@Colonel Maybourne: Die Aschen stehen genau wie viele andere Völker auch unter der Bedrohung durch Antiker, die ihre alten Welten wieder beanspruchen. Aber anders als andere können sie den Eindringlingen nützlich sein, so dass sie vor die Wahl gestellt wurden: Für sie arbeiten oder gegen sie kämpfen. Und da sie ein gnadenlos rational und wirtschaftlich denkendes Volk sind, haben sie sich als Söldner einspannen lassen. Ihnen liegt nichts an den Antikern. Sie zahlen nur gut.
@Heiko_M: Ich hatte mir felsenfest vorgenommen dieses Kapitel auf halber Länge in zwei Teile zu schneiden und die einzeln zu Posten. Habe ich auch gemacht. Nur habe ich den Schnitt inhaltlich festgelegt und nicht aufgrund der Textmenge. So ist dummerweise schon der erste Teil für sich siebzehn Seiten lang geworden. Ich hoffe auf Nachsicht.
@Azrael und Dante21: Danke für das betätigen des Buttons.
So, und hier das nächste (Halb-)Kapitel. Das ganze knüpft an die Handlung von 1.20 "Ein Teil jener Kraft, die gutes will, doch böses schafft" an. Handlungsort ist der Planet Langara und ich hoffe einige Überraschungen eingebaut und das ganze vor allem unterhaltsam gemacht zu haben. Gesamtlänge 18 Seiten (eigentlich: 17 und drei Zeilen). Viel Spaß beim Lesen.
Episode 9: Kämpfer für die Vergessenen
Erste Strahlen der Morgensonne fielen durch das mit den Jahren milchig angelaufene Glas des Fensters und ließen Vin Thartus blinzeln. Als er die Augen aufschlug fiel sein Blick auf die Männer, die für die Nacht den Raum mit ihm geteilt hatten. Es hatte nur zwei Betten gegeben, so dass einige hatten in Decken eingewickelt auf dem Fußboden schlafen müssen. Er sah im Augenwinkel, dass Noor, eine der beiden Frauen unter ihnen und zwei Männer sich dicht aneinandergeschmiegt und ihre Decken eng umeinander geschlungen hatten und musste schmunzeln. Sie war mit kaum fünfundzwanzig Jahren die jüngste der Gruppe und kannte seit frühester Kindheit nur eine Welt, die in einem Krieg gefangen war, dessen Gesicht sich zwar gewandelt hatte, der jedoch derselbe geblieben war. Ihr Leben war hart gewesen und hatte sie unbarmherzig und distanziert gemacht. Nie hatte sie jemanden emotional an sich heran gelassen und schien nur bei ihnen geblieben zu sein, weil sie sonst keinen Ort hatte an den sie gehen konnte. Doch Kälte konnte Menschen einander manchmal auf wundersame Weise näher bringen. Und sei es auch nur für die Wärme.
Sachte bewegte er sich und glaubte die Nacht habe alle Wärme aus seinen Gliedmaßen vertrieben. Seine Finger, die immer noch auf dem Lauf seines Gewehrs lagen, waren kalt und schmerzten und seine Bewegungen waren steif und ungelenk. Er stieß einen leisen, missmutigen Laut aus, schlug die Decke beseite und setzte sich auf der Bettkante auf. Die Müdigkeit wich binnen weniger Augenblicke. „Guten Morgen, Commander“, durchbrach eine Stimme die Ruhe. Er sah auf. Einer der Männer saß gegen die Wand gelehnt neben der Tür, das Präzisionsgewehr gegen die Schulter gelehnt. Er hatte die letzte Wache gehalten. Vin nickte ihm zu und stand auf. Langsam und mit viel Kraft bewegte er sich ein wenig auf der Stelle, ließ alle großen Muskeln einmal spielen. Die Schultern schmerzten ein wenig. Zehn Jahre Krieg und zehn Jahre auf der Flucht begannen ihren Tribut zu fordern. Er trat ans Fenster, öffnete es und streckte den Kopf hinaus in den frischen Wind. Obwohl der Frühlingsanfang schon fast zwei Monate zurück lag, fielen die Temperaturen hier, hoch im Norden, nachts immer noch unter den Gefrierpunkt. Sein Blick schweifte über die vom Frühnebel verschleierten Ebenen. Das Land besaß eine unglaubliche Weite. Von einem breiten Fluss durchzogene mächtige und dunkle Wälder, die noch weiter gen Norden im Flachland der Tundra ausliefen, erstreckten sich bis zum Horizont. Es war ihm unverständlich, wie jemand an diesem Ort leben konnte. Die Bewohner dieses kalten, unwirtlichen Landes waren ihm suspekt. Möglich, dass sie einmal die selben Farben getragen hatten, aber nur wenige aus der Gruppe waren wirklich bereit ihnen vertrauen.
Er wandte sich vom Fenster ab und stieg über die am Boden liegenden Männer hinweg – einige wurden von der kalten Frischluft geweckt – zum wackeligen Tisch, der in einer Ecke des Raumes stand. Das Wasser in der Waschschüssel darauf war von einer dünnen Eisschicht bedeckt. Er zerschlug das Eis, tränkte einen Waschlappen im kalten Wasser und warf einen Blick in den Spiegel. Sein Gesicht war vom Schmutz der letzten Tage verklebt, in denen sie keine Bleibe gefunden und unter freiem Himmel hatten biwakieren müssen. Er rieb sich mit dem Lappen ab und rückte seinen alten Mantel zurecht. Das einmal dunkle Grau des Stoffs war verwaschen, hatte viele verschiedene Schattierungen angenommen. Einige Flecken ließen sich nicht mehr herauswaschen, die Knöpfe fehlten sämtlich und die Lederstücke, die er an den Ellenbogen aufgenäht hatte, waren durchgewetzt. Seit er ihn bekommen hatte, hatte er ihn keinen lang Tag mehr abgelegt, hatte Nachts darin geschlafen und würde darin sterben. Und wenn er darin vor die Wächter des Jenseits treten würde, würde er ihnen sagen: Schickt mich zurück, ich bin noch nicht fertig. Die meisten hatten das Grau fortgeworfen, verbrannt oder ihre Mäntel neu gefärbt. Wer es noch trug, tat es aus Überzeugung und war stolz darauf. Selbst auf den Straßen der Hauptstadt Kelownas würde er ihn nicht ablegen. Sollten sie alle wissen was er war, wofür er gekämpft hatte. Es würde ihnen vor Augen führen wie leer ihr Sieg war, denn sie hatten ihn nicht gebrochen.
Er scheuchte die anderen hoch und nahm die Treppe nach unten. Im Parterre ging er in einen großen Raum, in dem eine junge Frau dabei war an einer großen Tafel Essen aufzutragen. Es war ein großer, fensterloser Gemeinschaftsraum, der nur vom Herdfeuer und einigen flackernden Lampen ausgeleuchtet wurde. Einige Männer saßen schon beim Essen und er entdeckte auch ihren Anführer. Deros Kota saß in einer Nische des Raumes auf einem Teppich bei einer greisen Frau, deren runzeliges, verschrumpeltes Gesicht und krummer Rücken erahnen ließen wie alt sie sein musste, sowie drei Männern, die zu ihren Seiten saßen. Die Frau trug ebenso wie einer der Männer eine in farbenprächtigen Mustern gewobene einheimische Tracht und unterhielt sich mit zittriger Stimme mit dem Offizier. Zu sprechen schien ihr schwer zu fallen. Vin setzte sich an den Tisch und langte nach einem der Emaillenäpfe, in denen das Frühstück serviert wurde. Wie alles in diesem Haus waren sie hundertfach aufpoliert, repariert oder wiederverwertet worden. Die Emaillierung war zerkratzt und an einigen Stellen abgeplatzt. Der hohe Norden war schon immer das Armenhaus der Föderation gewesen. Das erste Mal, dass sein Weg ihn hierher geführt hatte, war er Soldat einer sich zurückziehenden Armee gewesen und hatte Land und Leuten keine wirkliche Beachtung geschenkt. Erst jetzt, in den letzten Tagen, war ihm klar geworden um wie vieles besser es den Leuten in der Hauptstadt und den großen Ballungsräumen im Süden doch trotz der viel beschworenen harten Zeiten seit Kriegsende ging.
Ohne einen Gedanken an Besteck zu verschwenden – es lag sowieso keines auf dem Tisch – langte er in den Napf und schob sich etwas vom Frühstück zwischen die Zähne. Beinahe hätte er es wieder ausgespuckt. Er sah aus dem Augenwinkel zu dem Soldaten neben sich und fragte: „Ist das roher Fisch?“ Der Mann vernarbte Veteran nickte. „Roh und gesalzen. Sie sollten trotzdem versuchen etwas zu essen. Es gibt nichts anderes.“ Leicht angewidert betrachtete er die rohen Stücke klein geschnittenen Fischs und schob den Napf wieder eine Armeslänge von sich weg. Land, Leute und Essen ähnelten sich auf erschreckende Weise. Dunkel erinnerte er sich an einen Freund aus ferner Vergangenheit, irgendwann vor dem Krieg, dessen Gesicht er sich nur noch verschwommen ins Gedächtnis zu rufen vermochte, der oft von der guten Nordlandküche geschwärmt hatte und fühlte sich rückwirkend betrogen. Dann seufzte er, kratzte sich einen kleinen Fischrest aus dem Gebiss und versuchte statt zu essen dem Gespräch zwischen ihrem Anführer und ihren Gastgebern zu lauschen. Verwundert stellte er fest, dass Kota sich im selben kehligen Dialekt artikulierte, wie seine Gegenüber. Leise murmelte er: „Ich wusste gar nicht, dass der Colonel dieses primitive Kauderwelsch spricht.“ „Genauso dumm, blind und chauvinistisch wie du aussiehst“, erscholl Noors Stimme hinter ihm. Die junge Schützin drängelte sich an ihm vorbei, setzte sich an den Tisch und schnappte sich den Napf, den er so schnöde verschmäht hatte. „Ich glaube ich habe nicht richtig gehört, Specialist.“ „Verzeihung. Ich meinte natürlich: Genauso dumm, blind und chauvinistisch, Sir.“
Vin verzog das Gesicht. „Was waren das doch noch für goldene Zeiten, als Lagerhaft und Strafdienst die geringsten Strafen für Insubordination waren.“ „Wir haben verloren, oder?“, fragte sie mit vollem Mund. „Die Ausführung des Befehls 'Haltet diese Linie' hat sich etwas schwerer gestaltet als erwartet.“ Er grummelte eine Erwiderung in seinen Dreitagebart und dachte über ihre Worte nach. „Ich und blind...“ Er schüttelte den Kopf. „Das ist Schwachsinn. Kota ist ein ebenso ehrbarer andarischer Name, wie Thartus oder Silas.“ „Nur ist es nicht sein Name, Genie. Nicht wirklich. Er wurde in Cuvesh geboren und ist ein Qazan.“ Innerlich sträubte Vin sich reflexartig gegen diese Vorstellung. Auch wenn sie seit Jahrhunderten zunächst Teil des andarischen Königtums und später der Föderation waren, sahen viele Andarier in den Qazan nicht mehr als primitive Hinterwäldler, Wilde irgendwo am Rand der Welt, vielleicht sogar noch einen Schritt weiter. Die Idee dass ein Mann wie Kota von hier stammen könnte, erschien ihm lächerlich. Fünfzehn Jahre die sie einander kannten hatte er zwar nie ein Wort über seine Herkunft verloren, aber immer so zivilisiert gewirkt, dass er in ihm nie etwas anderes gesehen hatte, als einen Andari. Doch die Freundlichkeit, die diese Leute ihm gegenüber an den Tag legten und die Art, wie er sich als alles gesagt war vorbeugte, damit die Alte ihm wie bei einer Segensgeste die Hand auflegen und die Stirn küssen konnte, sprachen eine andere Sprache.
Keine halbe Stunde später verließen sie den einsam auf einer Anhöhe gelegenen Hof und fuhren in einer Kolonne von 4 Fahrzeugen über Forstwege durch die Wälder weiter in Richtung Norden. Vin saß am Steuer des ersten Wagens neben Kota und warf ihm immer wieder verstohlene Blicke zu. Es fiel ihm immer noch schwer in ihm einen Nordmann zu sehen, auch wenn Noors Behauptung ihn nun über die hellen Flecken im Gesicht des Obristen nachdenken ließ, die er immer für einfache Pigmentstörungen gehalten hatte. In der Vorkriegszeig und den ersten Jahren des Konflikts war es noch üblich gewesen Rekruten aus dem Norden ihre Tätowierungen – ein in den andarianischen Kernlanden traditionell mit Kriminellen und Huren in Verbindung gebrachter Körperschmuck, zumal bei den Nordleuten oft Symbole verbotener Glaubensgemeinschaften – mit Säure aus der Haut zu ätzen. Kota hingegen schien ihn nicht wahrzunehmen. Er starrte nur schweigend und mit jenem ausdruckslosen Gesicht, das er immer zur Schau stellte wenn er seine Gefühle verheimlichen wollte, aus dem Fenster. Die Ausläufer der Wälder zogen an ihnen vorbei. Sie erreichten die Tundra, die Straßen wurden zusehends schlechter und es verlangte viel Geschick auf der mit Schlaglöchern übersäten Piste eine halbwegs annehmbare Geschwindigkeit beizubehalten. Als nach mehrstündiger Fahrt ein salziger Nordwind die nahe Küste verriet, löste Kota sich schließlich aus seiner Starre, griff nach seinem Funkgerät und sagte: „Wir sind da.“
Vin steuerte den Wagen an den Straßenrand und stieg aus. Um sie herum taten sich gen Ost und West die schier endlos erscheinenden Weiten der Tundra aus, eine nur sacht hügelige Ebene, bedeckt mit kurzen Gräsern und Kräutern, immer wieder durchsetzt von Seen und kleinen Flussläufen. Doch da war mehr. Während die anderen aus den Fahrzeugen ausstiegen, nahm er sich seine Waffe, kletterte er auf einen etwas höheren Hügel hinauf und sah in die Ferne über ein gezeichnetes Land. Er stellte einen Fuß auf einen Stein, stützte sich auf sein Knie und legte die Waffe über die Schulter. Er stand da wie der erste Späher einer Armee, die gekommen war um ein weiteres Mal um dieses Land zu kämpfen, den Blick auf den Horizont gerichtet, wo sich die Fluten des Nordmeeres als silberner Streifen abzeichnete und Cuvesh auf einem Hügel lag. Cuvesh, jene alte Siedlung, die seit Anbeginn der Geschichtsschreibung auf einer felsigen Hügelkette thronte, in der heiße Quellen aus der Tiefe Langaras an die Oberfläche drängten und es den Menschen erlaubten den eisigen Wintern der Tundra zu trotzen. Vor der Ankunft der Andari war es nur eine Ansammlung einfacher Holzhäuser um einen heidnischen Götzentempel herum gewesen. Mit dem Einzug der Zivilisation war es zu einem bedeutenden Kaltwasserhafen geworden, aus dem die Reichtümer des Nordens, das Holz der Wälder, Pelze, Fischtran oder das Elfenbein der Säbelzahnrobben, gen Süden verschifft worden waren. Mittlerweile wurde im Hafen allerdings etwas ungleich wertvolleres verladen.
Der Anblick weckte düstere Erinnerungen. Vierzehn Jahre war es her, dass sich die vierte Föderationsarmee mit den Überresten der fünften und siebten vor dem anrückenden Feind nach Cuvesh zurückgezogen hatte. Ihre Anführer hatten darauf gehofft die Stadt so lange halten zu können, dass die Strenge der Nordlandwinter die Kelownaner zermürben konnte. Ein Plan, der auf fatale Weise gescheitert war. Die Spuren der gewaltigen Schlacht waren immer noch zu sehen. Explosionskrater, die Spuren von Panzerketten und damals ausgehobene Schanzsysteme verunstalteten das Land noch immer wie Pockennarben. An vielen Stellen hatte sich noch nicht einmal eine neue Pflanzendecke bilden können. Aber eine ungleich größere Wunde wurde dem Land erst vor kurzem geschlagen: Einige Kilometer entfernt fraß sich ein gigantischer Ölsand-Tagebau durch die Erde. Keine zwei Meter unter der Bodenkrume gefror das Erdreich zu hartem Permafrostboden, so dass immer wieder weiträumige Sprengungen durchgeführt wurden, um an das wertvolle Material zu gelangen.
Vin betrachtete den Tagebau für einen Moment, dann sah er wieder in Richtung der Küste und steckte sich eine Zigarette an. Wenn zehn Jahre schon Panzerspuren nicht zu heilen vermochten, was bedeutete der Tagebau dann erst für die Tundra? Die Zerstörung von Land, die Vertreibung weiter Teile der heimischen Fauna – die in Bodenhölen lebenden Marder, deren Felle einmal der Grund für die Eroberung dieses Landes durch die andarianischen Könige gewesen waren, wurden hier wahrscheinlich gerade in freier Wildbahn ausgerottet – durch die Sprengungen und die dauerhafte Vergiftung des Bodens. Bei allem Mangel an Sympathie für die Einheimischen: So etwas hatte niemand verdient. Er rauchte die Zigarette zu Ende und schnippte den Stummel ins Gras. Plötzlich hörte er Kotas Stimme hinter sich. „Zu deinen Füßen ruhen die Gebeine von Königen. Zeig also ein wenig Respekt.“ Der Colonel war so lautlos hinter ihn getreten, dass er erschrocken herumfuhr und beinahe zu seiner Waffe gegriffen hätte. Er widerstand dem Drang ihn anzuschreien, während er den Stummel wieder aufsammelte. Dabei fiel ihm auf, dass der Hügel auf dem sie standen tatsächlich kreisrund war, als sei er von Menschenhand aufgeschüttet worden. Auch Kota sah über die Ebene. Seine Augen blieben am Rand der Gruben haften, wo die schweren Maschinen beim Abtrag des Bodens gerade einen ähnlichen Hügel niederwalzten. Mit zittriger Stimme murmelte er dabei: „Das sind die Gräber meiner Vorfahren.“ Ehrlich betroffen antwortete Vin: „Es tut mir leid, Colonel.“ Sein Mitleid schien jedoch nicht hörbar gewesen zu sein, denn Kota wandte seinen Blick zu ihm und sah ihn vorwurfsvoll an.
„Erspare uns das, Vin. Ihr habt uns nie verstanden. Ihr habt es nicht mal versucht.“ Als wolle er ihn als Beweisstück präsentieren hielt er die achtlos weggeworfene Zigarette in die Höhe. „Dort wo jetzt die Bagger stehen stand noch als wir im Krieg hier waren eine heilige Stätte, die wir aufgebaut hatten, weil ihr uns verboten habt unsere Rituale in den Städten und Dörfern durchzuführen. Diese Hügel bedeckten das Land einmal viele Meilen weit. Mein Großvater konnte jeden beim Namen nennen. Noch als ich ein Junge war quoll dieses Land“ - er breitete die Arme zu einer Geste aus, die die gesamte Tundra um sie herum einschloss - „im Sommer vor Leben über, wenn die großen Herden wieder aus den Wäldern zurückkehrten, Raubtiere ihren Winterschlaf beendeten und Zugvögel in Schwärmen kamen, die die Sonne verdunkeln konnten. Die scharfe Linie des Horizonts, das Land, die Tiere von denen wir gelebt haben, das ist es, was mein Volk überhaupt erst ausmacht. All unsere Traditionen fußen darauf.“ Er deutete nach Süden. „Die Familie, die uns letzte Nacht aufgenommen hat... Sie sind Gilyas, Flussleute. Ihr Volk lebt so lange am Ainu-Fluss, wie meins in der Tundra. Der Fisch, den du so schnöde von dir geschoben hast, ist ein derart wichtiger Bestandteil ihrer Nahrung, dass die alte Frau mit der ich gesprochen habe nach achtzig Lebensjahren nichts anderes mehr essen kann, ohne davon krank zu werden. Und genau das habt ihr nie in eure verdammten Schädel reinbekommen. Andarier haben uns unsere Bräuche, unsere Sprache und unseren Glauben verbieten wollen und dabei mit gönnerhaftem Lächeln behauptet uns das Licht der Zivilisation zu bringen.“ Er sah noch einmal in Richtung des Abbaugebiets, dann wandte er sich zu gehen. „He, Colonel“, fragte Vin ihn noch, „wie ist den Name?“ „Du kennst ihn.“ „Nein. Ich meine deinen wirklichen Namen.“ Er blieb stehen und sah sich noch einmal um, zögerte. Nach einem Augenblick antwortete er: „Dinier. Dinier Altay.“ Vin nickte. „Dinier, warum immer auch wir hier her gekommen sind, ich stehe weiter hinter dir.“
Sie stiegen wieder vom Hügel herab, wo der Rest der Gruppe sich mittlerweile eingefunden hatte und wartete. Vierzehn Männer und Frauen, einige in den gleichen grauen Mänteln wie Vin, andere in Zivil, doch alle bewaffnet. „Colonel“, meinte Noor, „vielleicht wäre es an der Zeit uns zu sagen warum wir hier sind. Es ist doch ein ganz schönes Stück von Kelowna hier her. Kota, nein, Dinier Altay nickte. „Ich nehme mal an ihr alle habt den Tagebau im Norden bemerkt.“ Allgemeines bestätigendes Murmeln oder Nicken. „Thanos Standard baut dort Ölsand ab, den sie in einer Raffinerie vor Cuvesh verarbeiten. 350000 Tonnen pro Woche.“ Einige der Männer warfen einander verschwörerische Blicke zu, andere begannen zu tuscheln. Thanos Standard war der größte Ölkonzern Kelownas und vor der gerichtlich erzwungenen Ausgliederung weiter Firmenteile einmal so mächtig gewesen, dass die Vorstände selbst der Regierung Gesetze hatten in die Feder diktieren können. „Nicht dass ich diese Typen leiden könnte“, warf einer der Soldaten ein, „aber seit wann bekämpfen wir Großkapitalismus oder hemmungslose Umweltzerstörung?“ „Das tun wir nicht“, erwiderte der Colonel. „Hier bietet sich uns endlich eine Chance an unsere Leute ran zu kommen, auch wenn sie auf der anderen Seite der Welt festgehalten werden. Thanos Standard unterhält einige lukrative Verträge mit den Geheimdiensten von Kelowna. Thanos agiert weltweit und ist so mächtig, dass kaum jemand es wagt sich mit ihnen anzulegen oder ihnen einmal genauer in die Karten zu schauen. Damit werden sie zur idealen Fassade für verdeckte Operationen und Bewegungen. Und wie es der Zufall will ist Tomis zu Ohren gekommen, dass Valis Hale aus dem Staatsdienst als Sicherheitsdirektor für die hiesige Operation zu Thanos gewechselt ist.“
Ein erwartungsfrohes Grinsen stahl sich auf einige Gesichter. Hale war einer der Hauptverantwortlichen hinter dem Verschwinden tausender Kriegsgefangener während und direkt nach dem Krieg gewesen und hatte die Arbeitslager in denen sie immer noch festgehalten wurden maßgeblich mit organisiert. „Wir schnappen ihn uns und bieten ihm die Freiheit im Austausch für Informationen über jedes einzelne Lager. Und dann machen wir diese Bastarde berühmt. Sie werden in einige Erklärungsnot kommen, wenn wir dem Weltrat und jeder größeren Medienagentur auf Langara ihre schmutzigen Geheimnisse verraten. Es ist die beste Chance die wir je hatten.“ Noor legte den Kopf schräg und runzelte die Stirn. „Hat Tomis uns nicht vor gerade mal zwei Monaten an die Tau'Ri verraten?“ (Anm. des Verfassers: Auf Langara sind die Mondphasen fast doppelt so lang wie auf der Erde) „Jep. Sicher, er ist er ist ein elender Feigling, aber normalerweise sind seine Infos zuverlässig und bei unserem letzten Treffen hat ihm niemand eine Kanone an den Kopf gehalten.“ „Vielleicht hätten sie es tun sollen.“ Er schüttelte den Kopf. „Tomis weiß, dass ich ihn finden und ihm seine eigenen Eingeweide verfüttern würde, sollte er nochmal versuchen uns zu linken.“
„Wie sieht die Strategie aus?“ „Die Raffinerie ist gewaltig. Sie hat einen eigenen Hafen, mehrere Exkraktions- und Destillationsanlagen und wird von zwei Kompanien der kelownaner Armee bewacht. Vin, Drakos, Mellic, wir verkleiden uns als Inspekteure um durch das Haupttor zu kommen und holen uns Hale. Sollte die Sache schief gehen, werden wir Rückendeckung und eine Exfiltrationsstrategie brauchen. Daran“, er sah zu einem der Scharfschützen des Teams, „wir schmuggeln dich mit rein. Du musst eine Überwachungskamera außer Gefecht setzen, damit Noor an die großen Öltanks ran kommt. Ein paar Pfund N9 (Anm. des Verfassers: Auf 9%, also brutal hoch, mit Naquadria angereichterter Sprengstoff) dürften ein gutes Argument sein, sollten wir uns den Weg freipressen müssen.“ Die Sprengexpertin nickte. „Wenn ich die Ladungen so platziere, dass sie ernsthaft Schaden anrichten könnten, verwandele ich den Tank damit in eine gigantische Aerosolbombe. Sollten wir tatsächlich sprengen, verdampfen wir alles im Umkreis von 3000 Meter und töten jede Seele auf 5000. Wir würden auch Teile von Cuvesh erwischen. Willst du das wirklich riskieren?“ „Nein. Weder will ich es, noch würde es Sinn machen. Cuvesh ist Thanos egal. Aber in der Raffinerie sind 2000 Kelownaner beschäftigt, die auf dem Gelände arbeiten und wohnen. Außerdem ist das ihre zweitgrößte Raffinerie. Das werden sie nicht riskieren.“ Noor nickte und salutierte. Altay lächelte zufrieden und begann vor der Gruppe auf und ab zu gehen. „Bleibt noch der Punkt das Gelände im Zweifelsfall wieder zu verlassen. Kilian, das ist deine Aufgabe...“
Gegen Abend fanden sie sich auf einer breiten, zweispurigen Schotterpiste außerhalb von Cuvesh wieder, die die Straße zwischen Stadt und Raffinerie mit dem Tagebau verband, wo ihr Wagen mit geöffneter Motorhaube am Fahrbahnrand stand. Vin hatte sich über den Motor gebeugt, kontrollierte einige Teile und überprüfte den Ölstand, während der Schütze Mellic und der Colonel einige Meter entfernt standen und rauchten. Sie sahen, zumindest auf den ersten Blick, wie gewöhnliche Einheimische aus, deren Wagen liegen geblieben war, wäre da nicht der vierte im Bunde gewesen, der im Wagen sitzen geblieben war und an einem versteckten Funkgerät die Frequenzen der Kelownaner abhörte. Seit fast einer Stunde lauschte er dem Funkverkehr zwischen einer Patrouille, die das Abbaugebiet und die umliegenden Pisten abfuhr, und der Basis. Etwa alle 45 Minuten setzte sie einen Funkspruch ab. Gerade erst war die Meldung durch den Äther gedrungen, dass sie ein weiteres Planquadrat ohne besondere Vorkommnisse überprüft hatten. Dann kam der Satz, auf den er gewartet hatte: „Basis, hier Guardian24: Wir haben hier ein liegen gebliebenes Zivilfahrzeug auf dem Zubringer. Wir überprüfen die Sache.“ „Verstanden, Guardian24. Machen sie Meldung, sobald die Straße wieder frei ist.“ Mit einer Geste signalisierte er dem Colonel und Millic, dass ihre Beute im Anmarsch war. Der Offizier nickte, entsicherte die Waffe die er über dem Steiß im Hosenbund trug. Das Patrouillenfahrzeug hielt gut hundert Meter entfernt. Drei Mann stiegen aus, während zwei weitere sitzen blieben. Während einer mit einer Maschinenpistole absicherte kamen die anderen näher. Ein Mann mit den Abzeichen eines Corporal trat vor und fragte: „Hallo. Sie blockieren einen wichtigen Verkehrsweg. Können wir ihnen helfen?“ Altay musterte den Kelownaner und meinte: „Hm... Ja, sozusagen.“
„Wo liegt ihr Problem? Haben sie eine Pa...“ Er wurde in seinem Redefluss unterbrochen, als der einige Meter hinter ihm stehende Soldat sich auf einmal an den Hals fasste, wie um ein Insekt zu erschlagen, das ihn gestochen hatte. Er zog sich einen Betäubungspfeil aus der Halsschlagader und sah ihn für eine Sekunde fassungslos an, um dann umzukippen wie ein nasser Sack. Erschrocken wollte der Corporal seinem Begleiter und wahrscheinlich auch den Männern im Fahrzeug etwas zurufen, doch im selben Moment zog Altay seine Waffe und jagte ihm einen Pfeil in den Leib. Seinem Begleiter erging es nicht besser. Er wurde von Vin und Millic praktisch gleichzeitig getroffen. Die Andarier hatten ihre Waffen mit Treibladungen von niedriger Energie geladen und Schalldämpfer aufgeschraubt, so dass nichts zu hören war. Nicht durch Schüsse alarmiert stiegen die beiden anderen Kelownaner ebenfalls aus, als sie sahen, wie ihre Leute umfielen. Kaum dass das Schussfeld auf sie frei war, erledigte sie der Scharfschütze, der schon den ersten ausgeschaltet hatte.
Als der letzte das Gleichgewicht verlor, gaben acht Personen, die im Gras zu beiden Seiten der Piste gelegen hatten, ihre Deckung auf. Sie alle hatten ihre Position mit Tarnnetzen und an der Kleidung befestigten Tundragräsern verborgen. Gemeinsam mit den vier Lockvögeln liefen sie sofort zum nun herrenlosen Fahrzeug. Einige schleppten die ausgeknockten Männer von der Straße, andere machten sich mit schnellen Handgriffen daran die Nummernschilder des Geländewagens auszutauschen und die Sitzbank im Fond des Wagens zu entfernen. Der Stauraum darunter war voll mit Notfallausrüstung, Reservemunition und zusätzlichen Benzinkanistern, die weichen mussten um Platz zu schaffen. Altay sah dem Treiben zu und knöpfte dabei seine Kleidung auf, unter der eine vor Jahren erbeutete kelownanische Offiziersuniform zum Vorschein kam. Er sah zu ihrem Scharfschützen und meinte: „Also los, Daran. Viel Glück.“ Der so angesprochene ließ nur einen an ein Brummen erinnernden Laut vernehmen und antwortete: „Muss ja funktionieren.“ Dann nahm er sein Gewehr nebst einer zweiten Waffe auseinander, versteckte diese unter dem Fahrersitz und zwängte sich in recht schmerzhaft aussehender Weise den Hohlraum. Währenddessen hatte der Fernmelder sich am Funkgerät zu schaffen gemacht. Wie alle elektronischen Geräte der Kelownaner war es mit einem Computer verbunden. Es war diese verdammte Computertechnik, die in allen Einheiten exzessiv zum Einsatz kamen, zusammen mit ihrer gesamten absurd hoch technisierten Kriegsführung gewesen, die ihnen im Krieg den entscheidenden Vorteil verschafft hatte. Ihre Halbleitertechnik war der aller anderen Völker um gut zwei Jahrzehnte voraus. Niemand hatte sich erklären können, wie sie so plötzlich mit so fortschrittlicher Technologie hatten aufwarten können. Bis die Geheimhaltung ihres Sternentores versagte. Auch wenn Kelowna es nie bestätigt hatte vermuteten viele, dass diese Technik außerirdischen Ursprungs sein musste.
Funkgeräte auf Fahrzeugen und Stützpunkten konnte sie abhörsicher chiffrieren, indem sie alle analogen Signale in digitale umwandelte und analogen Funkverbindungen konnten Transpondersignale an die Trägerwelle angehängt werden, die Irreführung ausschlossen. Zumindest solange, bis ein Außenstehender ein solches Gerät in die Finger bekam. Der Fernmelder nahm hastig einige Einstellungen am Funkgerät selbst vor, die den Eindruck von Interferenzen erwecken sollten. Dann nahm er sich die Hundemarken seines kelownanischen Kollegen und begann durchzugeben: „Basis, hier Guardian24. Das Zivilfahrzeug hat einen Motorschaden. Wir schleppen es bis zur Hauptstraße und setzen dann unsere Patrouille fort.“ Rauschen und Knistern mischten sich in die Antwort. „Guardian24, die Verbindung ist schlecht. Ich habe Schwierigkeiten sie zu verstehen.“ „Verstanden. Ich wiederhole, Basis: Das Zivilfahrzeug hat einen Motorschaden. Wir schleppen es bis zur Hauptstraße, um den Zubringer frei zu machen.“ Einige Sekunden des Schweigens folgten. Dann kam die Antwort, mit der er dank der schlechten Verbindung gerechnet hatte, machte diese doch seine Stimme praktisch unkenntlich: „Guardian24, identifizieren sie sich.“ „Private Bendis, Dienstnummer 24031-Sulu.“ „Bestätigt, Private. Setzen sie ihre Patrouille fort.“ Er nahm Kopfhöher und Mikrophon ab, atmete erleichtert durch und signalisierte Altay, dass alles geklappt hatte. Dann zog auch er sich eine kelownanische Uniform an und sie fuhren los.
Ihnen blieb kaum eine halbe Stunde, bevor die Basis das Verstummen der Patrouille bemerken und der Sache nachgehen würde, so dass Vin so stark aufs Gas trat, wie er konnte ohne zu riskieren mit seiner flotten Fahrweise Misstrauen zu erregen. Der Posten am Schlagbaum des vielfach umzäunten Raffineriegeländes winkte sie glücklicherweise aber ohne viel Aufhebens durch, nachdem sie sich ihm als Offiziere für eine außerplanmäßige Inspektion der hiesigen Truppe vorstellten und die mittlerweile mit ihren Bildern versehenen Dienstausweise jener Männer, denen sie vor neun Jahren die Uniformen abgenommen hatten unter die Nase hielten und Altay ihn mit scharfer Stimme anwies sich zu beeilen, so dass er darauf verzichtete ihre 'Dienstnummern' im Computer zu überprüfen. Auf dem Gelände lenkten sie den Wagen auf einen für die Wachposten schlecht einsehbaren Parkplatz und stiegen aus. Ein junger Offizier im Rang eines Captain, dem man seine Unerfahrenheit auf den ersten Blick ansehen konnte, kam ihnen entgegen, als sie sich auf den Weg zu den Verwaltungsgebäuden machten. Er salutierte und sagte: „Major, ich bin Captain Haymer, Kommandant der 192. und 193. Kompanie. M...“ „Ich weiß wer sie sind“, unterbrach Altay ihn mit einer Abschätzigen Geste, während er sich an ihm vorbei schob. „Lassen sie ihre Männer um 2100 auf dem Platz für eine Inspektion durch meinen Lieutenant antreten. Ich werfe in der Zwischenzeit einen Blick auf ihre Unterlagen.“ Mit einem „Jawohl, Sir“ stürzte der Kelownaner diensteifrig davon. Vin und Mellic konnten sich indes ein Lachen nur schwer verkneifen. Seit dem Krieg hatten sie keine derartige Naivität in Uniform mehr zu Gesicht bekommen. Aber das Bewachen einer Ölförderstätte war wahrscheinlich keine Aufgabe, an die man eine Eliteeinheit verschwendete.
Während sie im zentralen Verwaltungsgebäude verschwanden, lauschte Daran im Wagen angestrengt nach allen Geräuschen in der Umgebung. Als er weder Schritte, noch Gespräche oder sonstige Geräusche hören konnte, löste er sich vorsichtig aus seiner unbequemen Verrenkung und schob die Sitzpolster vorsichtig nach oben. Mit der blank polierten Klinge seines Messers riskierte er einen Blick nach draußen. Dann befreite er sich endgültig, verstaute die Teile seiner Waffen in einem Rucksack und stieg aus. Geduckt und im Schatten arbeitete er sich zur nächsten Gebäudeecke vor, immer ein Auge auf die schier allgegenwärtigen Kameras. Als er sicher war, dass er unbeobachtet war, setzte er sich in Richtung der großen Öltanks in Bewegung. Da er die Uniform eines der Männer trug, die sie auf dem Zubringer überfallen hatten, fiel er nicht sofort als Fremder auf. Mit schnellen Schritten verschwand er zwischen den Tanks, erklomm eine der gewaltigen Konstruktionen mit Wurfanker und Seil und machte sich daran seine Waffen zusammenzusetzen. Zuerst sein Präzisionsgewehr, das er durchgeladen und Schussbereit neben sich legte. Die zweite Waffe war ein leistungsstarkes Druckluftgewehr Marke Eigenbau, das praktisch alles verschießen konnte, für das er den richtigen Lauf hatte. Er hatte damit schon Zielen auf 300 Meter Distanz praktisch lautlos Revolverkugeln in den Kopf gejagt. Nun lud er eine mit Wasser gefüllte Gelatinekugel und legte auf die Kamera an, die eine Gasse zwischen den Tanks und einer Lagerhalle im Auge behielt. Es war nicht einfach mit einem solchen farblosen Paintball auf 60 Meter Entfernung zu treffen, doch beim zweiten Versuch schaffte er es. Die Kugel zerplatzte an der Seite der Kamera an den Lüftungsschlitzen der Kühlung, Wasser spritzte hinein und verursachte einen Kurzschluss.
Er gab Noor durch kurzes, dreimaliges Klopfen auf das Mikro seines Funkgeräts ihr Signal. Sie war über einen Kanal, der alle Abwässer vom Gelände zum Meer hin ableitete in die Abwasserrohre der Anlage gekrochen. Sie drückte den Kanaldeckel eine Hand breit nach oben. Ihr Blick wanderte herum. Dann zog sie sich mit einer schnellen Bewegung nach oben, holte eine Tasche aus dem Schacht, die sie die ganze Zeit hinter sich her gezogen hatte, schob den Deckel zurück in seine Position, nahm ihr Atemgerät ab und erklomm den Tank, auf dem Daran in Position gegangen war. Der Scharfschütze drehte sich auf den Rücken und sah in ihre Richtung, als sie flach an das Metall gepresst zu ihm gekrochen kam. Mit einem breiten Grinsen wedelte er sich demonstrativ mit der Hand vor der Nase und meinte: „Ah, der betörende Duft einer Frau.“ Sie bedachte ihn mit einem sehr finsteren Blick. „Das nächste Mal sorge ich dafür, dass du durch die Scheiße kriechen musst. Bei dir zu Hause fühlt man sich doch unter der Erde wohl.“ „Nur wenn wir Kohle aus einem Berg kloppen dürfen. Außerdem ist Grubengas geruchlos. Man wird nur ohnmächtig davon.“ Zu leise als dass er es hätte verstehen können murmelte sie eine Erwiderung. Dabei kroch sie zum Deckel des Tanks und öffnete unter Aufbietung aller Kraft die offenbar in der aggressiven Meeresluft rostig und schwergängig gewordenen Verschlüsse. Sie befestigte ein Seil an der obersten Sprosse jener Leiter, die sie zuvor hinaufgeklettert war, öffnete die Luke und schwang sich durch die Öffnung. Während sie an der Innenseite Naquadrialadungen anbrachte, tat sich plötzlich etwas vor dem Verwaltungsgebäude. Daran warf einen Blick durch sein Zielfernrohr und fluchte leise. „Scheiße. Noor, es gibt Probleme.“
Energisch öffnete Vin die Tür zum Büro des Sicherheitsdirektors und Altay trat mit seinen Begleitern ins Vorzimmer. Die dort arbeitende Sekretärin, die er entgegen aller üblichen Praxis der Streitkräfte und Thanos als Einheimische Erkennen konnte, ein hübsches Ding, dessen enger Rock vermuten ließ, dass der Mann denn zu ergreifen sie gekommen waren sie für mehr angestellt hatte, als nur ihre Kenntnisse einheimischer Sprachen oder als Schreibkraft, erhob sich und fragte auf Kelownanisch: „Was kann ich für sie tun?“ Mellic grinste nur breit und meinte: „Uns nicht im Weg herumstehen.“ Sein unüberhörbarer Akzent musste sie alarmiert haben, denn sie wollte schon die Hand nach dem Notfallschalter am Telefon ausstrecken. Bevor ihre Finger den Knopf berühren konnten, war Altay mit einem Ausfallschritt bei ihr und hielt sie mit eisernem Griff fest. Er sah ihr in die Augen und murmelte in der Sprache der Qazan: „Lass es. Ich will niemanden von meinen eigenen Leuten verletzen müssen. Für einen Augenblick sah sie ihm ängstlich ins Gesicht, doch dann nickte sie, als sie in ihm tatsächlich einen ihres Volkes erkannte. Er ließ sie los, riss aber vorsichtshalber noch das Telefonkabel und Teile der Buchste aus der Wand, bevor der den anderen in Hales Büro folgte.
Der ehemalige Geheimdienstler musste schon auf dem Sprung in den Feierabend gewesen sein. Mantel und Hut lagen auf seinem Sessel, ein Aktenkoffer mit allerhand Unterlagen stand auf einer Ecke des Schreibtisches und Mellic schien ihm dabei überrascht zu haben noch einige Dokumente in seinem Safe einzuschließen. Nun stand er verschreckt und mit nervös zwischen den Soldaten hin und her zuckendem Blick an die Rückseite des Raumes gedrängt. Als er Altay sah, wurde er kreidebleich. „Kota...“ „In Fleisch und Blut. Erfreut sie wiederzusehen, Hale.“ „Es ist nicht lange genug her.“ Der frühere Colonel schmunzelte und sah den Kelownaner an wie ein Raubtier, das seine Beute in die Enge getrieben hatte. „Ich bin untröstlich. Sollen wir wieder gehen?“ Vin schmunzelte und Mellic lachte voller Häme. „Sie werden sich denken können was wir wollen. Ersparen sie sich unnötige Schwierigkeiten und kommen sie mit.“ Der Mann sagte nichts. Die Angst, die ihm ins Gesicht geschrieben stand, schien seine Lippen zu versiegeln und ihn zu lähmen. Er hatte gute Gründe sich zu fürchten. Er war Augenzeuge gewesen, als die Widerstandskämpfer Männer kaltblütig erschossen hatten, um an ihn heranzukommen, war wochenlang in ihrer Gefangenschaft gewesen, eingesperrt in ein dunkles Kellerloch, ständigen Verhören ausgesetzt. Physisch gefoltert hatten sie ihn nicht. Zumindest nicht im klassischen Sinne, denn jede Form der Folter hinterließ über kurz oder lang körperliche Spuren. Fast ein Jahr hatte es ihn gekostet sich wieder zu erholen. Er hatte seinen Namen geändert, seine alte Identität völlig ausgelöscht und sich hierher auf einen Posten als Mittelsmann mit Thanos versetzen lassen, weit weg vom Zentrum der Macht, weg von allen Gefangenenkolonnen und Kotas Bande. Wir hatten sie ihn hier nur finden können?
Altay sah zu Vin und nickte in Hales Richtung. Der Soldat nickte ebenfalls und trat an den Kelownaner heran. Probeweise stupste er ihn an, als wolle er testen, ob Hale noch bei ihnen oder im Stehen in Ohnmacht gefallen war. Die Berührung ließ den Mann kurz und erschrocken aufschreien und gegen die Wand taumeln. Vin beugte sich vor und meinte: „Gehen sie voran. Runter auf den Hof und zu den Parkplätzen. Wenn sie Schwierigkeiten machen...“ Er beendete den Satz nicht, ließ aber die Fingerknöchel knacken, um die unausgesprochene Drohung zu bestärken. Hale nickte eifrig. Kalter Schweiß stand ihm auf der Stirn. Er war ein Mann von beeindruckender Statur, etwas über zwei Meter groß und, auch wenn er während er die Gastfreundschaft der Widerstandskämpfer hatte genießen dürfen einige Kleidergrößen verloren hatte, recht korpulent. Aber ihm fehlte jede körperliche Härte. Obwohl er selbst Altay noch um fast einen halben Kopf überragte, hätte keiner der Männer Schwierigkeiten gehabt ihn mit bloßen Händen zu töten. Langsam und trippelnd ging er in Richtung der Tür. Als Vin ihn einmal kräftig anstieß, beschleunigte er seine Schritte und sie traten auf den Flur hinaus. Altay blieb im Vorzimmer noch einmal stehen und warf der Sekretärin einen freundlichen Blick zu. Nach einigen Sekunden begann sie zufrieden zu lächeln. Es brauchte keine Worte. Sie ahnte was Hale bevorstand und fand Gefallen bei diesem Gedanken. Er begann zu lachen und folgte den anderen.
Das Gebäude war bis auf wenige Angestellte, die Überstunden schoben, um über den Tag liegen gebliebenes abzuarbeiten und einige Ingenieure, die ihren Nachtdienst begannen bereits verwaist, so dass niemand sie ansprach oder aufhielt. Am unteren Treppenabsatz gab Vin Hale erneut einen kleinen Anstoß und deutete in Richtung der Tür. Sie schritten nur eine Sekunde nach dem riesenhaften Kelownaner durch die Türflügel. Doch als er seinen Fuß über die Schwelle setzte hörte Altay auf einmal das charakteristische Klicken eines Dutzends Waffen, die durchgeladen wurden und blieb wie angewurzelt stehen. Er wandte seinen Blick nach links und sah in das Gesicht von Captain Haymer, der zusammen mit einigen Soldaten neben der Tür auf sie gewartet hatte und seine Pistole direkt auf seinen Kopf gerichtet hielt. „Sie müssen mich für ziemlich blöd halten“, sagte der kelownanische Offizier. „Dachten sie ich würde nicht im Ministerium nachfragen, ob Inspektoren geschickt wurden?“ Er zuckte mit den Schultern. „So schlecht standen die Chancen nicht. Eigenständiges Denken ist keine Qualität die man mit eurer Infanterie assoziiert.“ Haymer funkelte ihn zornig an und zischte: „Arroganter Bastard. Weg mit den Waffen.“ „Ich glaube nicht.“ Er streckte zwei Finger der rechten Hand aus wie einen Pistolenlauf und richtete sie auf den Offizier. Dessen spöttisches Lachen wurde schlagartig unterbrochen, als ein Geschoss mit angefeilter Spitze aus Darans Scharfschützengewehr seinen Helm durchschlug und seinen Kopf darunter zerplatzen ließ.
Reflexartig sahen die Soldaten sich um und versuchten die Position des Scharfschützen ausfindig zu machen. Altay nutzte den Moment aus und ließ sich in die Hocke fallen, wobei er einen Kelownaner, der kaum einen Meter von ihm entfernt stand, mit einem Fußfeger umriss. Danach machte er sofort einen Satz über den zu Fall gebrachten hinweg, entriss ihm dabei sein Gewehr und setzte ihn mit einem kräftigen Tritt k.o. und rannte in den nächsten hinein. Vin und Mallic zogen im gleichen Augenblick ihre Pistolen und eröffneten das Feuer, während ihr vierter Mann sich auch auf ihre Gegner stürzte. Es gelang ihnen die Soldaten auszuschalten, wobei zwei sich hinter eine Häuserecke zurückzogen und permanent um Hilfe funkten, doch Vin wurde von einer Kugel am rechten Bein getroffen und die Schießerei scheuchte endgültig jeden Soldaten in Hörweite auf.
Auf dem Öltank zog Daran ein weiteres Mal den Spannhebel seiner Waffe zurück und richtete die Waffe auf ein weiteres Ziel. Neben ihm schob Noor gerade ein Magazin in ihr Sturmgewehr und zog eine Gewehrgranate aus ihrer Tasche hervor, die sie auf den Mündungsfeuerdämpfer der Waffe aufsetzte. Das Granatvisier an der Spitze des Laufs ausklappend klemmte sie die Waffe mit dem Arm fest in den Hüftanschlag, wobei sie wütend murmelte: „VerdammterScheißdrecktichbringdieelendenBastardeu msovielzumsauberenAblauf.“ Vor ihr lagen die Blaupausen des Verwaltungsgebäudes, die Altay von Tomis bekommen und an sie weitergereicht hatte. Sie warf noch einen letzten Blick drauf, dann zielte sie auf jene Räume in denen sich die Rechner der Überwachungsanlage befinden sollten und drückte ab. Der Rückstoß ließ sie auf dem glatten Stahl, der ihren Stiefeln kaum Halt bot, beinahe ausgleiten. Als sie sich wieder gefangen hatte, sah sie wie die Granate ein Stockwerk zu hoch einschlug. Doch als sie nachladen wollte bemerkte sie, dass das Gebäude offenbar nicht besonders stabil gebaut war. Der aus den billigsten verfügbaren Materialien hochgezogene Plattenbau nahm es übel so traktiert zu werden. Mehrere Platten brachen aus dem Fußboden der getroffenen Etage heraus und begruben den Serverraum krachend unter sich. Zufrieden hängte sie sich ihre Ausrüstung um und meinte: „Sie sind blind. Los, weg hier.“
Beide rutschten an der Leiter herab und liefen in Richtung des ausgemachten Fluchtpunkts. Um sie herum hatten die Schüsse und die Explosion die Raffinerie aufgescheucht. Arbeiter flüchteten in Richtung der Wohnquartiere, Soldaten rannten auf ihre Posten. Zweimal liefen sie beinahe in kelownanische Infanteristen hinein, die sie aber kurzerhand über den Haufen schossen. Gut zweihundert Meter vor ihrem Ziel trafen sie auf Altay und seine drei Begleiter. Mallic hatte sich den verwundeten Vin über die Schulter geworfen, während die anderen mit erbeuteten Sturmgewehren in alle Richtungen absicherten. Hale war nicht bei ihnen. Der Geheimdienstler hatte sich bei der Schießerei zwischen ihnen und Haymers Männern wieder in das Gebäude geflüchtet und ein Versuch ihn zu holen hätte bedeutet den Bewachern in die Falle zu laufen. Der Colonel wollte etwas sagen, doch das scharfe quietschen von Reifen schnitt ihm das Wort ab. Sie drehten sich um und sahen mehrere gepanzerte Geländewagen ähnlich jenem Fahrzeug mit dem sie hierher gelangt waren, aus Richtung der Kasernen in ihre Richtung rasen. Kaum dass die Soldaten an den schweren Maschinengewehren der Wagen sie bemerkt hatten, eröffneten sie das Feuer. Sie mussten sich in eine Lagerhalle flüchten. Als sie die Tore zugeschoben hatten sagte Altay: „Zeit für unseren Trumpf. Noor?“ Die Sprengexpertin grinste, zog einen Fernzünder aus ihrer Tasche und warf ihn ihm zu. „Schleicht euch zur Seite raus“, befahl er den anderen. „Ich halte sie ein wenig hin.“
Einige Minuten später hatten fast hundert Kelownaner vor und um die Halle herum Stellung bezogen. Altay stand im Inneren an einer kleinen Tür neben dem großen Schiebetor und wartete. Als schließlich jemand rief „Das Gebäude ist umstellt. Ihr habt keine Chance. Kommt mit erhobenen Händen heraus“ öffnete er die Tür. Als nicht sofort dutzende Sturmgewehre losdröhnten trat er hinaus, in den Händen den Auslöser. Ein Soldat in der Uniform eines First Lieutenant kam um eines der Fahrzeuge herum, richtete sein Gewehr auf ihn und rief: „Auf den Boden und die Hände über den Kopf.“ „Vergiss es“, lautete die knappe Antwort. „Hör zu, Jungchen, sobald ich diesen Zünder hier loslasse gehen vier Kilo Naquadriasprengstoff in einem eurer Öltanks hoch.“ Der Offizier stutzte und senkte seine Waffe ein wenig. „Ich sehe du weißt was das bedeuten würde. Schick ruhig jemanden nachzusehen. Aber lieber die Finger vom Sprengstoff lassen. Meine Leute wissen, wie man so etwas sicher verdrahtet.“ Der Lieutenant schnauzte einen seiner Leute an nachzusehen. Quälend lang erscheinende fünf Minuten, in denen Altay sich in aller Seelenruhe eine Zigarette ansteckte, später kam er zurück und flüsterte seinen Offizier etwas zu. Die bloße Tatsache dass der nicht sofort schoss zeigte ihm, dass ihnen klar war was passieren würde, würden sie die Bombe entschärfen wollen solange sie ein Signal vom Auslöser bekam. Er trat seine Zigarette aus und meinte: „Ich werde jetzt gehen. Wenn ich auch nur das Gefühl habe, dass mir jemand folgt, braucht ihr alle keine Särge mehr.“ Mit diesen Worten drehte er sich um und schlenderte eine Hand in der Tasche, die andere am Auslöser ruhig in Richtung des Fluchtpunkts.