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Thema: [MiniBang]- Jagdsaison

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    Staff Sergeant Avatar von MariLuna
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    Standard [MiniBang]- Jagdsaison

    MiniBang
    Titel: Jagdsaison
    Serie: SG-Atlantis
    Rating:
    PG-13 slash, Pairing: Sheppard/McKay
    Charaktere: Rodney McKay, John Sheppard, Col. Carter, Teyla, Ronon
    Genre: Mystery, Abenteuer, Humor
    Anmerkungen: Vorsicht, wiederkehrender Wechsel im Erzählstil u.a. POV Rodney! Fünf Kapitel, die ersten drei sind sehr lang ...
    Disclaimer: alles gehört MGM & Co, ich verdiene nichts ...
    Inhalt: durch die unbeabsichtigte Aktivierung eines eigentlich als defekt geltenden Antikergerätes erlangt McKay die Grundinstinkte eines Wraith wie Hunger, Jagdinstinkt und die dazugehörige Aggressivität. Da Gefahr für sein Leben besteht, müssen seine Freunde sich etwas einfallen lassen, bevor das in ihn implantierte Programm seine Existenz auslöscht.
    Fanart: Sinaida





    Jagdsaison

    Du und ich: Wir sind eins. Ich kann dir nicht wehtun ohne mich zu verletzen (Mahatma Ghandi)

    1. Beute und Probejagd

    Kopfschmerzen.
    Das ist das erste, was ich spüre.
    Ein kleines, hungriges Monster hinter meiner Stirn, das mir seine Klauen in die Schläfen schiebt.
    Ja, danke bestens.
    Stöhnend öffne ich die Augen, kneife sie jedoch sofort wieder zu, als ein gleißender Strahl mir glatt die Netzhaut versengt. Verdammt, was ist das?
    Es ist, als bohre mir jemand ein glühendes Messer von hinten durch die Augäpfel. Ich höre ein leises Wimmern – bin ich das etwa? – balle meine Hände zu Fäusten und presse sie mir vor die schmerzenden Augen. Irgendwann verschwindet das Messer und macht einem Presslufthammer platz. Immer noch nicht gut, aber schon weitaus besser.
    Dafür beginnt es in meinen Ohren zu summen und zu pfeifen; und fast zeitgleich entsteht ein Kribbeln direkt unter meiner Haut, ich spüre es überall, besonders wo meine Haut Kontakt mit Kleidung hat wird es schier unerträglich. Ein heißes, stechendes Jucken – die Krätze kann nicht schlimmer sein.
    Und Kopfschmerzen habe ich immer noch.
    Ich gebe mir einen Ruck und versuche ein zweites Mal die Augen zu öffnen, doch diesmal bin ich vorsichtiger und lasse mir mehr Zeit. Das Licht sticht mir noch immer unangenehm in die Netzhaut, doch es ist nicht mehr so schlimm. Meine Sicht ist zwar etwas verschwommen, doch ich erkenne das Labor – die Schreibtische, den Stuhl, von dem ich eben gefallen bin und neben mir liegt dieses handgroße Antikergerät. Es sieht tot aus, aber ich kann ganz deutlich die Schwingungen spüren, die es ausstrahlt – es pulsiert regelrecht und strahlt dabei eine Hitze ab, bei der mir aus mir unbekannten Gründen übel wird.
    Vielleicht liegt es aber auch nur an den Kopfschmerzen.
    Ich hebe etwas den Kopf und taste mir über den schmerzenden Hinterkopf. Ich spüre Nässe und eine ziemlich dicke Beule. Als ich meine Hand wieder vor mein Gesicht halte, kann ich das Blut an meinen Fingern schon riechen, bevor ich es sehe. Wieder wird mir übel, doch diesmal vor Hunger.
    Aus einem Impuls heraus stecke ich mir die Finger in den Mund und lecke das Blut ab. Es schmeckt salzig, metallisch und nach einer Süße, die ich so noch nie erlebt habe. Das wäre doch mal eine neue Geschmacksrichtung:
    Powerriegel mit Blutfüllung. Oder blauer Wackelpudding mit Blutbeilage.
    Plötzlich weht mir ein anderer, schwerer Geruch entgegen: auch sehr süß und salzig, doch zugleich auch irgendwie … erdig.
    Feucht und schwer, wie Moos im Frühlingsregen und schwach darunter wieder die metallische Blutsüße.
    Hmmmm …
    Aus meiner Kehle entweicht ein leises Knurren, ein Ton, von dem ich gar nicht wusste, dass ich ihn zustande bringe, doch ich denke nicht weiter darüber nach, denn ich erkenne die Schritte, die mir langsam näher kommen. Es ist dieser federnde, unverwechselbare Gang
    - hm, Beute -
    meines Colonels.
    - ja, genau, MEIN Colonel. -
    Plötzlich überfällt mich das Gefühl, dass er mich auf keinem Fall in diesem Zustand hier vorfinden darf. Meinen aufbrüllenden Schädel standhaft ignorierend rappele ich mich auf, erinnere mich an meine Kopfwunde und greife zum nächstbesten, was mir ins Auge springt. Gerade noch rechtzeitig ziehe ich mir Zelenkas Neuerwerbung über die Verletzung, da spüre ich auch schon, wie er das Labor betritt. Ich spüre ihn mit jedem meiner Sinne und wieder will aus meiner Kehle dieses Knurren entweichen, doch es gelingt mir, es auf halbem Wege zu unterdrücken.
    „Hallo Rodney. Lust auf einen Mitternachtsimbiß?“
    - Beute. –
    Ich schließe kurz die Augen, dränge diese seltsamen Gedanken, die sich hauptsächlich um Blut, Jagd und Futter drehen, entschieden zur Seite, und als ich glaube, mich wieder soweit unter Kontrolle zu haben, drehe ich mich zu ihm um.
    „Sicher, gerne, John.“
    Ich kann seine Überraschung regelrecht riechen, noch bevor sie sich auf seiner Miene abzeichnet.
    „Ah“, er deutet auf meine Kopfbedeckung und verbeißt sich nur mühsam ein Grinsen. Er weiß nicht, dass es vergebene Liebesmüh ist, denn ich kann seine Erheiterung tatsächlich riechen - sein Aroma ändert sich, und zwar in Richtung Honig. „Was ist das denn da? Gehört das jetzt zu einer neuen Laborvorschrift, von der ich noch nichts weiß?“
    „Nein.“ Ich greife instinktiv zu meiner Standard-Ausrede. „Ich habe eine Wette verloren.“
    Nun grinst er doch übers ganze Gesicht.
    „Steht dir gut.“ Feixend tritt er dicht an mich heran und zieht mir die Schirmmütze bis über die Nase. „Vor allem das Häschen-Logo.“
    Ich habe plötzlich den Duft von Zelenkas Shampoo in der Nase und meine Kopfschmerzen werden bei diesem Kräutergemisch nur noch stärker. Hastig schiebe ich meine Kopfbedeckung zurück in die Stirn und da ist es wieder – dieses süße, metallische Aroma. Mein Blick saugt sich an der Schramme über Johns linker Augenbraue fest und ehe ich mich versehe, berühre ich die Wunde mit meinen Fingern. Der Kontakt mit dem klebrigen Naß lässt mir das Wasser im Mund zusammenlaufen.
    „Hat Ronon dich wieder auf die Matte geschickt?“
    Er zuckt bei dieser Berührung leicht zusammen und ich spüre seine Überraschung über diesen ungewohnten Körperkontakt als wäre es meine eigene. Unwillkürlich tritt er zurück, aus meiner Reichweite.
    „Ja, aber du solltest ihn mal sehen.“
    Ich nehme seine Antwort nur mit halbem Ohr wahr, konzentriere mich völlig auf das Gefühl des Blutes an meinen Fingerspitzen.
    „Wir haben morgen eine Mission. Es ist nicht sehr klug, sich schon vorher auf die Krankenstation zu prügeln. Wer passt denn sonst auf mich auf?“ Ich höre wie die Worte meinen Mund verlassen, kann mich aber nicht erinnern, sie gebildet zu haben, ein Teil von mir ist eindeutig auf Autopilot geschaltet, während der andere mit sich kämpft, sich dieses fremde Blut auf der Zunge zergehen lassen will.
    Mein Magen knurrt. John, meine Beute, hört es auch und grinst noch breiter.
    „Auf zum Kasino“, fröhlich wirbelt er herum und geht Richtung Tür.
    „Kantine“, verbessere ich rein automatisch und lecke mir jetzt, wo er mich nicht sehen kann, sein Blut von den Fingern.
    Es schmeckt noch besser als es riecht.

    ***

    Um diese Uhrzeit war im Kasino nicht viel los. In Atlantis wurden zwar auch Nachtschichten geschoben, aber im Allgemeinen schien die Stadt zwischen Mitternacht und zwei Uhr Morgens immer irgendwie verwaist. Übriggebliebene Mahlzeiten vom Vortag hatte das Küchenpersonal in Alufolie eingewickelt, mit einem Schildchen versehen und für jeden Nachtschwärmer offen auf die Theke gestellt, neben die Mikrowelle.
    John schnappte sich einen Salat – er war nicht wirklich hungrig, eigentlich wollte er nur wieder etwas Zeit mit Rodney verbringen. Er tat alles, um seine gewiß folgenden Alpträume noch ein wenig aufzuschieben und Rodneys Gesellschaft hatte etwas Beruhigendes, um nicht zu sagen Einschläferndes – jedenfalls um diese Uhrzeit.
    Geduldig wartete er, bis sich Rodney für eine Mahlzeit entschied – er wusste schon aus Erfahrung, dass sich der Astrophysiker bei seiner Auswahl viel Zeit lassen würde. Es war fast wie ein Ritual: zuerst hob er die Alufolie an und lugte darunter (es könnte ja etwas falsch beschriftet sein), dann roch er prüfend, ob sich nicht doch irgendwo ein Hauch von Zitrone verbarg, bevor er sich dann endlich für etwas entschied. Doch heute verblüffte Rodney ihn. Zielsicher und ohne zu zögern griff er sich einen der Teller und setzte sich dann an einen der Tische. John folgte ihm etwas irritiert, doch Rodneys hungriger Gesichtsausdruck verwandelte seine Verwirrung sehr schnell in Heiterkeit. Jedenfalls so lange, bis er sah, was McKay da auf seinem Teller hatte.
    „Sagtest du nicht mal, rotes Fleisch wäre etwas für Barbaren?“
    „Sagte ich das?“ erwiderte Rodney gleichmütig. Fassungslos sah Sheppard zu, wie sein Freund die Gabel in das blutige Steak rammte, es zu seinem Mund führte und beinahe gierig davon abbiß.
    „Ah – Rodney? Wie wäre es mit einem Messer?“
    „Wozu? Ronons Tischmanieren stören dich auch nicht.“
    „Ja, sicher“, entgeistert beobachtete John, wie Rodney an dem Fleisch zwischen seinen Zähnen zu saugen begann um jedes Tröpfchen Blut herauszubekommen. „Aber Ronon ist nun einmal Ronon. Und du … du bist nun einmal du.“
    „Iß dein Karnickelfutter“, kam es nur freundlich zurück.
    Das allerdings war leichter gesagt als getan, denn beim Anblick von McKays nicht mehr vorhandenen Essmanieren, drehte es sogar einem gestandenen AirForce-Piloten den Magen um. John bezweifelte, dass selbst Ronon ruhig dabei hätte zusehen können. Oder zuhören! Denn die Geräusche, die Rodney verursachte, als er dieses arme Stück toten Fleisches regelrecht ausschlürfte, hätten jedem Zombiefilm zur Ehre gereicht. Für einen kurzen, kleinen Augenblick glaubte John sogar zu hören, wie McKay ein leises, zufriedenes Knurren von sich gab. Das war zuviel!
    Entschlossen nahm John das Messer, das auf dem Tablett des anderen lag und hielt es ihm auffordernd unter die Nase.
    „Hör auf dich wie ein Schwein zu benehmen und iß wieder wie ein zivilisierter Mensch! Meine Güte, da sind ja sogar die Wraith kultivierter!“
    Von einem Moment zum anderen ließ Rodney die Gabel mit dem Fleisch sinken. John warf nur einen kurzen Blick darauf und spürte Ekel in sich aufsteigen. Es sah tatsächlich total ausgelutscht aus, hing wabbelig und blaß auf den Zinken und zerfaserte allmählich.
    Dann hob er den Blick und starrte direkt in McKays dunkelblaue Augen und was ihm daraus ansprang war pure Neugier.
    „Du …“ Rodney beugte sich ein wenig näher zu ihm heran und sog prüfend die Luft ein. „Hast Angst vor mir?“ stellte er dann interessiert fest.
    John lehnte sich schnell zurück und verschränkte die Arme vor der Brust.
    „Pah, wie kommst du denn darauf? Das ist doch lächerlich.“
    „Hm…“ gedankenverloren widmete sich Rodney wieder seinem Fleisch. „Angst riecht nach Bittermandel, wusstest du das?“
    John spürte, wie er eine Gänsehaut bekam. Jetzt wurde ihm dieser Kerl wirklich unheimlich.
    „Ach ja?“ erwiderte er betont forsch. „Und woher willst du das wissen? Bist du jetzt Synästhetiker geworden?“
    „Das wäre ich, wenn ich sagen würde, deine Angst riecht wie blau. Obwohl…“ Rodney zögerte und runzelte die Stirn, schien angestrengt über etwas nachzudenken. „Dann riecht Angst wohl eher wie giftgrün.“
    John holte einmal tief Luft. „Du veräppelst mich“, stieß er dann mit erzwungener Ruhe hervor.
    „Fiele mir nie ein.“
    Dafür glaubte Sheppard langsam zu begreifen.
    „Wie lange bist du schon auf den Beinen?“
    „Achtunddreißig Stunden, wieso?“
    Ah, hatte er es sich doch gedacht. Ein grenzenlos übermüdeter Rodney wurde früher oder später zu Mr. Hyde.
    „Dann befehle ich dir jetzt, dich schlafen zu legen. Wir haben in zehn Stunden eine Mission und bis dahin will ich dich nirgendwo anders antreffen als in deinem Bett.“
    „Ich habe aber noch Hunger.“
    „Dann nimm dir was mit. Aber geh jetzt um Himmels Willen in dein Quartier und schlaf dich aus!“
    Sheppard legte soviel militärischen Befehlston in diese Worte wie er konnte und war grenzenlos erleichtert, als McKay sich tatsächlich fügte. Allerdings beherzigte er seinen Rat und schnappte sich noch einen weiteren Teller, bevor er das Kasino endgültig verließ und einen aufatmenden Colonel Sheppard zurückließ.
    Rodney war wirklich manchmal mehr als merkwürdig.

    ***

    Ich hätte nie gedacht, dass es mir gelingt einzuschlafen, nicht bei diesen Kopfschmerzen, doch ich habe mich kaum auf mein Bett geworfen, als mich schon die Dunkelheit umfängt. Und dann beginnen die Träume. Ausnahmsweise bin diesmal nicht ich das Opfer und es gibt auch keinen Wal, der mich auffrißt. Diesmal bin ich der Jäger. Und ich jage meine Beute, ich hetze sie, weiß nicht, um welche Art von Beute es sich handelt, aber ich ergötze mich an dem Geruch ihrer Angst. Das Aroma von Bittermandel hat sich mir unauslöschlich eingeprägt.
    Als ich am nächsten Morgen aufwache, schmecke ich noch das Blut auf meinen Lippen, spüre die elektrisierende Spannung, den Nachhall des Jagdfiebers und höre mich selbst wieder knurren.
    Himmel, das Ganze ist so … erquickend. Ich hole einmal tief Luft und werde prompt von meinen Kopfschmerzen begrüßt. Doch selbst sie können das Gefühl der Zufriedenheit nicht aus meinem Inneren vertreiben. Ich fühle mich so wach und ausgeruht wie selten zuvor. Und ich war bei der Jagd erfolgreich, auch wenn es nur ein Traum war, tief in meiner Seele spüre ich, dass heute etwas Ähnliches geschehen wird, diesmal in der Wirklichkeit. Ob ich auch diesmal erfolgreich sein werde? Ich glaube fest daran.
    Jetzt endlich öffne ich die Augen und blinzele in das goldene Sonnenlicht, das durch mein Fenster fällt. Ich sehe die Staubflocken darin wirbeln, sie tanzen einen Reigen, der mich an das wirbelnde Laub eines Herbsttages erinnert. Rotes Laub, rot wie Blut. Rot wie das Blut meiner Opfer, wenn ich ihnen meine Hand auf die Brust drücke und meine Hand dann zubeißt um mir das zu holen, was ich zum Überleben benötige.
    Verwirrt runzele ich bei diesem Gedanken die Stirn, ich weiß, dass das falsch ist, dass ich definitiv kein Wraith bin, aber das Bild lässt sich jetzt nicht mehr vertreiben.
    Aber im Grunde genommen ist es mir egal, ich fühle mich viel zu aufgedreht um genauer darüber nachzudenken. Es wird Zeit, aufzustehen.
    Mit einer einzigen geschmeidigen Bewegung schwinge ich mich über die Seite aus dem Bett und schaue erst einmal ziemlich verdutzt an mir herab. Doch dann schüttele ich nur den Kopf und gehe ins angrenzende Bad. Daß ich normalerweise nicht nackt schlafe, gehört in diesem Moment auch in die Kategorie „uninteressant“. Jetzt lockt mich erst einmal eine heiße Dusche.
    Ah, ich könnte ewig hier unter dem warmen Wasser stehen. Als ich mir die Haare wasche, zucke ich kurz zusammen, als ich die Wunde an meinem Hinterkopf berühre. Die hatte ich ganz vergessen! Das Wasser färbt sich rosa, als ich sich das getrocknete Blut aus meinen Haaren löst; und fasziniert sehe ich zu, wie der Schaum im Abfluss verschwindet. Gut, jetzt weiß ich auch, was es mit diesen elendigen Kopfschmerzen auf sich hat – der Boden des Labors ist wohl doch härter als gedacht, vor allem wenn man direkt mit dem Hinterkopf aufprallt. Ich werde es überleben.
    Als ich fertig geduscht habe, wickele ich mich in meinen blauen Bademantel. Dort, wo der Stoff die Haut berührt, juckt es sofort wieder, doch nach einer Minute hat sich mein Körper daran gewöhnt und zurück bleibt nur noch ein leichtes Kribbeln. Aber jetzt weiß ich auch, wieso ich nackt geschlafen habe.
    Aus dem Augenwinkel nehme ich eine Bewegung wahr. Ich schrecke zusammen und wirbele knurrend herum, doch dann bemerke ich, dass es sich nur um mein Spiegelbild handelt. Obwohl ich weiß, dass das dort ich bin, kommt es mir vor, als würde ich einen Fremden betrachten. Es ist alles wie gehabt, jede Einzelheit ist mir bestens vertraut, doch irgendwie ist mir die innere Verbindung zu diesem Mann dort abhanden gekommen. Vorsichtig stütze ich mich auf dem Waschbecken ab und nähere mein Gesicht dem Spiegel. Mein Ebenbild tut es mir gleich und als ich schmunzele, schmunzelt es ebenso. Ich beginne das Bild im Spiegel genauer zu mustern.
    Es … ich sehe blaß aus. Die Schatten unter meinen Augen zeugen von zuviel Streß und zu wenig Entspannung, auch, wenn sie nicht mehr so dunkel sind wie gestern – jetzt wirken sie eher bläulich und der Teufel mag mich holen, aber das verstärkt das Mitternachtsblau meiner Iris nur noch. Für die Dauer einiger Herzschläge starre ich meinem Gegenüber nur fasziniert in die Augen, verliere mich in dieser Farbe, in der Erinnerung eines beginnenden Nachthimmels, wolkenlos und sternenklar und der Spur meiner Beute, die ich ganz deutlich im Gras vor mir erkennen kann.
    Ich kann die Angst meiner Beute riechen.
    Bittermandel.
    Ein leises Knurren schreckt mich aus meinen Tagträumen und es dauert eine Weile, bis ich begreife, dass es aus meiner Kehle kommt.
    Daran habe ich mich immer noch nicht gewöhnt.
    Ein weiteres Knurren erklingt, doch diesmal stammt es von meinem Magen.
    Zeit fürs Frühstück.

    ***

    Die Kantine war keine gute Idee. Zu viele Menschen um diese Zeit. Die Vielzahl der Gerüche und Geräusche überwältigt mich, ich spüre, wie ich zu schwanken beginne und meine Kopfschmerzen flammen wieder auf. Nein, das ist eindeutig zuviel, ich muß einen Weg finden, damit umzugehen. Ich erinnere mich an meinen kleinen Trick, damals, als sich die Gedanken der anderen ungebeten in meinen Verstand geschlichen haben und beschließe, es abermals zu versuchen. Ein mir wohlbekanntes Lachen weht zu mir hinüber und damit habe ich meinen Anker gefunden. Ich konzentriere mich, siebe unter all diesen Gerüchen denjenigen heraus, der zu diesem Lachen gehört und finde ihn beinahe sofort.
    Himmel, zu diesem erdigen Moosgeruch hat sich jetzt auch noch der von Harz gesellt – wieso riecht dieser Typ wie ein ganzer Laubwald?
    Ich halte diesen Geruch fest, konzentriere mich auf ihn, während ich mir mein Frühstück hole. Ich konzentriere mich so sehr darauf, dass ich kaum erkenne, was ich mir da auf den Teller lade. Aber egal, es wird mich schon sättigen. Ich drehe mich um und schlendere zu meinen Freunden hinüber.
    Worüber sich auch immer das Gespräch dreht, sie sind im Moment sehr glücklich. Es ist wie eine goldene Wolke, die sie sanft und warm umhüllt und es entlockt mir ein leises Knurren.

    ***

    „Guten Morgen“, grüßte McKay und ließ sich auf den noch einzigen freien Stuhl direkt neben Teyla sinken. Ronon und die Athosianerin grüßten höflich zurück, nur John warf ihm einen ziemlich ungnädigen Blick zu.
    „Rodney!“ schimpfte er sofort. „Habe ich dir nicht befohlen, dich auszuschlafen? Wieso bist du schon wach?“
    „Dir auch einen wunderschönen guten Morgen, John“, kam es sarkastisch zurück. Ohne den Blick zu heben, wickelte der Kanadier sein Truthahnsandwich aus, betrachtete es kurz stirnrunzelnd und biß dann davon ab. Irgendwie schien er mit dem Geschmack nicht ganz zufrieden zu sein, denn er verzog das Gesicht und nahm dann einen tiefen Schluck von seinem Kaffee.
    „Na, wenigstens isst du heute wieder etwas Vernünftiges“, stichelte John und wandte sich dann an Teyla und Ronon. „Könnt ihr euch vorstellen, dass er gestern ein blutiges Steak verdrückt hat? Ach nein, nicht verdrückt, er hat es regelrecht ausgelutscht.“
    Rodney zog es vor, sich in Schweigen zu hüllen. Teyla beließ es bei einem nichtssagenden Lächeln, aber Ronon stürzte sich sofort auf diese Steilvorlage. Für ihn und John gab es einfach nichts Schöneres, als McKay aufzuziehen.
    „Verfressen wie eh und je“, grinste der Sateder dann auch. „Dieser Mann braucht schon eine eigene Viehherde.“
    „Dafür ist Atlantis aber wirklich nicht groß genug“, gab Sheppard in gespieltem Ernst zu bedenken, doch Ronon winkte gleich ab.
    „Bauen wir eben an.“
    Rodney schnaubte, doch das war alles, was er sich an Kommentar erlaubte. Er schien mit seinen Gedanken sowieso ganz woanders zu sein. Teyla musterte ihn verstohlen. Irgendetwas irritierte sie heute an ihm. Es dauerte eine Weile, bis sie bemerkte, dass es an seiner Haltung lag – er wirkte heute aufrechter, stolzer und zwar auf eine Art und Weise, die ihr unangenehm vertraut vorkam, doch so sehr sie sich auch bemühte, sie konnte einfach nicht den Finger darauf legen.

    ***

    Dieses Sandwich schmeckt wie Pappe. Aber es interessiert mich nicht wirklich, es füllt meinen Magen und das reicht. Außerdem bin ich mit etwas weitaus Aufregenderem beschäftigt. Ich präge mir ihre Gerüche ein und sondiere. Johns Geruch ist jetzt, wo er mir direkt gegenübersitzt wieder einmal überwältigend und ich ertappe mich dabei, ihn in Gedanken immer häufiger als meine Beute anzusehen. Ich glaube, ihn zu hetzen bis er völlig atemlos vor mir liegt würde mir wirklich Vergnügen bereiten.
    Teylas Geruch ist auch sehr einprägsam – trotz der Kräutercreme, die sie immer benutzt, ist ihr ureigenes Aroma deutlich herauszuschmecken. Es ist sehr leicht und lieblich, unaufdringlich, aber verlockend, wie der Duft einer Narzisse. Ich spüre aber auch noch die Anwesenheit einer anderen Präsenz in ihr. Niemand muß mir sagen, was das bedeutet, ich erkenne eine werdende Mutter, wenn sie neben mir sitzt. Ob sie weiß, dass es ein Knabe ist? Egal, ich sage es ihr auf keinen Fall.
    Ronon dagegen verströmt den Geruch eines klaren Bergbaches, frisch und rein, mit einem leichten Hauch von Nuß. Ihn in einem Wald nur anhand seines Geruches zu finden dürfte mir bei ihm noch viel schwerer fallen als bei Sheppard. Zu Sheppard besteht wenigstens noch eine andere, geistige Verbindung; aber Ronon dürfte mir aus den Händen gleiten. Ich würde trotzdem mal gerne gegen ihn kämpfen, er ist stark und es wird nicht leicht sein, diesen nussigen Bergbach in Bittermandel zu verwandeln.
    Ich behalte es trotzdem im Hinterkopf.
    Vielleicht ergibt sich ja noch die Gelegenheit.

    ***

    „Wer so viel Kalorien in sich hineinschaufelt hat daran bestimmt kein Interesse“, meinte Ronon plötzlich verschmitzt und seine rechte Hand schoß vor. Doch bevor er eine von McKays Weintrauben stibitzen konnte, fühlte er sich hart am Handgelenk gepackt. Völlig verdutzt starrte der Sateder auf seine Hand, die von kräftigen Fingern gepackt und auf die Tischplatte gedrückt wurde. Langsam hob er den Kopf und starrte direkt in zwei funkelnde blaue Augen. Für die Dauer einiger Herzschläge hielten sich ihre Blicke gefangen und das eisige Glitzern in McKays Pupillen erinnerte Ronon an jemanden, doch noch bevor er genauer darüber nachdenken konnte, gab der andere seine Hand schon wieder frei.
    „Meins“, sagte McKay schlicht, nahm sich eine Weintraube und steckte sie sich mit einem hämischen Grinsen in den Mund.
    Gedankenverloren rieb sich Ronon das schmerzende Handgelenk. Er hatte nicht gewusst, dass der Kanadier so hart zupacken konnte. Und wie schnell er reagiert hatte! Erstaunlich.
    „Du isst eindeutig zuviel, McKay. Ein bisschen mehr Training würde dir gut tun.“

    ***

    Ich grinse unwillkürlich. Wer hätte das gedacht? Meine Gelegenheit scheint früher zu kommen als erhofft.
    Doch ich zeige meine Begeisterung nicht und verziehe stattdessen nur das Gesicht.
    „Muß das sein?“
    „Ja“, grollt Ronon.
    Er hat ein schönes Knurren, das muß ich schon zugeben, aber meines ist besser.
    Und spätestens heute Abend werde ich es ihm beweisen.

    ***

    Der Rest des gemeinsamen Frühstückes verlief mit dem üblichen Geplänkel, an dem sich McKay nur mäßig beteiligte. Da seine Freunde dachten, er schmolle noch, ließen sie ihn weitgehend in Ruhe. Schließlich löste sich die Gruppe auf; es dauerte noch eine Stunde bis zu ihrer Mission nach P3N-451 und so wollte jeder noch den nötigsten Kleinkram hinter sich bringen. Teyla ging in ihr Quartier um zu meditieren, Ronon und Sheppard gingen in Sheppards Büro um ihre letzten Missionsberichte zu überarbeiten und McKay zog es in sein Labor. Wirkliches Interesse hatte er nicht, aber er hielt es für klüger, noch einmal Anwesenheit zu demonstrieren, und ein paar kleinere Aufgaben zu delegieren, damit seine lieben Kollegen und Untergebenen nicht auf dumme Gedanken kamen.
    Schon im Gang schlug ihm große Unruhe und Nervosität entgegen. Einigermaßen beunruhigt lief er schneller, blieb bei dem Anblick, der sich ihm dann bot, allerdings erst einmal überrascht im Türrahmen stehen.
    Miko, zwei andere Kollegen (deren Namen er sich einfach nicht merken konnte) und Zelenka wirbelten alles durcheinander – Papiere, Artefakte, Datenträger und Laptops, nichts war mehr an seinem Platz. Und kroch Miko da gerade unter einem Schreibtisch herum?
    Gereizt runzelte McKay die Stirn und hielt Zelenka, der gerade an ihm vorbeiwuselte, am Ärmel zurück.
    „Radek, was ist denn hier los?“
    „Meine Schirmmütze ist weg, die, die ich von meinem Neffen geschenkt bekommen habe.“
    Die Verzweiflung des Tschechen war geradezu mit Händen greifbar. McKay musterte das Chaos um sich herum und wurde sich seines Fehlers peinlich bewusst.
    „Oh. Ich schätze, das war ich.“
    „Was?“ stieß Radek empört hervor, stemmte die Hände in die Hüften und starrte ihn hinter seinen Brillengläsern vorwurfsvoll an. Seine Stimme war laut genug, dass die anderen auf sie aufmerksam wurden und in ihren derzeitigen Tätigkeiten innehielten.
    „Ja, tut mir leid, mir ist da gestern Abend ein kleines Malheur passiert. Ich wollte sie erst noch einmal durchwaschen, bevor ich sie Ihnen zurückgebe.“
    „Was haben Sie damit gemacht?“
    Mir meinen blutigen Kopf damit verdeckt, war Rodney versucht zu sagen, doch er entschied sich für etwas Unverfänglicheres.
    „Mir ist mein Kaffee umgekippt. Keine Sorge, dem Häschen geht es gut. Ich bringe sie Ihnen heute Abend vorbei.“
    Radek bedachte ihn mit einem herzhaften, tschechischen Fluch. Im Laufe der Jahre hatte Rodney genug aufgeschnappt um zu wissen, als was er soeben betitelt worden war, doch er ging nur schweigend darüber hinweg.
    Radek war keine Beute, er war noch nicht einmal ein Gegner. Keine Herausforderung.
    Er sog tief die Luft ein, griff sich dann mit einem schmerzhaften Murmeln an die Schläfe, schnappte sich seine Tasse und ging dann zielsicher zu der Thermoskanne auf Mikos Schreibtisch hinüber. Er brauchte jetzt dringend einen Kaffee.

    ***

    Radek musterte seinen Chef kritisch. Heute übertraf sich der Kanadier mal wieder selbst.
    Nachdem er seinen Kaffee hinuntergewürgt hatte, wies er ihnen noch ein paar Aufgaben zu – eine Energieleitung hier, eine Kalibrierung da, eigentlich nichts, was sie nicht schon wussten, schließlich hatte er sie erst gestern Abend ausführlich auf alles hingewiesen. Manchmal benahm sich der Mann wirklich, als wäre er von Idioten umgeben, aber Radek wusste, dass es nun einmal seine Art war und regte sich nicht mehr darüber auf. Einem Genie wie Rodney musste man seine kleinen Macken schon gönnen, sonst wurde aus dem Genie schnell ein cholerischer Berserker.
    Doch nun saß der Kanadier an seinem Laptop und tippte lustlos darauf herum. Radek wagte einen kurzen, verstohlenen Blick und hätte fast gegrinst.
    Moorhuhn? Soso.
    Aber er hütete sich, etwas zu sagen, nein, er beschloß, es ihm bei anderer Gelegenheit unter die Nase zu reiben, spätestens dann, wenn er wieder über Radeks Schachprogramm lästerte.
    Zum Glück waren die anderen schon unterwegs zu den Energieleitungen, so dass sie von dem kindischen Treiben ihres Chefs nichts mitbekamen.
    Mit einem leichten Lächeln beschäftigte sich Radek wieder mit den Daten auf seinem Laptop, bis ihn ein seltsames Geräusch innehielten ließ. Er stutzte und runzelte die Stirn – hatte Rodney eben tatsächlich leise vor sich hingeknurrt?
    Doch noch bevor er sich diesem Thema genauer widmen konnte, sprang der andere schon auf.
    „Ich muß jetzt los. Bis dann, Radek.“
    Zelenka nickte nur. Die Begeisterung in der Stimme seines Chefs und Freundes wunderte ihn schon ein wenig, doch er zuckte nur mit den Schultern und vertiefte sich wieder in seine Arbeit.

    ***

    Colonel Samantha Carter hatte es sich zur Angewohnheit gemacht, jedes Team persönlich zu verabschieden, eine kleine Tradition der Höflichkeit, wie sie auch Dr. Weir gepflegt hatte. Und daher erwartete sie das AR-1 Team am startbereiten Jumper. Zuerst traf natürlich Lt. Colonel John Sheppard ein, dicht gefolgt von Ronon Dex und Teyla Emmagan.
    „Colonel“, nickte John.
    „Colonel“, grüßte Sam zurück und bemerkte, wie sich Teyla und Ronon ein Schmunzeln verkniffen – ja sicher, sie fand es auch immer wieder lustig, und heute gestattete sie sich ebenfalls ein leises Lächeln.
    Dann standen sie alle ein wenig verlegen herum und warteten auf das letzte Mitglied des Teams. Ronon überprüfte bei dieser Gelegenheit gleich noch einmal seine Waffe, während sich Teyla das lange Haar zu einem Zopf band.
    „Das wird sicher eine harmlose, kleine Mission“, sagte Sam schließlich, um das Schweigen zu überbrücken. „Die Leute auf P3N-451 erwarten Sie schon mit einem Festessen.“ Sie seufzte tief. „Heute wäre ich wirklich mal gerne dabei. Ich habe gehört, diese Sonnenwendfeste sind immer ein Ereignis.“
    „Hm“, brummte Sheppard. „Wir werden Ihnen etwas mitbringen.“
    „Ob die Ernte der Tava-Bohnen diesmal besser ausfällt als letztes Mal?“ überlegte Carter laut. Sie hoffte es sehr, denn der Kaffeenachschub der Daedalus traf erst in zwei Monaten wieder hier ein.
    Sheppard grinste, doch bevor er etwas entgegnen konnte, betrat McKay den Hangar. Mit energischen Schritten eilte er heran.
    „Colonel“, grüßte er Sam, doch plötzlich stockte er, rieb sich die Stirn und stieß den Atem in einem lauten Zischen wieder aus.
    „Um Himmels Willen – Samantha!“
    „Rodney?“ entgegnete sie, über seinen tadelnden Tonfall irritiert.
    Er wedelte mit einer Hand vor seinem Gesicht herum als läge in der Ecke ein verfaulter Fisch.
    „Bei allem Respekt, Sie sind weiß Gott nicht der Rosen-Typ“, legte er los. „Schon mal etwas davon gehört, dass man mit einem Parfüm den Eigengeruch verstärken und seinem Gegenüber nicht so einen grausamen Mischmasch aufzwingen sollte? Puh, ehrlich, versuchen Sie es bitte das nächste Mal mit Orchidee oder Lotos. Veilchen geht auch, aber nie wieder Rose, okay?“
    Sie schnappte nur fassungslos nach Luft. Seine unverblümte Art hatte sie ja schon öfters überrascht, aber das hier war wirklich die Höhe!
    Sie reagierte rein instinktiv. Ihre Hand landete mit einem lauten klatschenden Geräusch mitten in seinem Gesicht.
    Sie wusste nicht, wer überraschter war – sie oder er. Im gleichen Augenblick wünschte sie, sie könnte es zurücknehmen, ein solches Benehmen ziemte sich weder für eine Dame noch für einen Colonel und schon gar nicht für die Leiterin von Atlantis.
    Für einen winzigen Moment flackerte etwas in Rodneys blauen Augen auf, doch dann wandte er sich nur ab und rieb sich die Wange.
    „Ich finde Ihr Parfum wunderbar“, erklang plötzlich Teylas besänftigende Stimme in der peinlichen Stille, die sich nach dieser Ohrfeige zwischen ihnen ausgebreitet hatte.
    Rodney stöhnte.
    „Teyla, du bist eindeutig eine Narzisse, laß die Hände weg von Rosen.“
    McKay!“ Sheppards scharfe Stimme ließ den Kanadier tatsächlich zusammenzucken und verhinderte weitere Eskalationen.
    „Ich kenne meinen Namen und schrei nicht so, ich bin nicht taub.“
    „Entschuldige dich bei Colonel Carter.“
    Erstaunlicherweise gehorchte Rodney. Zumindest auf seine Weise.
    „Ich wollte Sie nicht beleidigen, Samantha, aber dieser Rosenduft passt nicht zu Ihnen. Sie sollten es wirklich mit etwas anderem versuchen.“
    „McKay!“
    „Oh, verdammt noch mal, es stimmt doch!“
    „Komm jetzt mit.“ Alles andere als sanft packte Sheppard ihn am Arm und zog ihn mit sich ins Innere des Puddle Jumpers. Doch ihre Stimmen waren laut genug, jeder hier konnte die folgende hitzige Diskussion mitverfolgen.
    „So kannst du doch nicht mit einem Full Bride Colonel reden!“
    „Du kennst mich doch, ich sag’s wie ich mein und ich mein’s wie ich’s sag.“
    „Nochmal so ein Ding und ich pfeffer dir auch eine!“
    „Das kannst du gerne mal versuchen!“
    „Was hat dich heute nur gebissen? Tickst du noch ganz sauber?“
    „Sie hat mir eine geklatscht!“
    „Das hast du auch verdient.“
    Ronon zuckte nur mit den Schultern und trottete in den Jumper, wo er sich auf seinen bevorzugten Stammplatz hinter dem Copiloten fallen ließ. Teyla lächelte Colonel Carter noch einmal zu. Ihr war nicht entgangen, wie diese unauffällig an ihren Handgelenken roch.
    „Sie riechen gut“, beruhigte sie die blonde Frau. „Rodney scheint nur etwas gegen Rosen zu haben.“
    „Ja“, murmelte Samantha und zuckte dann betont gleichmütig mit den Schultern. Sie überlegte, ob sie McKay dafür noch zur Verantwortung ziehen könnte, doch eigentlich konnte sie froh sein, wenn er ihr die Ohrfeige nicht ankreidete. Verdammt, wozu hatte sie sich da nur hinreißen lassen? Sie wusste doch, daß er sehr direkt war und es eigentlich nie böse meinte. Wieso regte sie das dann nur so auf?
    „Kein Parfum“, stieß sie plötzlich hervor, als sie begriff. „Ich habe heute gar nichts aufgelegt. Das ist mein Wellnessbad von gestern. Aber wie-“ sie sah Teyla zu, wie diese sich ins Innere des Jumpers begab und zögerte, ob sie sie zurückhalten, diese ganze Mission abbrechen sollte, entschied sich dann aber doch dagegen.
    Trotzdem …
    „- wie kann er das jetzt noch an mir riechen?“ beendete sie ihren Satz leise.

    ***

    In einer eleganten Linkskurve passierte der Puddle Jumper ein Bergmassiv und flog nun über dichte, grüne Wälder. Die Doppelsonne neigte sich schon langsam dem Horizont zu, doch noch herrschte Tageslicht. In zwei Stunden allerdings war es hier zappenduster – dieser Planet kannte so gut wie keine Dämmerung.
    Sie überflogen eine langgestreckte Prärie, über die zottige, gehörnte Tierherden zogen. Sie zogen eine regelrechte Schneise in das Grün.
    „Hm, Weidegründe“, murmelte McKay plötzlich, der seit sie Atlantis verlassen hatten, erstaunlich ruhig geblieben war.
    John schreckte regelrecht auf und starrte ihn entsetzt an. „Wie bitte, was? Weidegründe?“
    „Ja. Wieso?“ kam die ahnungslose Antwort, begleitet von einer vielsagenden Geste aus dem Frontfenster. „Grüne Felder, viel Vieh – Weidegründe.“
    „Weidegründe“, wiederholte John kopfschüttelnd, „bist du ein Wraith?“
    „Wieso?“ meinte McKay nur, doch dann fiel der Groschen und er grinste schmal. „Ach so, verstehe. Tut mir leid, hab nicht darüber nachgedacht. Ehrlich gesagt, gefällt mir der Begriff Jagdgründe auch viel besser.“
    Der Unterton, mit dem er die erste Silbe dieses Wortes hervorhob war schon mehr als seltsam. Es klang irgendwie … erwartungsvoll.
    John schüttelte nur den Kopf und setzte zur Landung an. Er hatte es heute aufgegeben, McKay zu verstehen. Mr. Hyde war wieder da, ihm fehlte wohl immer noch Schlaf. Nun, Sheppard beschloß bei sich, daß McKay heute nach dem Sonnenwendfest mehr als genug Schlaf finden würde, und wenn er ihn mit Ronons Waffe betäuben müsste.
    Interessiert hob McKay den Kopf, verglich schnell die Positionsangaben der Siedlung mit ihrem derzeitigen Flugziel.
    „Wir parken wieder einen Kilometer von der Siedlung entfernt?“
    „Ein Fußmarsch wird dich schon nicht umbringen.“
    McKay schwieg, doch als Sheppard ihm einen schnellen Blick zuwarf, registrierte er verblüfft das leise Lächeln, das um die Mundwinkel des anderen zuckte. Normalerweise meckerte er immer, wenn sie mehr als hundert Meter laufen mussten.
    Sie landeten auf einer Wiese in der unmittelbaren Nähe eines Waldes, tarnten den Jumper und stiegen aus. Sheppard lief voran, ihm folgten Teyla, Ronon und Rodney, der sich unbemerkt etwas zurückfallen ließ.
    Rodneys Blick wanderte immer wieder zum Waldrand hinüber und dabei schlich sich ein zunehmend sehnsüchtiger Ausdruck in sein Gesicht.
    Mit jedem Schritt driftete er immer weiter Richtung Gehölz.

    ***

    Ich kann nicht länger warten, ich kann nicht. Der Drang ist stärker als mein Wille – aber eigentlich will ich mich gar nicht mehr beherrschen. Die Geräusche des Waldes und der Geruch meiner potenziellen Opfer ist zuviel für meine Selbstherrschung.
    Diese Welt lockt mich, ruft mich, überflutet alle meine Sinne.
    Beute. Hol sie dir.
    Ich befreie mich von meiner P-90 und der 9mm, diesem unnötigen Ballast, werfe mein Headset hinterher und stürme davon. Ich höre die Schreie meiner Freunde, aber ich achte nicht auf sie. Sie gehören schon längst nicht mehr zu meiner Welt.
    Ich stürze mich in das dämmrige Zwielicht des Waldes – hier bricht die Nacht schon herein, während sich draußen die Sonne – Verzeihung, die Sonnen, es sind zwei - gerade erst dem Horizont entgegen neigen.
    Ich spüre, wie das Moos unter meinen schweren Stiefeln federnd nachgibt und renne weiter, alle Sinne gespannt. Ich höre und spüre kleine Warmblüter, die sich vor meinem Ansturm in Sicherheit bringen – zu klein. Sie stillen meinen Hunger nicht im Mindesten. Sie haben Glück, ich will heute nichts von ihnen.
    Ich renne weiter, auf der Suche nach etwas, was mir ebenbürtig ist, nach etwas, was genug Blut und Lebenskraft besitzt um meinen Bedarf zu stillen. Es gibt hier einiges, das flüstert mir die kleine Stimme in meinem Inneren zu.
    Mein Hunger steigert sich zu einem lodernden Feuer und stachelt meinen Jagdtrieb nur noch weiter an.
    Ich erreiche einen kleinen Bach und durchquere ihn achtlos. Ich weiß, ich sollte nicht soviel Lärm machen, das verscheucht die Beute, doch im Moment ist mein Bewegungsdrang übermächtig.
    Ich will rennen. Das Feuer in meinen Magen muß sich in meinem restlichen Körper verteilen und das geht nur, wenn ich in Bewegung bleibe.
    Aus dem Dickicht neben mir hoppelt etwas Hasenartiges davon. Ich würde ihm gerne hinterher, aber ich lasse es, denn es ist viel zu klein.
    Nein, das hier soll sich lohnen, jetzt, wo ich endlich das tun kann, wovon ich letzte Nacht geträumt habe. Vielleicht habe ich nur diese eine Gelegenheit und es soll verdammt noch mal etwas Besonderes werden.
    Die Schatten werden immer länger und ich dringe immer tiefer in den Wald ein. Doch ich finde meinen Weg, folge den Pfaden, die das Wild hier ausgetreten hat.
    Wer braucht schon Ronon, wenn man so einen Instinkt besitzt?
    Und plötzlich spüre ich es. Keine zehn Meter vor mir.
    Ich bleibe stehen und nehme Witterung auf. Es ist groß, sehr groß – genau richtig. Es riecht süß und saftig und irgendwie nach Vanille. Und es ist nicht allein. Sie sind zu dritt.
    Knurrend schleiche ich näher.
    Große Ohren zucken, schmale Köpfe fahren entsetzt herum und dunkle Augen starren mich an. Ich entscheide mich, die Kuh und das Kalb zu verschonen und stürze mich auf den großen Hirschen.
    Meine Beute springt davon und ich komme nicht umhin, ihre eleganten Bewegungen zu bewundern.
    Die Hetzjagd beginnt.

    ***

    „McKay! Verdammt! McKay! Rodney!“
    Nichts. Natürlich nicht. Wütend kickte John einen Stein beiseite. Es war eindeutig – McKay wollte nicht gefunden werden. Schließlich hatte er sein Headset absichtlich weggeworfen. Mit einem zornigen Aufschnauben warf er den Kopf in den Nacken und legte all seine Wut und Besorgnis in ein einziges Wort.
    Rodney!!“
    Die einzige Antwort bestand aus einem aufgeregten Vogelschwarm, den er aus der Krone des Baumes verscheuchte, unter dem er gerade herumstrich. Er spürte eine leichte Berührung am Arm und starrte hinab auf Teyla, die ihm eine Hand auf den Ellbogen gelegt hatte und ihm nun zuversichtlich zulächelte.
    „Wir finden ihn, John.“ Aber er konnte ihr ansehen, daß sie sich nicht halb so sicher fühlte wie sie klang.
    „Hier entlang“, meinte Ronon plötzlich und lief ihnen voraus.
    Er hatte die Spur inzwischen wiedergefunden. Es war schon das dritte Mal, daß sie Rodneys Fährte verloren hatten und jedes Mal wurden die Abstände kürzer. John hoffte, daß sie ihn fanden, bevor es hier so finster wurde, daß selbst Ronons scharfe Augen kapitulieren mußten.
    Eine halbe Stunde später war es soweit. Ihnen blieb nichts anderes übrig als die Suche vorerst abzubrechen und zu hoffen, daß ihnen die Siedler – die sich hier immerhin besser auskannten – weiterhalfen.
    Niedergeschlagen machten sie sich auf den Rückweg.

    ***

    Ausgelassenes Lachen wehte zu ihnen hinüber und unwillkürlich sah Sheppard in die entsprechende Richtung. Es war dunkel, doch die unzähligen Feuer erleuchteten den Dorfplatz genug, um Einzelheiten auszumachen. An den mit Köstlichkeiten gedeckten Tischen drängelten sich Männer, Frauen und Kinder in ihrer Festtagskleidung und über einem Feuer drehte sich ein halber Ochse am Spieß, zischend tropfte das Fett ins Feuer und der Geruch von gewürztem Fleisch und Wein hing in der Luft.
    Normalerweise wären er und sein Team jetzt mittendrin und würden genauso fröhlich feiern wie alle anderen hier, doch die Sorge um McKay hatte sie jeden Hunger vergessen lassen. Sie standen an einem der etwas abseits gelegenen Feuer, zusammen mit Taray, dem hiesigen Oberrat und warteten. Man hatte ihnen Stockbrot angeboten, doch keiner von ihnen hatte Lust, jetzt einen Stock mit einem Fladen in die Flammen zu halten und Taray verstand sie.
    Er konnte ihnen nicht wirklich weiterhelfen und das bedrückte ihn sehr.
    „Colonel, es tut mir wirklich leid, aber Nachts sind die Wälder zu gefährlich“, entschuldigte er sich nun zum x-ten Male. „Wir müssen wirklich auf Jossora warten, sie kennt sich hier am besten aus. Es dauert nicht mehr lang, sie müsste in einer halben Stunde hier sein.“
    Sheppard nickte nur. Er musste den Leuten hier ja schon dankbar sein, daß sie nach dieser Jägerin geschickt hatten. Bitter starrte er auf die Feiernden ohne sie wirklich zu sehen. Besorgnis und Wut über seinen durchgedrehten Freund hielten sich momentan die Waage.
    Sie konnten nichts tun, aber gar nichts.
    Der Lebenszeichendetektor half ihnen nicht weiter, weil hier viele Tiere lebten, die groß genug waren, daß das Gerät sie ebenfalls anzeigte. Den subkutanen Sender konnten sie nur mit Hilfe des Jumpers orten, aber selbst dann hätten sie in dieser Wildnis keine ungefährliche Landemöglichkeit. Es blieb also nur die Jägerin, jemand von ihnen würde sie vom Jumper aus anleiten müssen. Es war zum Haareausraufen.
    McKay war inzwischen seit fünf Stunden fort. Er mochte sich gar nicht ausmalen, was in dieser Zeit alles passieren konnte.
    Durch die Reihen der Feiernden drängte sich plötzlich eine schmale, kleine Gestalt, bei deren Anblick Taray zu strahlen begann, und Sheppard begriff, daß es sich bei dieser Frau nur um besagte Jossora handeln konnte.
    Er wusste nicht genau, wie er sich die Jägerin vorgestellt hatte, die sich hier angeblich am besten auskannte, aber ihre Zierlichkeit überraschte ihn wirklich. Sie war einen guten Kopf kleiner als Teyla und hätte fast als Kind durchgehen können, doch ein Blick in ihre Augen und man wusste, daß diese Frau sehr viel älter war als sie aussah.
    Sie hielt sich nicht mit langen Vorreden auf.
    „Gehen wir Ihren Freund suchen.“

    ***

    Es ist vorbei. Du liegst vor mir, dem Tode nahe. Dein Herz rast, dein Atem geht schwer und keuchend. Du hast nicht mal mehr die Kraft den Kopf zu heben. Ich sehe dir tief in deine großen, braunen Augen und sehe die Todesangst in ihnen. Der Angstgeruch, der von dir ausgeht ist inzwischen so stark, daß ich wieder Kopfschmerzen bekomme. Aber es ist nicht derselbe Bittermandelgeruch wie bei den Menschen und das finde ich interessant. Das hier ist beißender, regelrecht ätzend und vielleicht ist es gerade das, was mich daran hindert, dir den Rest zu geben.
    Ich will dein Blut nicht. Aber du hast mir eine schöne Jagd geboten, also bin ich dir Respekt schuldig. Und so hocke ich neben dir im nebelfeuchten Gras und streichele dein Fell. Es ist naßgeschwitzt, an einigen Stellen schon schaumig, ich entdecke eine Distel und löse sie aus einem verklebten Haarbüschel. Ich spüre das Zucken der Muskeln unter meinen Händen und weiß, wenn du genug Kraft hättest, würdest du jetzt aufspringen und davon rennen, aber das bisschen, was dir noch geblieben ist, reicht gerade mal zum Atmen.
    Es ist nicht mehr viel und ich kann regelrecht sehen, wie deine Lebenskraft erlischt.
    Ich danke dir für diese Jagd.

    ***

    Die Jägerin redete nicht viel und hörte aufmerksam zu, als John ihr erzählte, was geschehen war. Sie stellte auch keine Fragen, was er eigentlich schon ziemlich merkwürdig fand, doch dann bemerkte er ihren Gesichtsausdruck. Sie zog eine ziemlich finstere Miene und es war eindeutig, daß sie viel lieber mit den anderen die Festlichkeiten genießen würde.
    Als John dies begriff, hörte er auf seinen Charme an sie zu verschwenden und schwieg. Das Wichtigste wusste sie ja schon.
    Er warf einen kurzen Blick über die Schulter zurück zu Teyla und Ronon, die ihnen dichtauf folgten, und als die Athosianerin ihm wieder ihr aufmunterndes Lächeln schenkte, fühlte er sich gleich etwas besser. Nicht viel, aber ein wenig.
    Immerhin waren sie jetzt nicht mehr zur Untätigkeit verdammt. Und wenn Jossora so gut war wie behauptet, würden sie ihren verrückten Wissenschaftler schon wiederfinden. Lebend, wie er hoffte.
    Sie erreichten die Wiese, auf der der Jumper stand und John fröstelte unwillkürlich. Hier draußen unter freiem Himmel, wo sie durch die Bäume nicht mehr geschützt waren, war die Kälte der Nacht deutlich zu spüren und der Anblick der weißen Nebelschwaden, die wie lange, bleiche Gespenster in Kniehöhe umherwaberten, trug auch nicht gerade dazu bei seinen Optimismus zu wecken.
    Die Jägerin vor ihm blieb so plötzlich stehen, daß er beinahe in sie hineingelaufen wäre. Verdutzt hob er an etwas zu sagen, doch sie bedeutete ihm mit einer Handbewegung still zu sein und deutete dann wortlos auf eine Stelle nicht unweit des Jumpers.
    Zuerst konnte er nichts erkennen außer Nebelschwaden, doch als ein leichter Windstoß den weißen Dunst für einen Augenblick zerfaserte, konnte er ein überraschtes Aufkeuchen nicht mehr zurückhalten.
    „Rodney?“ Und dann lauter: „Rodney!
    Grenzenlos erleichtert rannte er auf den Vermissten zu.

    ***

    Ich höre dich. Und ich rieche dich.
    Meine Beute.
    Ich spüre deine Erleichterung, sie umweht mich wie Samt, sanft und einschmeichelnd, aber obwohl ich mich erheben will, dir entgegenlaufen, kann ich keinen Muskel rühren. Himmel, meine eigene Erschöpfung hat mich eingeholt und genau in diesem Moment fühle ich, wie das Leben mit einem letzten, gequälten Atemzug den Körper vor mir im Gras verlässt.
    Und plötzlich überkommt mich eine nie gekannte Mattigkeit.

    ***

    Rodney hockte mit dem Rücken zu ihnen und reagierte nicht auf seinen Ruf, doch John war viel zu froh ihn wiederzusehen, um wirklich darauf zu achten.
    „Rodney.“ Er legte ihm eine Hand auf die Schulter und stutzte, als ihm die klamme Nässe dessen T-Shirts auffiel. Auch seine Haare waren feucht, als käme er frisch aus der Dusche. Doch dann drang ihm der unverkennbare Geruch von Schweiß in die Nase. Nein, das war kein Wasser.
    Einen Augenblick später fiel sein Blick auf das, was vor seinem Freund im Gras lag, und seine Augen weiteten sich überrascht.
    „Rodney?“ flüsterte er leise.
    Inzwischen waren auch die anderen herangekommen. Ronon kommentierte das tote Wild mit einem anerkennenden Knurren, und Teyla fuhr sich überrascht mit der Hand an den Mund. Ihr verwirrter Blick huschte zwischen Rodney und dem Hirschen hin und her, stumm, fassungslos.
    Jossora, die Jägerin, ging einmal um das Wild herum und hockte sich dann auf der anderen Seite nieder, während ihre Hand prüfend über das nasse Fell glitt. Dann, ganz langsam, hob sie den Kopf und musterte ihn mit einem Blick, in dem sich Bewunderung und Überraschung widerspiegelten.
    „Sie haben einen Hirschen zu Tode gehetzt?“ fragte sie scharf.
    „Sieht so aus“, murmelte er nur.
    Ihren Augen wanderten abschätzend über den Mann vor sich. Sie registrierte sehr wohl, daß er genauso schweißnaß war wie der tote Hirsch vor ihnen im Gras, und sie hatte keinen Grund an seinen Worten zu zweifeln, doch seine körperliche Erscheinung stand dazu in einem krassen Widerspruch.
    Dem anderen, den mit den Dreadlocks hätte sie eine solche Jagd durchaus zugetraut, aber diesem hier?
    Doch dann begegnete sie seinem Blick, und unwillkürlich schlich sich ein Lächeln auf ihre Züge. Vielleicht hatte er nicht die Gestalt eines Jägers, aber ganz bestimmt den Willen dazu.
    „Wollen Sie ihn als Trophäe behalten oder kann ich ihn mit zum Fest nehmen?“
    Seine Antwort überraschte alle.
    „Er gehört John. Es ist seine Entscheidung.“
    Mir?
    John schluckte schwer und glaubte im ersten Moment, sich verhört zu haben, doch dann richtete sich Jossoras abwartender Blick auf ihn, und er verstand, daß es doch kein Irrtum gewesen war. Plötzlich spürte er etwas Feuchtes, Warmes an seiner Hand, die noch immer auf Rodneys Schulter ruhte, und als er den Blick senkte, erkannte er Rodneys blutverschmierte Finger. Doch noch bevor er darauf reagieren konnte, zog Rodney sie schon wieder fort und zurück blieb nur ein leicht prickelndes Gefühl auf seiner Haut.
    John überlegte kurz, dann wusste er, was er zu tun hatte ohne irgend jemanden zu beleidigen.
    „Nehmen Sie den Hirschen als ein Geschenk von uns für Ihr Sonnenwendfest“, erklärte er der Jägerin. „Als Dankeschön für Ihre Hilfe und Entschädigung für Ihren Zeitverlust.“ Er warf einen schnellen Blick zu Ronon hinüber, der sofort verstand und das tote Tier an den Läufen packte, um es sich dann mit einer schnellen Bewegung auf die Schulter zu werfen.
    „Ronon wird es Ihnen zur Siedlung tragen.“
    „Sie fliegen wieder nach Hause?“ erkundigte sich Jossora, die mit dieser Entscheidung mehr als zufrieden wirkte.
    John wechselte einen schnellen Blick mit seinen Teamkameraden und nickte dann wortlos. Mit Rodney stimmte eindeutig etwas nicht, und was das war, konnten sie nur in Atlantis herausfinden.

    ***
    Geändert von MariLuna (23.07.2009 um 13:02 Uhr) Grund: Disclaimer vergessen *räusper*


  2. #2
    Zitronenfalter Avatar von Sinaida
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    Herzlichen Glückwunsch zum erfolgreichen Posten des ersten Teils der ersten MiniBang-Story.
    Ein wirklich spannender und sehr unheimlicher Anfang. Gerade wie du in den ersten beiden Szenen Rodneys Veränderung beschreibst, ist gruselig. Dieses Wahrnehmen seiner Teamkameraden durch den Geruchsinn und die Beschreibung desselben ist dir echt sehr gut gelungen. Tolle Wortwahl!
    Und ich finde durch diesen Erzählstil, erste Person, bei Rodneys Szenen, wirkt das Ganze noch viel intensiver.

  3. Danke sagten:


  4. #3
    Lieutenant General Avatar von Antares
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    Ein schöner Einstieg in den Mini-Bang und die Story.

    Die Perspektivwechsel gefallen mir sehr gut, das macht es sehr lebendig.

    Und wenn Rodney im Moment auch noch mehr wie ein Vampir als wie ein zukünftiger Wraith klingt, so bin ich mal gespannt, welchen Grund das hat.


    @Sinaida: Das Cover ist sehr beeindruckend! Blutrote, verlaufene Farbe und ein Rodney, der ein klein wenig irre schaut, während Sheppard, auch durch die Anordnung auf dem Poster, doch eher in die passive Rolle gedrängt ist.

    Zusammen mit dem Titel, der mir sehr gut gefällt, macht das ein tolles Cover für die Story!

  5. Danke sagten:


  6. #4
    Wake me up in San Francisco Avatar von John Shepp.
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    Wow!! Richtig unheimlich!Besonderst der Anfang als Rodney die Gerüche beschreibt...
    Mir gefallen die Perspektivwechsel ebenfalls, macht die ganze Geschichte noch viel spannender als sie sowieso schon ist.
    Wirklich sehr, sehr toller anfang!

    @Sinaida: Ich kann mich Antares nur anschließen, ein tolles Cover, dass gut zur Story passt.

  7. Danke sagten:


  8. #5
    Fürstin der Finsternis Avatar von Liljana
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    Was soll ich sagen! Jetzt kann ich keine Kekse mit Bittermandel mehr backen! Der Gedanke an McKay in Assoziation mit Angst würde mich vermutlich nicht mehr loslassen.

    Und wenn ich meine Narzissen ans Fenster stelle - dann ist Teyla in meiner Küche. Nur bei Ronon habe ich Glück, in meiner Nähe gibts keine Bergbäche!


    Sei gewiss, wenn ich künftig Kekse essend in meiner Küche stehe und sich der Regen wie ein Bergbach anhört, werde ich auf alle Fälle immer an dich denken!!

    Tolle Geschichte MariLuna und tolles Cover Sinaida!!

  9. Danke sagten:


  10. #6
    Major Avatar von claudi70
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    Wow, was für eine Geschichte. Er wirkt fast wie ein Vampir, aber als er das rohe Fleisch aussaugte, da wurde mir auch ganz anders.
    „Ja, sicher“, entgeistert beobachtete John, wie Rodney an dem Fleisch zwischen seinen Zähnen zu saugen begann um jedes Tröpfchen Blut herauszubekommen. „Aber Ronon ist nun einmal Ronon. Und du … du bist nun einmal du.“
    Tja, ganz er ist er nun wirklich nicht mehr. Aber interessant wie du die einzelnen Gerüche beschribst auch die der einzelnen Personen.

    Aua...
    Sie reagierte rein instinktiv. Ihre Hand landete mit einem lauten klatschenden Geräusch mitten in seinem Gesicht.
    Das hätte ich ihr gar nicht zu getraut, dass sie sich so gehen lässt, aber man kann sich auch nicht alles bieten lassen. *g*

    Bin gespannt was sie auf Atlantis rausfinden werden. Auf jeden Fall eine spannende Geschichte. Du hast einen sehr angenehmen Schreibstil, der macht Lust auf mehr.

    LG Claudi

  11. Danke sagten:


  12. #7
    Second Lieutenant Avatar von Aker
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    @Sinaida: Sagtest du nicht mal, du wärest nicht gut im Cover gestalten? Hah, von wegen! Das ist doch super. Dezent und doch unheimlich aussagekräftig. Schwarz/weiß und dazu die blutrote - auch noch so schön eklig verlaufende - Schrift passen einfach. Man muss es sich aber auf jeden Fall in der richtigen Größe anschauen, wegen Rodneys Augen - gruselig.

    @MariLuna: Grundgütiger, was für ein Einstieg. Vom ersten Satz an, wird man mitten in die Handlung - und vor allem Rodneys neue Erfahrungswelt - hinein gezogen. Und wie! Seine neuartige Wahrnehmung der altbekannten Umwelt ist ungeheuer faszinierend und intensiv beschrieben. Nicht zu vergessen sehr anschaulich. Gefällt mir ausgesprochen gut. Die dazwischengeschobenen Blicke von außen erlauben eine Einordnung in ein Gesamtbild und vor allem, naja, einen Blick von außen . Ich warte schon gespannt darauf, wie sie reagieren, wenn sie herausfinden, was mit Rodney los ist. Aufmerksam geworden sind sie ja schon, auch wenn John erste Verdachtsmomente erstmal auf Rodneys mangelnden Schlaf abgeschoben hat.
    Was mir nicht ganz klar ist, was aber bestimmt noch erklärt wird, ist, warum Rodney einerseits sein Verhalten reflektieren und an erwartete Muster - mehr oder weniger - anpassen kann, aber offensichtlich nicht merkt, dass etwas mit ihm nicht stimmt...
    Oh ja, das wird noch spannend.

  13. Danke sagten:


  14. #8
    Ägypten-Fan Avatar von Valdan
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    Hi ML,

    Wow! Nachdem ich jetzt endlich zum Lesen gekommen bin, kann ich nur sagen: MEHR!!

    Dass ich deinen Schreibstil mag, weisst du ja und er passt einfach super zu der Geschichte. Du schickst einen durch ein Wechselbad zwischen Rodneys neuen Empfindungen und eingeworfenen Schmunzlern (Samantha und Rosen!) und überhaupt: Deine Wahl von Rodney, als derjenige, der diese "Ur"instinkte entwickelt ist genial, um mal deine Worte zu benutzen:
    [QUOTE]Ihren Augen wanderten abschätzend über den Mann vor sich. Sie registrierte sehr wohl, daß er genauso schweißnaß war wie der tote Hirsch vor ihnen im Gras, und sie hatte keinen Grund an seinen Worten zu zweifeln, doch seine körperliche Erscheinung stand dazu in einem krassen Widerspruch.
    [/QUOTE

    Dann warte ich jetzt mal gespannt auf die Fortsetzung!

    LG Val

    @ Sinaida: Das Cover passt super zu der Geschichte *schauder*!
    "Der Mensch fürchtet die Zeit, doch die Zeit fürchtet die Pyramiden."
    arabisches Sprichwort

    ***


  15. Danke sagten:


  16. #9
    Staff Sergeant Avatar von MariLuna
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    @Alle: Ich danke allen für ihre lieben und wirklich ausführlichen Reviews und hoffe, daß ihr mit dem nächstfolgenden Teil genauso viel Spaß habt! Und ich hoffe, alle offenen Fragen werden im Laufe der Geschichte zu eurer aller Zufriedenheit gelöst bzw. entwirrt und wenn nicht- *faule Tomaten zum Wurf auf die Autorin verteil*

    @Sinaida: Auch wenn ich dir das schon mal gesagt habe, dein Cover ist wirklich spitze und ich bin richtiggehend stolz, eine solch hervorragende FanArt-Künstlerin wie dich für diesen Mini-Bang gefunden zu haben *knuddel*

    So, nu geht’s weiter:
    __________________________________________________ _


    2. Instinkt und Besitzansprüche

    Als ich wieder zu mir komme ist es wie ein Schlag ins Gesicht. Rein instinktiv fahre ich in die Höhe, doch ein starker Druck auf die Brust presst mich zurück. Dann überrollt mich der Gestank, scharfer, beißender Chemiegestank und lässt mich würgen. Meine Augen brennen von der Helligkeit, die sich plötzlich in meine Sehnerven frisst, und nur wie aus weiter Ferne dringt eine sanfte, beruhigende Stimme an meine Ohren.
    „Sssh, ganz ruhig, Rodney. Bleiben Sie liegen.“
    Liegen bleiben soll ich?
    Gut, ich versuche es, versuche zu verstehen, was hier eigentlich vor sich geht. Eben war ich noch im Puddle Jumper, eingerollt im Sitz und habe selig vor mich hingeschlummert, und jetzt wache ich an einem Ort auf, der so hell ist und nach Chemie stinkt, daß mir regelrecht übel wird.
    Ich sehne mich zurück nach dem Wald, und kaum habe ich diesen Gedanken losgetreten, fällt mir alles wieder ein. Das Pulsieren des Blutes in meinen Adern, als mich das Jagdfieber erfasste, der betörende Geruch des vor mir flüchtenden Wildes, und am Ende mein Sieg über dreihundert Kilo geballte Eleganz. Kühler Nachtwind, der meinen Schweiß trocknet, weißer Nebel, der über einer nächtlichen Prärie schwebt und der letzte Atemzug meiner Beute.
    Mir fallen auch noch andere Dinge wieder ein – John, Teyla, Ronon und eine Fremde, die mich seltsam ansehen. Ronon, der meine Beute wegträgt, die Fremde, die ihm folgt und John, der mich in den Jumper bringt.
    Und ich begreife, daß ich wieder zuhause in Atlantis bin, genauer gesagt auf der Krankenstation. Nur warum verstehe ich nicht, denn ich fühle mich gut. Ich kann mich auch nicht erinnern, daß mich der Hirsch verletzt hat.
    Ich hebe die Hand und schirme meine empfindlichen Augen diesmal etwas ab, bevor ich ein vorsichtiges Blinzeln wage.
    „Warum bin ich hier?“
    Dr. Keller sieht mich an und lächelt. Ohne es zu wollen schnappe ich ihren Eigengeruch auf – Honig. Das passt gut zu ihrer Haarfarbe.
    „Erinnern Sie sich nicht? Sie haben auf P3N-4519 einen Hirschen zu Tode gehetzt. Ihr Körper fand das nicht so lustig und ist wenig später kollabiert. Außerdem haben sie eine verschorfte Platzwunde am Hinterkopf. Wie ist das passiert?“
    Ich versuche mich zu erinnern.
    „Gestern. Labor“, entgegne ich dann knapp. Es ist eine eher lästige Erinnerung. Viel lieber erinnere ich mich an meine Jagd. Und an die Berührung von Johns Hand auf meiner Schulter. Plötzlich fällt mir etwas ein.
    „Zelenka. Ich habe ihm versprochen, ihm sein Basecap zurückzugeben. Das mit dem Hasen. Ich habe es mir ausgeliehen, als …“ ich verstumme mitten im Satz und versuche, den Gedanken wieder einzufangen, doch er ist mir entglitten.
    Verdammt, was ist hier los?
    Plötzlich spüre ich einen stechenden Schmerz in meiner linken Armbeuge und wie etwas Heißes durch meine Adern sickert und verstehe.
    „Sie … hören Sie auf, mich mit Sedativa vollzupumpen!“ schreie ich die Ärztin an.
    Wieder versuche ich mich aufzurichten, doch da durchbohrt ein glühendes Schwert mein Gehirn und landet wieder direkt in meinen Augen. Ich spüre, wie ich wieder auf das Krankenbett zurückfalle.
    Doch irgend etwas stimmt nicht, denn obwohl ich längst in den Kissen liege, falle ich immer weiter.

    ***

    Colonel Samantha Carter stand etwas abseits und biß sich unwillkürlich auf die Lippen, als sie sah, wie McKay plötzlich die Augen verdrehte und wie ein nasser Mehlsack nach hinten kippte.
    Unwillkürlich glitt ihr Blick hinüber zu den Bioanzeigen, doch soweit schien alles in Ordnung zu sein.
    Sie dachte kurz an jenen Augenblick zurück, als Ronon den total durchnäßten Astrophysiker auf die Bahre des Notfallteams gelegt hatte. Sie fühlte sich schuldig, sie hätte auf ihren Instinkt hören und die Mission abbrechen sollen. Und Johns kurzer Bericht über das Geschehene bestätigte sie nur in ihren Selbstvorwürfen.
    Jetzt konnte sie nur noch hoffen, daß keine irreparablen Schäden entstanden waren.
    „Nun, Doktor?“ fragte sie, als sich Dr. Keller von ihrem Patienten abwandte und zu ihr hinübertrat.
    Jennifer strich sich müde über die Stirn. „Seine Kopfplatzwunde macht mir Sorgen. Er hätte sie gestern gleich behandeln lassen sollen, jetzt ist es zu spät. Ich kann nicht mehr feststellen, wie der Schweregrad seiner Gehirnerschütterung wirklich war. Daher kann ich nicht viel machen außer ihm strenge Bettruhe verordnen. Nicht, daß es noch zu einer Gehirnblutung kommt. Diese Jagd hätte ihn umbringen können“, fügte sie dann mit hilfloser Wut hinzu.
    Sam konnte sie gut verstehen, ihre Gefühle gingen in eine ähnliche Richtung.
    „Könnte es sein, daß sein seltsames Verhalten mit seiner Kopfverletzung zusammenhängt?“
    Jennifer zuckte mit den Schultern. „Der Scan auf Fremdeinflüsse war negativ.“
    „Der Scan erfasst nicht alles.“
    „Das ist mir bewusst, Colonel Carter“, entgegnete die Ärztin beinahe schroff. Doch dann hatte sie sich wieder in der Gewalt. „Ich setze ihn unter Sedativa, so kann er uns wenigstens nicht davonrennen.“
    „Gut. Ich habe Dr. Zelenka, Colonel Sheppard, Ronon und Teyla angewiesen in seinem Quartier und im Labor nach möglichen anderen Ursachen zu suchen. Es frustriert mich, daß wir so wenig tun können um ihm zu helfen.“
    Es tat gut, es einmal so deutlich auszusprechen und als sie das bestätigende Lächeln der Ärztin auffing, wusste sie, daß sie nicht alleine dastand. Rodney war zwar eine Nervensäge und konnte einen mehr als einmal pro Tag auf die Palme bringen, aber irgendwie hingen sowohl Colonel Carter wie auch Dr. Keller an ihm und ihn jetzt hier so zu sehen, das ging ihnen durch Mark und Bein.
    In diesem Moment knackte es in Colonel Carters Headset und sie erkannte Colonel Sheppards Stimme.
    „Ich glaube, ich habe etwas gefunden. Dr. Zelenka und ich sind gleich bei Ihnen.“

    ***

    Fünf Minuten später saßen sie alle in Dr. Kellers Büro – Colonel Carter, Dr. Keller, Colonel Sheppard und Dr. Zelenka. Eine Minute später gesellten sich auch Ronon und Teyla hinzu, die direkt aus McKays Quartier kamen. In ihrer Hand hielt Teyla eine rote Schirmmütze, die sie dem überaus verblüfften Radek in die Hand drückte.
    „Ihre, nicht wahr?“
    „Ja, danke.“
    „Rodney hatte sie auf seinem Nachttisch.“ Teyla zögerte kurz. „Auf der Innenseite ist Blut und auf seinem Kopfkissen war auch ein Blutfleck.“
    Seufzend drehte Zelenka die Mütze zwischen seinen Fingern hin und her.
    „Er hat gesagt, er hätte Kaffee drübergekippt“, murmelte er mehr zu sich selbst und klang dabei sehr traurig.
    „Das bekommt man wieder raus“, tröstete Teyla ihn und war erstaunt, als der Tscheche den Kopf schüttelte.
    „Das ist es nicht“, sagte er etwas lauter. „Er hat sie einfach genommen, um … um…“ seine Stimme versagte, wurde zu einem leisen Seufzen.
    „Um zu vermeiden, daß mir auffällt, daß er verletzt ist“, beendete Sheppard seinen Satz und schnitt eine Grimasse. „Das ist so gar nicht typisch.“
    „Er sagte mir, er hätte sich die Kopfwunde gestern im Labor zugezogen“, warf Dr. Keller ein.
    John nickte.
    „Wahrscheinlich kurz bevor ich zu ihm gekommen bin. Ich hätte es bemerken müssen. Wie konnte ich nur so blind sein? Ich dachte, sein komisches Benehmen läge an Übermüdung. Scheiße“, fluchte er leise.
    Radek seufzte und legte eine kleine Plastikbox vor ihnen auf den Tisch.
    „Wir glauben, daß das hier der Übeltäter ist.“
    Die anderen beugten sich neugierig vor und sahen sich einem kleinen, eiförmigen Objekt gegenüber.
    „Was ist das?“ fragte Colonel Carter schließlich.
    Nervös rückte sich Radek seine Brille zurecht. „Nun ja, das weiß ich noch nicht so genau. Es liegt schon seit Jahren bei uns im Labor als Briefbeschwerer herum, weil es nicht mehr funktionsfähig ist. Eher gesagt, dachten wir das. Es wies aber auch nichts darauf hin, daß es anders wäre, wir haben es wirklich gewissenhaft überprüft.“
    „Schon gut, Radek“, beruhigte ihn Samantha sofort, „ich bin mir sicher, daß Sie und Ihre Leute solche Artefakte nicht leichtsinnig als Briefbeschwerer benutzen.“
    „Ah … ja. Genau. Na ja, soweit ich mich noch erinnere, wurde es von den Antikern als eine Art Speichereinheit eingesetzt. Nicht wie das mit der Übertragung eines fremden Bewusstseins, sondern …“ einigermaßen ratlos zuckte er mit den Schultern. „Es hat nur bestimmte Details gespeichert und die dann an den Träger weitergegeben. Ich muß das in der Datenbank noch einmal recherchieren und genauer analysieren, wie gesagt, weil wir es für tot hielten, haben wir uns nicht ausführlich damit beschäftigt.“
    „Gut, dann tun Sie das, Radek.“
    Sehr aufschlussreich war das nicht, aber immerhin ein Anhaltspunkt.
    „Jetzt, wo das Gerät aktiv ist, kann ich einen Handscanner so kalibrieren, daß er uns anzeigt, ob Rodney davon wirklich betroffen ist“, schlug Radek vor und begann schon eifrig auf besagtem Gerät herumzutippen.
    „Das ist eine hervorragende Idee“, lobte Carter und fragte sich insgeheim, wieso Radek das nicht als erstes vorgeschlagen hatte. In seiner ganzen Vorgehensweise erinnerte er sie manchmal sehr an Rodney und vielleicht war auch genau dies der Grund, wieso die beiden trotz ihrer unterschiedlichen Charaktere so hervorragend zusammenarbeiteten.
    „Ah, ich bin fertig“, unterbrach Radek plötzlich die Stille zwischen ihnen noch bevor sie sich richtig ausdehnen konnte.
    „So schnell?“ stieß Carter verblüfft hervor, doch dann klopfte sie dem Tschechen lobend auf die Schulter.
    Eine Minute später standen sie alle um Rodneys Krankenbett und sahen ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigt.
    „Ich mache mich sofort an die Arbeit“, murmelte ein merklich blasser Zelenka und eilte aus der Krankenstation.
    So sehr auch alle Wahrscheinlichkeiten dagegensprachen, insgeheim hatte jeder von ihnen gehofft, daß Rodneys Gehirnerschütterung die Erklärung für alles wäre, denn das wäre eine weitaus angenehmere Alternative gewesen.

    ***

    Müde rieb sich Dr. Keller über die Stirn. Irgendwie war es ihr gelungen, John, Teyla und Ronon aus der Krankenstation zu bugsieren. Es war spät und so sehr sie die Besorgnis des Teams um Rodney auch mitfühlen konnte, irgendwann war Schluß. Sie hatte noch drei andere Patienten, die dringend ihren Schlaf benötigten. Und Rodney stand so sehr unter Beruhigungsmitteln, der wachte heute bestimmt nicht mehr auf. Noch ein letztes Mal überprüfte sie die Infusion, dann ging sie hinüber in ihr Büro um sich dem administrativen Teil ihrer Arbeit zu widmen.

    ***

    Ich will nicht einschlafen. Diese Medikamente machen mich schwach, aber ich will nicht schwach sein. Ich muß dieses blöde Zeug aus meinem Körper loswerden und zwar so schnell wie möglich, bevor es mich noch einmal ausknockt. Mir läuft die Zeit davon, ich habe noch etwas vor.
    Ich spüre, daß sich im Moment niemand in unmittelbarer Nähe zu mir aufhält, aber sicherheitshalber linse ich doch noch einmal unter halbgeschlossenen Augen hervor. Es ist immer noch so unangenehm grell hier, daher mache ich die Augen schnell wieder zu. Ich bin tatsächlich allein. Vorsichtig ziehe ich meinen linken Arm unter die dünne Decke und fingere mit meiner anderen Hand an der Kanüle in meiner Armbeuge herum. Ich brauche nur zehn Minuten, nur lächerliche zehn Minuten, dann habe ich zu meiner alten Kraft zurückgefunden. Oh Himmel, sei einmal auf meiner Seite und schenke mir diese zehn Minuten! Laß sie beschäftigt sein, womit auch immer sie sich die Zeit vertreiben, ich bitte dich!
    Mit einem Ruck reiße ich mir die Kanüle aus der Vene und steche sie senkrecht in die Matratze unter mir. Soll sich das Bett doch eine Sedativa-Vergiftung holen, ich für meinen Teil habe davon die Nase voll.
    Jetzt kann ich nur noch hoffen, daß niemand meinen kleinen Trick bemerkt. Ich schließe die Augen und konzentriere mich, versuche mit reiner Willenskraft, dieses elendige Zeug aus meinem System zu bekommen.
    Ich muß hier weg, denn ich bin zu einem Kampf mit einem nussigen Wildbach verabredet.

    ***

    Mit einer raschen Drehung brachte sich Sheppard vor Ronons Schlagstock in Sicherheit. Er hatte sich von dem Sateder noch zu einem kleinen Trainingskampf überreden lassen, auch wenn er wusste, daß er es spätestens in zehn Minuten bereuen würde. Na gut, er grinste in Gedanken, dann hätte er wenigstens wieder einen Grund um auf der Krankenstation vorbeizuschauen. Auch wenn er sich sehr wohl der Tatsache bewusst war, daß er Rodney im Moment nicht helfen konnte, er wäre gerne bei ihm geblieben. Und er wusste, daß es Ronon ähnlich erging. Vielleicht hatte er deshalb diese kleine Übungseinheit hier vorgeschlagen.
    Außer ihnen befanden sich noch vier Marines im Trainingsraum, doch wirklich beachten taten weder er noch Ronon sie. Es war fast, als gehörten sie zu einer anderen Wirklichkeit von Atlantis, einer, in der alles seinen gewohnten Gang ging, wo sein Freund nicht mit einer seltsamen Fremdpräsenz im Kopf auf der Krankenstation lag.
    „Ich habe recht“, meinte Ronon, während er geschickt einem Schlag auswich. „Sein Benehmen, seine Wortwahl im Jumper und diese Hetzjagd – es spricht alles dafür.“
    „Warten wir ab, was Zelenka herausfindet“, beschwichtigte ihn John, während er einen Schlag mit dem Stock parierte und sich vor einem erneuten Angriff gerade noch rechtzeitig in Sicherheit brachte. Ronon war heute wirklich wieder verflixt schnell. „Ich halte nichts von übereilten Aktionen.“
    „Ich habe recht und du weißt es, Sheppard.“
    „Warten wir es ab.“ In Wirklichkeit wollte er gar nicht erst genauer über Ronons Verdacht nachdenken, denn die Situation erschien ihm jetzt schon unerträglich und wenn Ronon auch noch recht behalten sollte … ihn schauderte es unwillkürlich.
    Nur mit halben Ohr nahm er das charakteristische Zischen der sich öffnenden Tür hinter sich wahr, doch als Ronon plötzlich mitten im Angriff stockte und mit großen Augen auf etwas starrte, das sich direkt hinter ihm befand, kreiselte er automatisch herum und – erstarrte.
    Dort stand Rodney. Schwarzes T-Shirt, graublaue Cargohose, Armeestiefel und mit einem ausgesprochen breiten Grinsen im Gesicht.
    „Ronon Dex. Wir sind zu einem Kampf verabredet.“
    Im ersten Augenblick war Sheppard sprachlos, doch dann ging er schnellen Schrittes auf McKay zu und legte ihm die Hand auf die Schulter.
    „Rodney, du gehörst auf die Krankenstation“, es war keine Feststellung und auch keine Bitte, sondern ein eindeutiger Befehl. Doch Rodney warf ihm nur einen gelangweilten Blick zu und wischte seine Hand beiseite als wäre sie nicht mehr als eine lästige Fliege.
    „Ich will meinen Kampf. Jetzt. Sofort.“ Mit diesen Worten griff er nach Johns Schlagstock und entwand ihn diesen noch bevor dieser begriff, wie ihm geschah.
    „Rodney…“
    „Laß ihn, Sheppard“, meinte Ronon und nickte McKay auffordernd zu. Dieser machte Anstalten, zu dem Sateder hinüberzugehen, doch Sheppard gelang es, ihn am Ellbogen zu packen.
    „Rodney, bitte, du gehörst auf die Krankenstation. Verdammt noch mal, sei doch vernünftig.“
    Er hatte noch nicht ganz ausgesprochen, da fand er sich schon auf dem Boden liegend wieder und Sternschnuppen tanzten vor seinen Augen. Überrascht keuchte er auf.
    „Mein Kampf“, erklärte Rodney kühl und zog den Stock, mit dem er ihn ausgehebelt hatte, wieder zurück.
    „Misch dich nicht ein.“
    Und dann, ganz leise, so leise, daß nur John es verstehen konnte:
    Meine Beute.“

    ***

    Er fürchtet mich nicht. Ich rieche seine Anspannung, aber keinen Hauch von Angst. Das macht mich wütend. Weiß der Kerl denn nicht, wen er vor sich hat? Na gut, dann werde ich es ihm wohl beweisen müssen. Ich werfe den Kopf in den Nacken und richte mich auf, packe den Stab fester. Es wird Zeit, dieses lächerliche Spiel zu beenden. Ich lasse ihn keine Sekunde aus den Augen und starte meine Attacke.
    Ich lebe für den Kampf, das wird er noch begreifen – spätestens dann, wenn er geschlagen am Boden liegt und ich Anspruch auf meine Beute erheben kann.

    ***

    Meine Beute? Der samtweiche Tonfall dieser beiden Worte verursachte Sheppard eine Gänsehaut. In ihm keimte der furchtbare Verdacht, daß Ronon mit seiner Vermutung doch recht haben könnte. Er brauchte lange, um sich von seiner Überraschung zu erholen, viel zu lange um das Folgende zu verhindern. Als er sich endlich aufgerappelt hatte, war der Kampf schon in vollem Gange.
    Oh Gott, Ronon hat recht! Er hat recht … John stöhnte unterdrückt.
    McKays Bewegungen, diese stolze Geschmeidigkeit erinnerten ihn schmerzhaft an die unzähligen Begegnungen mit den Vertretern einer Lebenskraft aussaugenden Rasse. Die Schlagstöcke prallten mit einer solchen Geschwindigkeit aufeinander, dass es wie ein einziger, wilder Trommelwirbel durch den Trainingsraum hallte. Die wenigen, die sich ebenfalls hier aufhielten und übten, hielten mitten in der Bewegung inne und drehten sich zu den beiden Kämpfern um. In ihren Gesichtern spiegelte sich dieselbe Überraschung, wie sie Sheppard selbst empfand.
    Trotzdem konnte sich kein Zuschauer der unheimlichen Anziehungskraft dieses gefährlichen Tanzes entziehen:
    Blitzartige Attacken, gefolgt von beinahe spielerisch wirkenden Ausweichmanövern - all das mit einer Eleganz und Selbstsicherheit ausgeführt, die jeder Martial-Arts-Choreograph nicht besser hinbekommen hätte.
    Bruce Lee, Jet Li und all die anderen Filmhelden wären vor Neid erblaßt.
    „Colonel Sheppard!“ die aufgeregte Stimme von Dr. Keller aus seinem Headset riß ihn aus seiner Faszination. „Rodney ist aus der Krankenstation verschwunden.“
    „Ich weiß“, entgegnete John, die Blicke noch immer wie gebannt auf die Kämpfenden vor sich gerichtet. „Er ist hier. Im Trainingsraum. Ich kümmere mich darum.“
    Kurzentschlossen unterbrach er die Verbindung wieder. Dr. Kellers Sorge interessierte ihn gerade herzlich wenig. Wenn man ihn gefragt hätte, hätte er nicht gewusst wieso, aber der Anblick des kämpfenden McKays verursachte ein angenehmes Prickeln in seinem Inneren.
    Rodney demonstrierte hier Sprünge, Fußtritte und Schläge, die er normalerweise noch nicht einmal im Ansatz geschafft hätte – und er kam dabei noch nicht einmal ins Schwitzen.
    Wirklich bewundernswert.
    Zuerst parierte Ronon auf gleiche Weise, doch dann allerdings kam er ganz schön in Bedrängnis und das war … überraschend.
    Nur ein einziges Mal hatte man ihn in einem solch aussichtslosen Kampf erlebt – und das war damals auf Sateda, als er gegen seinen alten Feind, diesen Wraith gekämpft hatte. Die Erkenntnis traf Sheppard wie ein Schlag. Das wohlige Gefühl wich eisiger Beklemmung.
    Ja, verdammt, Ronon hat tatsächlich recht.
    Plötzlich, mit einer einzigen, schnellen Bewegung, hebelte McKay den Sateder aus und warf ihn auf den Rücken. Bevor dieser auch nur überrascht nach Luft schnappen konnte, war McKay schon über ihm, nagelte ihn mit seinem Knie auf den Boden und legte ihm in einer ebenfalls grausam bekannten Art die Hand auf die Brust.
    In der plötzlich eintretenden Stille erschien das Knurren, das sich seiner Kehle entrang, doppelt so laut.

    ***

    Ich blicke dir direkt in die Augen, doch das, was ich suche, finde ich dort noch immer nicht. Keine Furcht. Du bist völlig furchtlos. Ist das Dummheit oder grenzenloser Mut? Meine Hand liegt auf deiner Brust, ich kann ganz deutlich fühlen, wie sie sich bei jedem Atemzug hebt und senkt, wie sich deine Lungen mit kostbarer Luft füllen. Ganz tief in meinem Inneren kann ich sogar deinen Herzschlag hören. Er ist nicht so heftig, wie er sein sollte. Warum hast du keine Angst? Mir ist bewusst, dass ich mich nicht an dir nähren kann, aber diese Geste ist mir so vertraut und sie zeigt deutlich, wer von uns beiden der Sieger ist.
    Tief sauge ich deinen Geruch in meine Nüstern und bin beruhigt. Das Bittermandelaroma ist da, wenn auch nur schwach. Du hast Angst.
    Oh, das stellt mich so zufrieden, du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr. Mein Knurren wird zu einem leisen Schnurren. Ich beuge mich zu dir hinunter und berühre deine Stirn mit meiner, blicke dir tief in deine Augen. Ich sage nur ein einziges Wort, aber das drückt alles aus, was ich dir sagen will und ich weiß, dass du mich verstehst.
    „Gewonnen.“
    Oh ja, ich habe gewonnen. Und mein Sieg ist sogar noch größer als erhofft, denn jetzt rieche ich auch die Angst der anderen in diesem Raum. Ich spüre aber auch, dass sie langsam aus ihrer Schreckstarre erwachen und begreife, dass es Zeit für einen Rückzug wird. Deshalb lasse ich dich los – wenn auch nur widerwillig – stehe auf und trete von dir zurück. Sie sollen sehen, dass ich dir nichts getan habe, dass du weitgehend unverletzt bist. Ohne ein weiteres Wort verlasse ich den Raum.
    Ich muß mich nicht beeilen, ich muß nicht weiter kämpfen, meine Beute ist mir sicher.

    ***

    Colonel Sheppards militärischer Drill gewann die Oberhand und so eilte er rein automatisch an Ronons Seite, reichte ihm die Hand und half ihm schweigend auf die Füße, während er innerlich noch immer wie erstarrt war.
    „Ich habe es dir gesagt, Sheppard“, presste Ronon zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und hielt sich die geprellte Schulter. „In ihm steckt der Geist eines Wraith.“
    Seine Worte lösten die Blockade.
    „Teyla-“ begann John, wurde von dem Sateder jedoch sofort unterbrochen.
    „Sie spürt nichts, ich weiß. Das liegt aber daran, dass er keine Wraith-DNS besitzt.“
    „Wir müssen-“
    „Ihn ausschalten, genau“, fiel ihm Ronon ins Wort und eilte schon zu seiner Waffe hinüber, die er auf einer Bank abgelegt hatte. Entschlossen fiel Sheppard ihm in den Arm.
    „Ich meinte, wir müssen ihm helfen!“
    „Sheppard, er denkt wie ein Wraith. Er fühlt wie ein Wraith und er hat deren Kampfkraft. Ihre Instinkte. Nur, weil er sich nicht an uns nähren kann, heißt das nicht, dass er es nicht gerne tun würde.“
    Mit aller Autorität, die er aufbringen konnte, starrte John dem aufgebrachten Sateder in die Augen. So gut er Ronons Besorgnis verstehen konnte, er war nicht gewillt, eine Hetzjagd auf jemanden wie McKay loszutreten.
    „Verdammt noch mal, wir sprechen hier von Rodney! Das ist nicht Michael. Er wird sich nicht in einen Wraith verwandeln.“
    „Was macht dich da so sicher?“
    Mein Gefühl, hätte Sheppard ihm beinahe ins Gesicht geschrieen. Mein Vertrauen.
    „Ronon, es ist Rodney“, wiederholte er stattdessen noch einmal eindringlich. „Ich kümmere mich darum“, entschied er dann, weil er wusste, daß dies die einzige Möglichkeit war, die ihm letztendlich blieb, wenn er Schlimmeres verhindern wollte.
    Sekundenlang schien es, als wolle Ronon protestieren, doch die Entschlossenheit in Sheppards Augen überzeugte ihn schließlich.
    „Gut. Aber ich bin immer in der Nähe.“

    ***

    Mit schnellen Schritten verließen sie den Trainingsraum und die vier Marines folgten, von dem Erlebten noch immer ziemlich verwirrt. John gab über Funk an alle Sicherheitsteams den Befehl, Dr. Rodney McKay zu suchen, ihn wenn möglich, festzuhalten und jeder Provokation aus dem Wege zu gehen. Er fügte nicht hinzu, daß McKay gefährlich war, da er nicht wollte, daß ein übereifriger Marine auf seinen Freund schoß, betonte aber mehrmals, daß man ihn nur festhalten sollte, bis er eingetroffen war und sich höchstpersönlich dieser Angelegenheit widmen würde. Dann informierte er Colonel Carter und Dr. Keller über seine Absicht und wie erwartet, versicherte ihm Carter ihre volle Unterstützung, während die Ärztin betonte, daß Rodney auf die Krankenstation gehöre und zwar nirgends anders hin und damit basta.
    Er musste unwillkürlich schmunzeln, als er Dr. Kellers scharfen Ton vernahm. Diese Frau konnte fast noch unangenehmer werden als Beckett, wenn es um ihre Patienten ging.
    Es waren keine drei Minuten vergangen, da meldete sich Major Lorne.
    „Sir, wir haben Dr. McKay gefunden. Er ist im Kasino.“
    Nun verbiß sich John wirklich ein Grinsen.
    Das hätte ich mir eigentlich denken können, dachte er bei sich und fiel in einen schnellen Laufschritt, dicht gefolgt von Ronon und den anderen.
    Als sie das Kasino betraten, bot sich ihnen ein ungewöhnliches Bild: die wenigen, die hier speisten und nicht zum Militär gehörten, drängten sich an die Tische in den äußeren Bereichen und beäugten die Soldaten misstrauisch, die sich in einem beinahe perfekten Halbkreis mit gezückten Waffen um den Chef der wissenschaftlichen Abteilung aufgestellt hatten, während besagter in aller Seelenruhe an seinem Tisch saß und aß.
    Die ganze Szene wirkte irgendwie surreal, wie aus einem schlechten Gangsterfilm. Sheppard missfielen vor allem die vielen Waffen, deren Mündungen sich unmissverständlich auf Rodney richteten. Er gab Ronon und den anderen zu verstehen, an der Tür zu warten und ging dann zu seinen Leuten hinüber. Auf ein Kopfnicken von ihm ließ Major Lorne die Waffe sinken und alle anderen taten es ihm nach. Erleichtert aufatmend schlenderte Sheppard zu seinem Freund hinüber.
    „Hallo Rodney.“
    „John“, meinte dieser nur ohne richtig aufzusehen. John warf einen Blick auf seinen Teller und hatte plötzlich ein flaues Gefühl in seinem Magen.
    „Darf ich mich zu dir setzen?“
    Rodney zuckte nur gleichmütig mit den Schultern, also zog sich John einen Stuhl zurecht und setzte sich absichtlich so, daß die meisten seiner Leute erst ihn über den Haufen schießen mussten, sollten sie sich trotz seines ausdrücklichen Befehls entscheiden von der Waffe Gebrauch zu machen. Rodney registrierte es mit einem amüsierten Lächeln.
    „Was soll die Verstärkung?“ fragend deutete er auf die Soldaten. „Habt ihr etwa Angst vor mir?“
    Mit gespieltem Gleichmut zuckte John mit den Schultern.
    „Wir haben eben eine Seite von dir gesehen, die schon ein bisschen unheimlich ist.“
    Auf eine Art, wie er es noch nie zuvor bei ihm gesehen hatte, ließ Rodney seine Gabel durch die Luft wirbeln, bevor er sie dann fast spielerisch in seinem halbrohen Steak versenkte.
    „Ich habe nur meinen Standpunkt klar gemacht“, erklärte er dann zwischen zwei Bissen. Sheppard wartete auf eine genauere Erklärung, begriff jedoch, daß keine folgen würde und ergab sich in sein Schicksal. Wenn Rodney darauf bestand, daß er ihm die Würmer einzeln aus der Nase zog, musste er sich eben fügen.
    „Der da wäre?“ hakte er daher nach.
    Rodney grinste und für einen Augenblick sah sich John dem altvertrauten, arroganten Ekel gegenüber, das er so schätzte.
    „Ich bin besser als der stärkste Krieger auf Atlantis.“
    Unwillkürlich verzog John das Gesicht. Tonfall und Mimik waren typisch McKay, aber diese Worte hörten sich an wie von einem Fremden.
    „Du bist schon der Klügste hier, das sollte dir reichen.“
    „Habe ich dich nicht beeindruckt?“ Das klang irgendwie enttäuscht.
    Beschwichtigend hob John die Hände.
    „Doch, sehr. Wirklich, ich war beeindruckt.“
    Herrje, und das war er tatsächlich, nicht wahr? Fremdbewusstsein hin oder her, diese geschmeidige Eleganz würde er so schnell nicht wieder vergessen. Er räusperte sich, schob diesen Teil seiner Gedanken ganz weit von sich.
    „Aber … Rodney, das bist nicht du. Gestern im Labor hast du unbeabsichtigt ein Antikergerät aktiviert, das dir Teile eines fremden Bewusstseins aufgedrückt hat. Und … nun, es sieht ganz so aus, als würdest du jetzt von Wraith-Instinkten geleitet.“
    So, jetzt war es heraus. Aufmerksam beobachtete er seinen Freund, wie dieser auf diese Eröffnung wohl reagierte und war baß erstaunt, als Rodney sich zurücklehnte und tatsächlich – zu lachen begann. Es war ein typisches McKay-Lachen – ehrlich, offen und herzlich.
    „Ich habe nicht vor, mich an euch zu nähren, wenn du das befürchtest. Ich bevorzuge ganz normale Nahrung.“ Vielsagend deutete er auf seinen Teller und entlockte dem Colonel damit nur ein erstauntes Kopfschütteln.
    „Ganz normal nennst du das? Sieh dir doch mal bitte an, was du da in dich hineinschaufelst, verdammt noch mal!“
    Rodney blinzelte ihn für einen Augenblick total verwirrt an, doch dann leistete er der Bitte Folge und senkte den Kopf. Seine Miene, sonst für Sheppard ein offenes Buch, blieb dabei völlig ausdruckslos. Verdammt, dieser Wechsel vollzog sich immer rasanter.
    „Viele essen ihr Steak gerne blutig, vor allem ihr US-Amerikaner“, erwiderte Rodney dann gleichmütig, grinste spöttisch und schob sich den nächsten Bissen absichtlich langsam zwischen die Zähne. „Du musst nicht zusehen, wenn es dir nicht gefällt wie ich esse. Obwohl ich mich immer noch frage, wieso es dich nur bei mir so offensichtlich zu stören scheint. Wo ich mir doch so viel Mühe gebe, deinen Ansprüchen zu genügen.“ Wieder zitterte ein leiser Hauch von Enttäuschung in seiner Stimme. Langsam beugte er sich vor und sah John forschend in die Augen.
    „Muß ich mich noch mehr anstrengen um dir meinen Wert zu beweisen?“
    John fühlte sich unter diesem Blick alles andere als wohl und außerdem wurde diese Konversation mit jedem Wort unheimlicher. Das flaue Gefühl in seiner Magengegend verstärkte sich zusehends. Erst schenkte er ihm einen Hirschen und dann kämpfte er gegen Ronon – und gewann auch noch! – und jetzt ständig dieses Gerede über „beeindrucken“ und „Wert beweisen“. Allmählich wirkte das alles hier wie ein absurder Wettstreit, dessen Regeln ihm allerdings verborgen blieben.
    „Bitte Rodney, keine Kämpfe mehr“, er war sich nur zu schmerzlich der Anwesenheit von fünfzehn Marines hinter ihnen bewusst und der schreckliche Verdacht, daß McKay plötzlich wieder meinte, seine Kampfkünste demonstrieren zu müssen, behagte ihm ganz und gar nicht.
    „Ich sagte doch, du hast mich beeindruckt.“
    Rodney musterte ihn noch einmal eindringlich und widmete sich dann wieder seinem Steak.
    Für die Dauer einiger Herzschläge saßen sie sich nur schweigend gegenüber – Rodney genüsslich essend und John eher nachdenklich. Er ließ sich ihr Gespräch noch einmal durch den Kopf gehen. Das war eine völlig andere Perspektive, die sich ihm hier eröffnete. Natürlich war ihm nicht entgangen, daß Rodney in den letzten Jahren eine zunehmende Veränderung durchgemacht hatte – vom jammernden, hilflosen Wissenschaftler, der nicht einmal geradeaus schießen konnte zu einem Mann, der das Magazin seiner P-90 so selbstverständlich wechselte wie er sonst ein DHD reparierte. Und zu einem Kameraden und Freund, der sogar freiwillig mit Ronon Nahkampftechniken trainierte.
    An diesem Punkt seiner Überlegungen angekommen fragte sich John plötzlich, wie viel von dem, was er vor weniger als einer halben Stunde im Trainingsraum demonstriert hatte wirklich auf Fremdbeeinflussung zurückzuführen war. Dafür stammten viel zu viele dieser Griffe und Manöver aus Marine-Techniken und Ronons höchsteigenem Kampfstil.
    Was war, wenn diese Wraith-Instinkte nur etwas viel Älteres in Rodney wachgerufen hatten?
    Auch die Menschen verfügten über Instinkte.
    Oder war beides dabei, sich zu vermischen?
    Dr. Kellers helle Stimme riß ihn jäh aus seinen Gedanken.
    „Rodney, was machen Sie hier? Sie gehören auf die Krankenstation.“
    „Ich gehe nicht zurück in Ihr Revier“, erklärte McKay entschieden, ließ sein Besteck fallen und richtete sich langsam auf. Der Blick, den er der Ärztin zuwarf hatte etwas Mörderisches an sich.
    „Sie versuchen immer, mich mit Medikamenten vollzupumpen und das ist das Letzte, was ich jetzt gebrauchen kann.“
    „Sie haben eine schwere Kopfverletzung und wurden darüber hinaus von einem Antiker-Gerät beeinflusst“, Dr. Keller ließ sich nicht durch seine ablehnende Haltung beeindrucken und trat entschlossen näher. „Es ist wirklich besser, wenn Sie mitkommen.“
    Colonel Carter tauchte neben ihr auf.
    „Entweder Sie gehen auf die Krankenstation oder ich sehe mich gezwungen, Sie einzusperren“, warnte sie und auf ein stummes Zeichen von ihr hob Major Lorne neben ihr wieder seine Waffe.
    Sheppard schloß die Augen. Oh nein, bitte nicht.
    „Rodney“, meinte er dann betont langsam, „du würdest mich wirklich sehr beeindrucken, wenn du mit Dr. Keller auf die Krankenstation gehst.“
    Und das Wunder geschah. Nach einem Moment des Zögerns und einem widerwilligen Knurren ließ sich McKay, flankiert von Colonel Carter und vier Marines von Dr. Keller zurück auf die Krankenstation bringen.

    ***

    Ich habe nur gehorcht, weil ich von meiner Beute darum gebeten wurde. Und weil ich so müde bin. Der Kampf mit Ronon hat mich mehr Kraftreserven gekostet als ich dachte. Mir scheint die Hetzjagd im Wald noch in den Knochen zu stecken, ansonsten wäre ich bestimmt nicht so müde. An den Sedativa liegt es nicht, die machen mich nicht müde, nur schwach.
    Na ja, es ist ganz gut, wenn ich mich ein wenig ausruhe, schließlich steht mir die große, wichtige Jagd noch bevor. Also versuche ich die Chemiegerüche der Desinfektionsmittel, das lästige Summen und Piepsen der Geräte und das helle Licht genauso zu ignorieren wie die Anwesenheit der anderen drei Patienten und schließe die Augen.
    Heute bin ich noch gehorsam, aber nur, weil es meinen eigenen Zwecken entgegenkommt.
    Morgen sieht die Sache wieder anders aus, denn morgen hole ich mir endlich, was mir zusteht: meine Beute.

    ***

    In der Krankenstation war es ruhig geworden. Die Uhren zeigten an, daß es kurz nach halb vier Uhr morgens war und somit bald Zeit für den Schichtwechsel.
    Müde rieb sich die diensthabende Schwester die Stirn. Nachtschichten lagen ihr nun wirklich nicht, aber wenigstens schliefen alle vier Patienten tief und fest – selbst McKay. Sie erhob sich, streckte den schmerzenden Rücken, griff nach ihrer leeren Tasse und schlurfte zum Kaffeeautomaten hinüber. Während sie gähnend darauf wartete, daß der schwarze Muntermacher endlich ihre Tasse füllte, glaubte sie ein Geräusch zu hören.
    Plötzlich hellwach wirbelte sie herum und fühlte noch im selben Augenblick einen starken Druck an ihrer Brust und wie sie schmerzhaft mit dem Rücken an den Kaffeeautomaten gepresst wurde. Entsetzt rang sie nach Luft, ihre Finger krallten sich in weichen Baumwollstoff, in Stoff, wie sie ihn schon hundertmal berührt hatte, in den Stoff, aus dem die Patientenhemden gemacht wurden, trafen auf einen Ellbogen, gruben sich verzweifelt hinein, doch der Druck auf ihrem Brustbein verringerte sich nicht.
    Sie japste, versuchte sich aus dieser Umklammerung hervorzuwinden, doch der Mann vor ihr war stärker als er aussah.
    „Dr. McKay“, sie erkannte ihre eigene Stimme nicht, denn diese war nur noch ein klägliches Piepsen. „Oh Gott, Dr. McKay, lassen Sie mich los … bitte lassen Sie mich los!“
    Verzweifelt suchte sie Augenkontakt, weil sie gehört hatte, daß so etwas den Angreifer manchmal tatsächlich zur Aufgabe bewegte, doch ein Blick in seine verschleierten blauen Augen und sie begriff, daß er schlafwandelte.
    Das war … ein Lichtblick. Sie hörte auf sich zu wehren und holte einmal tief und zitternd Atem.
    „Dr. McKay…“
    „Du riechst gut“, unterbrach er sie mit einer seltsam grollenden Stimme. Und dann – sie glaubte zu träumen - beugte er sich tatsächlich zu ihr hinunter und begann an ihrem Hals zu riechen. „So gut. Nach Kirschen.“
    Sie erstarrte regelrecht, war sich sehr wohl ihrer prekären Lage bewusst und dennoch – es wirkte irgendwie komisch, vor allem, als er endlich die Hand von ihrem Brustbein nahm und sie wieder schmerzlos durchatmen konnte. Und als sie sich plötzlich in einer Umarmung wiederfand, konnte sie ein kleines hysterisches Kichern nicht mehr unterdrücken.
    „Alles in Ordnung, Mademoiselle?“ hörte sie plötzlich eine angespannte Männerstimme. Einer der verletzten Marines hatte sich aus seinem Krankenlager erhoben und stand nun vor ihr, bereit, McKay mit dem Spucknapf in seiner Hand niederzuschlagen.
    „Ja“, entgegnete sie hastig. Irgendwie gelang es ihr, McKay von sich zu schieben.
    „Er schlafwandelt. Bringen Sie ihn ins Bett? Ich muß Dr. Keller informieren.“

    ***

    Ich erwache mit dem untrüglichen Gefühl, daß etwas nicht stimmt.
    Ich will meine Hände heben und bemerke, daß es nicht geht.
    Plötzlich hellwach reiße ich die Augen auf und blicke an mir hinunter.
    Als ich sehe, was sie mir angetan haben, fange ich an zu schreien!

    ***

    Mit fest zusammengebissenen Lippen starrte Dr. Keller hinunter in den Isolationsraum. Sie hielt diese Maßnahme für übertreiben, doch Colonel Carter hatte sich durchgesetzt. Die Sicherheit von Atlantis gehe vor, hatte sie gemeint.
    Nun, da mochte sie recht haben, aber es gefiel ihr trotzdem nicht. Und sie wurde das dumpfe Gefühl nicht los, daß Carters drastische Maßnahmen alles nur noch schlimmer machten.
    „Verdammter Mist!“ hörte sie Colonel Sheppard neben sich fluchen.
    Sie zuckte zusammen, sie hatte ihn nicht hereinkommen hören und warf ihm nun einen kurzen Blick zu. Er wirkte übernächtigt und sichtlich besorgt. Wahrscheinlich war er sofort hierhergeeilt, als man ihn informiert hatte.
    Jennifer drehte den Kopf und richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf ihren Patienten. Rodney schrie nicht mehr, versuchte stattdessen sich von den Fesseln, mit denen er an der Liege festgeschnallt war, zu befreien. Der Verstand mochte jedem sagen, daß es aussichtslos war, diese Fesseln widerstanden selbst einem Wraith, doch er war eigensinnig wie eh und je und gab nicht auf. Was davon auf die Fremdbeeinflussung oder auf Rodney McKays Sturkopf zurückzuführen war, hätte sie weiß Gott nicht festlegen können.
    Da der Raum unten mit Sensoren ausgestattet war, konnten sie sein haßerfülltes Knurren nur allzu deutlich hören.
    „Das reicht“, meinte John plötzlich und drehte sich um.
    „Was haben Sie vor, John?“ Böses ahnend trat ihm Colonel Carter in den Weg.
    „Diese Fesseln sind absolut unnötig“, brauste John auf. „Wo soll er denn schon hin? Ich werde sie entfernen. Lassen Sie ihm doch um Himmels Willen etwas Würde!“
    Colonel Carter zögerte, doch letztendlich war es seine wilde Entschlossenheit, die den Ausschlag gab. Wortlos gab sie den Weg frei.
    Mit großen Schritten eilte er an ihr vorbei und betrat keine zehn Sekunden später den Isolationsraum.

    ***


    Oh Gott. Der Anblick seines gefesselten Freundes schnitt John wirklich tief ins Herz.
    Jetzt, wo er im selben Raum war wie er, konnte er außer dem Knurren auch dessen leise, keuchende Atemzüge hören, die ihm mehr als alles andere verrieten, wie sehr Rodney unter dieser Behandlung wirklich litt.
    Vorsichtig trat er an die Liege heran.
    „Rodney.“
    Beim Klang seines Namens zuckte der andere zusammen und warf ihm einen misstrauischen Blick zu.
    „Shhh …“, beruhigend legte ihm John eine Hand auf den Unterarm und wieder zuckte McKay wie unter einem Hieb zusammen.
    „Hör zu, ich mache dir jetzt die Fesseln ab, okay? Ganz ruhig.“
    Unwillkürlich bediente er sich des sanften, leisen Tonfalls, mit dem man ein verletztes Tier beruhigte.
    Rodney hielt tatsächlich still, beobachtete jedoch weiterhin argwöhnisch jede noch so kleine Bewegung des Colonels. Langsam, um ihn nicht zu erschrecken, machte sich John daran, die ersten Fesseln zu lösen.
    „John?“ Rodneys Stimme war ein leises, einschmeichelndes Flüstern. „Laß mich raus.“
    John, der mit einer ähnlichen Reaktion gerechnet hatte, seufzte und wich einen Schritt von der Bahre zurück. Er hatte Rodneys rechte Hand befreit, den Rest konnte der Astrophysiker selbst.
    „Nein Rodney, das kann ich nicht, es tut mir leid. Du hast die Nachtschwester angegriffen.“
    McKay, der sich schon aufrichten und die restlichen Fesseln lösen wollte, fiel mit einem leisen Aufzischen wieder zurück.
    „Ich … habe ich sie verletzt?“ erkundigte er sich betroffen.
    „Nein, diesmal ist nichts passiert.“
    Rodney schloß die Augen und atmete mehrmals tief ein und aus. „Ich erinnere mich an … Kirschen …“
    „Du bist schlafgewandelt. Aber du bist auch eine Gefahr für Atlantis, solange, bis wir dieses fremde Etwas nicht aus dir herausgeholt haben. Oder wissen, wie man es aufhalten kann.“
    Rodney nickte.
    „Danke“, murmelte er dann.
    „Wofür?“
    „Für das hier“, vielsagend deutete er auf die Fesseln und bedeckte dann mit der freien Hand seine Augen, als würden sie schmerzen.
    „John …“, seine Stimme schien plötzlich von weit, weit her zu kommen, „ich habe das unbestimmte Gefühl … ihr …“ plötzlich veränderte sich sein Tonfall, wurde hart und bestimmt: „Ich werde jagen. Ich werde dich jagen. Heute noch. Und es gibt nichts, was ihr dagegen tun könnt.“
    „Rodney?“ ehrlich besorgt trat Sheppard wieder zu ihm heran und berührte ihn an der Schulter.
    Beinahe sofort riß Rodney die Augen wieder auf.
    „Was? Ich weiß nicht … was … habe ich eben gesagt?“
    John musterte ihn lange, er sah die Verwirrung und Müdigkeit in diesen blauen Augen und seufzte leise.
    „Versuch dich hinzulegen. Schlaf etwas. Zelenka wird etwas einfallen.“
    Rodney schenkte ihm ein dünnes Lächeln, das jedoch sofort erstarb kaum daß sich die Tür hinter ihm wieder verriegelt hatte.

    _________________________________


  17. #10
    Ägypten-Fan Avatar von Valdan
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    Puh, das sind ja tiefe Abgründe, die sich da auftun.

    Es ist sehr interessant und spannend zu verfolgen, wie Rodney denkt und seine Welt neu einteilt und dann die Reaktion der anderen darauf zu sehen.

    Ich bin ja mal gespannt, wie der Weg aussieht, der Rodney wieder aus der "Mr. Hyde"-Phase herausführt (obwohl ich da eine Vermutung habe, aber die behalte ich für mich ).

    Erst schenkte er ihm einen Hirschen und dann kämpfte er gegen Ronon – und gewann auch noch! – und jetzt ständig dieses Gerede über „beeindrucken“ und „Wert beweisen“. Allmählich wirkte das alles hier wie ein absurder Wettstreit,...
    ...wenn John sich da mal nicht vertut, ich glaube nicht, dass das etwas mit Wettstreit zu tun hat, eher mit "Werbung" um die "Beute".....

    Ich freue mich auf jeden Fall auf morgen!

    LG Val
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    arabisches Sprichwort

    ***


  18. #11
    Second Lieutenant Avatar von Aker
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    Ja, das mit der Werbung habe ich auch gedacht. Schaun wir mal...

    Ansonsten geht es ebenso spannend weiter, wie es begonnen hat. Nun ist es ja raus, dass Rodney sich wie ein Wraith verhält, bleibt die Frage, wie das rückgängig zu machen ist. Ich habe da keine Ahnung. Aber was doch interessant ist, ist die Andeutung, dass es sich ja nur um ein fremdes Bewusstsein handelt und die in Rodney geweckten Instinkte und Kräfte seine eigenen sein könnten. Ebenfalls interessant ist, dass sich so etwas wie zwei Seiten in ihm entwickeln: eine gefährlichere und eine, die nicht verletzen will, dennoch alles verbunden mit diesem Jagstrieb und der Gier nach Blut. Das ist alles wirklich verstörend - aber guuuuuuuut .

  19. #12
    There is good in you... Avatar von Chayiana
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    Mist, ich wollte doch eigentlich gestern schon was geschrieben haben ... *gg* Okay, dann jetzt:

    @MariLuna
    Ein genialer Anfang und eine ebenso spannende Fortsetzung ... Wow! Mich hat es unheimlich beeindruckt, wie eindringlich du Rodneys POV beschreibst. Es ist ja nicht alleine die "ich"-Form, sondern auch dass du diese Teile immer im Praesens schreibst ... und das macht das Ganze noch ne Stufe realer, nachvollziehbarer ... als wenn man wirklich Rodney selbst ist ... irre.Und dann die ganzen Sinneseindruecke, die ihn ueberschwemmen. Die Vergleiche mit den Geruechen ... *schauder* ich denke, ich werde ab jetzt auch immer ein komische Gefuehl haben, wenn ich Bittermandel rieche ...
    Aber so unheimlich das alles ist, irgendwie sind diese Vergleiche und Metaphern auch ...uh, sinnlich? Erotisch? Zumindest kommt es mir so vor ...

    Was ich auch interessant finde (was jetzt im 2. Teil wohl langsam rauskommt), ist, dass er zwar die Instinkte eines Wraith bekommen hat, aber das wiederum bei ihm noch tiefer liegende Instinkte zum Vorschein bringt ... ich bin tierisch gespannt, wie sich das noch alles entwickelt. Wieso haben wir bloss ausgemacht, dass wir die Geschichte stueckeln?

    @Sinaida
    Dein Cover gefaellt mir wahnsinnig gut. Diese Schlichte zusammen mit dieser blutigen Schrift wirkt schon so richtig unheimlich ... absolut passend zur FF! Klasse!!!
    Vor allem Rodneys Augen ... Gaensehaut! Was das ausmacht, wenn er auf einmal Wraith-Augen hat ... so ein winzig kleines Detail, aber so viel Wirkung ... *brrrr*

  20. Danke sagten:


  21. #13
    Major Avatar von claudi70
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    Auch der zweite Teil ist dir sehr gut gelungen.
    Ich würd gern mal wissen, ob Rodney selbst merkt, dass er sich verändert? Interessant ist auch, dass diese Instinkte schon vorher tief in ihm waren.
    Ganz schön gruselig, die Androhung mit der Jagd, bin gespannt ob es zun dieser kommt.
    Und was uns da erwartet.
    Und Ronon, lag mal wieder gold richtig mit seiner Vermutung.

    @Sinaida: Das Cover ist dir wirklich gut gelungen RESPEKT.

    LG Claudi

  22. Danke sagten:


  23. #14
    Zitronenfalter Avatar von Sinaida
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    Ganz vielen, lieben Dank für eure netten Kommentare zu dem Cover (offensichtlich hab ich mein "Danke"-Button-Kontingent für heute schon aufgebraucht ). Freut mich wirklich, dass es euch so gut gefällt, vor allem dir, MariLuna *zurückknuddel*.
    Die Idee mit den Wraith-Augen kam mir noch nachträglich, als ich das Cover schon ein paar Wochen fertig auf meiner Festplatte liegen hatte. Auch wenn Rodney nicht wirklich Wraith-Augen hat (*das* wäre seinen Freunden bestimmt sofort aufgefallen *gg*) fand ich einen optischen Hinweis auf seine Veränderung ganz passend. Und es ist echt erstaunlich, wie unheimlich so eine Kleinigkeit wirkt.

    Der zweite Teil ist auch wieder sehr spannend, mysteriös und gruselig - auch wenn das Team dem Grund für Rodneys Veränderung doch langsam auf die Spur kommt. Die Interaktion der verschiedenen Charaktere ist dir wirklich gut gelungen, die Dialoge sind lebendig und klingen echt. Ich freu mich schon auf Teil drei.

  24. Danke sagten:


  25. #15
    Love is .. SGA Avatar von Mella68
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    @MariLuna: Oh wow, ich kanns kaum erwarten, weitere Teile dieser tollen Story zu lesen. In dieser Story stimmt einfach alles, könnte eine wundervolle Episode abgeben. Ganz besonders gefällt mir die Art, wie du Rodney beschreibst, oder besser gesagt, wie du ihn in Ich-Form widergibst. Da passt einfach alles. Und selbst da passt es, wenn du ab und zu ein klein wenig Humor einbaust, wie hier:
    Mit einem Ruck reiße ich mir die Kanüle aus der Vene und steche sie senkrecht in die Matratze unter mir. Soll sich das Bett doch eine Sedativa-Vergiftung holen, ich für meinen Teil habe davon die Nase voll.
    @Sinaida: Das Cover ist super geworden. Das schlichte s/w des Bildes mit der blutroten Schrift hat was. Ich mag diese Art von Fanart. Und natürlich passt zu dieser Art Story nichts Buntes. Hast du gut gemacht.

    Signaturbild von Anja McKay

  26. Danke sagten:


  27. #16
    Staff Sergeant Avatar von MariLuna
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    @Valdan und Aker: Danke für die lieben Worte und ja, genau, ihr habt es erkannt: es geht um „Werbung“. Und im folgenden Kapitel wird etwas Licht in diese Angelegenheit gebracht, na, sagen wir, ich hoffe, der Wirrwarr löst sich verständlich auf.
    @Chayiana: Danke auch dir und ich muß zugeben, ich hab mich seitdem in dieser POV-Erzählart in Präsenz irgendwie festgebissen
    @Claudi70: Danke und hm, ob Rodney das merkt? Keine Ahnung, ich weiß nur, daß man selber der letzte ist, dem so etwas auffällt *gg*
    @Sinaida: Danke *verlegen erröt*
    @Mella68: Danke, jetzt bin ich wirklich ganz rot vor soviel Lob. Und zum Humor muß ich sagen: da geht mein eigner schwarzer Humor oftmals mit mir durch – umso schöner, wenn es gefällt!
    __________________________________________


    3. Jagdvorbereitungen

    Sein Geruch hängt noch immer im Raum, obwohl er schon vor Stunden verschwunden ist.
    Er ist intensiver als je zuvor.
    Ich liege jetzt auf der Couch, die hier steht und habe mich zusammengerollt. Ich kann spüren, wie ich angestarrt werde und am Anfang habe ich mir einen Spaß daraus gemacht, sie hinter ihrem Beobachtungsposten dort oben genauso zu betrachten wie sie mich beobachteten, doch das Spiel wurde mit der Zeit langweilig.
    Sie haben mir etwas zu essen gebracht, doch mehr als ein paar Brocken konnte ich nicht hinunterwürgen.
    Wieso bringen sie mir nur immer dieses pappige Nichts, ich habe ihnen doch gesagt, daß ich ein schönes blutiges Steak haben will.
    Warum geben sie mir nicht, was ich brauche?
    Macht es ihnen Spaß, mich zu quälen?
    Wenigstens waren sie so nett und haben mir meine Kleidung zurückgegeben, dieses Krankenstation-Outfit ist auf die Dauer doch etwas zugig. Ich rolle mich noch etwas enger zusammen und verstecke mein Gesicht in meiner Armbeuge, versuche, die Helligkeit auszusperren, konzentriere mich ganz auf den Duft meiner Beute, der noch immer im Raum schwebt.
    Habe ich gesagt, er riecht wie ein Laubwald?
    Das stimmt nicht ganz. Jetzt, wo meine Sinne immer stärker werden und sich auf dieses Aroma einpendeln, bemerke ich, daß es nicht dieses Gemisch aus Harz, Moos und Farnen ist, das mich zum Erzittern bringt, sondern das, was ich damit verbinde: Freiheit.
    Unbegrenzte Freiheit.
    Mir ist die Ironie dieser Tatsache sehr wohl bewusst – rühmen sich die USA nicht damit, daß sie das Land der unbegrenzten Freiheit sind?
    Und jetzt ist es genau dieser Begriff, den ich mit dem Duft des hiesigen kommandierenden Offiziers, einem Angehörigen des US-Militärs, assoziiere. Und das, obwohl ich im Moment hier gefangen bin.
    Gefangen.
    Gefangen.
    Ich bin hier gefangen.
    Eingesperrt.
    Dieser Gedanke reißt mich auf die Füße.
    Unruhe packt mich.
    Ich muß mich bewegen. Und das mache ich auch.
    Bevor es mich innerlich zerreißt.

    ***

    Es war fast zehn Uhr morgens. Rodney war schon seit beinahe sechs Stunden im Isolationsraum eingesperrt. Und seit ungefähr drei Stunden drehte er seine Kreise, immer im gleichen Takt: zehn Schritte zur südlichen Wand, fünf zur Couch und von dort wieder zurück zum Ausgangspunkt – in einem gleichmäßigen, wie mit dem Lineal gezogenen Dreieck. Einer seiner Wege führte ihn dicht an der Wand vorbei und jedes Mal, wenn er dort entlang kam, kratzte er mit den Fingernägeln darüber.
    Das dabei entstehende, quietschende Geräusch wurde von seinem an- und abschwellenden Knurren begleitet. Und selbst, als seine Fingerkuppen zu bluten begannen, hörte er nicht damit auf.
    Mit einem Anflug von Schaudern starrte Carter auf die Blutschlieren, die er an diesem Teil der Wand in zunehmendem Maße hinterließ.
    Neben ihr standen Sheppard, Ronon und Teyla und sie sahen so blaß und angespannt aus, wie sie sich fühlte.
    „Colonel, ich weiß jetzt, welche Funktion dieses Gerät hat.“ Atemlos stürzte Radek Zelenka auf die kleine Gruppe zu. Dann bemerkte er, wo er sich befand, schluckte einmal und warf einen kurzen Blick hinunter in den Isolationsraum, in dem Rodney noch immer seine Kreise zog. Er erblasste sichtlich.
    „Legen Sie los“, forderte Carter ihn auf.
    „Ja. Ah“, Radek musste sich beinahe mit Gewalt von dem Anblick unter ihnen losreißen. „Supersoldaten.“
    „Wie bitte?“
    „In ihrem Bestreben, die Wraith zu besiegen, haben die Antiker einen Weg gesucht, ihre eigenen Soldaten derart aufzuputschen, daß sie den Wraith ebenbürtig sein sollten. Dazu haben sie die Instinkte der Wraith auf ihre Testpersonen übertragen und herausgekommen sind Krieger, die zum Training das ganze Spektrum des Wraith-Wesens durchlaufen.“ Er holte einmal tief Luft und fuhr dann fort: „Es ist quasi wie ein biochemisches Computerprogramm, das jetzt in Rodney abläuft und nicht eher aufhört, bis die letzte Sequenz durchgelaufen ist.“
    Hunger.
    Jagdtrieb.
    Aggressivität.
    Carter nickte. Ja, das klang einleuchtend und es erinnerte fatal an die Ereignisse der letzten Tage.
    „Und welches ist die letzte Sequenz? Und wann ist die vorbei?“
    Obwohl er sich deutlich bemühte, nicht in den Isolationsraum hinunter zu schauen, konnte Zelenka einem weiteren kurzen Seitenblick nicht widerstehen. Er zuckte zusammen, als er sah, was McKay mit seinen Fingernägeln anstellte. Hastig richtete er seine Aufmerksamkeit wieder auf den Colonel.
    „Die letzte Sequenz besteht aus einer großen Jagd. Aber mehr wissen wir leider auch nicht. Die Daten sind unvollständig. Wir wissen nur, was mit der Person geschieht, wenn das Programm vorzeitig gestoppt wird.“
    „Ich ahne Furchtbares“, murmelte John und erntete ein zustimmendes Nicken.
    „Ja, es bringt ihn um.“
    Carter schloß für einen Moment die Augen. Darauf hätte sie wetten können. Warum mussten solche Geschichten immer so enden?
    Es war wie immer Teyla, die auf ihre ruhige, besonnene Art genau die richtige Frage stellte:
    „Was können wir tun?“
    „Das, was wir immer tun“, murmelte Carter. Dann gab sie sich einen Ruck, streckte den Rücken durch und sah sie alle der Reihe nach an.
    „Finden wir heraus worum es bei dieser letzten großen Jagd geht. Und dann sehen wir zu, daß er sie bekommt und wir alle einigermaßen heil aus der Sache wieder herauskommen.“

    ***

    Mit düsterer Miene stand Colonel Carter an der großen Glasscheibe und starrte hinunter in den Isolationsraum. Es fühlte sich an, als hätte sie sich stundenlang nicht von hier fortbewegt, obwohl sie ab und an tatsächlich zurück in ihr Büro ging um ihrer normalen Tätigkeit nachzugehen. Nicht, daß sie sich wirklich konzentrieren konnte, aber der laufende Betrieb der Stadt musste schließlich weitergehen und auch wenn sie viel an Chuck und die anderen delegieren konnte, kam sie früher oder später wieder hierhin zurück. Das ganze hatte etwas von einem Déjà-vu an sich.
    Schließlich war es keine vier Monate her, als Rodney von diesem Kristallwesen besessen gewesen war, das sich in die Träume des Wirtes schlich und sie tötete. Und jetzt hatte er sich wieder ein fremdes Bewusstsein eingefangen – oder Teile davon, wie auch immer, letztendlich lief es auf dasselbe hinaus. Sie mussten einen Weg finden, ihm zu helfen.
    Zuerst hatten sie überlegt, ihn in eine virtuelle Realität zu versetzen, wo er seinen Jagdinstinkten problemlos nachgehen konnte, doch Dr. Keller hatte aus medizinischen Gründen davon abgeraten. Sie machte sich Sorgen, daß Rodneys Kopfverletzung zu unvorhergesehenen Schwierigkeiten in der VR führen könnte. Ihr Argument, man stecke eine angeschlagene Tasse ja auch nicht mutwillig in die Spülmaschine, hatte etwas für sich und einigen sogar ein Grinsen auf das Gesicht gezaubert.
    Trotzdem blieb immer noch das Problem, daß sie nicht wussten, was es mit dieser Großen Jagd genau auf sich hatte. Aber die Zeit drängte, denn Rodney ging es zunehmend schlechter.
    Sein Gesicht hatte inzwischen eine ungesunde rote Farbe angenommen und er hatte die Richtung seiner Wanderung gewechselt, so daß er nun mit seiner linken Hand über die Wand kratzte, deren Fingerkuppen ebenfalls schon zu bluten begannen, während er die Rechte zu einer Faust ballte, die Finger in einer einzigen, schnellen Bewegung abspreizte, sie wieder zur Faust ballte, wieder öffnete … hätte er Krallen gehabt, müsste sie dabei unwillkürlich an Freddy Krueger denken. Schon wegen der blutigen Fingerspitzen und der roten Tropfen, die er durch diese Handbewegung überall verspritzte. Aber auch sonst stand ihm die Anspannung in jedem Muskel geschrieben.
    Samantha seufzte.
    „Es ist alles vorbereitet“, ertönte plötzlich Johns Stimme hinter ihr. Er wirkte nicht weniger angespannt als der Mann dort unten.
    „Ich trage notfalls einen Stunner bei mir, habe aber sonst keine Waffen. Rodney bekommt auch keine, das dürfte die Gefahr etwas eindämmen. Die Jagdstrecke“, er grinste bei diesem Wort, wurde aber schnell wieder ernst, „ist abgesichert und an wichtigen strategischen Punkten sind Marines postiert. Ronon hat sich angeboten, uns in einer sicheren Entfernung zu folgen. Unsere Bioanzeigen werden vom Kontrollraum aus überwacht und ein Notfallteam steht bereit.“
    „Sie sind sicher, daß Sie das machen wollen?“ Es war eine überflüssige Frage, aber sie fühlte sich verpflichtet, sie zu stellen.
    „Er hat eindeutig gesagt, daß er mich jagen will.“
    „Und dann? Was passiert, wenn die Jagd beendet ist und er Sie gefangen hat?“
    Er zuckte nur auf seine typisch lässige Art mit den Schultern. Wie immer ließ er sich nicht wirklich anmerken, was er darüber dachte.
    „Das werden wir dann sehen.“ Er zögerte, doch dann setzte er leise hinzu: „Fragen Sie mich nicht wieso, aber ich weiß, daß er mir niemals etwas zuleide tun wird.“
    Sie wünschte, sie hätte seine Überzeugung. Aber so blieb ihr nichts anderes übrig als ihm und seiner Einschätzung zu vertrauen.

    ***

    Er stand hinter Rodney und wartete, daß er ihn bemerkte. Aber dieser war noch viel zu sehr in seiner eigenen Welt gefangen und so fasste sich John in Geduld. Er nutzte die Zeit, um sich über das klar zu werden, was er hier zu tun gedachte.
    Ich will also seine Beute spielen. Ich will mich freiwillig von ihm jagen lassen. Dabei habe ich doch gesehen, wie er dieses dreihundert Kilogramm schwere Wildtier regelrecht zu Tode gehetzt hat. Ich bin kein Hirsch, ich bin nur ein Mensch. Im Gegensatz dazu also ziemlich schwach und vor allem habe ich nicht diese Ausdauer, die solche Fluchttiere besitzen. Und trotzdem gehe ich dieses Risiko ein?
    Natürlich, was war das nur für eine Frage.
    Wer sonst wenn nicht er, sollte es tun?
    Er würde es auch machen, wenn er ihn nicht zu seiner Beute erwählt hätte. Er war Rodneys Freund, ja, sogar sein bester Freund und er würde es sich nie verzeihen, wenn dieser durch seine Unschlüssigkeit sterben müsste.
    Wie er schon zu Colonel Samantha Carter meinte: er wusste, daß Rodney ihm nichts zuleide tun würde.
    Er wusste es einfach.
    Weil das hier keine gewöhnliche Jagd war.
    Und es ging nicht nur um Rodneys Leben.
    Es ging um viel mehr.

    ***

    Es brodelt tief in mir, wie ein Vulkan, der jeden Moment ausbricht. Ich muß mich bewegen, da ich befürchte sonst zu platzen.
    Ich denke … nichts.
    Nicht, daß mein Kopf leer wäre, nein, er ist sogar randvoll.
    Randvoll mit Geräuschen, Gerüchen und anderen Sinneseindrücken.
    Meine Haut kribbelt und juckt, nicht nur dort, wo sie von Stoff berührt wird, nein es ist, als würde sich jedes einzeln herumschwirrende Atom auf meine Zellen setzen und dort verbrennen.
    Meine Haare scheinen zu knistern.
    Ich spüre jeden einzelnen meiner Schritte – nicht nur in meinen eigenen Knochen und Muskeln, sondern auch als Widerhall des Fußbodens, ja sogar der Wände. Ein Echo, Schwingungen, die sich erst durch das feste Material und dann durch das Gas der Luft ausbreiten, wellenförmig und wie ein heißer Tsunami auf mich zujaulen, um mich dann regelrecht unter sich zu begraben.
    Ich höre das Summen der Beleuchtung, es durchdringt mein Trommelfell und vibriert dann endlos an meinen Ohrknöchelchen, bringt meine Gesichtsknochen zum Singen, meine Augen, mein Gehirn.
    Ich halte mich krampfhaft fest an der Erinnerung dieses einen, so überaus wichtigen Geruchs, doch ich fühle, wie mir die Bedeutung dessen allmählich entgleitet. Aber das darf nicht passieren.
    Ich spüre, daß ich im Nichts verschwinde, wenn es mir nicht gelingt, mich an diesem Geruch festzuhalten.
    Grünes Moos, frisches Harz, der Duft von Erde nach einem Frühlingsregen.
    Der Laubwald.
    Freiheit.
    Erinnerungsfetzen steigen aus dem tiefsten Inneren meines Gedächtnisses auf.
    Jetzt fange ich wieder an richtig zu denken.
    Freiheit.
    Freiheit, das bedeutet Weite.
    Unbegrenzter Blick zum Horizont.
    Zum ersten Mal überkam mich dieses Gefühl in Sibirien – ausgerechnet an jenem Ort, der einer Verbannung gleichkam – wo ich mitten in der zugefrorenen Tundra stand, über mir den sternenübersäten Nachthimmel und um mich herum nichts als Eis und Schnee. Dann das entsprechende Déjà-vu in der Antarktis und jetzt hier, auf Atlantis, umgeben von Wasser, so weit das Auge reicht.
    Ich weiß nicht, warum es immer solch kalte, unwirtliche Gegenden sein müssen, die mir beim Begriff „Freiheit“ in den Sinn kommen, warum zum Beispiel nie die Wüste von Nevada, da herrscht auch ein unbegrenzter Blick zum Horizont und vor allem ist es dort nicht so kalt.
    Vielleicht muß Freiheit kalt sein.
    Unangenehm.
    Respekteinflößend.
    Ja, das ist es.
    Freiheit flößt mir Respekt ein.
    Meine Beute flößt mir Respekt ein.
    Und deshalb assoziiere ich deinen Waldgeruch mit Freiheit.
    Auch wenn der Wald keine Weite kennt – oder doch?
    Na ja, eigentlich schon.
    Bäume sind groß, sehr groß sogar, manchmal haben sie geradezu riesige Ausmaße – auch eine Form der Weite. Eine Weite in die Höhe, schlichtweg auch Größe genannt.
    Das bist du.
    Von großer, schlanker Gestalt und einer gewissen inneren Weite – oder Größe. Du erzählst nicht viel von dir, aber das mußt du auch nicht, das, was wichtig ist, erkenne ich intuitiv. Du hast deine Geheimnisse und das respektiere ich. Du bist stark und intelligent, verdammt intelligent sogar – eine gute Wahl.
    Eine ebenbürtige Beute.
    Plötzlich wird mir die Intensität des Waldgeruchs bewusst.
    Ich drehe mich um und dort stehst du – meine Beute.
    Ich begreife, daß du schon länger hier stehen mußt, daß meine letzten Überlegungen über dich allein der Tatsache geschuldet sind, daß du hier aufgetaucht bist. Daß meine auf dich fixierten Sinne meine Gedanken steuerten.
    Ich bleibe stehen und mustere dich lange.
    Schlank, dunkle Haare, ernstes Gesicht.
    Warum so ernst?
    Du wirst nicht länger so ernst bleiben, wenn ich dich erst einmal gejagt habe und du atemlos vor mir liegst, erschöpft, aber mein.
    „Rodney?“ Deine Stimme klingt sehr ernst und ich höre dir aufmerksam zu. „Du willst jagen? Nun, dann versuch, mich zu fangen. Aber ich werde es dir nicht leicht machen.“
    Es mir nicht leichtmachen?
    Mein Herz macht einen Sprung. Ich will doch gar nicht, daß du es mir leicht machst, ich will mich dir beweisen, dich beeindrucken und dich letztendlich besiegen, damit du verstehst, wie ernst es mir ist.
    Ich atme tief ein, sauge jedes Molekül in mich ein, das dein Aroma trägt.
    „Lauf, meine Beute“, verwende ich die rituellen Worte. „Lauf. Und am Ende bist du mein.“

    ***

  28. Danke sagten:


  29. #17
    Chief Master Sergeant Avatar von Dr.B
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    Hallo MariLuna!
    Valdan war so lieb und hat mich heute mit einer Mail auf deine Geschichte aufmerksam gemacht und ich muss schon sagen, dass ich happy darüber bin, denn bis hierhin ist sie wirklich toll. Du hast mich sofort gefesselt und ich konnte nicht aufhören zu lesen. Ich bin absolut gespannt, wie die Jagd verläuft und wie du sie für die beiden enden lässt.

    „Hallo Rodney. Lust auf einen Mitternachtsimbiß?“
    - Beute. –
    <-- wie passend.


    Wobei dieses ganze Blutgerieche und das Denken daran hat mich erst an einen Vampir erinnert. Ein Wraith riecht doch kein Blut oder????? Aber du hast es fantastisch beschrieben und sehr bildlich. Die Erklärung von Radek war dann doch sehr aufschlussreich und wenn Rodney er selbst wäre würde er über Antiker und ihre missglückten Projekte schimpfen.


    Er hatte nicht gewusst, dass der Kanadier so hart zupacken konnte. Und wie schnell er reagiert hatte! Erstaunlich. <-- Ronon, es ging um Essen. Wenn nicht dann, wann sonnst?!

    Er tat alles, um seine gewiß folgenden Alpträume noch ein wenig aufzuschieben und Rodneys Gesellschaft hatte etwas Beruhigendes, um nicht zu sagen Einschläferndes – jedenfalls um diese Uhrzeit. <-- einschläfernd?! Na, je nach dem wie man das sieht ist das jetzt ein Kompliment oder eine Beleidigung.


    Ausnahmsweise bin diesmal nicht ich das Opfer und es gibt auch keinen Wal, der mich auffrißt. <-- Herlich, wie du das mit eingebaut hast. In der Folge fand ich es amüsant Johns Clown auch noch mit im Boot zu haben.


    Rodneys Gedankengänge sind einfach klasse. Wie du die einzelnen Szenen aus seiner Sichtweise mit den neuen Empfindungen schilderst. Wie er auf die anderen reagiert und was er nun alles wahrnimmt. Diese trockenen gedanklichen Kommentare sind dir gut gelungen und diese Vergleiche.


    „Du kennst mich doch, ich sag’s wie ich mein und ich mein’s wie ich’s sag.“ <-- Also an der Stelle musste ich herzhaft lachen. Genauso wie bei dem folgenden Satz --> „Du bist schon der Klügste hier, das sollte dir reichen.“


    Wo ich mir doch so viel Mühe gebe, deinen Ansprüchen zu genügen.“
    „Muß ich mich noch mehr anstrengen um dir meinen Wert zu beweisen?“
    <-- Wie sagte man früher so schön – den Hof machen oder um die Hand der Dame werben. Nun John ist augenscheinlich keine Dame aber es klingt verdächtig danach. Und John ist auch noch so schön auf dem Holzweg. Wobei es schon ein Wettstreit wäre, wenn da noch ein Verehrer wäre.


    Natürlich war ihm nicht entgangen, daß Rodney in den letzten Jahren eine zunehmende Veränderung durchgemacht hatte – vom jammernden, hilflosen Wissenschaftler, der nicht einmal geradeaus schießen konnte zu einem Mann, der das Magazin seiner P-90 so selbstverständlich wechselte wie er sonst ein DHD reparierte. Und zu einem Kameraden und Freund, der sogar freiwillig mit Ronon Nahkampftechniken trainierte. <-- Diese Veränderung fand ich in der Serie sehr gut vermittelt. Es ist schön, dass du dies nochmal als Johns Gedanken einbaust.

    Morgen sieht die Sache wieder anders aus, denn morgen hole ich mir endlich, was mir zusteht: meine Beute. <-- Uiuiuiui, na was da auf John, seine Beute, zukommen wird? Ich bin gespannt.


    „Lauf, meine Beute“, verwende ich die rituellen Worte. „Lauf. Und am Ende bist du mein.“ <-- AHHHH – Hörst du meinen Schrei nach MEHR?!?!?!?!?!?




    @Sinaida: Also, wie du Rodneys Augen hinbekommen hast – richtig klasse. Natürlich wäre seinen Freunden schon viel eher es bewusst gewesen, wenn Rodney auch diese Augen in der Geschichte hätte aber sie passen sehr gut um dem Bild noch den letzten Schliff zu begen.



    Liebe Grüße vom Doktorchen

  30. #18
    Ägypten-Fan Avatar von Valdan
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    Hi ML,

    Rodney mit Freddy-Krüger-Klingen - bei der Vorstellung läufts mir kalt den Rücken runter und wenn sich das Bild dann vor meinem inneren Auge aufbaut, muss ich auch ein bisschen grinsen; aber mit den irren Augen vom Cover würde es passen.

    Jetzt wissen wir also warum Rodney so wird und es ist eine tolle Erklärung.

    Rodneys Gedanken zur Freiheit und warum er John damit verbindet: Einfach nur Klasse.

    Und dann auch Johns Gedanken, dass er sich auf die Jagd einlässt und sein Vertrauen in Rodney und dass dieser ihm nichts tun wird.

    Ich bin von der Geschichte begeistert und schon fast sauer, dass ich morgend den ganzen Tag weg bin und erst abends weiterlesen kann

    LG Val
    "Der Mensch fürchtet die Zeit, doch die Zeit fürchtet die Pyramiden."
    arabisches Sprichwort

    ***


  31. #19
    Fürstin der Finsternis Avatar von Liljana
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    Gefangen.
    Ich bin hier gefangen.
    Eingesperrt.
    Dieser Gedanke reißt mich auf die Füße.
    Unruhe packt mich.
    Ich muß mich bewegen. Und das mache ich auch.
    Bevor es mich innerlich zerreißt.
    Oh, das Gefühl kenne ich auch ab und an! Allerdings bin ich nicht auf der Jagd *g*. Na ja, allerdings bei unserem Sheppi wär ich auch mal gern der Jäger.

    Es brodelt tief in mir, wie ein Vulkan, der jeden Moment ausbricht.
    Das passt bei mir grad wie die Faust aufs Auge. Ich bin heut so geladen und als ich dies hier gelesen habe, musste ich wirklich lachen. Und schon gehts mir besser.

    Wieder ganz toll geschrieben. WoW.

    Und in Bezug auf die Aromen bin ich bei meinen Mitmenschen schon kräftig am Schnuppern!

    Freu mich schon unbandig auf die Hetzjagd. Bin gespannt, wer den längeren Atem hat.

    LG
    Liljana

  32. #20
    Airman First Class
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    intersante geschichte gut geschrieben
    danke für diese gute geschichte

  33. Danke sagten:


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