Was, wenn es nicht Michael selbst war, der die Wahrheit über sich herausfand? Was, wenn es eine Person war, die ihm näher steht als irgendjemand sich jemals vorstellen könnte?
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Hey ;-)
Ich bin neu hier und ich dachte, ich beginne mal mit einer Geschichte, die mir sehr am Herzen liegt. Allerdings ist die Thematik etwas... ungewöhnlich, deshalb weiß ich nicht, inwiefern sie auch angenommen wird. (Gesetzt den Fall, ich kann sie endlich mal posten, denn irgendwie spinnt die Plattform jedes Mal o.O)
Es ist eine Art "Was wäre wenn"-Geschichte. Meine Alternative zu der Folge "Michael" (2x18), demnach AU, auch wenn ich natürlich trotzdem versucht habe, mich an die Charaktere und den Canon zu halten. Ich habe lediglich ein Detail in Michaels Vergangenheit geändert, was aber keinen allzu großen Einfluss auf seinen Charakter und seine Handlungen hat. Nur auf die Art, wie er die nächsten Jahre erlebt.
Was genau das war – Nun, das werdet ihr selbst herausfinden müssen ;-)
Insgesamt ist es eine Reihe (8 Songfics und Oneshots plus eventuelle Zusätze), aber ich werde nicht für jeden Teil ein neues Thema anfangen.
Wegen den gelegentlichen Zeitsprüngen werde ich vor jedem Teil eine Übersicht mit den Informationen posten.
Für Teil 1 wäre das das hier:
Song: Body Crumbles (Dry Cell)
Personen: Michael,Todd, paar Atlanter (Dr. Heightmeyer, Carson Beckett, Teyla, Sergeant Cole)
Zeitliche Einordnung: Wie gesagt während "Michael" (2x18)
Summary: Was, wenn es nicht Michael selbst war, der die Wahrheit über sich herausfand? Was, wenn es eine Person war, die ihm näher steht als irgendjemand sich jemals vorstellen könnte?
Warnungen: Wie bereits gesagt ist es AU, obwohl ich natürlich trotzdem versuche, mich einigermaßen an die Begebenheiten zu halten.
Wenn es sonst etwas gibt, das jemandem aufstößt, kann er es mir ruhig sagen.
Das hier ist mein Baby, ich hänge sehr daran, deshalb würde ich mich wirklich über Kommentare jeglicher Art freuen, egal ob Kritik, Lob, Kekse, fliegende Steine, … Wonach auch immer euch gerade ist ;-) (Wobei konstruktive Kritik schon irgendwie sinnvoller wäre als Steine *g*)
Viel Spaß!
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01. Gefährten – It's been too long
Stunden. Tage. Wochen. Es war egal.
Langsam begann alles ineinander über zu gehen. Menschen, die an mir vorbei gingen, mit mir sprachen oder mich ignorierten, Geräusche, Gerüche, Gefühle, alles war unwichtig.
Irgendetwas fehlte.
Ich wusste nicht, woher dieser Gedanke kam, aber er war da.
Tief in mir drin kannte ich die Wahrheit, ich wusste, was geschehen war, aber ich konnte es nicht genau benennen.
Da waren Bilder in meinem Kopf, die sich ins Nichts auflösten, sobald ich sie näher zu ergründen versuchte. Stimmen, Gerüche, die immer wieder kehrten und deren Bedeutung ich nicht kannte.
Und über all dem hing diese merkwürdige Gewissheit, irgendetwas unendlich wichtiges verloren zu haben und nie mehr wiederzufinden.
Was war nur mit mir los?
„Michael?“
Ich schreckte hoch, als ich so unvermittelt angesprochen wurde, und blickte in blaue Augen, die mich fragend und besorgt musterten.
Richtig, ich war nicht allein. Eine der unzähligen Sitzungen mit Doktor Heightmeyer. Unwichtig und nervtötend. Als würde es irgendetwas ändern, wenn ich über das sprach, was ich sowieso nicht wusste. Trotzdem bestand sie darauf.
Hatte sie mir eine Frage gestellt?
„Entschuldigung“, sagte ich möglichst freundlich. „Ich fürchte, ich habe Ihnen gerade nicht zugehört.“
Sie lächelte, furchtbar gestellt. „Das macht doch nichts. Ich wollte wissen, ob Ihnen wieder etwas eingefallen ist, irgendeine Kleinigkeit. Vielleicht nur ein Geräusch, irgendetwas?“ Sie klang zu gleichen Teilen höflich, zuvorkommend, und … Was war das, ängstlich? Als wollte sie meine Antwort eigentlich gar nicht hören.
Oder war es nur eine bestimmte Antwort, die sie fürchtete?
„Nein, tut mir leid.“ Ich wollte ihr nicht die Wahrheit sagen. Es war egal, sie würde es ohnehin nicht verstehen. Sie war und blieb ein gewöhnlicher Mensch, einer von vielen auf Atlantis, und sie würde mir nicht helfen können.
Woher dieser Gedanke so plötzlich kam, wusste ich nicht, aber es war nicht das erste Mal, dass ich so dachte. Im Gegenteil, ich tat es oft, sehr oft.
Gewöhnliche Menschen, unwichtig und nervtötend, genauso wie diese Sitzungen.
Warum war ich hier?
Heightmeyer redete noch etwa eine halbe Stunde auf mich ein, doch ich hörte ihr nicht wirklich zu, als sie mir Techniken erklärte, die mich beruhigen und meine Alpträume fernhalten würden. Als würde ich das wollen!
Also ließ ich nur meine Gedanken schweifen, nickte an den passenden Stellen, schaute verwirrt und traurig drein, wann immer ich es für angemessen hielt, und sagte hier und da ein paar Worte, die sie zum Weiterreden brachten.
Dann ließ sie mich endlich gehen und ich wurde von meiner Eskorte zu meinem Quartier gebracht.
Noch so etwas, das mich an ihrer Version der Geschichte zweifeln ließ. Wenn ich wirklich zu ihrem Team gehört hatte, warum stand ich dann unter ständiger Bewachung? Warum war ich nie, wirklich niemals allein?
Ich legte mich auf mein Bett, die Arme im Nacken verschränkt und den Blick starr an die Decke gerichtet. Ich ignorierte die beiden Wachen, die vor meiner Tür standen, und versuchte zu schlafen.
Zumindest im Traum wurden die Bilder manchmal etwas klarer, auch wenn ich sie immer noch nicht richtig zuordnen konnte. Aber das war auch egal, ich musste es nur immer weiter versuchen.
*~*~*~*~*~*~*~*~*~*
Schwärze um mich herum.
Ich glaubte zu fallen, sekundenlang stürzte ich in einen Abgrund, dann wurde es plötzlich heller. Nicht genug, um wirklich etwas zu sehen, aber hell genug, um zumindest Andeutungen wahrzunehmen.
Es roch leicht süßlich, nach Verwesung, aber nicht so stark, dass ich es als unangenehm empfunden hätte.
„Da bist du ja endlich“, flüsterte eine leise, dunkle Stimme direkt hinter mir, bevor ich meine Umgebung erkunden konnte.
Ich fuhr erschrocken herum und starrte in gelbe blitzende Augen. Weiß-grünliche Haut und weiße, leicht zerzauste Haare. Mehr konnte ich nicht erkennen, und trotzdem kam mir die Person merkwürdig bekannt vor.
Das Leuchten der Sterne, schoss es mir durch den Kopf, bevor ich bewusst darüber nachdenken konnte.
„Ich hatte Angst, du würdest nicht mehr zu mir zurückkehren“, fuhr die Stimme fort. Ein leises Lächeln zeichnete sich auf den weißen Lippen ab.
„Ich werde immer zurückkehren“, erwiderte ich.
„Ja.“ Mehr sagte die Stimme nicht, nur dieses eine Wort.
Sekundenlang herrschte Schweigen zwischen uns, ich konnte nur seinen Herzschlag hören, ruhig und gleichmäßig und so beruhigend.
Ba-Bumm, Ba-Bumm, Ba-Bumm.
Ich kannte dieses Geräusch und ich wusste, dass ich es unter tausenden erkannt hätte. Aber als was hätte ich es erkannt? Als den Herzschlag welcher Person?
„Du warst so lange fort.“ Seine Stimme klang wirklich ganz ruhig und sehr tief, ich spürte die Vibration irgendwo in meiner Brust und es fühlte sich gut an. Es beruhigte meine eigenen, sich überschlagenden Gedanken. „Wo bist du gewesen?“
„Ich weiß es nicht“, antwortete ich und spürte gleichzeitig leichte Panik in mir aufsteigen. „Ich glaube, ich habe mich verlaufen, ich finde den Weg nicht mehr.“
Die Umgebung veränderte sich, wurde zu Atlantis. Atlantis mit seinen hellen Räumen und den langen Gängen, doch obwohl es ein freundlicheres Umfeld war, machte es mir mehr Angst als die vorherige Umgebung.
Er runzelte die Stirn und sah sich um, verwirrt und besorgt, dann lächelte er erneut und streckte vorsichtig eine Hand nach mir aus. „Lass mich dich führen.“
Augenblicklich wurde ich innerlich wieder ganz ruhig, als ich nach seiner Hand greifen wollte. Er würde mich führen, er würde mir helfen, wieder ich selbst zu werden.
Alles, was ich tun musste, war …
*~*~*~*~*~*~*~*~*~*
„Lieutenant Kenmore? Lieutenant! Wachen Sie auf!“
Schlagartig setzte ich mich auf und wäre fast seitlich aus dem Bett gekippt, als mir sofort schwindelig wurde.
Gott. Was war …
„Lieutenant? Alles in Ordnung?“
„Nein, verdammt! Nichts ist in Ordnung!“, zischte ich wütend und rappelte mich umständlich wieder auf. „Wie können Sie es wagen, mich zu wecken?!“
Der Sergeant machte einen Satz nach hinten, völlig überrascht von meinem Ausbruch. Aber mir erging es nicht anders.
Was war mit mir los? Warum war ich nur so gereizt? Hatten die Atlanter nicht gesagt, dass ich eine ruhige und besonnene Persönlichkeit gewesen war?
Und wenn schon, knurrte eine gehässige Stimme in meinen Gedanken.
Ich schüttelte den Kopf in dem Versuch, ihn wieder frei zu bekommen und die verwirrenden Bilder und Eindrücke des Traumes zu vertreiben.
„Es tut mir leid, Sergeant. Ich wollte Sie nicht anschreien“, sagte ich, sobald ich wieder einigermaßen ruhig war. „Ich hatte nur einen … merkwürdigen Traum. Verzeihen Sie.“
Er lächelte zögernd. „Mir tut es leid, Lieutenant. Ich hätte Sie nicht so abrupt wecken dürfen.“ Vorsichtig, als erwarte er jede Sekunde einen erneuten Angriff meinerseits, wedelte er mit einer Spritze. „Doktor Beckett bat mich, Ihnen das hier so schnell wie möglich zu geben. Er sagt, Sie hätten Ihre letzte verschlafen.“
„Oh, natürlich.“ Das hatte ich ganz vergessen.
Bereitwillig krempelte ich meinen linken Ärmel nach oben und nahm ihm dann die Spritze aus der Hand.
Doktor Beckett hatte mir sofort nach meinem Erwachen gezeigt, wie ich meinen Arm abbinden musste, um mir die Spritze selbst geben zu können. „Für den Fall“, hatte er gesagt und mich dabei auf seine scheue Art angelächelt.
Jetzt befolgte ich genau seine Anweisungen und setzte dann die Nadel an.
„Nicht!“
Der Glaskörper in meiner Hand zerbrach und ich hob ruckartig den Kopf. „Was?“
„Was?“, fragte der Sergeant verwirrt zurück.
„Sie haben doch gerade ...“ Ich brach ab und starrte auf die Flüssigkeit, die langsam über meine Handfläche rann und sich mit meinem Blut vermischte.
„Lieutenant! Wie ist das denn passiert? Kommen Sie, Sie müssen sofort auf die Krankenstation.“
Ich schüttelte den Kopf, perplex und verwirrt. Was war passiert? War die Stimme nur Einbildung gewesen? Aber es hatte sich so echt angehört.
Es hatte geklungen … wie die Stimme aus meinem Traum.
Ich schluckte trocken und setzte mich auf. „Es tut mir leid, ich weiß auch nicht, warum ich ...“
„Ist schon in Ordnung.“ Er sprach mit mir als wäre ich geistig verwirrt. Aber war ich das nicht auch? „Ich bringe Sie zu Doktor Beckett, okay?“
Ich nickte nur stumm und ließ mich von ihm zur Krankenstation bringen.
Meine Gedanken rasten.
Die Stimme aus meinem Traum …
Es war Einbildung gewesen, natürlich war es das, was sollte es auch sonst gewesen sein?
Diese Tatsache machte das Ganze jedoch nicht weniger verwirrend, denn auch wenn die Stimme nur eine Produktion meiner Fantasie gewesen war, bedeutete das, dass mein Unterbewusstsein mir etwas sagen wollte. Es hatte mich gewarnt. Es wollte nicht, dass ich mein Insulin bekam.
Aber wieso?
Finally recover and the mood is right
Looking up into a neon sky
Child in me takes over, guess it's been too long
Since the last time that I tried to fly
„Möchten Sie mir von Ihrem Traum erzählen?“
Natürlich. Weil ich auch nichts besseres zu tun hatte und Sie mir ganz sicher helfen konnten. Pah!
„Ich weiß nicht, Doktor“, antwortete ich zögernd. „Ich kann mich kaum noch daran erinnern. Nur noch bruchstückhaft. Es war dunkel und roch merkwürdig, nach Tod, und ...“ Ich brach ab und tat so, als müsste ich darüber nachdenken. „Ich glaube, ich habe mit jemandem gesprochen, aber ich bin mir nicht sicher.“
Selbstverständlich erinnerte ich mich noch an alles, an jedes noch so kleine Detail, aber ich würde mich hüten und Doktor Heightmeyer das auch noch erklären.
Inzwischen hatte ich herausgefunden, dass diese andere Person, mit der ich gesprochen hatte, ein Wraith gewesen war.
Das bestätigte mein Gefühl, dass hier irgendetwas ganz und gar nicht in Ordnung war. Sie verheimlichten mir etwas, etwas wichtiges. Ich war kein Mitglied ihrer Expedition gewesen, ich hatte mit den Wraith zu tun gehabt.
Vielleicht war ich ein Wraithanbeter gewesen und sie hatten mich aufgegriffen und mithilfe irgendeiner Droge erreicht, dass ich alles vergaß.
Egal was es war, ich würde es herausfinden, und ich würde ganz sicher niemandem erzählen, was in mir vorging. In meinen Wochen hier hatte ich die Fähigkeit perfektioniert, Gefühle vorzutäuschen, die sie von mir erwarteten.
„Sind Sie sicher?“, fragte sie noch einmal nach und machte sich eine kurze Notiz.
„Ja, ich … ich denke schon.“
Sie nickte mehr zu sich selbst und kritzelte wieder etwas auf ihren Block, dann lächelte sie mich an. „In Ordnung, Michael, Sie können dann gehen. Aber Sie wissen, dass Sie immer zu mir kommen können, wenn Sie etwas beschäftigt.“
„Danke, Doktor“, sagte ich artig, ehe ich aufstand und den Raum verließ, meine Eskorte ignorierte und sofort zum nächsten Transporter ging. Ich musste allein sein und der einzige Ort, an dem ich zumindest andeutungsweise allein sein konnte, war mein Quartier.
Wieder setzte ich mich sofort auf mein Bett, doch dieses Mal wollte ich nicht schlafen. Jedenfalls nicht wirklich. Ich wollte meditieren, mich in eine tiefe Trance versetzen und mein Unterbewusstsein anzapfen, um endlich zu erfahren, was ich all die Zeit vergessen hatte. Heightmeyer hatte es mir beigebracht und dabei vermutlich niemals gedacht, dass ich es auf diese Art anwenden würde.
Mir war klar, dass man das, woran man sich zu erinnern glaubte, beeinflussen konnte, wenn man jemanden mit Informationen fütterte. Man glaubte dann nur das, was in das Bild dieser falschen Informationen passte, alles andere war egal.
Aber ich kannte die Wahrheit. Sie konnte mich nicht mehr manipulieren.
Ganz ruhig saß ich da, während ich mich nur auf mich selbst konzentrierte, auf meinen Herzschlag, meinen Atem, gleichmäßig ein und aus, immer wieder.
Langsam drifteten meine Gedanken ab, weit weg in eine Zeit, an die ich mich heute nicht mehr erinnern konnte.
Ba-Bumm, Ba-Bumm, Ba-Bumm.
Einatmen. Ausatmen. Einatmen. Ausatmen. Immer wieder.
Ruhig und gleichmäßig.
*~*~*~*~*~*~*~*~*~*
„Verdammt, was tust du hier?“
Ich fuhr erschrocken herum und starrte in die selben gelben Augen wie in meinem letzten Traum. Der Rest seines Gesichtes lag verborgen im Schatten, ich konnte ihn einfach nicht erkennen.
„Ich … Was?“
„Du weißt ganz genau, wie gefährlich das in der momentanen Situation ist!“ Eine harte Hand griff nach meinem Arm und zog mich mit. „Wenn Sie dich jemals hier findet, sind wir beide tot!“
Ich war immer noch zu verwirrt, um zu reagieren, und so schwieg ich und ließ mich einfach von ihm durch die dunklen Gänge ziehen.
Ich befand mich anscheinend auf einem Hive, was nicht schwer herauszufinden gewesen war. Das Hive des Wraith vor mir, soviel war klar, und er schien nicht gerade erfreut über meine Anwesenheit zu sein.
Aber warum war ich überhaupt hier?
Er stoppte vor einer Tür und schob mich hindurch, ehe er sich nach allen Seiten umsah und ebenfalls den Raum betrat. Hinter ihm schloss sich die Tür mit einem leisen Zischen.
Und von der einen Sekunde zur anderen änderte sich seine gesamte Haltung von wütend und angespannt zu … War das froh?
„Also, Sha'alee, was tust du hier?“ Auch seine Stimme klang plötzlich wieder ganz ruhig, so wie sie in meinem ersten Traum geklungen hatte.
Trotzdem war ich noch viel zu verwirrt für eine Antwort, also schwieg ich weiterhin.
Er machte besorgt einen Schritt auf mich zu und hob die Hand, doch er ließ sie wieder sinken, ohne mich zu berühren. „Was ist passiert?
Die Worte waren heraus, bevor ich überhaupt wusste, wovon ich sprach: „Sie wollte mich töten lassen. Ich bin geflüchtet, ehe Sie Ihren Plan in die Tat umsetzen konnte.“
„Was?!“ Fassungslosigkeit flutete meinen Geist, aber ich brauchte ein paar Sekunden, um zu begreifen, dass es seine Fassungslosigkeit war, die ich spürte. „Bist du dir sicher?“
„Ja.“ Meine Stimme war nur ein leiser Hauch, kaum hörbar.
Wieder streckte er die Hand nach mir aus, seine Fingerspitzen berührten meine Wange, doch er zog sie sofort wieder zurück. „Wieso?“
„Ich weiß es nicht“, antwortete ich leise. „Vielleicht hat mich jemand verraten.“
Ein gefährliches Knurren entkam seiner Kehle und ich machte instinktiv einen Schritt zurück. Seine Augen blitzen hasserfüllt auf, sein gesamter Körper schien sekundenlang wie unter Strom zu stehen, dann entspannte er sich plötzlich wieder etwas und sah mich an.
„Und nun möchtest du … Wie sagen die Menschen? Um Asyl bitten?“
Ich verzog leicht das Gesicht. „Was hast du nur immer mit den Menschen?“, murmelte ich angewidert, doch dann nickte ich. „Auch wenn ich weiß, dass es mir vermutlich verwehrt wird.“
„Ich könnte mit Ihr sprechen“, bot er an. „Ich habe immer noch einen großen Einfluss auf Sie.“
„Aber Sie wird wohl kaum jemanden in Ihren Reihen aufnehmen, der einst den Kokon Ihrer Nachfolgerin zerstörte.“ Ich wusste, dass es ein Fehler war, das auszusprechen, auch wenn ich nach wie vor keine Ahnung hatte, worum es hier eigentlich genau ging.
Sein Gesicht verzog sich, ein erneutes Knurren vibrierte in seiner Brust. „Du solltest aufhören, mich daran zu erinnern.“ Er flüsterte nur, doch seine Stimme hätte nicht drohender oder gefährlicher klingen können.
„Verzeih.“ Ich war mir nicht sicher, warum ich das tat, aber ich machte einen weiteren Schritt auf ihn zu, sodass ich ganz dicht vor ihm stand.
Wieder konnte ich seinen Herzschlag hören, etwas schneller als im letzten Traum und somit eindeutiges Zeichen für seine innere Anspannung.
„Du weißt, dass es nicht meine Entscheidung war. Es tut mir leid.“ Dieses Mal war ich es, der die Hand nach ihm ausstreckte und durch seine Haare gleiten ließ, ganz kurz nur.
Doch als ich sie wieder sinken lassen wollte, packte er sie plötzlich und führte sie an seinen Mund.
„Ich werde mit Ihr sprechen“, versprach er leise, sein Atem streifte über meine Haut. „Sie wird dich nicht wegschicken. Du hast Informationen für Sie, die von großem Nutzen sein können. Das heißt ...“ Er zögerte. „Wenn du bereit bist, sie mit Ihr zu teilen.“
Ich konnte nur stumm nicken, viel zu verwirrt durch sein Verhalten, das ich einem Wraith niemals zugetraut hätte, allein den Erzählungen der Atlanter nach. Aber das war auch nicht das einzige Thema, zu dem sie gelogen hatten …
Er lächelte sanft. „Das ist sehr gut“, wisperte er, ehe er meine Hand umdrehte und seine Lippen kurz in die Handfläche drückte.
Als er sich wieder aufrichtete, konnte ich einen Blick auf die Hand werfen. Ich sah die grünliche Haut, die langen Fingernägel – und die Öffnung, die sich längs durch meine Handfläche zog.
Und ich schrie.
*~*~*~*~*~*~*~*~*~*
„Lieutenant? Alles in Ordnung?“
Ich machte vor Schreck einen Satz in die Luft und fuhr herum. „Herrgott, können Sie nicht einmal anklopfen, bevor Sie mich zu Tode erschrecken?!“, herrschte ich den Sergeant an, der schon wieder ganz unvermittelt hinter mir stand.
Meine Atmung ging heftig, viel zu schnell und unnatürlich laut, aber ich brauchte ein paar Sekunden, bis ich mich erinnerte, woran das lag. Mein Traum. Oder war es überhaupt ein Traum gewesen? War es nicht viel mehr eine Erinnerung?
Es hatte sich alles so echt, so real angefühlt. Was war passiert?
„Entschuldigung. Sie sahen aus, als würde es Ihnen nicht ...“ Der Sergeant brach ab und starrte mich an als würde er mich zum ersten Mal sehen.
„Was ist?“, fragte ich unbeherrscht.
„Sie haben … Sie sind … Sie müssen sofort zu Doktor Beckett!“
„Und wieso sollte ich das tun?“, wollte ich genervt wissen und schielte gleichzeitig zu dem Spiegel, der gegenüber meines Bettes angebracht war.
Der Sergeant stellte sich mir in den Weg und deutete zur Tür. „Sofort! Irgendetwas stimmt nicht mit Ihnen.“
„Ich bin ganz sicher nicht die einzige Person in Atlantis, mit der etwas nicht stimmt“, gab ich aggressiv zurück.
Er erzitterte leicht und machte einen Schritt zurück. „Sie müssen sofort zu Doktor Beckett. Jetzt!“
„Zwingen Sie mich dazu“, sagte ich provokant, dann stutzte ich. War das wirklich meine Stimme? Sie klang so anders, so … tief. Ein leises Echo schwang in ihr mit, kaum hörbar.
Und da war noch etwas. Ein heftiges Kribbeln in meinen Handflächen, zusammen mit einem unglaublichen Hunger, ein quälendes Brennen, das sich langsam durch meinen gesamten Körper zog.
Du wirst wieder du selbst, flüsterte eine leise Stimme in meinem Kopf. Du verwandelst dich in das zurück, was du warst. Die Stimme stoppte kurz und fügte dann leise hinzu: Was du bist und auf ewig sein wirst.
Aber das würde ja bedeuten, dass ich …
Ich konnte den Gedanken nicht zu Ende denken, denn in der nächsten Sekunde durchzuckte mich ein schmerzhaftes Stechen, dann wurde alles um mich herum schwarz.
Finally I find when I lose control
Inside my body crumbles
It's like therapy for my broken soul
Inside my body crumbles
„Fassen Sie mich nicht an!“, fauchte ich aggressiv und ruckte so stark wie nur möglich an den Fesseln. „Ich warne Sie! Wenn Sie auch nur daran denken, mir eine Spritze zu geben, ich schwöre, ich werde Sie in der Luft zerfetzen!“
Doktor Beckett starrte mich nur vollkommen verschreckt an. „Michael, was ist los mit Ihnen?“
„Nennen Sie mich nicht so!“, herrschte ich ihn an und kämpfte ein weiteres Mal gegen die Fesseln an. „Das ist nicht mein Name und das wissen Sie auch!“
Sein Blick huschte unsicher zu Colonel Sheppard, der mit versteinertem Gesicht neben ihm stand, und dann zurück zu mir. „Michael, ich weiß wirklich nicht ...“
„Lügen Sie mich nicht an!“
Erneuter Seitenblick zu Sheppard. Dieser zögerte, dann atmete er tief ein und nickte.
Doktor Beckett wandte sich wieder mir zu und setzte die Spritze an.
„Nein! Lassen Sie mich sofort los!“ Ich brüllte und knurrte und tobte, aber ich konnte mich kaum bewegen und als die Nadel meine Haut durchstach, wurde mein Bewusstsein von einer überwältigenden Verzweiflung überschwemmt.
Dass es nicht allein meine Verzweiflung war, spürte ich erst, als es schon zu spät war. Sekunden danach sank ich in tiefe Bewusstlosigkeit.
Als ich wieder aufwachte, lag ich immer noch in dem Bett in einem gesonderten Raum der Krankenstation, aber sie hatten die Fesseln gelöst. Dafür schienen sie die Wachen verdoppelt zu haben, wenn meine Wahrnehmung mich nicht täuschte.
Sehen konnte ich sie nicht, die einzige Person neben mir in diesem Raum war Doktor Beckett.
„Michael?“
„Nennen Sie mich nicht so.“ Meine Stimme war nur noch ein leises Flüstern und sämtliche Anzeichen dafür, dass ich ein Wraith war, waren daraus verschwunden. Ich musste es nicht sehen, um zu wissen, dass auch meine Augen wieder normal waren und die Öffnungen meiner Hände sich geschlossen hatten.
Doktor Beckett schwieg kurz, dann fragte er: „Wie soll ich Sie sonst nennen?“
Ja, wie eigentlich?
„Woher soll ich das wissen? Sie haben mir meine Erinnerungen genommen.“
Er seufzte leise, dann drehte er sich um und blätterte in einigen Unterlagen. „Sie wissen, dass wir sie Ihnen nicht einfach zurückgeben können.“
Ich schnaubte und setzte mich etwas auf, was ihn dazu veranlasste, einen Schritt von mir weg zu machen. Wie lächerlich.
„Ich weiß, dass Sie mich entführt und unter Drogen gesetzt haben, und ich weiß, dass Sie nicht damit aufhören werden, völlig egal, was ich Ihnen sagen werde. Deshalb frage ich mich, warum ich überhaupt noch mit Ihnen reden sollte.“
Er schluckte hörbar und wandte sich wieder mir zu. Sekundenlang schien er zu überlegen, was er darauf antworten sollte, während er auf seiner Unterlippe herumkaute.
„Sie … Sie müssen verstehen, dass wir … Wir versuchen, zu überleben.“
„Und ich bin eben nur ein Opfer dieses Krieges, nicht?“
Jetzt sah er wütend aus. „So wie unzählige andere unschuldige Menschen!“
„Das ist Unsinn und das wissen Sie auch“, entgegnete ich gezwungen ruhig. Er stockte und sah mich verdutzt an, sodass ich leise erklärte: „Ich wurde in dieses Leben geboren, ich konnte es mir nicht aussuchen, aber ich bin zufrieden damit. Sie hingegen, Sie gehören nicht einmal in diese Galaxie. Was also gibt Ihnen das Recht, unser Leben hier derart aggressiv zu verändern?“
Seine Augen weiteten sich, er sah ehrlich erschrocken aus, doch dann verschloss sich sein Gesicht von einer Sekunde zur anderen wieder. „Das ändert nichts an der Tatsache, dass diese Menschen unschuldig sterben.“
„Es gibt hier keinen Krieg, Doktor, schon seit 10.000 Jahren nicht mehr“, erwiderte ich gereizt. „Seit die Antiker sich, feige wie sie waren, aus diesem Sonnensystem zurückgezogen haben. Wir haben uns arrangiert und wir lassen die Menschen größtenteils ihr Leben leben. Sie leben für Generationen, ohne dass wir sie aufsuchen.“ Ich schloss einen Augenblick lang die Augen und durchsuchte meine lückenhaften Erinnerungen, dann fuhr ich leise fort: „Und Sie sind diejenigen, die unser Arrangement aus dem Gleichgewicht gebracht haben.“
„Aber wir wussten doch nicht ...“, hob er an, doch ich unterbrach ihn: „Und wir haben keine andere Wahl!“
Damit hatte ich ihn mundtot gemacht.
Minutenlang sah er mich nur an, völlig in Gedanken versunken, dann schüttelte er den Kopf. „Wir geben Ihnen die Möglichkeit, das zu ändern. Wir erschaffen Ihnen eine Alternative. Warum nehmen Sie sie nicht an?“
„Weil wir nicht verändern werden, was wir sind“, antwortete ich und schloss die Augen, wandte mein Gesicht von ihm ab. „Weil wir uns nicht aufgeben werden.“
Weil ich etwas habe, wofür sich dieses Leben lohnt.
Aber das sagte ich nicht laut.
Die nächste Person, die mich besuchte, war Teyla.
Ich mochte sie nicht, sie war mir von Anfang an suspekt gewesen, und jetzt kannte ich auch den Grund. Sie war mir viel ähnlicher als ein Mensch es sein sollte. Sie hatte Wraith-Gene in sich. Die Frage war nur, ob sie künstlich oder natürlich erschaffen worden war.
Letzteres wäre ein Verstoß gegen alle Gesetze, die ich kannte. Wir hatten alle Vergessenen, die wir finden konnten, schon vor Jahrhunderten ausgelöscht, aber es war gut möglich, dass wir einige übersehen hatten.
„Wie geht es Ihnen?“, erklang ihre ruhige Stimme.
Ich ignorierte sie einfach und hielt die Augen weiterhin geschlossen.
Sie seufzte leise. „Ich weiß, dass Sie wach sind, Michael.“
Ich schwieg.
Ein erneutes Seufzen verklang im Raum, dann spürte ich, wie sie sich auf dem einzigen Stuhl niederließ. „Michael, ich weiß, wie Sie sich fühlen, aber Sie müssen mir glauben, wenn ich Ihnen sage, dass ...“
„Es ist mir egal, was Sie mir sagen wollen“, unterbrach ich sie harsch. „Und jetzt lassen Sie mich allein.“
„Ich will Ihnen doch nur helfen ...“
„Das ist mir egal“, wiederholte ich.
Minutenlang herrschte Schweigen, doch sie verließ nicht den Raum.
Dann flüsterte sie plötzlich leise: „Ich kann Ihnen helfen, mit ihm in Kontakt zu treten.“
Ich riss die Augen auf und starrte sie fassungslos an. „Was ...“
„Ich habe ihn gespürt“, antwortete sie einfach. „Als man Sie nach Ihrem Anfall ruhiggestellt hat. Er war in Ihrem Geist, er wollte Sie schützen, aber es war schon zu spät.“
Ich atmete tief ein und aus, dann wandte ich mein Gesicht wieder ab. „Warum sollten Sie das tun?“
„Weil ich Mitleid mit Ihnen habe.“
Ich schnaubte herablassend. „Mitleid ist das Letzte, was ich will.“
„Aber das Einzige, das Ihnen hilft, ihn wieder zu spüren“, erwiderte sie.
Meine Hand verkrallte sich im Bettlaken, so fest, dass ich die Nähte knacken hörte. Wieder war es lange still im Raum, während ich innerlich einen Kampf mit mir selbst ausfocht.
Schließlich antwortete ich: „Gehen Sie. Sofort. Ich will Sie hier nie wieder sehen.“
Ihre Augen weiteten sich leicht, dann sah sie einfach nur noch unglaublich niedergeschlagen aus. „Schön, wenn das Ihr Wunsch ist.“
Damit verließ sie das Krankenzimmer.
Sie hatte die Türe kaum hinter sich geschlossen, als ich wieder die Augen schloss und mich so entspannt wie nur möglich hinlegte.
Ich hatte keinesfalls vor, ihn einfach zu vergessen, wer auch immer er war, aber ich würde mich niemals einem Menschen wie Teyla anvertrauen, Wraith-Gene hin oder her!
Ruhig, ganz ruhig und gleichmäßig. Nichts war mehr wichtig, nichts außer meiner Atmung und meinem Herzschlag.
Ich wusste nicht, worauf ich achten musste, ich wusste nicht, wie ich ihn finden konnte, aber ich wusste, dass ich es konnte. Irgendwo in meinem Kopf hatte ich die Erkenntnis, dass ich es bereits mehrmals getan hatte, also würde ich es auch dieses Mal können.
Einatmen. Ausatmen. Ein. Aus.
Immer wieder.
Ruhig und gleichmäßig.
Ich war mir nicht sicher, wie ich es schaffen sollte, ihn wirklich zu erreichen, wenn er Millionen Lichtjahre von mir entfernt sein konnte, aber ich musste es einfach. Ich musste.
Ein. Aus. Ein. Aus.
Ich ließ meinen Geist einfach schweifen, tastete mich durch das Bewusstsein der einen Wache, dann der anderen, dann weiter durch jedes Bewusstsein auf Atlantis.
Ich erkannte Colonel Sheppard, Doktor McKay, Ronon, aber sie waren unwichtig, deshalb ignorierte ich sie. Ich suchte jemand anderen.
Ein. Aus.
Meine Gedanken schweiften weiter, zu dem Raumschiff, das über Atlantis im Weltraum schwebte, dann immer weiter ins All.
Lange fühlte ich nichts anderes als die Leere des Alls, dann stieß ich auf ein weiteres Bewusstsein, noch eins, viele mehr, aber es waren nur unwichtige Menschen auf einem winzigen Planeten.
Ein. Aus.
Dann war da ein Wraith-Schiff, ein Hive. Ich suchte in den Köpfen einiger Drohnen nach irgendeinem Anhaltspunkt, aber natürlich fand ich keinen. Wie auch?
Weitere Schiffe in der Nähe, aber auch sie lieferten keinen Hinweis.
Vielleicht bewegte ich mich auch in eine völlig falsche Richtung. Aber eigentlich konnte ich mir das nicht vorstellen. Ich wusste einfach, dass er sich irgendwo in diesem Teil der Galaxie befinden musste.
Und dann war da plötzlich ein anderes Bewusstsein, das sich in meinen Geist drängte.
Nein, drängen war das falsche Wort, das klang als wäre es unangenehm, aber das war es nicht. Ganz im Gegenteil, es fühlte sich richtig an, so unglaublich beruhigend, als wäre die Person schon sehr oft dort gewesen.
Ich hielt vor Anspannung den Atem an, traute mich nicht einmal zu denken, bis ich die leise Stimme hörte: „Du lebst noch.“
Mein Herz machte einen Satz und ich spürte sofort, wie sich eine tiefe Ruhe in meinem Körper ausbreitete. Er war es wirklich. Wer auch immer er war, er war da, und er würde dafür sorgen, dass ich frei kam.
All I need's a moment, just to get away
From the stressfulness of every day
Know if I don't question and I never doubt
Everything is gonna be okay
„Ja, das tue ich“, dachte ich ruhig.
Die Antwort bestand aus einem Geräusch, das sich fast wie ein Schnurren anhörte und mir wiederum ein leises Lächeln entlockte.
„Und du erinnerst dich wieder an mich“, fuhr die Stimme fort. Erleichterung flutete meinen Geist und ließ mich tatsächlich ein bisschen euphorisch werden, doch dann verschwand dieses Glück plötzlich und machte dem leichten Anflug von Verbitterung Platz. „Aber du bist immer noch gefangen.“
„Ja“, flüsterte ich und wünschte mir in der gleichen Sekunde, ich hätte eine andere Antwort.
Ein leises Knurren erklang, gefolgt von einem Gefühl als würde er gegen eine Wand schlagen. Den Bruchteil einer Sekunde lang schoss ein stechender Schmerz durch meine Hand, dann war er wieder verschwunden. Was zurück blieb, war die unbändige Wut, die sein Bewusstsein vereinnahmte und auch von meinem Geist Besitz ergriff.
„Es tut mir leid, Sha'alee.“ Seine Stimme war nur ein leises Wispern, doch das gefährliche Knurren schwang trotzdem deutlich hörbar darin mit. Hass, der sich eindeutig gegen die Menschen richtete, die mich gefangen hielten. „Dieses Mal kann ich dich nicht retten.“
Das hatte ich bereits gewusst. Aus irgendeinem Grund wusste ich, dass es ihm im Moment unmöglich war, einfach hierher zu kommen und Atlantis dem Erdboden gleich zu machen. Er war ebenfalls gefangen, sehr lange schon, aber wo und warum, das wusste ich nicht. Nicht mehr.
„Ich weiß.“ Sekundenlang schwieg ich, dann wiederholte ich: „Sha'alee. Ist das mein Name?“
Er schwieg lange, doch ein leiser Schmerz ging von ihm aus und das ließ mich stutzen. Was hatte ich falsch gemacht?
„Nein“, antwortete er schließlich. „Das ist unsere Anrede für unsere Gefährten.“
Für unsere … Oh. Das bedeutete also, dass wir beide … Nun, das erklärte auf jeden Fall die tiefe Verbundenheit, die ich zu ihm fühlen konnte.
Dieses Mal hatte ich das Gefühl, er würde lächeln, doch er sagte nichts.
„Und wie lautet dann mein richtiger Name?“
Zuerst bekam ich keine Antwort und ich wollte die Frage gerade ein zweites Mal stellen, als ein Bild mein Bewusstsein erreichte. Es war eine Sternenkonstellation irgendwo in Pegasus, ich erinnerte mich dumpf an den Standort, aber der war eigentlich unwichtig. Nicht so der Name.
Der ewige Krieger.
Ich musste lächeln, als ich daran dachte, doch es war ein bitteres Lächeln. „Wie passend.“
Erst jetzt fiel mir wieder ein, dass wir eigentlich keine richtigen Namen in dem Sinne hatten, wie es bei den Menschen der Fall war. Es konnten Gefühle sein, Empfindungen, Gerüche, Geräusche. Oder solche Dinge wie eben Sternenkonstellationen.
Jetzt kamen mir die Menschen wirklich albern vor, wenn sie versuchten, alles und jeden zu benennen. Manche Dinge konnte man einfach nicht in Worte fassen.
Als ich mir sein Gesicht vor Augen rief, fiel mir auch sein Name wieder ein. Sein Tattoo verriet es, das sternförmige Zeichen um sein linkes Auge, so wie es bei mir die verschlungenen Linien an meiner linken Hüfte waren.
Das Leuchten der Sterne.
Ein seit Jahrtausenden nicht mehr genutzter Name, was wirklich sehr bedauerlich war.
„Genau“, erklang seine Stimme erneut in meinem Kopf. „Es ist gut, dass du dich daran erinnerst. Es wird dir helfen, auch deine restlichen Erinnerungen zurückzugewinnen.“
„Wie es ist, sich an jemandem zu nähren?“ Das kam spitzer als ich es beabsichtigt hatte, doch als ich an meine Hand dachte, wusste ich auch, wieso. Ich konnte es nicht mehr und vielleicht würde ich es nie mehr können. Vielleicht würden die Veränderungen irgendwann dauerhaft sein.
Ein erneutes Knurren schien in meinem ganzen Körper zu vibrieren, obwohl nicht ich es war, der knurrte.
„Was haben sie dir angetan?“ Seine Stimme war nur ein Zischen, gefährlich, aggressiv, drohend.
Ich schloss die Augen und schüttelte leicht den Kopf. Nein, ich wollte es ihm nicht sagen. Nicht jetzt, nie. Es war entwürdigend.
„Es ist nichts, was ich nicht wieder ...“
„Lüg mich nicht an“, unterbrach er scharf, aber ich wusste, dass diese Schärfe nicht wirklich gegen mich gerichtet war.
In der nächsten Sekunde hatte ich das Gefühl, aus meinem Körper gezogen zu werden, und dann stand ich in einem komplett schwarzen Raum. Jedenfalls nahm ich an, dass es ein Raum war, denn ich konnte absolut nichts erkennen.
Bis er vor mir auftauchte, der einzige helle Punkt in der Dunkelheit. In seinem Gesicht zeichneten sich Wut und Hass ab, doch als er mich sah, verwandelte es sich in Unglauben und Entsetzen.
„Oh nein. Sie haben … Sie … Wie konnten sie ...“ Er brach ab und schüttelte den Kopf, machte vorsichtig einen Schritt auf mich zu und berührte meine Wange, meine Stirn, meine Schulter. „Du bist … Du bist ein Mensch.“ Fassungslos.
Ich knirschte mit den Zähnen. „Danke, das ist mir aufgefallen.“ Eigentlich hatte ich für Sarkasmus nicht viel übrig, aber in dieser Situation konnte ich nicht anders.
Er stockte, schüttelte erneut den Kopf, dann legte er beide Hände auf meine Schultern und beugte sich nach unten, bis seine Stirn meine berührte.
Sekundenlang verharrten wir in dieser Position, ehe er sich wieder aufrichtete und nach einem kurzen Zögern seine Finger durch meine Haare gleiten ließ.
„Wie haben sie das geschafft? Was haben sie dir angetan?“, fragte er leise, nahm meine Hand in seine und strich über die glatte Handfläche, als würde er etwas suchen.
„Spritzen“, antwortete ich knapp, während ich ihn verwundert betrachtete. Er benahm sich so anders als die Atlanter es beschrieben hatten. Besorgt und sanft.
„Ein Serum?“ Seine Fingerspitzen fuhren ganz zart an meinen Armen entlang nach oben bis zu meiner Schulter und hielten dort inne, als er wieder den Kopf schüttelte als könnte er einfach nicht fassen, was geschehen war.
„Ich denke schon.“
Er schloss für einen Moment die Augen. „Das bedeutet, dass sie es als Waffe testen, nicht wahr? Sie werden ...“
„Michael!“
Ich zuckte heftig zusammen und landete mit einem Schlag wieder in der Wirklichkeit. Einer Wirklichkeit, die schlimmer wohl nicht sein konnte.
Doktor Beckett stand neben meinem Bett und musterte mich besorgt. „Alles in Ordnung?“
Ich ballte die Hände zu Fäusten und knurrte. „Wieso fragen Sie mich das eigentlich jedes Mal, wenn Sie mich sehen? Ja, mir geht es wirklich hervorragend! Immerhin kann ich gerade Ihre Gastfreundschaft genießen, ist das nicht fabelhaft?“ Schon wieder Sarkasmus. Vielleicht zählte das zu den mir verhassten menschlichen Eigenschaften, die mich mit jedem Tag mehr zu überrollen schienen.
„Wer ist das?“, fragte die Stimme des Wraith in meinem Kopf und ich merkte sofort, wie ich mich wieder etwas entspannte. Er war immer noch da, das war gut.
„Doktor Beckett.“ Als er nichts antwortete, erklärte ich: „Er ist für das alles hier verantwortlich.“
Daraufhin schien er sekundenlang verschwunden zu sein und ich wurde bereits unruhig, als er plötzlich wieder in mir war, noch viel tiefer als zuvor. Und dann verlor ich die Kontrolle über meinen Körper.
„Wie können Sie es wagen!“ Ich sprang auf und in der nächsten Sekunde hatte ich Doktor Beckett an die Wand gedrückt, meine Hand um seinen Hals geschlossen.
Nein, das war nicht ich. Der Wraith war es, mein Gefährte, der meinen Körper übernommen hatte und an meiner statt damit agierte.
Doktor Beckett schnappte nach Luft, doch sie kam kaum in seiner Lunge an. Er zappelte und wehrte sich, aber gegen den festen Griff konnte er nichts ausrichten. Kein einziger Ton entkam seiner Kehle.
„Sie werden ihn gehen lassen, auf der Stelle!“, zischte der Wraith und beugte sich nach vorne, bis sein Gesicht nur noch Millimeter von Becketts entfernt war. „Andernfalls werde ich persönlich dafür sorgen, dass Atlantis dem Erdboden gleich gemacht wird, und glauben Sie mir, ich habe die Möglichkeiten dazu!“ Sein Griff verstärkte sich noch etwas, der Doktor lief langsam blau an. „Ich werde nicht zulassen, dass Sie ihn hier gefangen halten, haben wir uns verstanden?“
Einen Herzschlag später hatte ich die Gewalt über meinen Körper wieder. Ich ließ Doktor Beckett los und stolperte nach hinten, völlig geschockt.
Er sank auf den Boden, sein Atem ging schnell und heftig, aber davon abgesehen er rührte sich nicht mehr.
Wie hatte er das gemacht? Unsere Verbindung musste unglaublich stark sein, wenn er auf diese riesige Distanz meinen Körper übernehmen konnte. Was bedeutete das noch für uns?
Aber was momentan wichtiger war: Warum waren keine Wachen gekommen, um mich aufzuhalten?
Ich ließ meinen Blick durch den Raum schweifen, doch ich konnte keine Kameras ausmachen.
„Es sind auch keine Wachen vor der Tür“, erklang die leise Stimme in meinem Kopf. Irgendwie schien er sich wieder etwas beruhigt zu haben, auch wenn er immer noch eigenartig außer Atem klang. „Sie dachten, dass von dir keine Gefahr mehr ausgeht.“
„Was anscheinend nicht stimmt.“
Er klang amüsiert. „Anscheinend nicht. Ich kann dich führen.“
Ich stutzte. „Tatsächlich? Wie?“
Irgendwie hörte er auch die Gedanken, die ich nicht an ihn richtete, denn er seufzte leise. „Nein, das meine ich nicht. Ich kann dich erst führen, wenn du Atlantis verlassen hast.“
Das war nicht gut, denn das bedeutete, dass ich alleine einen Weg finden musste. Was relativ unmöglich war.
Dann fiel mir etwas anderes ein. „Warum tust du das?“
„Warum tue ich was?“
„Warum ...“ Ich zögerte und griff nach dem ersten waffenähnlichen Gegenstand, den ich finden konnte. „Warum hilfst du mir? Ich bin nur ein Mensch, ich ...“
„Das ist nicht wahr“, unterbrach er mich. „Du magst vielleicht aussehen wie ein Mensch, aber du bist nach wie vor ein Wraith. Ein starker, intelligenter, machtvoller Wraith.“ Wieder dieses Gefühl, als würde er lächeln. „Du wirst entkommen. Aber du wirst zurückkehren, mit einer mächtigen Flotte, und du wirst Atlantis zerstören und uns allen endlich den Sieg bringen.“
Seine Worte erfüllten mich mit Stolz. Und doch …
„Ich glaube kaum, dass die anderen auch so von mir denken werden.“
„Das macht keinen Unterschied. Ich tue es. Du tust es. Wir beide zusammen können sie überzeugen. Und du wirst der mächtigste und stärkste Wraith werden, den wir nach der Altmutter jemals haben werden.“
In dieser Sekunde war ich mir vollkommen sicher, dass ich es schaffen konnte.
I don't know if I'll be alright
It's okay to be myself
Why do we always have to fight?
(Now I know) it's alright
„In Ordnung“, murmelte ich vor mich hin. „Und wie werde ich entkommen?“
„Sage mir nicht, dass diese Menschen so stark sind.“ Er klang ziemlich skeptisch, was mir tatsächlich ein leises Lächeln entlockte.
„Das sind sie nicht. Aber die Antiker waren es. Unglücklicherweise befinde ich mich gerade in ihrer … Hauptstadt, das macht es nicht leichter.“
Sekundenlang blieb er stumm, dann sagte er langsam: „Weißt du, vielleicht musst du gar nicht entkommen. Vielleicht bringen sie selbst dich von Atlantis weg.“
„Wie bitte?“ Das war mir mit meinem doch noch sehr angeschlagenen Gehirn ein wenig zu hoch.
„Nun ja ...“ Er zögerte und vor meinem inneren Auge tauchte unwillkürlich sein Gesicht auf. Ich wusste genau, wie er aussah, wenn seine Stimme so klang. Nachdenklich, konzentriert und vielleicht ein bisschen verwirrt von seinen eigenen Gedankengängen. „Sie sind sehr auf Sicherheit bedacht. Das bedeutet, dass du sie nur dazu bringen musst, in dir ein erhebliches Sicherheitsrisiko zu sehen. Dann werden sie dich auf einen anderen Planeten bringen, wo du keine Gefahr mehr für die Stadt darstellst. Von dort kannst du leichter entkommen.“
Das könnte sogar funktionieren …
„Wenn ich das nächste Mal etwas gegen deine Vorliebe für menschliche Verhaltensweisen sage, schulde ich dir einen Gefallen.“
Er lachte leise. „Ich werde dich daran erinnern.“ In seinen Worten klang ein Unterton mit, der mich innerlich schlucken ließ. Das war doch etwas zu viel für meinen von menschlichen Gedanken dominierten Kopf.
Ich konzentrierte mich schnell auf etwas anderes und das erste, das mir in den Blick kam, war Doktor Beckett, der immer noch bewusstlos neben mir auf dem Boden lag.
„Glaubst du nicht, dass das genug ist?“, wollte ich wissen und ließ meine provisorische Waffe, ein langer, leicht spitz zulaufender Teil irgendeines Gerätes, wieder sinken. Mir war gar nicht aufgefallen, dass ich ihn die ganze Zeit fest umklammert vor meine Brust gehalten hatte.
„Wir sollten kein Risiko eingehen. Wenn es nicht funktioniert ...“ Er brach ab, aber ich wusste auch so, was er meinte. Wenn es nicht funktionierte, würde ich nie wieder die Gelegenheit dazu haben, denn sie würden mich so gut einsperren, dass ich vermutlich niemals irgendetwas anderes sehen würde als die Wände meines Gefängnisses.
„Du hast recht.“
Ich schloss einen Augenblick lang die Augen und atmete ruhig ein. Tief in meiner Kehle löste sich ein gefährliches Knurren, mein ganzer Körper begann zu kribbeln.
Irgendwo in meinem Bewusstsein spürte ich die Zerstörungswut und den Hass meines Gefährten. Er schien sie zusätzlich auf mich zu übertragen, um meine eigenen Aggressionen zu verstärken.
Und in der nächsten Sekunde sah ich rot. Alles um mich herum verschwamm und ich konzentrierte mich nur noch darauf, möglichst viel Schaden anzurichten, gleichgültig ob bei Menschen oder Gegenständen.
Ich schlug gegen alles, was mir in den Weg kam, Geräte, Maschinen, Wände; ich schleuderte Tische und Stühle durch den Raum, zerfetzte Dokumente und Aufzeichnungen auf Blättern. Und es fühlte sich so gut an. Es befreite. Es musste ewig her sein, dass ich mich so frei gefühlt hatte, so zufrieden. Lebendig.
Ich war ein Wraith! Ich war ein Wraith, kein lieber, braver, ruhiger Mensch, und ich würde es auf ewig bleiben, auch wenn sie mich bis zu meinem Lebensende hier festhalten würden.
Ich war ein Wraith.
Erst als ich vor Doktor Beckett stand, hielt ich einen Moment lang inne.
Mein Atem ging viel zu schnell, genau wie mein Herzschlag, aber trotzdem war beides gleichmäßig und auf eine geradezu unwirkliche Art beruhigend. Das Knurren in meinem Kopf, die Gefühle meines Gefährten, das alles war so klar für mich, gestochen scharf. Es beruhigte mich noch mehr, aber das bedeutete nicht, dass es mich davon abhielt, weiterhin den Raum und alles, was mir in die Quere kam, zu zerstören.
Aber was sollte ich mit Beckett machen? Da war ein Teil in mir, der mir zuflüsterte, dass ich ihn nicht weiter verletzen durfte. Was, wenn ich es übertrieb und sie dachten, dass es besser wäre, mich gleich zu töten?
Das, was meinen Geist dann erreichte, waren keine echten Worte in dem Sinne, und ich wusste trotzdem, was mein Gefährte mir sagen wollte. Lass ihn liegen. Was ich mit ihm getan habe, genügt völlig.
Wieder atmete ich tief ein, dann beugte ich mich zu ihm nach unten und wühlte in seinen Taschen nach einem Schlüssel oder irgendetwas anderem, was die Türe öffnen könnte.
Keine zwanzig Sekunden später stand ich vor dem Labor im Gang und sah mich um. Keine Wachen, was wirklich mehr als verwunderlich war. Wie konnten sie nur annehmen, dass ich so harmlos war, nach allem, was bereits geschehen war?
Ich bewegte mich schnell und sicher durch die Gänge von Atlantis, indem ich mich in den Köpfen der anderen Menschen hier orientierte. Es war mir sogar egal, dass sie mich dabei eventuell spüren konnten, denn eigentlich war es mein Plan, erwischt zu werden.
Trotz der Wut, die durch jede Faser meines Körpers zu pulsieren schien, waren meine Gedanken absolut klar und scharf. Ich fühlte mich so leicht und frei in diesem Moment.
Wo konnte ich wohl den größten Schaden anrichten?
Der Begriff „ZPM“ tauchte irgendwo in meinem Kopf auf und ließ mich einen Augenblick lang inne halten. ZPM. Eine Energiequelle, ohne die in Atlantis nichts mehr funktionierte, Schutzschild, Waffen, nicht einmal Wasserversorgung oder Luftfilter. Sie wären vollkommen hilflos, wenn ich es zerstören würde.
Aber wo war es?
„Michael!“, kreischte plötzlich eine nervtötende Stimme hinter mir. „Was zur Hölle tun Sie hier?“
Ich drehte mich langsam um und funkelte Doktor McKay hasserfüllt an. „Das wollen Sie nicht herausfinden, glauben Sie mir.“ In diesem Moment erkannte ich meine Stimme kaum wieder. Sie hatte dieses leise Echo, das die Wraithstimmen normalerweise begleitete und das ich nicht mehr kannte.
Er zuckte erschrocken zurück. „Wo … Wo ist Carson?“
Ich lächelte leicht und machte einen Schritt in seine Richtung. „Sind Sie sicher, dass Sie das wissen möchten, Doktor?“
Er wich nach hinten aus, die Augen weit aufgerissen, der ganze Körper starr. „Was haben Sie getan.“ Es war mehr eine Aussage denn eine Frage.
„Halten Sie mich auf“, erwiderte ich provokant.
Natürlich spürte ich die Anwesenheit der anderen Personen. Colonel Sheppard war nur zehn Meter von uns entfernt, was mich nicht wirklich überraschte, denn er befand sich immer in McKays Nähe. Eine Etage über uns war Ronon bereits losgerannt, der McKays Schrei ebenfalls gehört hatte.
„Ich werde zu dir kommen, wenn du erwacht bist“, flüsterte die Stimme in meinem Kopf.
In der nächsten Sekunde durchzuckte mich ein heftiges Stechen und dann wurde wieder einmal alles schwarz.
Ich war meinem Ziel so nah. Ich wusste es.
It's like therapy for my broken soul
Inside my body crumbles
Als ich wieder zu mir kam, war das Erste, was mir auffiel, die Tatsache, dass meine Hände und Füße gefesselt waren. Welche Überraschung.
Ich befand mich auf einer Liege, ähnlich der im Labor, auf der ich erwacht war, in einem weißen Raum mit hohen Wänden. Mir stieg sofort der Geruch in die Nase, nach Wald und Regen und nach Freiheit. Ich war nicht mehr in Atlantis, genau wie er es prophezeit hatte.
Erst jetzt spürte ich die Anwesenheit einer anderen Person, ich musste nicht einmal den Kopf drehen, um sie zu erkennen. Carson Beckett. Merkwürdig, dass er sich trotz allem noch in meine Nähe traute. Allerdings konnte ich ihm in meinem momentanen Zustand auch keine große Gefahr werden. Noch.
Ich konnte die blauen Stellen an seinem Hals sehen. Meine Handabdrücke, die sich langsam immer mehr vertieften. Ich war auf eine verdrehte Weise stolz, dass ich es war, der sie ihm zugefügt hatte, auch wenn das nicht ganz der Wahrheit entsprach.
„Ist das hier wirklich nötig?“
Er erstarrte für die Dauer eines Herzschlags auf der Stelle, dann drehte er sich langsam zu mir um. In seinen Augen stand Angst und das gab mir ein unbeschreiblich gutes, machtvolles Gefühl.
„W-Was meinen Sie?“, stotterte er unsicher.
Ich seufzte und ruckte einmal mit meinen Fesseln. „Ich habe dazu gelernt. Jeder Fluchtversuch ist absolut zwecklos. Also können Sie mir die hier auch losmachen.“
Er zog beide Augenbrauen hoch und wandte sich dann wieder seiner Arbeit zu. „Ich denke nicht.“ Trotz seiner gespielten Ruhe hörte ich seine Stimme zittern.
Na schön. Es war einen Versuch wert gewesen.
Ich schloss meine Augen und versuchte, es mir möglichst bequem zu machen – ein schier unmögliches Unterfangen. Die Liege war hart, die Fesseln unnachgiebig. Was hatte ich erwartet?
Als ich es endlich doch geschafft hatte, eine Position zu finden, in der ich nicht jeden einzelnen Knochen und Muskel in meinem Körper spürte, ließ ich meine Gedanken schweifen. Ich konnte meinen Gefährten nicht aufspüren, noch nicht. Es war zu früh, mein Bewusstsein war noch ein wenig angeschlagen, und so blieb mir nichts anderes übrig, als darauf zu warten, dass er zu mir kam.
Ich überbrückte die Zeit, indem ich versuchte, mich an Gegebenheiten zu erinnern, die in meinem früheren Leben geschehen waren. Vieles blieb im Dunkeln, doch manche Dinge waren bereits zurückgekehrt.
Das Gefühl, wenn man sich in einem Hive befand, hunderte andere Bewusstseine in unmittelbarer Nähe. Man war nicht allein und das war beruhigend. Man war sicher.
Die Macht, die von einer Königin ausging. Dieses Gefühl, Ihr völlig ausgeliefert zu sein, und der unbeschreibliche Stolz, von dem man erfüllt wurde, wenn man es schaffte, Sie umzustimmen und dazu zu bringen, das zu tun, was man von Ihr wollte.
Und so viele Erinnerungen an meinen Gefährten. Die Umstände unseres Zusammentreffens. Der Tag, an dem meine Königin von mir verlangte, den Kokon der Nachfolgerin seiner Königin zu zerstören. Seine Wut, beinahe Hass, und die darauffolgenden Jahrzehnte des Schweigens zwischen uns, als er es herausfand. Und der Tag, an dem er in meinem Hive aufgetaucht war. An dem er mir endlich verziehen hatte.
Verrückt. Wenn mir all diese Dinge wieder einfielen, sein Verhalten, seine Sanftheit, dann wunderte ich mich immer mehr, wieso die Atlanter uns hassten, obwohl sie von sich selbst behaupteten, so viel über die Wraith zu wissen. Sie konnten uns nicht kennen, nicht so, wie wir wirklich waren.
Plötzlich spürte ich eine kühle Berührung an meinem Arm. Ich zuckte unwillkürlich zusammen und riss die Augen auf, ein leises Fauchen entkam meiner Kehle.
Carson Beckett machte vor Schreck einen Satz nach hinten, verlor das Gleichgewicht und fiel fast hin. Erst in letzter Sekunde konnte er sich abfangen, doch er ließ die Spritze los und warf sie durch den Raum. Sie zerbarst mit einem lauten Klirren an einem Tisch.
Ich konnte mir ein kleines Lächeln nicht verkneifen. „Wenn Sie solche Angst vor mir haben, Doktor, dann ist es vielleicht nicht gerade klug, sich in meiner Nähe aufzuhalten, meinen Sie nicht auch?“
Er räusperte sich und bückte sich schnell nach einem kleinen Besen, um die Überreste der Spritze zusammenzukehren. „Ich … Ich habe mich nur erschreckt.“
„Wenn Sie das sagen.“
In diesem Moment spürte ich wieder das fremde Bewusstsein, das sich in meines schob, und sofort entspannte ich mich. Endlich.
„Du hast doch nicht wirklich geglaubt, dass ich dich alleine lasse, nicht wahr?“ Er klang unbestreitbar amüsiert, als er das sagte. Einige Sekunden herrschte Schweigen, während ich spürte, wie er meine Gedanken durchsuchte, dann fragte er leise: „Darf ich?“
Ich wusste sofort, was er meinte, und so flüsterte ich: „Natürlich.“ Und da war es wieder, dieses Gefühl, ich würde komplett die Kontrolle über mich verlieren. Er hatte meinen Körper übernommen. Aber noch verhielt er sich ruhig.
Zwei Minuten später stand Doktor Becket mit einer neuen Spritze an meiner Seite und desinfizierte meinen Arm. Ich spürte, dass mein Gefährte gegen den Drang ankämpfte, sie ihm aus der Hand zu schlagen, doch er hielt sich ganz still.
Becketts Hand zitterte ein wenig, ein sicheres Zeichen für seine innere Anspannung. Das sollte mich beunruhigen, immerhin befand er sich gerade mit einem spitzen Gegenstand nahe an einem wichtigen Blutgefäß, aber ich wusste, dass es mir nicht viel ausmachen würde. Es würde nur Minuten dauern, bis eine eventuelle Wunde verheilt wäre.
Aber es sorgte dafür, dass er zögerte, was vielleicht meine Rettung war, denn das gab meinem Gefährten die Zeit, die er brauchte, um sich auf meinen Körper einzustellen. Ich wusste, was er jetzt tun wollte, noch bevor ich bewusst darüber nachgedacht hatte. Im ersten Moment machte es mich fast wütend, dass er nicht zuließ, dass ich es tat, doch im nächsten war ich ihm dankbar. Ich war mir nicht sicher, ob ich es tatsächlich geschafft hätte.
„Doktor Beckett?“ Es war ungewohnt, meine Stimme mit diesem sanften Unterton zu hören, der in seinen Worten immer mitzuschweben schien.
Der Doktor zuckte ein zweites Mal heftig zusammen und riss den Blick von meinem Arm los. „Was?“ Er sah ehrlich verwirrt aus.
Mein Gefährte lächelte leicht. In seinem Kopf breitete sich eine wohlige Ruhe aus, die sich auch auf mich und besonders auf Beckett übertrug. In diesem Moment fühlte ich mich so mit meinem Gefährten verbunden. Ich war ihm näher als jemals zuvor.
Doktor Beckett hingegen saß erstarrt auf der Stelle, reagierte nicht einmal darauf, dass wir uns soweit aufrichteten, wie die Fesseln es zuließen.
„Wollen Sie das wirklich tun, Doktor?“, fragten wir leise.
Er zögerte, die Augen weit aufgerissen und gefangen in unserem Blick. „Ich … Ich weiß nicht, was Sie ...“
Wir seufzten leise. „Ich bitte Sie, Doktor. Sie wollen mich nicht verletzen. Sie wollen nicht, dass ich leide, nicht wahr? Das verstößt gegen Ihre Moralvorstellungen, habe ich recht?“
Er blinzelte irritiert, durch seinen Körper ging ein kurzer Ruck, als würde er sich losreißen wollen, doch dann blieb er ruhig sitzen. „Ich habe … leider keine … keine andere … Wahl.“ Er klang als hätte er bewusstseinserweiternde Substanzen zu sich genommen, was vielleicht gar nicht mal so abwegig war, wenn man bedachte, in welchem mentalen Zustand er sich gerade befand.
„Doktor Beckett, möchten Sie, dass das endet?“
„Ob ich … Was? Ich verstehe nicht ...“ Er schüttelte leicht den Kopf, fast als wollte er seine innere Ruhe abschütteln, aber natürlich konnte er es nicht. Sein Blick blieb mit unserem verschränkt.
„Doktor Beckett, lösen Sie meine Fesseln.“
Die Antwort ließ länger auf sich warten als ich erwartet hätte. „Ich kann … nicht … Es tut mir sehr … sehr leid.“ Und momentan war das die Wahrheit. Es tat ihm tatsächlich leid.
Wir seufzten erneut. „Doktor Beckett, ich weiß, ich kann auf sie zählen. Sie würden mich nicht enttäuschen, richtig? Sie wollen niemanden enttäuschen, nicht wahr? Das würden Sie niemals tun. Also bitte ich Sie, lösen Sie meine Fesseln.“
Seine Hände zuckten, doch seine Augen wichen nicht von unseren. Und dann hob er langsam die Hand und fummelte einige Sekunden lang am Verschluss meiner linken Fessel.
„Die Beine“, wisperten wir und dieses Mal gehorchte er ohne zu zögern. „Und die rechte Hand“, fuhren wir fort. Wieder gehorchte er widerstandslos und stand dann still neben der Liege, während wir aufstanden.
Das war der Augenblick, in dem mein Gefährte mir die Kontrolle über meinen Körper zurückgab.
Ich atmete leise aus, dann lächelte ich Doktor Beckett an. „Ich danke Ihnen.“
Er blinzelte wieder verwirrt und ließ sich kraftlos blindlings auf einen Stuhl fallen. „Was ist … Was habe ich getan?“ Er lallte fast und schien dabei immer noch nicht richtig anwesend zu sein.
„Sie haben das Richtige getan.“ Damit drehte ich mich um und huschte leise aus dem Zelt.
Ich brauchte nur wenige Minuten, bis ich das Gelände verlassen hatte.
Es war mir völlig unverständlich, wie sie nur so wenige Wachen hier postieren konnten, wo sie doch wussten, wozu ich fähig sein konnte. Einem Wraith würde ein solcher Fehler niemals unterlaufen!
Ich war etwa zwei Kilometer von der Basis entfernt, als ich das erste Mal stehenblieb und erleichtert tief durchatmete. Freiheit.
Himmel und Wind und Wolken und sogar ein winziges bisschen Sonne. Kaum zu glauben, dass ich das alles so vermisst hatte.
„Bist du noch bei mir?“
„Natürlich“, kam die sofortige Antwort. Gleichzeitig spürte ich seine innere Erregung aufwallen. Ich war wieder frei und das brachte seinen Wunsch zum Überkochen, sich ebenfalls zu befreien. Den Himmel zu sehen. Den Wind zu spüren. Ich hätte nicht geglaubt, dass er als … nun ja, richtiger Wraith tatsächlich so denken konnte, doch er tat es.
„Wo ist das Sternentor?“, fragte ich schnell, um mich von dem Gedanken abzulenken. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass er ihn sonderlich erfreulich gefunden hätte.
„Schließe deine Augen und konzentriere dich. Du kannst es spüren, wenn du sehr aufmerksam lauschst.“
„Auf was?“, wollte ich fragen, doch ich kam gar nicht mehr dazu, denn ich spürte es tatsächlich. Ein leises Kribbeln in meiner Wirbelsäule, das mich in die richtige Richtung zu lenken schien. Als würde das Sternentor mich rufen.
Keine zehn Minuten später hatte ich es erreicht und sofort übermittelte mir mein Gefährte die Adresse, an der sich unser Hive momentan aufhielt. Wir waren gerade erst aus dem Winterschlaf erwacht und ich konnte nur hoffen, dass wir uns immer noch dort befanden.
Und das taten wir. Ich fühlte es, sobald ich auf der anderen Seite aus dem Ereignishorizont trat.
Es tat so gut, die Anwesenheit der anderen spüren zu können. Ich war nicht mehr allein und ich würde es auch niemals wieder sein.
Doch bevor ich nur einen Schritt tun konnte, hatte ich plötzlich wieder das Gefühl, aus meinem Körper gezogen zu werden, und in der nächsten Sekunde stand ich in dem unendlich schwarzen Raum.
Er stand direkt vor mir, uns trennten vielleicht zwanzig Zentimeter, und allein sein Anblick reichte aus, um eine ganze Flut an Erinnerungen durch mein Bewusstsein zu schicken.
Alle Erinnerungen, die ihn betrafen, kamen schneller als die anderen. Ich hatte das Gefühl, bereits alles über ihn zu wissen, auch wenn nach wie vor gewisse Details und Szenen fehlten. Kleinigkeiten.
Seine Hand legte sich auf meine Schulter. Ich schloss die Augen und genoss das Gefühl, wieder hier zu sein. Und dennoch …
„Ich verstehe immer noch nicht, warum du mir geholfen hast. Du warst nicht immer so hilfsbereit deiner Rasse gegenüber.“ Aber das waren wir alle nicht.
Seine Hand verkrampfte sich kurz. „Wenn man einige Jahre in Gefangenschaft und vollkommener Isolation verbringt, gerade so am Leben gehalten wird, verschieben sich die Prioritäten. Dann beginnt man, über gewisse Dinge nachzudenken.“
Ich öffnete wieder meine Augen und sah ihn an. Sein Blick war unergründlich, aber das lag nicht an meinen Veränderungen. Auch früher hatte ich selten sagen können, was er wirklich dachte, wenn er es darauf angelegt hatte.
„Und zu welchem Schluss bist du gekommen?“, fragte ich leise.
Ganz langsam breitete sich ein Lächeln auf seinen Lippen aus. Er neigte den Kopf und beugte sich nach vorne, bis sein Mund nur noch wenige Millimeter von meinem Hals entfernt war.
Vorfreude schoss durch jede Faser meines Körpers, denn ich wusste genau, was jetzt folgen würde. Es war nicht das gleiche, wenn er es nur in unserer kleinen Gedankenwelt tat, aber es war besser als gar nichts. Und ich hatte es so sehr vermisst.
„Ich kam zu dem Schluss, dass es manche Dinge wert sind, unsere Regeln zu brechen“, flüsterte er.
TBC
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Und, was haltet ihr von diesem Anfang? *Engelsblick*
Etwaige Fragen werden hoffentlich in den nächsten Teilen beantwortet, besonders diesen letzten Abschnitt betreffend. Nur so viel: Das sind keine Vampire o.O