ihn darauf aufmerksam machen, wenn er nicht selbst darauf kam. Ich hing an meinem Leben und je länger ich es behalten konnte, desto besser war es.

    „Ich habe mich das letzte Mal vor drei Perioden ausgeruht, deshalb wirst du es mir nachsehen müssen, wenn ich gerade nicht gesprächig bin“, erklärte ich gezwungen ruhig. „Wenn es also sonst etwas gibt, das ich für dich tun kann ...“
    Jetzt sah er geradezu perplex aus. Ich hatte mich ihm gegenüber noch nie so respektlos verhalten, im Gegenteil, ich war immer darum bemüht gewesen, ihm zu gefallen. Aber jetzt nicht mehr, nie wieder.

    Er machte zwei Schritte auf mich zu und blieb dann wieder stehen. „Was ist auf dem Schiff vorgefallen? Du hast dich verändert.“
    Ich seufzte genervt und wandte mich von ihm ab. „Es ist nichts dort geschehen. Ich war nur sehr beschäftigt, während du dir hier eine schöne Zeit machen konntest, und ich würde es jetzt vorziehen, wenn du mich allein lassen könntest.“ Doch ich kam nicht dazu, auch nur einen einzigen Schritt zu machen.
    Eine Sekunde später wirbelte das Schiff um mich herum und dann stand ich mit dem Rücken an der Wand und hatte seine Hand auf meiner Brust. Er knurrte gefährlich, die Zähne gebleckt, und zischte: „So redest du nicht mit mir, verstanden? Du wirst mir respektvoll antworten, wenn ich dir eine ...“ Das war der Augenblick, in dem sein Blick auf die Markierungen an meinem Hals fiel. Seine Augen weiteten sich im ersten Moment beinahe erschrocken, dann verengten sie sich zu schmalen Schlitzen, sein Gesicht wutverzerrt. „Wer?“

    Na endlich.
    Ich verdrehte die Augen und schob seinen Arm von mir weg. Er leistete nicht einmal Widerstand, so verblüfft war er von meiner Reaktion.
    „Es ist äußerst faszinierend, dass du es überhaupt bemerkt hast, aber nun gut“, ich räusperte mich, „so leid es mir auch tut, ich muss dir mitteilen, dass ich mich von jetzt an nicht mehr von dir beherrschen lasse.“
    „Du tust was?“ Er sah aus wie ein Mensch, der zum ersten Mal in seinem Leben einem Wraith gegenüber stand. „Hast du den Verstand verloren?“
    „Ganz im Gegenteil, ich war noch nie so klar. Und jetzt würde ich dich bitten, mich endlich gehen zu lassen.“
    „Das kann nicht dein Ernst sein!“ Seine Hand griff instinktiv wieder nach meinem Arm und hielt mich fest umklammert. „Das lasse ich nicht zu! Du gehörst mir und nur mir, und jeder Wraith, der versucht, dich mir streitig zu machen, wird ...“
    „Gar nichts wird er“, fiel ich ihm wütend ins Wort und befreite mich von ihm. Jetzt hatte ich endgültig genug von ihm, ein für alle Mal! Seit Jahrhunderten behandelte er mich wie seinen persönlichen Sklaven, aber jetzt würde ich das nicht mehr zulassen! Mein Gefährte hatte mir endlich die Augen geöffnet.

    Ich kam ganz nah an ihn heran, bis mein Gesicht nur noch Zentimeter von seinem entfernt war. Das war eine eindeutige Drohgebärde und er wusste das. Trotzdem schien er immer noch viel zu perplex zu sein, um darauf zu reagieren.
    „Ich habe einige sehr interessante Dinge über dich herausgefunden, Ciar. Unter anderem auch, dass du unserer Königin häufig die stärksten Menschen vorenthältst, um dich selbst an ihnen zu nähren.“ Ein süffisantes Lächeln lag auf meinen Lippen. „Was glaubst du wohl, was sie davon halten würde, würde es ihr jemand mitteilen?“
    Seine Augen weiteten sich erschrocken. „Das würdest du nicht tun! Das würdest du dich nicht wagen.“
    Ich kam ihm noch ein Stück näher. „Oh doch, das würde ich.“ Damit machte ich einen Schritt zurück und wischte meine Hand an meinem Mantel ab, wie um seine Berührung abzuwischen. „Solltest du auch nur daran denken, mir oder meinem Gefährten etwas zu tun, dann könnte das für dich zu einem weniger schönen Ende führen, haben wir uns verstanden?“
    Seine Oberlippe schob sich nach oben und entblößte seine Zähne, doch er erwiderte nichts darauf, sodass ich mich wieder umdrehte, um meinen Weg fortzusetzen.
    Ich kam etwa vier Meter weit, als mir etwas einfiel. „Oh, und bevor ich es vergesse: Ich bin nicht die einzige Person, die davon weiß. Solltest du also auf die Idee kommen, mich zu töten, würde es dich nicht vor einem noch viel schmerzvolleren Tode bewahren.“ Ich drehte mich halb zu ihm um und lächelte. „Ich wünsche dir eine angenehmen Nachtruhe.“

    TBC
    Light thinks, it travels faster than anything. But it is wrong. No matter how fast light travels, it finds the darkness has always gotten there first - and is waiting for it.
    [Terry Pratchett]
    *~*~*~*~*~*~*~*~*~*

  5. Danke sagten:


  6. #5

    Standard

    Ich habe die Story angefangen zu lesen - sie gefällt mir, flüssiger Schreibstil und ein interessantes Thema.

    Ich werde in den nächsten Tagen weiter lesen und mich melden.
    Ich bin nett, höflich, liebenswert
    und zuvorkommend.
    Und garantiert nicht ironisch.
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