Titel: La Gioconda
Autor: Antares
Staffel: 3 während “The Return I” (3x10)
(SG-1: ein paar Folgen nach dem “Pegasus Project” (10x3)
Pairing: Sheppard/McKay; historische Charaktere
Rating: PG-13, am Ende ein wenig Slash
Inhalt: Dr. McKay, Colonel Sheppard und Major Lorne begleiten während ihres erzwungenen Aufenthalts auf der Erde Dr. Jackson nach Italien, weil dort Hinweise auf Antiker gefunden worden sind. Ohne dass sie es wollen, lernen John und Rodney das Italien der Renaissance viel genauer kennen, als sie das je gedacht hätten. Dort wieder weg zu kommen, ist leider nicht ganz so leicht wie gehofft.
Anmerkungen: Besten Dank an meine Betaleserin Aisling! Weiterer Dank geht an Lady Amarra für das Berichtigen einer historischen Ungenauigkeit und Cori für das Auffinden von noch einigen Tippfehlern.
Weiterführende Links und Bilder zu einigen der historischen Persönlichkeiten, Bildern, etc. die in der Geschichte eine Rolle spielen, finden sich am Ende der Story.
Artwork: von Lady Amarra. Ein wunderschöner Titel, ein Sheppard im Bett - oder besser gesagt vor dem Bett - und ein letzter Blick auf Florenz, das sind die phantastischen Bilder, die Lady Amarra für diese FF gezeichnet hat! Vielen Dank!
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Resigniert nahm John Sheppard eine weitere Akte von dem mittleren Stapel auf seinem blankpolierten Schreibtisch im SGC. Es war der Stapel, den er im Geiste „Dringend-Stapel“ genannt hatte. Dort lag alles, was er noch vor dem Wochenende erledigen musste oder sollte. Dann kam rechts der „Zuwarten-Stapel“, das waren Dinge, die sich hoffentlich von allein erledigten, wenn man nur über genügend Sitzfleisch verfügte. Und links der dritte, leider dünnste Stapel, der in seinem Kopf „Delegieren-Stapel“ hieß, da musste er nur noch herausfinden, wem er die Aktenmappen am besten aufs Auge drücken konnte.
Er schlug die oberste Mappe der „Dringend“-Akten auf und ließ seinen Blick angewidert über die Material-Listen gehen. Das waren die Anforderungen seiner Männer, seines SG-Teams, nach dem letzten Einsatz auf PX3 888. Ein Einsatz, der zu exorbitant hohem Materialausfall geführt hatte, weil zäher Schlamm vor dem Stargate, hinter dem Stargate und auf den Stufen des Stargates dazu geführt hatte, dass alles, was mit dem Boden in Berührung gekommen war, dermaßen bestialisch gestunken hatte, dass man es nur noch wegwerfen konnte. Wie Major Johansson es allerdings geschafft hatte insgesamt fünf Unterhosen, für die er jetzt Ersatz anforderte, auf diese Art und Weise zu ruinieren, das würde er noch herausfinden müssen.
Falls er nicht zu müde dazu wäre. John gähnte und tastete aus einem Reflex heraus mit seiner Hand Richtung Kaffeetasse. Kaffee hieß Koffein und Koffein hieß, dass er noch ein Weilchen länger wach wäre, um sich mit diesem spannenden Papierkram befassen zu können. John nahm einen Schluck aus der Tasse und musste feststellen, dass der Kaffee kalt war und dass der erste Schluck auch der letzte war – die Tasse war leer. Seufzend stellte er sie zur Seite.
Natürlich, das Formularunwesen hatte es auch auf Atlantis gegeben und ein nicht unerheblicher Teil davon war an ihm hängen geblieben. Auch in Atlantis hatte er den Papierkram schon nicht gemocht, ihn aber als unabdingbaren, oftmals lebenswichtigen Teil seiner Arbeit angesehen. Wenn z.B. die Munition nicht rechtzeitig auf den Listen stand, bedeutete das, dass die Daedalus sie beim nächsten Rendezvous nicht dabei haben würde. Und damit hieß das auch, dass sie den Wraith oder sonstigen netten Bewohnern der Pegasus-Galaxie nichts entgegenzusetzen hatten.
Sich mit Johanssons Unterhosen befassen zu müssen, erschien ihm dagegen ein klein wenig unter seiner Qualifikation. Er setzte dennoch seine Unterschrift unter die Anforderung und kaute dann auf seinem Kugelschreiber herum. Er starrte auf die Zeilen vor sich, ohne sie zu sehen.
Alles kam ihm wie ein Rückschritt vor. Alles. Die glitzernde Stadt im Meer fehlte ihm mit jedem Tag mehr. Die Weite, die Helligkeit, der Seegeruch – stattdessen begab er sich freiwillig wie ein Maulwurf unter die Erde, zu Einheitsgrau, Beton und der abgestandenen Luft der Klimaanlage. Hin zu jeder Menge Verwaltungskram, unterbrochen von einigen Missionen, die aber auch meist unspektakulär verliefen. Sein Team jedenfalls war noch keinem Prior begegnet. Was ja auch eigentlich gut war. Eigentlich.
Sheppard lehnte sich im Sessel zurück und starrte unter die Decke. Wie konnte man so … blöd sein, Todesgefahr zu vermissen? Seit wann war er so süchtig nach den Adrenalin-Schüben geworden, die das Unbekannte mit sich brachte? Sollte er sich nicht freuen, dass er endlich einmal nicht jeden Tag in Lebensgefahr schwebte? Sollte er nicht dankbar sein, dass sie ihm ohne viel Federlesens ein eigenes SG-Team gegeben hatten? Manche Leute warteten Jahre darauf – er hatte es innerhalb einer Woche abmarschbereit vorgefunden. Und es waren keine schlechten Jungs. Natürlich nicht. Sonst hätten sie es ja gar nicht bis ins SGC geschafft. Aber egal wie gut sie waren, sie konnten Teyla, Ronon oder Rodney nicht ersetzen.
Er vermisste sein Team. Viel mehr als er je gedacht hätte. Mit Rodney telefonierte er zwar regelmäßig, mit Carson war er schon zwei, drei Mal etwas trinken gewesen – aber viel mehr Kontakt hatte er hier in Colorado Springs auch nicht. Die Mitarbeiter des SGC waren zwar alle wirklich nett zu ihm, aßen mit ihm zusammen in der Kantine, so dass er nie allein am Tisch sitzen musste, aber außerhalb des Mountains hatte sich noch nichts ergeben.
Colonel Samantha Carter nutzte zwar immer wieder die Zeiten, in denen er nicht auf Mission war, um ihn zu verschiedenen Dingen zu interviewen, Dr. Jackson war ein paar Mal vorbei gekommen, um ihm ein Artefakt zu zeigen und ihn zu fragen, ob es so etwas auch auf Atlantis gegeben hätte, aber ansonsten war er auf sein neues Team angewiesen.
Und deren Hauptgesprächsthema waren die Ori, nicht die Wraith. Alles drehte sich um die Priore, die Macht der Orici Adria und den vernichtenden Kreuzzug, den diese Eiferer jetzt auch auf die Milchstraße ausgedehnt hatten. Sheppard war es schon bewusst, dass die Ori ebenso gefährlich waren wie die Wraith, aber noch war die Bedrohung für ihn weniger gegenwärtig. Er hatte noch nicht direkt im Kampf mit ihnen gestanden, noch niemanden, den er kannte, an sie verloren. Anders als mit den vergeistigten und machtgierigen Ori verband ihn etwas mit den Wraith – im weitesten Sinne des Wortes. Seit der Wraith mit ihm zusammengearbeitet hatte, waren sie mehr als nur „der Feind“ für ihn. Es war ihm schon klar, dass man mit jemandem, der einen eigentlich nur als Leckerbissen, als Happen für zwischendurch, ansah, niemals zu einem für beide Seiten befriedigenden Abkommen kommen könnte. Aber dennoch schien ihm das greifbarer als das, was die Ori von den Menschen wollten.
So suchte er mit seinem neuen Team jetzt seit ein paar Wochen also statt nach ZPMs nach der Wunderwaffe des Antikers Merlin. Dr. Jackson hatte seit seinem Besuch auf Atlantis weitere Anhaltspunkte bekommen, wo sie versteckt sein könnte und war unermüdlich dabei, Planeten in die engerer Wahl zu nehmen, nur um sie dann doch wieder zu verwerfen. PX3 888, war einer dieser Reinfälle gewesen.
Mit Schwung schlug John die Mappe zu. Wenn man es ganz kleinlich betrachtete, war es also Jacksons Schuld, dass er jetzt diese Anforderung ausfüllen musste. Da konnte er sich ein wenig dafür revanchieren. John wusste auch schon wie. Ein rascher Blick auf die Armbanduhr zeigte ihm, dass es schon kurz nach 22 Uhr war und da war der einzige Platz, an dem man mit Sicherheit noch frischen Kaffee bekommen konnte, das Büro des Archäologen. Er würde ihm einen kleinen Besuch abstatten. Er schnappte sich seinen Kaffeebecher und marschierte los.
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Natürlich war noch Licht bei dem Archäologen. Die Tür war nur angelehnt, und so betrat John nach einem kurzen Klopfen, das mehr dazu diente, Jackson nicht zu erschrecken, als wirklich auf eine Aufforderung zum Eintreten zu warten, das Büro.
„Hi, Dr. Jackson.“
„Hi, Colonel Sheppard.“ Daniel schaute von den vergilbten Blättern des imposanten Buches, in dem er gerade las, auf. Er sah die Kaffeetasse in Sheppards Hand und fuhr deshalb fort: „Eine Tasse sollte noch drin sein.“ Mit seinem Kinn nickte er in Richtung der Kaffeemaschine.
„Danke sehr.“ Sheppard leerte den Inhalt der Kanne in seine Tasse und erkundigte sich: „Soll ich noch neuen aufsetzen?“
Jackson lächelte: „Auch wenn niemand mehr da ist, um uns davon abzuhalten, sollten wir es vielleicht für heute dabei bewenden lassen.“
„Okay, wahrscheinlich haben Sie Recht. … Und danke.“ John nahm einen Schluck, wollte sich auf den Weg zurück in sein Büro machen, doch wurde er von dem Archäologen zurückgerufen.
„Ehm … Colonel?“
„Ja?“
„Wollen Sie sich einen Moment setzen? Ich hätte etwas mit Ihnen zu besprechen.“
„Okay.“ John runzelte leicht die Stirn, zog die Augenbrauen hoch, nahm aber in dem Stuhl vor Jacksons Schreibtisch Platz, die Beine lang von sich gestreckt, die Arme vor der Brust verschränkt. Was könnte Jackson von ihm wollen?
Daniel sah, dass Sheppard wahrscheinlich gerade versuchte im Geiste durchzugehen, ob er irgendwo Mist gebaut hatte – archäologischen Mist, für den er zuständig war – deshalb machte er es kurz. „Ich hätte ein Angebot für Sie. Für die nächsten sechs Tage sind doch keine Missionen mit Ihrem SG-Team geplant und da habe ich mich gefragt, ob ich Sie mir … ausleihen könnte.“
„Ausleihen?“
„Dr. McKay, Major Lorne und ich werden übermorgen für drei Tage nach Italien fliegen. Dort sind in einem kleinen Bauernhaus, mitten im Appeningebirge, sehr interessante Bücher, Aufzeichnungen, Papiere und Landkarten gefunden worden. Man hat uns ein paar Photokopien zukommen lassen und auf zwei, drei der Blätter sind einwandfrei antikische Schriftzeichen zu erkennen.“
„Wirklich Antikisch? Nicht Latein?“
Dr. Jackson schmunzelte nur und Sheppard grinste schief zur Entschuldigung. „Tut mir Leid. Antikisch also. Wie kommt das Zeug dahin?“
„Genau das fragen wir uns. Die einzige Lösung, die uns bisher eingefallen ist, ist, dass die Papiere irgendwie von Merlin stammen und im Laufe der Zeit von England nach Italien gelangt sind. Für den Fall, dass es außer dem schriftlichen Nachlass, der auf die Antiker hinweist, auch noch technische Artefakte gibt, habe ich Dr. McKay gebeten, sich uns anzuschließen.“
„Und, was hat Rodney gesagt?“, erkundigte sich Sheppard interessiert.
„Er war erstaunlich angetan. Hat Italien sofort mit Pizza assoziiert und … schien ganz froh zu sein, mal aus Area 51 herauszukommen.“
Das konnte sich Sheppard denken. Auch wenn McKay am Telefon immer schwärmte, wie toll es wäre, jetzt in Ruhe arbeiten zu können. Wie gut es für seine Psyche sei, nicht unter ständiger Bedrohung zu stehen und irgendein grauseliges Ende zu nehmen, so hatte Sheppard doch nach erstaunlich kurzer Zeit auch die Langeweile rausgehört. Gerade Rodneys fünf, sechs, sieben Mal wiederholte Versicherung, er würde nichts vermissen, gar nichts, machte nur umso deutlicher, dass er Atlantis wohl ebenso vermisste wie er selbst.
Nun, ein paar Tage mal etwas ganz anderes zu sehen, würde bestimmt Spaß machen. Ein paar Tage mit Rodney zu verbringen ebenfalls, denn in den Telefonaten blieb doch vieles ungesagt. War also nur noch eine Frage zu klären: „Wofür brauchen Sie mich? McKay und Lorne haben das Gen, McKay kann antikisch …“
„Ihr Gen ist aber stärker.“ Jackson schaute ihn nicht an, sondern kritzelte etwas auf den Block vor sich.
„Kaufe ich Ihnen nicht ab“, meinte Sheppard.
Überrascht blickte Daniel auf und las Misstrauen in Sheppards Augen. Er seufzte. Dann schenkte er Sheppard ein kleines, entschuldigendes Grinsen. „Nun, die Sache ist die: McKay hat bestimmt drei Mal gefragt, ob Sie auch mitkommen und ich … entschuldigen Sie, wenn das nicht richtig ist – aber ich hatte den Eindruck, Ihre Arbeit im SGC würde Sie nicht ganz ausfüllen. Ihnen würde ein wenig die Herausforderung fehlen. Ich weiß, ein kleiner Bauernhof in den Bergen ist nicht gerade Abenteuer pur, ich hatte aber auch nur gedacht … nun, dass Sie vielleicht für ein paar Tage einfach mal etwas anderes machen wollten. Nicht sehr militärisch, ich weiß. Vergessen Sie’s also wenn ich da etwas hinein interpretiert habe, was ganz anders ist.“
Als wenn er das Musterbeispiel für militärische Regeln wäre, musste Sheppard spöttisch denken. Deshalb beruhigte er Dr. Jackson sofort: „Das haben Sie ganz richtig erkannt.“
„Nun, dann war mein Anthropologie-Studium ja doch noch zu etwas nütze.“ Daniel lächelte.
„Und General Landry?“
„Fand die Sache mit dem stärkeren Gen einleuchtend“, nickte Dr. Jackson und schaute ihn unschuldig an.
Sheppard grinste. Er würde den Archäologen sicher nicht unterschätzen. „Okay. Wann genau geht es los?“
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Dr. Jackson hatte für alle vier Plätze auf einem Routineflug der Air Force zur Aviano Air Base in Norditalien, in der Nähe von Venedig, bekommen. Der Stützpunkt gehörte den United States Air Forces in Europa, hier war das 31. Jagdgeschwader mit nicht weniger als 3500 Soldaten stationiert, die regelmäßig versorgt werden mussten. Sie würden einfach auf einem der Versorgungsflüge dabei sein. Durch diese glückliche Fügung gab es keine lästigen Wartereien am Flughafen und sie konnten auch ein paar Waffen und Gerätschaften mitnehmen, die sie sonst niemals durch den Zoll gebracht hätten. Zwar reichte der Standard der Militärmaschine nicht an die Business-Class heran, aber die Touristenklasse eines überfüllten Ferienfliegers schlug es allemal. Auch war größere Diskretion garantiert und die Teilnehmer dieser Mission konnten sich etwas freier unterhalten.
Dr. Jackson legte noch einmal alle bisherigen Erkenntnisse dar, McKay theoretisierte gleich eifrig herum, was das für ein Vorteil wäre, wenn man dort wirklich Antiker-Technologie fände.
„Und wenn wir Glück haben, finden wir vielleicht ein ZedPM. Und dann können wir das ZedPM dieses Mal sogar behalten und müssen es nicht irgendwelchen dahergelaufenen Möchtegern-Priesterinnen überlassen“, verkündete er begeistert.
„Man sollte die Küken nicht zählen, bevor sie nicht geschlüpft sind“, versuchte Major Lorne den Wissenschaftler wieder auf den Boden der Tatsachen zurückzubringen.
„Was wird das hier? Der landwirtschaftliche Diskurs für heute? Über Hühnerzucht?“ McKay bedachte Lorne mit einem abschätzigen Blick, den der nur mit einem Grinsen erwiderte.
Aber auch Daniel dämpfte Rodneys Überschwang. „Die italienische Regierung gestattet uns die Untersuchung dieser Berghütte, hat aber vorab eine Inventar-Liste anlegen lassen – auf der übrigens nichts war, das sich auch nur ansatzweise nach einem ZPM anhörte – und es ist uns nicht gestattet Gegenstände ohne Rücksprache auszuführen.“
„Die können doch sowieso nichts mit dem ZedPM anfangen! Dagegen auf Atlantis …“
„Rodney!“, ließ sich jetzt Sheppard vernehmen. „Falls es ein ZPM gibt, wird Dr. Jackson schon eine Möglichkeit finden, den Behörden klarzumachen, dass das Teil bei uns besser aufgehoben ist. Aber jetzt warten Sie’s doch erst mal ab!“
Rodney verschränkte die Arme vor der Brust und schaute seine drei Mitreisenden beleidigt an. „Schön! Schön! Dann verkneifen wir uns also das wissenschaftliche Theoretisieren, obwohl das ein sehr angesehener Zweig in der Physik ist.“ Er schlug theatralisch eine Hand vor die Stirn: „Ach, ich vergaß, hier ist ja gar kein Physiker, gar kein richtiger Wissenschaftler außer mir. Wenden wir uns also wichtigeren Dingen zu. Wann gibt es hier was zu essen?“
„Ich werde mich erkundigen“, bot Major Lorne an, um McKay etwas gnädiger zu stimmen.
Zwei lauwarme Fertiggerichte in Alu-Schalen, ein kleines Verdauungsschläfchen und neun Stunden später landeten sie endlich auf der Aviano Air Base. Der Blick ging vom Flugfeld aus in die Alpen, die oberhalb von zweitausend Meter noch verschneit waren, und niemand protestierte, als Major Lorne verwundert feststellte, dass das Colorado Springs gar nicht so unähnlich war.
Dr. Jackson hatte einen geräumigen Geländewagen angefordert, der aufgetankt und mit den von ihm gewünschten Utensilien bestückt, bereit stand, so dass einem Umladen des Gepäcks nichts mehr im Wege stand. Nachdem alle Koffer, Taschen und Rucksäcke verstaut waren, machten sie sich auf den Weg Richtung Florenz.
Die Ausfahrten an der Autobahn lauteten Venedig, Padua, Ferrara, Bologna – Namen, die Daniel zu einem sehnsuchtsvollen Seufzen veranlassten und Major Lorne zu Rezepten mit Padua-Schinken und Spaghetti Bolognese inspirierten. Nach gut drei Stunden und kurz vor Florenz verließen sie die Autobahn, um sich auf immer kleiner werdenden Sträßchen in die Berge des Apennins vorzuarbeiten.
Die Gespräche waren schon seit einiger Zeit verstummt, bei allen machte sich der Jetlag bemerkbar und nur die freundliche GPS-Stimme unterbrach die Stille, um auf Abzweigungen hinzuweisen. Erst als sie verkündete „Ziel erreicht“ und Daniel, der das letzte Stück gefahren war, den Motor abstellte, erwachten die drei Beifahrer wieder aus ihrem Dämmerschlaf.
Sie stiegen aus, reckten sich, lockerten die Muskeln, gähnten, um frische Luft aufzutanken und McKay, der sich umschaute und nur einen verlassenen Waldparkplatz sah, fragte neugierig: „Wo ist Ihre Berghütte?“
Daniel zog eine Karte aus dem Handschuhfach, orientierte sich, machte eine halbe Drehung und wies dann mit seinem Zeigefinger mitten in den Wald hinein. „Ungefähr in der Richtung.“
„Wie weit in der Richtung?“ Misstrauisch beäugte McKay den Archäologen.
„Genau kann ich das auch nicht sagen. Es kommt auf die Wegbeschaffenheit an. Aber so zwei Stunden werden es wohl schon sein.“
„Zu Fuß?“
„Sie können ja das Maultier reiten, das wir im Kofferraum haben“, amüsierte sich Sheppard, der schon begonnen hatte, seinen Rucksack aus dem Wagen zu laden.
McKay würdigte ihn keines Blickes. „Aber wir haben doch einen Geländewagen“, ließ er nicht locker.
„Dies hier ist ein Naturschutzgebiet, da sind keine Autos erlaubt.“ Daniel wies auf ein Schild, das detailliert in Wort und Piktogrammen – für die des Italienischen Unkundigen – verkündete, was man im „Parco Naturale Regionale del Appennino“ alles nicht machen durfte.
McKay seufzte und grummelte, während er nach seinem Rucksack griff: „Das ist ja wie mit den Jumpern, die muss man auch immer außerhalb parken, um dann noch stundenlang durch die Botanik zu rennen.“ Er angelte nach seiner Computertasche. „Und jetzt fängt es auch noch an zu regnen“, beschwerte er sich und schaute missmutig auf die immer dichter werdenden Wolken.
Eine viertel Stunde später hatten sie alles gerichtet und sahen aus wie eine Wandergruppe, die trotz des schlechten Wetters, zu einer größeren Tour aufbrechen wollte. Jeder trug so viel er konnte, aber dennoch hatten sie nicht alles mitbekommen, als sie losmarschierten. Der Weg ging die ersten Minuten ziemlich eben durch den Wald, doch schon bald wurde er steiler und steiler und schraubte sich den Hang hinauf. Es war nur noch ein Trampelpfad, der durch den alles durchweichenden Regen, der jetzt unaufhörlich vom Himmel strömte, glatt und rutschig geworden war und die ganze Aufmerksamkeit der Männer erforderte. Zum Teil hatte sich der Bach den Weg als Bett gesucht, zum Teil mussten sie über Äste und Steine klettern, die ein früheres Unwetter auf den Weg geschwemmt hatte.
McKay hätte ja gerne hin und wieder „Wann sind wir endlich da?“ gefragt, aber da er sich keine Anspielungen auf den Esel in Shrek anhören wollte, schluckte er seine Frage immer noch in letzter Sekunde runter und schimpfte stattdessen über das ständig ungemütlicher werdende Wetter.
Sheppard und Lorne waren schon daran gewöhnt und nahmen die Wortflut genauso gelassen hin wie die Regenflut von oben. Daniel dachte sich nur, dass Rodney noch nicht so sehr leiden konnte, wenn er noch so viel Atem zum Schimpfen hatte.
Leider hatte Dr. Jackson sich nicht in der Zeitangabe verschätzt und so dauerte es tatsächlich ziemlich genau zwei Stunden, ehe McKay plötzlich die erlösenden Worte: „Da! Da vorne ist das Haus!“ hörte.
Er blieb mit der Gruppe stehen und hob seinen Blick von seinen klatschnassen und verschlammten Wanderschuhen, wo er die letzte halbe Stunde verweilt hatte. Er schaute in die von Dr. Jackson angegeben Richtung. Ein kleines, unspektakuläres Haus, nein Häuschen wäre wohl richtiger, schmiegte sich in den Hang, lehnte halb an einen Felsen und sah in keinster Weise so aus, als würde es Antikergeheimnisse bergen. Na, wenn das mal kein Reinfall war!
Sie näherten sich der Hütte über den letzten Abhang, der nur mit Mühe zu queren war. Bei jedem Tritt schickten sie locker gewordene Steine in den Abgrund und mussten aufpassen, nicht den Halt zu verlieren. Endlich standen sie auf der winzigen, aus groben Steinen gehauenen Terrasse und Colonel Sheppard drückte die Eingangstür, für deren Vorhängeschloss Dr. Jackson ihm einen Schlüssel gegeben hatte, auf. Sie betraten einen dunklen, muffigen Raum, in den erst ein funzeliges Licht drang, nachdem Major Lorne die Fensterläden aufgestoßen hatte – aber es war endlich wieder trocken und sie konnten die Kapuzen ihrer Regenumhänge abstreifen.
„Nun, sehr antikisch ist das hier nicht und auf den Photos sah das auch anders aus“, brachte es Sheppard für alle auf den Punkt während er sich kritisch umschaute. Der Putz blätterte von den Wänden, ein zerbrochener Stuhl und ein wackliger Tisch waren die einzigen Möbelstücke. Etliche Zigarettenkippen, leere Coladosen und Bierflaschen auf dem Boden verkündeten, dass auch in neuerer Zeit der eine oder andere Wanderer den Weg hierher gefunden hatte. Sheppard setzte seinen Rucksack ab und kickte eine Dose durch den Raum, die von Lorne geschickt gestoppt wurde, ehe er sie zurückschoss.
„Dieser Teil des Hauses ist hin und wieder von Schäfern oder Wanderern als Unterstand benutzt worden“, erklärte Daniel. Seine Stimme klang gedämpft, da er sich soeben seines Regenumhangs entledigte. Er tauchte wieder auf und fuhr fort. „Erst vor kurzem hat ein Doktorand der Universität Bologna, der eine Dissertation über verlassene Einsiedeleien und Karthausen im Apennin schreibt, durch Zufall entdeckt, dass es hier“, Daniel drückte auf einen Teil der Wand, der auch nachgab, „einen weiteren Raum gibt.“
„Wow!“ Major Lorne, der so stand, dass er als erster einen Blick in das Zimmer werfen konnte, zeigte sich beeindruckt. Die anderen drängten nach, nachdem sie die nassen Umhänge abgestreift hatten. Schon in der nächsten Sekunde standen sie in etwas, das man wohl nur als Studierzimmer bezeichnen konnte. Regale voller Bücher und Pergamentrollen, Gesteine und Werkzeuge, Gläser mit vertrocknetem, undefinierbarem Inhalt, ausgestopfte Tiere, ein großer Tisch, der mit Manuskripten bedeckt war. Obwohl sie einen Teil der Sachen schon auf den Polaroidphotos gesehen hatten, die Dr. Jackson ihnen im Flugzeug gezeigt hatte, war es überwältigend jetzt diese uralten Sachen berühren zu können. Sheppard trat zu einer schrumpeligen Karte, die an der Wand hing, und den wohl damals bekannten Teil der Welt zeigte. Ein überdimensioniertes Mittelmeer, um das herum sich lauter bekannte Namen rankten und ein afrikanischer Kontinent, der zum größten Teil noch weiß war, nur der Nil schlängelte sich in das unkartographierte Land hinein.
„Wie alt mögen die Bücher wohl sein?“, erkundigte sich Major Lorne, der behutsam mit seinem Zeigefinger über die aufgeschlagenen Pergamentseiten eines der Bücher auf dem Tisch fuhr.
Daniel trat näher und inspizierte das Exemplar, auf dem Lornes Finger lag. „Das ist noch kein ‚Buch’ im eigentlichen Sinne“, erklärte er. „Man nennt es Kodex. Es sind einzelne, handgeschriebene Blätter, die mit einem Faden zusammengeheftet wurden. Das ist noch aus der Zeit, bevor der Buchdruck mit beweglichen Lettern bekannt war.“ Vorsichtig schlug er den Kodex zu, um den Einband näher zu betrachten. „Er hat zwei Pappdeckel als Einband, die nicht verziert sind, von daher wird es wohl kein reines Prunkstück gewesen sein, sondern wirklich zum Lesen und Arbeiten gedacht gewesen sein.“ Daniel kniff die Augen zusammen und entzifferte die verblasste Schrift auf dem Einband. „De rebus naturalis ed artificialis – ‚Von den natürlichen und künstlichen Dingen’.“ Er blätterte vorsichtig einige Seiten durch. “Es sieht aus wie eine Sammlung von Beschreibungen und Bildern zu Pflanzen, Tieren und … dem Sternenhimmel. Interessant.“
Major Lorne überließ Daniel seinen Betrachtungen und gesellte sich zu Sheppard, der inzwischen in die Hocke gegangen war und eine alte Feuerwaffe, die auf einem mit löcherigem Samt bezogenen Schemel lag, musterte.
„Sir, wenn wir die restlichen Sachen noch vor Einbruch der Dunkelheit hier oben haben wollen, sollten wir uns langsam auf den Weg machen.“
„Noch mal da runter?“, fragte McKay entgeistert, der das Gespräch mitbekommen hatte, obwohl er gerade versuchte, eine Inschrift auf einem verrosteten Metallkasten zu entziffern.
Major Lorne zuckte mit den Schultern, doch Sheppard beruhigte ihn: „Wir müssen nicht mehr alle gehen, so viel ist es ja nicht mehr. Lorne und ich werden das wohl alleine schaffen.“
„Ich muss auch noch einmal runter“, unterbrach Daniel, „denn nicht alles, was in der letzten Kiste ist, muss auch mit hier rauf. Ich würde das gerne selbst durchsehen.“
„Also ich muss mit Sicherheit nicht mehr runter“, stellte McKay entschieden klar. „Wer von Ihnen geht, ist mir egal.“
Lorne grinste und wandte sich an Daniel. „Dann gehen Dr. Jackson und ich. Einverstanden?“
„Einverstanden.“ Daniel nickte.
„Bestens. Bestens“, bestätigte auch McKay dieses Arrangement.
Sheppard war es auch ganz recht, dass je ein Militär mit einem Wissenschaftler zusammen war, wenngleich er sich eingestehen musste, dass weder Dr. Jackson noch Rodney wirklich Schutz brauchten. Die letzten Jahre hatte sie nachhaltig aus dem Elfenbeinturm der reinen Wissenschaft herausgeholt und mehr zu Soldaten gemacht, als sie sich das wohl je hatten träumen lassen. Ihre Instinkte, die sie vor Gefahr warnten und auch ihre Fähigkeiten mit Waffen umzugehen oder zur Selbstverteidigung, waren inzwischen beachtlich. Der einzige Moment, wenn sie verwundbar waren, wenn sie wirklich den Schutz des Militärs brauchten, war, wenn ihre Aufmerksamkeit so sehr von einer Sache in Anspruch genommen war, dass sie alles um sich herum vergaßen. Das war dann wenigstens einer der Momente, in der er oder Lorne den „Beschützer“ spielen konnten.
So nickte er ebenfalls und meinte nur: „Okay.“ Mit einem Grinsen an seinen früheren Stellvertreter fügte er hinzu: „Sollte es unterwegs Pizza geben, bringen Sie mir eine mit. Extra Käse, wenn es geht.“
„Hier sind etliche MREs“, meinte Lorne entschuldigend, der den Inhalt seines Rucksacks gerade im Vorraum auf den Boden entleerte.
„Und, McKay, essen Sie nicht alle meine Schokoriegel“, warnte Daniel lachend, der seine Sachen dazulegte, ehe er wieder in seine Regensachen schlüpfte.
Fünf Minuten später waren Sheppard und McKay alleine und McKay, der immer noch den Metallkasten in den Fingern hin- und herdrehte, fragte: „Hat er Snickers dagelassen?“
„Rodney!“
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Die Zeit verging wie im Fluge, während sie sich einen groben Überblick über die verschiedenen Bücher und Papiere verschafften und ganz besondere Aufmerksamkeit den Pergamenten widmeten, auf denen neben den üblichen lateinischen Buchstaben auch handschriftliche Anmerkungen in der Sprache der Antiker am Rand standen. Gemeinsam versuchten sie herauszufinden, ob sie Sinn in das sehr unleserliche Gekritzel bringen konnten.
Für einen Moment fühlte sich Sheppard wie auf einer Atlantis-Mission, wenn er sich einfach vorstellte, dass Ronon und Teyla im Vorraum wären. Ein herbes Gefühl des Verlustes überspülte ihn. Würde er es je verwinden, dass sie Atlantis auf diese Art und Weise … verloren hatten? Und ja, es kam ihm wie ein Verlust vor, denn irgendwie glaubte er nicht, dass die Antiker sie so schnell wieder in die Stadt lassen würden. Wenn doch, würde er es überhaupt verkraften, nur ein geduldeter Gast in der Stadt zu sein, wo er schon so viel mehr gewesen war? Vielleicht war es ganz gut, dass mit Woolsey und General O’Neill zwei Leute die Verhandlungen übernommen hatten, die nicht so viel emotionalen Ballast mitbrachten, wie er oder auch Dr. Weir das getan hätten. Zwei Leute, für die Atlantis vor allem ein strategischer Außenposten in der Pegasus-Galaxie war und keine zweite Heimat.
Als sein Handy klingelte, ging er in den Vorraum, weil er nur dort richtigen Empfang hatte. Es war Lorne, der ihm mitteilte, dass sie jetzt endlich am Auto angekommen wären.
„Sir, ich fürchte, wir werden heute nicht mehr wieder zu Ihnen aufsteigen können, denn der Weg ist zum Teil dermaßen unterspült, dass wir die ganze Zeit befürchteten, er würde abrutschen. Wir haben runter schon wesentlich länger als angenommen gebraucht und ich sehe schwarz, dass wir es im Hellen zurück schaffen werden.“
Sheppard warf einen Blick auf seine Armbanduhr und sah zu seiner Verwunderung, dass schon über drei Stunden vergangen waren. „Okay, Major. Kein Problem. Sonst ist aber alles in Ordnung bei Ihnen?“
„Alles bestens, Sir.“
„Gut. Dann suchen Sie sich einen netten Gasthof und sobald die Wege wieder passierbar sind, lassen Sie es mich wissen. Wir haben ja genügend zu essen hier, von daher …“
„Dr. Jackson sagt mir gerade, dass es hinter dem Haus, laut seiner Karte, auch eine Quelle für Wasser geben muss.“
Sheppard meinte mit einem kleinen Lachen: „Ich denke, Wasser haben wir zur Zeit mehr als genug.“
„Ja, das stimmt wohl. Tut mir übrigens Leid wegen der Pizza, Sir. Ich fürchte, die werden Dr. Jackson und ich jetzt alleine essen müssen.“
„Major, Sie brauchen gar nicht so schadenfroh …“
„Colonel!“
„Hey, das ist Rodney. Ich sollte vielleicht …“
„SHEPPARD!!!“
„Ich höre es, Sir. Bis dann. Lorne Ende.“
Und bevor John noch etwas sagen konnte, war die Leitung schon tot. Mit einem Kopfschütteln klappte er das Handy zu und ging zu McKay zurück, bevor der sich verpflichtet fühlte, noch ein paar Dezibel lauter zu brüllen.
„Was gibt’s?“, fragte er mit leidender Stimme, denn es ging ihm gegen den Strich, dass McKay ihn wie seinen persönlichen Adjutanten herrief und er musste springen. „Was ist so außerordentlich wichtig, dass Sie …?“
TBC