@feles: Aber es ist doch auch nett, wenn man mal nicht auf Updates warten muss, sondern kann Etliches hintereinander lesen, oder nicht? *g* Und deine Vermutungen gefallen mir!
Was Weirs ersten Auftritt in Stargate angeht: sie ist blond, statt braunhaarig, das ist wohl der größte Unterschied zu den SGA-Folgen.
Ich freue mich sehr, dass es dir bisher gefallen hat! Danke sehr für dein nettes Feedback!
@John's Chaya: Ja, ich weiß, eifrige SG-1 Seher wissen natürlich, wo die Mitglieder von SG-1 in diesem Moment stecken und gegen was/wen sie ankämpfen müssen - aber Rodney und John natürlich nicht. *g* (Sonst säßen sie ja auch nicht so ruhig in ihrem Urlaub. und die Geschichte würde nicht mehr zu den SG-1 Folgen passen. Deshalb musste ich sie noch etwas im Unklaren lassen.
Und ich kann dir versichern, das Gespräch steht fast unmittelbar bevor. Fast ........ *g*
Danke für deine lieben Worte!
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So und dann gibt es auch noch einen weiteren Teil.
Der Dschinn (9/13)
9. Kapitel
Am nächsten Morgen erzählte Rodney John, dass Dr. Weir als Friedensaktivistin angefangen hatte, seit einigen Jahren aber schon für die Regierung arbeitete und viele bedeutende Friedensverträge ausgehandelt hatte. Rodney war der Ansicht, dass ihre Vergangenheit sie nicht unbedingt für einen Job ausgerechnet in einer Militäreinrichtung prädestinierte.
„Die ist mal mit einem so einem Tauben-Banner ‚Make Peace, not War!’ rumgelaufen, John!“, erklärte er mit viel Händefuchteln, was sein T-Shirt zum Hochrutschen brachte.
Rodney war so sehr … Rodney in diesem Moment, dass John einen Seufzer unterdrücken musste. Mit einem sehnsüchtigen Gedanken dachte er daran, dass er gerne seine Hand auf dieses kleine Stückchen nackter Haut gelegt hätte. Aber John riss sich zusammen und konzentrierte sich wieder auf die Situation.
Er teilte Rodneys Ablehnung nicht. Er schöpfte sogar leise Hoffnung, dass mit so jemandem vielleicht leichter zu verhandeln war als mit dem Militär. Eventuell könnte er dann sogar darauf verzichten, Rodney noch tiefer mit in die Sache hineinzuziehen. Was er ihm natürlich nicht sagte, sondern sich stattdessen erkundigte, ob Rodney wusste, in welcher Verbindung sie zu Kinsey stand. Doch darüber konnte der Wissenschaftler leider keine Auskunft geben. Es gab keine dokumentierten gemeinsamen Auftritte der beiden, ihre Zusammenarbeit schien erst jüngeren Datums zu sein.
Sie warfen die leeren Kaffeebecher in den Papierkorb, packten ihre wenigen Sachen zusammen, bezahlten das Motel und machten sich wieder auf den Weg.
Da Rodney anhand eines Sonnenbrandes in seinem Nacken, dem Gesicht und den Armen die richtige Schlussfolgerung zog, dass die Sonne hier in der Wüste Nevadas weit heißer und brennender war als in Springs, hielt er unterwegs bei einem Straßenverkaufstand an. Neben Postkarten und falschem Indianerschmuck, kalter Cola, Eis, Traumfängern und T-Shirts mit dummen Sprüchen gab es tatsächlich Sonnencreme zu kaufen. Rodney wählte die mit dem höchsten Lichtschutzfaktor.
„Dann brauche ich noch einen Sonnenhut“, verkündete er.
John hielt ihm eine olivgrüne Kappe mit der schwarzen Aufschrift „Nevada-Arizona“ hin. „Was ist mit diesem?“
„Baumwolle. Nein, wenn ich schwitze, wird das klatschnass. Ich brauche eine Microfaser.“
„Microfaser – okay.“ John suchte weiter.
Rodney auch und hielt mit einem begeisterten Ausruf eine Scheußlichkeit von Hut hoch: „Hier! UV 45+ mit Nackenschutz. Genau das, was ich suche!“
„Rodney, der Hut ist leuchtend orange.“
„Hast du was dagegen? Ich mag die Farbe, ich habe sogar eine Fleecejacke in der Farbe.“
„Das Teil ist abgrundtief hässlich.“ John hoffte, dass das deutlich genug war.
„Das Teil gibt meiner empfindlichen Haut genau den richtigen Schutz.“ Mit einer resoluten Geste streckte er der Verkäuferin den Hut hin. „Praktische Erwägungen und Gesundheitsaspekte sollten immer vor schnöden Überlegungen wie Schönheit rangieren“, teilte er John ungefragt mit.
John zog ein Gesicht, das seine Abneigung ausdrückte, Rodney ließ sich aber nicht davon beirren und setzte den Hut, nachdem er ihn bezahlt hatte, sofort auf.
Am Auto angekommen, suchte John ein kleines Taschenmesser aus und meinte zu Rodney: „Halt still.“ Er schnitt das Preisschild, das immer noch den Hut zierte, ab.
Mit einer nachlässigen Geste strich er auch noch ein paar Haare zur Seite, die auf der schweißnassen Haut in Rodneys Nacken klebten.
Ein akuter Stromstoß des Verlangens raste durch Johns Körper. Alles in ihm drängte danach sich einfach vorzubeugen und eine Berührung, einen Kuss einzufordern. Rodney war erhitzt, und brachte dadurch für ihn den Moment ihrer Vereinigung wieder lebhaft vor Augen. Wie sehr wünschte er sich, den anderen Mann mehr als nur zufällig zu berühren. Zu ihrer kurzen Intimität zurückzukehren. Ein tiefes Sehnen, das fast wehtat, ergriff von ihm Besitz.
Er strich mit seinem Finger noch einmal über Rodneys Wange. „Wir müs…“
Alles, was er sagen wollte, ging in einem lauten Rattern und Knattern unter, denn in dem Moment kamen vier Harley Davidsons über die Straße gebrettert und erfüllten die ganze Gegend mit einem ohrenbetäubenden Krach.
Der Moment war vorüber und sie fuhren weiter zu ihrem nächsten Ziel.
Nach den – laut Rodney – anstrengenden Wanderungen am Vortag kam ihm ein Tag Motorboot fahren auf dem Lake Powell gerade recht. John hatte ein Segelboot leihen wollen, weil er darauf brannte, mal wieder zu segeln, aber davon hatte Rodney nichts hören wollen. Segeln klang verflucht anstrengend und das war ganz und gar nicht das, was er sich unter einem Tag Faullenzen vorstellte.
Deshalb fuhren sie mit einem kleinen, gemieteten Motorboot raus, schauten sich den Stausee an, bis sie in einer abgeschiedenen Bucht, in der sie ganz alleine waren, ankerten.
Rodney setzte sich in den Schatten, unter das Sonnensegel, und arbeitete an seinem Computer.
„Mehr Recherchearbeiten?“ erkundigte sich John.
Rodney antwortete nur mit einem geistesabwesendem „Hmm“, weil er bereits wie wild auf der Tastatur herumtippte.
John hatte sich eine Schnorchelausrüstung geliehen. Er zog Schwimmflossen an, setzte die Taucherbrille auf und ließ sich vom Boot nach hinten ins Wasser fallen. Lake Powell war jetzt nicht gerade das Eldorado, was den Fischreichtum oder die Farbenpracht der Unterwasserwelt betraf, aber nach so langer Zeit, war das völlig egal. Mal wieder einen ganzen Tag im und am Wasser zu verbringen, war erfreulich genug.
Immer wieder schaute Rodney von seiner Arbeit auf, ob noch etwas von John zu sehen war, die Luftblasenspur vom Schnorcheln oder spritzendes Wasser. Wenn er ihn längere Zeit aus den Augen verlor, beschleunigte sich sein Herzschlag. Er konnte erst weiterarbeiten, wenn er sicher war, dass John nicht plötzlich abgesoffen war – selbst wenn er sich nicht sicher war, ob selbsternannte Dschinns wirklich ertrinken konnten.
Als John nach zwei Stunden außer Atem aber grinsend wieder an Bord kam, fühlte Rodney sich besser.
„Du solltest es auch einmal versuchen.“ John schüttelte sich und ein paar Tropfen trafen Rodney.
„Nein danke, du bist nass genug.“ Übertrieben wischte Rodney die Wassertröpfchen von seinem Laptop.
„Es ist aber ganz klares Wasser – und nicht salzig“, meinte John, drehte Rodney den Rücken zu und ließ die nasse Badehose zu Boden sinken, ehe er nach einem Handtuch griff und begann, sich trocken zu rubbeln.
„Was …?“
Rodney vergaß, was er eigentlich fragen wollte. Das Vakuum in seinem Kopf verstärkte sich noch, als John das Handtuch hochnahm und sich die damit die Haare rieb. Das erlaubte ihm erneut freie Sicht auf Johns Hinterteil, etwas worüber er jeden Abend phantasierte.
Am liebsten wäre Rodney von seiner Sonnenliege aufgestanden, wäre vor John auf die Knie gesunken und …
„Was meinst du mit ‚Was?’“, fragte John, ließ das Handtuch auf den Boden fallen und stieg in eine trockene Badehose.
„Hmm?“
„Rodney? Was ist los? Hast du einen Sonnenstich? Du siehst so erhitzt aus.“ John drehte sich um, kniete neben Rodneys Liege nieder und legte ihm eine kühle Hand auf die Stirn.
„Quatsch, Sonnenstich. Ich habe doch nur im Schatten gesessen.“ Rodney nahm Johns Hand von seiner Stirn, hielt sie aber einen Moment in seiner Hand fest und sagte: „Du bist ja ganz verkühlt.“
„Ich bin gerade richtig“, lachte John, zog sich die zweite Liege neben Rodneys und ließ sich drauf fallen. Dann drehte er sich so, dass er seinen Kopf auf Rodneys Oberschenkel legen konnte.
Er wusste, dass er das eigentlich nicht tun sollte, dass er damit den Trennungsschmerz nur noch größer machte. Aber er konnte der Versuchung dieser Zärtlichkeit nicht widerstehen. Sagte sich, dass er sich auch einmal ein klitzeklein wenig Egoismus erlauben durfte. Nur für eine halbe Stunde.
‚War das jetzt das endgültige Friedensangebot?’, dachte Rodney panisch. Was erwartete John jetzt? War der gestrige Tag eine Art … Vorspiel für diesen Moment der Versöhnung gewesen? Musste er jetzt darauf irgendwie reagieren? Aber wie? Am gestrigen Tag hatte John immer mal wieder eine Hand auf seine Schulter gelegt. Er war Rodney nicht ausgewichen, wenn der sich gegen ihn gelehnt hatte, wenn sie gemeinsam auf einer Bank gesessen hatten. Es waren winzige Berührungen auf einem Weg zu mehr Normalität gewesen – und Rodney hatte jede einzelne genossen, hatte jedoch immer auch Selbstzensur betrieben, um nichts Unbedachtes zu tun.
Und jetzt … streichelten seine Hände wie von selbst durch Johns Haare, ohne dass er das mit allen Konsequenzen durchdacht hatte! Erschrocken wollte Rodney seine Hand zurückziehen, doch als John genüsslich die Augen schloss und eine kleines Lächeln seine Lippen umspielte, beschloss Rodney mal ausnahmsweise darauf zu hören, was sein Körper sagte und nicht sein Verstand. Und wenn sein Körper ‚Streicheln’ vorschlug, dann würde er das tun.
Er kämmte mit seinen Fingern durch die halbnassen Haare und John streckte seine Hand aus und legte sie auf Rodneys Bein. So dösten sie fast eine halbe Stunde auf dem sanft schaukelnden Boot dahin. Rodney konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal dermaßen entspannt gewesen war.
Auch John genoss den Moment der Ruhe, den Frieden und die Schläfrigkeit dieses warmen Nachmittags auf dem Wasser. Die kleinen Wellen klatschten sanft gegen die Felsen der Bucht und lullten ihn mit ihrem Klang ein. Er konnte fast vergessen, dass es da noch die Geschichte mit dem Dschinn gab, die er in Kürze zu Ende bringen musste. Seine vierundzwanzig Stunden waren vor einer Stunde abgelaufen und es war John klar, dass auch Rodney das wusste, und ihn nur noch nicht gedrängt hatte.
In diesem Augenblick wünschte er, dass es einfach so weiter gehen könnte wie die letzten beiden Tage. Aber aus Erfahrung wusste er, dass das nicht so war. Das Universum gestattete nur kurze Atempausen, danach machte es unerbittlich weiter. Aber daran wollte er jetzt nicht denken, er konnte es sowieso nicht ändern. Wenn es dann so weit war, musste er es nehmen, wie es kam und bis dahin wollte er auch diesen Moment sommerlicher Zufriedenheit genießen.
John ging noch einmal von Deck aus schwimmen, dieses Mal begleitete Rodney ihn sogar, zu verlockend war das kühle Wasser, nachdem er den ganzen Nachmittag im eigenen Saft geschmort hatte. Danach steuerten sie wieder die Marina an, um ihr Boot zurückzugeben. Nachdem alles geregelt war, gingen sie zu ihrem geparkten Wagen zurück, deponierten die nassen Badesachen im Kofferraum, packten die Flasche in den Rucksack, den sie mitnahmen und beschlossen, noch eine Kleinigkeit am Hafen zu essen.
„Deine Zeit ist schon seit drei Stunden um“, meinte Rodney während sie durch die kleinen Sträßchen an Souvenirshops vorbei zum Hafen gingen, und an den Segelbooten entlang schlenderten, deren Masten im Wind sanft hin und her schaukelten.
„Ich weiß.“
„Gut. Wenn ich was im Magen habe, kannst du loslegen.“
John nickte.
Rodney hatte ein mulmiges Gefühl, aber würde nicht zulassen, dass John erneut einen Rückzieher machte.
Die Auswahl an Essen in der Marina war nicht gerade reichhaltig. Da ihnen nicht der Sinn nach Pancakes oder Sandwich stand, blieb nur die Frittenbude an der Strandpromenade übrig. Einer dieser typischen umgebauten Lieferwagen, der vorne halb aufgeklappt werden konnte und somit ein Dach gegen Sonne oder Regenschauer hatte.
„Fred’s Finest Fast Food“ hatte Hotdogs, Dutzende von Burger-Variationen, Pommes frites und frittierten Fisch im Angebot, die es mit einem überdimensionierten Schild mit vier verschlungenen „F“ bewarb. Dazu Salat, dem die sommerlichen Temperaturen gar nicht gut getan hatten, so traurig wie er in seinen Plastikschälchen vor sich hinwelkte.
Auch der Imbissbudenbesitzer schwitzte. Sein ‚Fred’ T-Shirt zierten dunkle Schweißflecken unter den Armen und am Rücken. Die Schürze, die er umgebunden hatte, zeigte etliche andere undefinierbare Flecken. Aber sein unappetitliches Äußeres konnte weder Rodney noch ein paar andere hungrige Urlauber abhalten, ihren Hunger und Durst bei ihm stillen zu wollen.
Als sie endlich an der Reihe waren, bestellte John eine Dose Cola und einen Hotdog. Rodney wollte eine Portion Pommes frites und einen Hähnchenburger.
„Hähnchen ist aus“, beschied ihm der Budenbesitzer.
„Aber es steht doch auf der Karte“, sagte Rodney.
„Ja, aber gibt’s nicht mehr. Dafür müsste ich erst ins Kühlhaus gehen.“ ‚Fred’ machte eine undeutliche Bewegung mit seinem Kinn in Richtung des flachen Gebäudes, das vielleicht fünfzig Meter von seinem Wagen entfernt war.
„Dann tun Sie das.“
„Nee, Mister, sehen Sie mal wie viele Leute nach Ihnen auch noch was wollen. Entweder essen Sie das, was da ist, oder Sie lassen’s.“ Er nahm seine Baseball-Kappe ab, strich sich durch die verschwitzen Haare und setzte die Kappe wieder auf.
So schnell gab Rodney nicht auf. „Da steht Hähnchen auf der Karte, Sie haben Hähnchen, dann will ich auch Hähnchen.“ Rodneys Zeigefinger unterstrich jedes Mal das Wort ‚Hähnchen’ mit einem Zeigen auf die Speisekarte, die hinter dem Imbissbudenbesitzer an der Wand angebracht war.
„Geht das da vorne auch mal weiter?“, ließ sich jetzt eine ungeduldige Stimme von weiter hinten in der Schlange vernehmen.
Rodney drehte sich in Richtung des Sprechers um. „Es geht weiter, wenn ich meinen Hähnchenburger habe.“
John musste Rodney Respekt zollen. Wenn er sich mal was in den Kopf gesetzt hatte, ließ er sich nicht so leicht davon abbringen, meckernde Zeitgenossen hin oder her. Gespannt verfolgte er den Fortgang dieser Auseinandersetzung. Er würde sein Geld ja auf Rodney setzen.
„Cheeseburger oder Hotdog?“, fragte ihn der Budenbesitzer jetzt schon mit deutlich drohendem Unterton.
„Gewerbeaufsichtsamt oder Gesundheitsbehörde?“, schoss Rodney ebenso prompt und böse zurück.
Für einen Moment fixierten sich die beiden, dann gab ‚Fred’ nach.
„Na, schön!“ Wütend riss er sich die Schürze herunter, öffnete die Tür seines Lieferwagens und stapfte in Richtung Kühlhaus davon.
Der Abmarsch des Budenbesitzers wurde bei der hungrigen, wartenden Menge nicht sehr gut aufgenommen.
„Das gibt’s doch nicht!“, waren noch die freundlichsten Aussagen.
Etliche machten in Rodney aber auch den Verursacher dieser Verzögerung aus und titulierten ihn „Querulant!“, was noch mit am freundlichsten war.
Da Fred sich mit seinem Gang zum Kühlhaus reichlich Zeit ließ, beschlossen die ersten zu gehen und sich etwas anderes zum Essen zu suchen. Nur wenige standen noch unschlüssig herum, als John plötzlich einen merkwürdigen, verschmorten Geruch wahrnahm. Und roch es nicht auch nach Gas? Erst glaubte er, er habe sich getäuscht, weil der ranzige Fettgeruch alles überdeckte, aber dann war er sich sicher.
Er machte zwei, drei Schritte um den Wagen herum, dort, wo die Gasflaschen nur sehr unzureichend gesichert neben der Imbissbude standen. Zwei der Ventile waren nicht mit Schutzkappen abgedeckt und John wollte wetten, dass dort schon seit einiger Zeit Gas ausströmte.
Aber das er klärte noch nicht den Brandgeruch, der ständig stärker wurde. John öffnete die Tür des Imbisswagens, die der nachlässige Besitzer nur locker angelehnt hatte. Es genügte ihm ein Blick, dann sah er es: es war die Schürze, die Fred sich so wütend heruntergerissen hatte! Sie war auf dem Grill gelandet und hatte Feuer gefangen!
John wurde schlagartig klar, was das bedeutete, denn er sah, dass Fred auch noch eine Gasflasche direkt im Wagen stehen hatte! Die brennende Schürze, in Kombination mit dem Gas und dem heißen Fett aus der benachbarten Friteuse, das war eine ganz gefährliche Mischung! Der Karren würde eher früher als später explodieren und ihnen um die Ohren fliegen! Sie mussten hier weg! Sofort!
Er schlug die Tür zu, rannte die drei Schritte zurück und machte eine scheuchende Handbewegung: „Los! Weg hier! Sofort!“, schrie er den wenigen Leuten zu, die immer noch nicht aufgegeben hatten, heute hier etwas zu essen zu kaufen. „Der Wagen explodiert gleich!“
John sah, dass die anderen Leute alle ein paar Schritte weiter entfernt waren, unter dem Schatten der wenigen Bäume, nur Rodney lehnte direkt an der Theke. War der drohenden Katastrophe am allernächsten!
„Renn, Rodney!“, schrie er aus Leibeskräften und riss an Rodneys Hand. Nur weg von dem Wagen, nur weg von dem Brandgeruch, der immer stärker wurde!
Auch die anderen Leute schienen inzwischen begriffen zu haben, dass irgendetwas nicht stimmte, denn sie setzen sich in Bewegung.
John zog Rodney hinter sich her so schnell es ging. Weg, weg, so weit es möglich war! Als Rodney stolperte, riss er ihn hoch und rannte weiter. Rodney und er schafften vielleicht zehn, fünfzehn Meter, dann zerriss ein ohrenbetäubender Knall die abendliche Ruhe der Marina.
‚Das reicht nicht’. Panisch stolperte John noch zwei Schritte weiter, riss Rodney mit sich. ‚Das kann ein Mensch nicht überleben.’
Während dieser Sekunden raste eine Unzahl von Gedanken durch seinen Kopf. Rodney wäre nicht der erste Meister, den er durch einen Unfall verlöre. Aber trotzdem war es anders. Ganz anders. Schon seit tausenden von Jahren hatte er niemanden mehr so nah an sich heran gelassen. ‚Jetzt weißt du auch wieder wieso’, flüsterte eine Stimme in seinem Innern. Aber im selben Moment wusste er, dass er es immer wieder tun würde, dass er nicht einen der Tage missen wollte, die sie zusammen gehabt hatte. Rodney hatte eine Seite in ihm berührte, wie noch niemals jemand anderer zuvor.
Scheiße, wieso musste Rodney gerade im Begriff sein zu sterben, ehe er sich das eingestand?
John spürte die Druckwelle der Explosion eine Sekunde bevor sie ihn erreichte. Das war aber genug, um Rodney vor sich auf den Boden zu stoßen und sich über ihn zu werfen. Er hatte keine Ahnung, ob er das überleben konnte – aber mit einer seltsamen Ruhe gestand er sich ein, dass es ihm egal war, solange es Rodney das Leben rettete.
Er war so ein Idiot, dass er Rodney niemals etwas von seinen Gefühlen gesagt hatte, waren die letzten Gedanken, ehe die ersten Metallteile unendlich heiß und scharfkantig auf seine Haut trafen und ihm den Arm, den er zum Schutz hochgerissen hatte, zerfetzten. Ein, zwei Sekunden blieben die Schmerzen aus, dann stürzte John in einen Strudel von Agonie, der ihn aufstöhnen ließ. Schwärze waberte von allen Seiten an ihn heran und sein Körper schien nur noch aus zerfetzten Nervensträngen zu bestehen, die ihn mit einem Ozean aus Schmerz überzogen, der jeden seiner Sinne überschwemmte.
Aber noch war es nicht vorbei. Für einen Moment hörte es sich wie ein Kriegsszenario an, als der Imbiss-Wagen weiter explodierte und weitere Metallstücke durch die Luft jagten, die mit lautem Knall auf dem Boden, in den Mauern und im Wasser einschlugen. Staub wirbelte auf, Menschen schrieen, es gab noch eine zweite, kleinere Explosion – und alles, an das John in diesem Moment denken konnte, war, ob er Rodney hatte beschützen können?
John atmete tief durch und versuchte einen Fokus außerhalb seines Körpers zu finden. Er blendete die fürchterlichen Schmerzen in seinem zerfetzten Arm so gut es ging aus und konzentrierte seine Sinne nur auf den Mann, der unter ihm lang. Das war nicht einfach und erforderte seine ganze Selbstbeherrschung und seine volle Konzentration.
Aber dann spürte er es, das hektische Heben und Senken von Rodneys Rücken. Dem Himmel sei Dank! Er hatte es geschafft, Rodney war noch am Leben! Unendliche Erleichterung überflutete ihn. Rodney hatte die Explosion überlebt, nichts anderes war in diesem Moment wichtig. Völlig erschöpft ließ er seine Gedanken wegdriften.
Das nächste, was er spürte, war, dass die Explosionsgeräusche aufgehört hatten und Rodney sich vorsichtig unter ihm hervor arbeitete. Er wollte zur Seite rollen, konnte es aber nicht. Irgendetwas in seinem Rücken fühlte sich nicht richtig an. Er wollte Rodney darauf hinweisen, aber er konnte die Worte nicht formen, nur kaum hörbar nuscheln.
„Schsch, John. Ganz ruhig. Bleib ganz ruhig liegen.“ Voller Panik flatterten Rodneys Hände nervös über seinen Körper, berührten ihn an der Wange, am Hals, um dann unkoordiniert seine Haare aus der Stirn zu streichen. „Jemand hat schon einen Krankenwagen gerufen.“
Nein! Nein, Rodney wusste doch auch, was auf dem Spiel stand!
Aber nicht alles, weil du es ihm nicht gesagt hast, du Idiot.
Er konnte nicht in ein Krankhaus eingeliefert werden. Er sammelte all seine inneren Kräfte, atmete ganz flach und fragte: „Mein Rücken?“
„Oh, Gott, John. Das ist ganz schrecklich. So fürchterlich. Da … da steckt ein Metallteil drin. Es … es…“ Rodney kämpfte sichtbar mit seinen Emotionen und seiner Panik, brachte dann aber heraus: „Etwa dreißig Zentimeter lang und scharfkantig. Da ist überall Blut.“
„Zieh es … raus und … dreh mich um“, presste sich John zwischen zusammengebissenen Zähnen ab.
„Nein, nein! Du wirst sterben! Der Blutverlust. Wir warten auf den Krankenwagen.“
„Tu es!“ John legte all seine Autorität in diese zwei Worte und hoffte, dass sie durch Rodneys Panik dringen würden.
„Ich kann das nicht.“ Rodneys Stimme überschlug sich.
„Dann sterbe ich“, wisperte John. Das Dumme war, trotz aller Melodramatik war das die reine Wahrheit, hoffentlich verstand Rodney das auch.
Dann sterbe ich. Die Endgültigkeit in Johns Worten schaffte es, Rodney aus seiner nutzlosen Feedbackschleife von ‚Nein! Nein! Nein!’ herauszureißen.
John brauchte seine Hilfe.
Jetzt sofort.
Selbst wenn sich alles in Rodney dagegen sträubte, dieses Metallteil anzufassen, das in einem See von Blut schwamm, der Johns T-Shirt eingefärbt hatte. Wenn John der Ansicht war, dass es raus musste, dann würde er das jetzt für ihn tun. Vielleicht konnte er mit dem Metall nicht in die Flasche gehen? Er würde Johns Entscheidung nicht in Frage stellen.
Rodney riss den Rucksack auf, rupfte mit zittrigen Fingern das Handtuch heraus, das Johns Flasche polsterte und wickelte es um das Metallstück. Er holte tief Luft, schluckte, hörte nicht auf die Zweifel in seinem Kopf, die ihm sagten, dass er das nicht könnte. Er zog an dem Metallstück.
Ein grässliches, knarzendes, schmatzendes Geräusch begleitete die Aktion und wäre Rodney nicht so angespannt gewesen, wäre ihm wohl schlecht geworden.
Aber er bekam das Teil herausgezogen, warf es einen halben Meter weg, falte das Handtuch und presste das Bündel, das bei der Menge des Blutes, das aus dem Loch in Johns Rücken rann, fürchterlich unzureichend wirkte, auf die Wunde und drehte John herum. Vielleicht half der Druck, wenn John auf der Wunde lag, die Blutung etwas zurückzuhalten.
„Was jetzt?“
„Muss … in mein … repositorio …“ Johns Augen schauten ihn glasig an.
„In dein *was*?“ Halluzinierte John schon?
„Mein repos… meine Flasche.“
„Ja, ja, natürlich.“ Selbstverständlich musste John in die Flasche, da hätte er ja auch gleich dran denken können, machte sich Rodney Vorwürfe. Wieder ein paar Sekunden unnötig verschwendet, in denen das Leben aus John heraus floss.
Rodney griff erneut in den Rucksack und entkorkte die Flasche. „Geh! Geh!“
„Hilfe. … Leg … das Armband auf … meine Haut.“ Jedes Wort war für John eine Qual und Rodney kämpfte gegen seine Tränen an, den anderen Mann so hilflos zu sehen.
Warum konnte er nicht …? Jetzt sah Rodney, dass John seinen Arm nicht bewegen konnte, um an das Armband zu gelangen. Er war regelrecht vom Körper abgetrennt und wurde nur noch von ein paar Sehnen gehalten. Sehnen, die silbrig glänzten und so gar nichts Menschliches an sich hatten. Rodney wusste, dass er in diesem Moment keinen Gedanken auf dieses Rätsel verschwenden durfte, sondern tun musste, was John ihm aufgetragen hatte.
Er schob Johns T-Shirt ein paar Zentimeter nach oben, platzierte Johns Arm mit dem Armband so, dass es direkt auf der Haut von Johns Bauch zu liegen kam.
„Rette … dich“, flüsterte John mit ersterbender Stimme, dann löste er sich vor Rodneys Augen in den bekannten blauen Rauch auf und verschwand in der Flasche. Rodney verschloss sie sofort mit dem Korken.
Hoffentlich hatte er nicht nur die sterblichen Überreste des Dschinns darin eingeschlossen!
Rodney kämpfte gegen seine schwarzen Gedanken an, die ihn von allen Seiten überfallen wollten. Hoffentlich war es noch rechtzeitig gewesen. Hoffentlich war die Heilungskraft der Flasche groß genug. Hoffentlich …
Energisch schüttelte er den Kopf. Genug.
Er steckte die Flasche in den Rucksack und blickte auf. Direkt in die geschockten Gesichter von drei Männern, die ein paar Meter entfernt von ihm im Dreck hockten und offensichtlich alles mitbekommen hatten. Ein rascher Blick zeigte Rodney, dass sie die einzigen waren, die anderen waren zu sehr mit sich selbst und den anderen Verletzten, beschäftigt.
Shit, mit einem Mal wusste er, was John mit ‚Rette dich’ gemeint hatte.
Bei diesen drei Männern konnte er richtig sehen, wie ihre Gedanken rasten.
Rodney erhob sich, stellte fest, dass er völlig blutverschmiert war, dies alles aber Johns Blut war und nicht seins. John, der ihn mit seinem Körper beschützt hatte und der ihm deshalb im Moment nicht helfen konnte, der sich nicht wehren konnte und so lange hilflos in der Flasche wäre, bis Rodney ihn wieder herausließe.
Und er müsste alles, wirklich alles dransetzen, dass es wirklich er war, der John wieder herausließ. Denn man brauchte kein solches Genie zu sein, wie er eins war, um zu wissen, dass hinter John weit mehr steckte, als er bisher zugegeben hatte. Die seltsame Sprache, die er benutzt hatte und die fast wie Latein geklungen hatte, die silbrigen Sehnen – nein, John durfte niemanden im die Hände fallen. Nicht einem Arzt und schon mal gar nicht diesen Leuten, die sich jetzt ebenfalls erhoben hatten und deren Haltung plötzlich viel drohender geworden war. Es würde nur noch Sekunden dauern, bis sie ihre Sprachlosigkeit überwunden hätten und von Rodney Erklärungen verlangen würden, die er nicht geben konnte und wollte.
Er musste hier weg. Umgehend.
„Stopp!“, rief auch schon einer der drei. „Was seid ihr für Freaks?“
Rodney ignorierte ihn und machte ein paar Schritte.
„Halt! Du und der … Typ … der Typ in der Flasche da. Seid ihr für die Explosion verantwortlich?“
„So ein Quatsch! Dann hätte ich mich wohl rechtzeitig in Sicherheit gebracht und nicht am Imbiss-Wagen gewartet!“, versuchte ihm Rodney mit Logik zu kommen.
Logik war aber nicht das, was die Leute in diesem Moment hören wollten. Sie suchten einen Schuldigen und sie hatten nur gehört „für die Explosion verantwortlich“ – und schon gesellte sich ein Pärchen zu den drei Männern.
„Der da?“
„Ja. Der da benimmt sich ganz merkwürdig und kann nicht schnell genug von hier wegkommen.“
Rodney blieb nicht verborgen, dass sie wohlweislich den Part mit der Flasche verschwiegen, wahrscheinlich, um nicht als Spinner abgetan zu werden.
„Dann sollten wir ihn dran hindern.“
Rodney rannte los, ohne sich um den Ausgang der Diskussion zu kümmern. Er rannte Richtung Strand, ohne Plan, ohne nachzudenken, bis ihm aufging, dass die einzige logische Richtung der Parkplatz war. Nur mit dem Auto hatte er eine Chance zu entkommen, denn laufen gehörte nicht gerade zu den Disziplinen, in denen er jemals einen Preis gewonnen hatte, oder in Zukunft gewinnen würde.
Waren sie schon hinter ihm? Rodney wagte sich kaum umzuschauen, aber riskierte dann doch einen Blick über seine Schulter. Verdammt! Ja! Und die Gruppe war bereits um drei, vier Leute angewachsen, so wie es aussah. Wenn sie ihn in die Finger kriegen wü… ja, dann hätten sie nicht nur ihn, sondern auch John und das durfte auf gar keinen Fall passieren. Er beschleunigte seine Schritte noch ein bisschen und bog in Richtung Ortszentrum ab. Dort, im Gassengewirr, wäre es wahrscheinlich leichter sie abzuhängen als am Strand, wo man ihn auf Kilometer Entfernung sehen konnte.
Rodney rannte, rannte, rannte, obwohl alles in seinem Körper gegen das Tempo protestierte. Er erinnerte sich an seinen Sportlehrer, der immer gepredigt hatte, Füße hoch, Kopf hoch, Arme mitnehmen, dann ist man schneller. Rodney versuchte es, auch wenn das die Flasche gewaltig durchschüttelte. Er hoffte nur, dass es da drin irgendeine Art von Dämpfungsfeld gab, die John vor den Erschütterungen schützte. Denn bei seinen Verletzungen, konnte ihm das Herumschwenken sonst nicht gut tun. Aber wenn er es nicht machte…wurde er langsamer. Und langsam bedeutete … Rodney zwang sich, nicht weiter in diese Richtung zu denken.
Inzwischen machte er in jede Sekunde einen Atemzug – das war nicht übertrieben, denn er hatte im Kopf mitgezählt. Schweiß rann ihm in die Augen, er versuchte ihn mit dem Arm wegzuwischen. Der ganze Brustraum brannte, und er hatte den Eindruck er müsste noch schneller atmen, aber das konnte er nicht. Und wenn er ganz ehrlich mit sich selbst war, auch das Tempo konnte er nicht mehr lange durchhalten.
Als Rodney um die nächste Ecke bog, wäre er fast mit einem Jugendlichen zusammengestoßen, der dort auf der Straße mit seinem Skateboard herumfuhr. Für eine Sekunde dachte er daran, das Skateboard zu stehlen, dann sah er ein, dass es ihn eher behindern als schneller machen würde, da er es noch niemals ausprobiert hatte.
Aber … aber das wussten die anderen ja nicht! Hektisch griff Rodney in sein Portemonnaie, holte einen Zwanzig-Dollar Schein heraus, drückte ihn dem Jugendlichen in die Hand und keuchte: „Fahr hinten zum … Camping raus, dann gehört der … Schein dir.“
Er schnappte noch einmal nach Luft. „Lass dich nicht erwischen, sieh … aber zu, dass sie dich sehen.“ Er zeigte auf die Gruppe von Leuten, die man gerade die Querstraße herauf rennen sah.
„Warum?“
„Tu’s einfach.“ Rodney legte noch einen Zwanziger dazu. Die Schritte seiner Verfolger waren jetzt deutlich zu hören.
Als der Jugendliche nickte, riss sich Rodney noch seinen signalfarbenen Sonnenhut vom Kopf und stülpte ihn dem jungen Mann über. „Bitte.“
„Na schön.“ Der Jugendliche zuckte die Schultern, steckte die Scheine ein – vierzig Dollar waren offenbar genug, um für so einen durchgeknallten Erwachsenen mal eben zum Campingplatz zu skaten – und rollerte mit seinem Brett davon.
Selbst wenn nicht alle auf seinen Trick hereinfielen, aber vielleicht schaffte es ihm wenigstens einige vom Hals. Ihm kam auch zu Gute, dass inzwischen die Dämmerung hereingebrochen war und alles in gnädiges Halbdunkel tauchte.
Rodney lief in die andere Richtung. Es war nicht mehr weit, versuchte er sich und seine keuchenden Lungen zu überzeugen. Gleich hast du es geschafft.
Endlich! Der Parkplatz kam in Sicht, jetzt waren es nur noch wenige Meter. Rodney war dem Erfinder der Autoschlüssel mit Fernbedienung noch niemals so dankbar gewesen. Denn er wusste genau, hätte er einen Schlüssel in das Schloss fummeln müssen, hätte er es in der nächsten halben Stunde nicht geschafft. Seine Finger zitterten viel zu sehr. Adrenalin, Schock, Erschöpfung, von allem etwas.
Rodney kam am Wagen an, riss die Tür auf, setzte sich hinter das Lenkrad und verriegelte sofort alle Türen. Erst dann holte er Johns Flasche aus dem Rucksack und legte sie behutsam auf den Beifahrersitz. Bis ihm einfiel, dass sie dort runterfallen könnte. Er legte sie in den Karton mit dem Altglas und den leeren Bierdosen. Das würde John gefallen.
Rodney merkte, dass er noch fast genauso schnell wie vorher atmete, obwohl es doch gar nicht mehr nötig war. Er zwang sich, nur jeden zweiten Atemzug zu machen. Er spürte ein
Brennen im der Luftöhre und musste husten. Noch mehr Schweiß als zuvor lief ihm am ganzen Körper herunter. Jetzt, da er nicht mehr in Bewegung war, spürte erst einmal so richtig, dass er klatschnass war. Selbst seine Hände am Lenkrad waren glitschig. Aber er hatte keine Zeit, das jetzt zu ändern, denn er musste weg hier, sofort.
Gerade als Rodney anfahren wollte, sah er, dass einer der Männer, der Wortführer, sich nicht von seinem Täuschungsmanöver hatte ablenken lassen und ihm, statt dem Skateboard-Fahrer gefolgt war. Er hatte ihn wohl nur nicht eingeholt, weil er noch unsportlicher war als Rodney, bestimmt dreißig Kilo zuviel mit sich rumschleppte und wahrscheinlich auch nicht so motiviert wie Rodney gewesen war.
Er stellte sich Rodney in den Weg, der zögerte für eine Zehntelsekunde, dann war es ihm aber schockartig klar, dass er für John diesen Typen da vorne sogar anfahren würde. Nicht über den Haufen fahren, dafür würde die Geschwindigkeit nicht reichen, aber wenn er nicht beiseite sprang wäre Rodney Willens und fähig ihn anzufahren und zu verletzen. Diesen Charakterzug bei sich zu entdecken erschreckte Rodney, gleichzeitig stattete es ihn auch mit einer eiskalten Nervenstärke aus. Er würde etwas nach links einschlagen, dann erwischte er ihn nur am Bein … das sah Rodneys Plan vor.
Glücklicherweise war dem Mann der Anlass doch wohl nicht wichtig genug, denn als er sah, dass Rodney nicht stoppen würde, sprang er zur Seite und rollte sich zwischen zwei Wagen in allerletzter Minute in den Dreck. Rodney verschwendete keinen weiteren Gedanken an ihn, gab Gas und verschwand in der Dunkelheit.
Schon bald hatte er den Zufahrtsweg zu der Marina hinter sich gelassen und war wieder auf der Hauptstraße. Rodneys Nerven beruhigten sich so ganz langsam. Was sollte er jetzt als nächstes tun? Wie lange musste John in der Flasche bleiben? Stunden? Tage? Was geschah, wenn er die Flasche zu früh öffnete? Was, wenn John schon gar nicht mehr lebte?
Nein, verflucht, rief er sich zur Ordnung, John wusste doch, wie viel er seinem Körper zumuten konnte. Wie viel ein Dschinn … oder was auch immer er war, aushalten konnte. ‚Und wenn er es wusste und dich trotzdem geschützt hat?’, war sofort die nächste Frage, auf die er keine Antwort hatte. Ja, John musste einfach überleben, denn es wäre gemein und ungerecht ihn mit all den Fragen zurückzulassen, machte sich Rodney Mut. Und den Nachgedanken, dass die Welt tatsächlich oft gemein und ungerecht zu ihm war, verscheute er sofort.
Er angelte mit einer Hand nach einer Flasche mit Wasser, goss sie auf einmal in sich hinein und stopfte noch einen Energieriegel hinterher. Er musste durchhalten. Musste eine gewisse Entfernung zwischen sich und die Leute in der Marina bringen. Durfte nicht der Polizei in die Hände fallen. Musste John retten.
`John retten`, wurde sein Mantra für die nächsten hundert Kilometer. Er hielt nicht an, trank im Fahren und brachte immer mehr Abstand zwischen sich und den Ort der Explosion.
Trotzdem merkte er nach gut zwei Stunden, dass ihm immer wieder die Augen zufielen und er für einen Moment wegdöste – nur um hochzuschrecken und krampfhaft die Augen aufzureißen. Er konnte sich nicht mehr konzentrieren konnte, egal wie laut er die Musik im Radio drehte und auch das geöffnete Fenster, mit seiner Frischluftzufuhr half nicht mehr weiter. Er musste anhalten. Irgendwo die Nacht verbringen.
Wahrscheinlich wäre es am besten, wenn er jetzt in einem Motel eincheckte, die Flasche nähme, sie auf den Tisch stellte, sich selbst eine Dusche und einen guten Nachtschlaf gönnte und sie erst am nächsten Morgen öffnen würde. Damit hätte John auch genügend Zeit, sich etwas zu erholen, sofern man sich von solchen Verletzung überhaupt in so kurzer Zeit erholen konnte. Rodney wusste aber auch, dass er mit der bohrenden Ungewissheit die ganze Nacht über kein Auge zutun würde. Er musste sich vorher vergewissern, dass John überlebt hatte.
Eine viertel Stunde später folgte er einem Motelschild, das ihn von der Hauptstraße wegbrachte. Nach einem halben Kilometer fuhr er in die hinterste, dunkelste Ecke eines Motelparkplatzes. Zweieinhalb, nein, fast drei Stunden war John jetzt da schon drin, das *musste* doch einfach reichen, redete Rodney sich gut zu, als seine Hand auf dem Korken lag. Er vergewisserte sich noch drei Mal, dass niemand in der Nähe war, atmete tief durch und zog den Korken von der Flasche.
Dauerte das immer so lange, ehe der blaue Rauch erschien? Rodney biss sich auf die Unterlippe und starrte auf die Flasche, die er auf den Beifahrersitz gestellt hatte. Mit einem erleichterten Ausatmen sah er, wie sich die ersten Rauchschwaden verdichteten.
Das sah … ja, das sah nach John aus.
Und war alles an ihm dran?
Nervös trommelten Rodneys Finger auf das Lenkrad.
Noch eine – wie Stunden scheinende – Sekunde, dann saß John in genau demselben T-Shirt und der Bermuda-Shorts neben ihm, die er bei dem Unfall getragen hatte. Alles picobello sauber und ohne Risse – das ließ Gutes für Johns Verfassung hoffen. Ein erster kritischer Blick von den Haarspitzen bis zu den Sandalen und Rodney atmete erleichtert aus. Die äußere Inspektion hatte keine Verletzungen mehr ergeben. John war so attraktiv wie immer. Unendliche Erleichterung durchflutete ihn warm.
John streckte eine Hand nach ihm aus, als müsste er sich vergewissern, dass Rodney kein Trugbild war. „Rodney! Du hast es also geschafft. Bist du verletzt? Wo sind wir?“
„Ich bin in Ordnung, nur so müde, dass ich kaum die Augen offen halten kann. Wir sind hinter Kayenta, circa drei Stunden vom Lake Powell entfernt.“
„Hat jemand etwas von meinem kleinen … äh … Trick mitbekommen?“
„Das ist eine lange – und sehr heldenhafte, möchte ich betonen – Geschichte. Und ich erzähle sie dir ein anderes Mal. Erst bist du mir noch ein paar Erklärungen schuldig.“
John musterte Rodney von Kopf bis Fuß, sah das getrocknete Blut, die verschwitzen und jetzt am Kopf klebenden Haare, einen langen, halb verkrusteten Schnitt auf der Stirn und Rodneys müde Augen.
„Wir sollten dazu in ein Motel gehen. Du brauchst eine Dusche und ein Bett und ich schwöre, dass ich dir danach Rede und Antwort stehen werde. Abgemacht?“
Rodney gähnte. „Abgemacht. Ich werde uns hier ein Zimmer mieten.“
„Das werde ich machen. Gib mir dein Portemonnaie.“
„Warum?“
„Du siehst aus, als kämest du gerade von einem … Massenmord“, stellte John fest und zeigte auf Rodneys T-Shirt und seine Shorts, die über und über mit getrocknetem Blut bedeckt war. John nahm sanft Rodneys Hände in seine Hand und drehte sie mit den Innenflächen nach oben, damit auch Rodney sah, dass sie ebenfalls blutig und aufgeschürft waren. „In diesem Aufzug solltest du kein Zimmer mieten.“
„Könnte Schwierigkeiten machen“, sah Rodney ein und gab John seine Geldbörse. „Ist noch genug Bargeld drin? Ich musste nämlich einen Skater bezahlen.“
„Skater?“
„Gehört mit zu deiner heldenhaften Rettung“, lächelte Rodney müde.
„Ich verstehe. Erklärst du mir morgen. Ja, hier sind noch hundert Dollar drin.“
John verschwand und fünf Minuten später kam er wieder.
„Zimmer 117. Ganz hinten am Eck, ihr bestes Zimmer, weil wir so viel Lärm machen können, wie wir wollen und uns niemand hört.“
Rodney hätte fast geschworen, dass John dabei etwas rot wurde, aber vielleicht war das auch nur das schreckliche Licht von der Neon-Leuchtreklame. „Was … was ist das hier für ein Motel?“
„Offensichtlich eins, das man vor allem stundenweise mietet. Denn diese hier“, er hielt Rodney Kondome hin, „gab’s mit dem Anmeldeformular. Und als ich sagte, dass wir bis morgen Mittag bleiben, hat sie noch zwei dazu gelegt.“ John verschwieg, dass sie ihn dabei schamlos von oben bis unten gemustert hatte, und verkündet, dass seine Kleine wirklich Glück habe, jemanden erwischt zu haben, der die ganze Nacht konnte.
Rodney lachte, erleichtert darüber, dass sie das Zimmer hatten, aber auch erleichtert, dass John prompt etwas passiert war, das zeigte, dass nicht alles ernst und düster und mit Gefahr verbunden war. Es fühlte sich gut an und zum ersten Mal seit der Explosion fühlte er sich wirklich besser. Er fuhr um das halbe Motel herum bis zum angegebenen Zimmer.
John schloss auf und trug ihre Sachen herein. Kein Vergleich zu der sauberen Funktionalität der letzten Motels in denen sie genächtigt hatten. Dieses hier war heruntergekommen, verwohnt. Die Farben des Bettüberwurfs waren verblichen, die Glastür zum Badezimmer hatte einen Sprung, das Kabel für den Fernseher war mit ein paar Klemmen sichtbar an der Wand befestigt. Immerhin waren frische Bettlaken aufgezogen und der kleine Kühlschrank enthielt Getränke und eine Plastiktüte mit Eisstücken.
Rodney kümmerte sich nicht um das Aussehen ihres Zimmers, sondern verschwand sofort im Badezimmer und drehte die Dusche an. Er musste aus diesen Sachen heraus, und zwar schnellstens. Während er duschte, holte John noch den Erste-Hilfe-Kasten aus dem Wagen herein.
Dieses Mal war es Rodney, der nur mit einem Handtuch bekleidet ins Zimmer kam und sich aufs Bett fallen ließ.
„Also, was ist jetzt los mit dir? Raus mit der Sprache und keine weiteren Ausflüchte!“ Rodney wollte die Hände vor der Brust verschränken, rief aber stattdessen: „Au!“ und warf einen Blick auf seine aufgeschürften Handinnenflächen.
„Ich werde dich jetzt erst einmal verarzten“, sagte John, setzte sich neben Rodney aufs Bett und verband dessen Hände mit ein paar Mullbinden. Dann desinfizierte er, unter lautem Gemecker Rodneys, dessen Stirnwunde und klebte ein Pflaster drüber. Die Knie, auf denen Rodney gelandet war, als John ihn zu Boden gestoßen hatte, waren ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen worden und John klebte zwei weitere große Pflaster auf.
„Der Rest sind nur kleinen Schürfwunden“, versuchte er Rodney zu beruhigen.
„Dann wollen wir nur mal hoffen, dass sich nichts davon infiziert“, bemerkte Rodney düster. „Wer weiß, welche Keime alles in dem Staub und Dreck drin waren.“
Als John den Erste-Hilfe-Koffer zur Seite räumte, meinte Rodney resolut: „Und dieses Mal will ich die Wahrheit wissen. Denn das hatte nichts mehr mit einem bisschen fauler Zauberei zu tun, das alles … du … siehst nach sehr fortschrittlicher Technik aus. Was ist hier los? Und ich will keine weiteren Aladin-Geschichten hören! Verstanden?“ Er wickelte sich aus dem feuchten Handtuch, ließ es einfach auf den Boden fallen und krabbelte unter die Zudecke. Er lehnte sich mit dem Rücken gegen das Betthaupt und klopfte neben sich auf die Matratze, damit John dort wieder Platz nahm.
John setzte sich neben Rodney, winkelte ein Knie an, umfing es mit seinen Händen und erwiderte mit ruhiger Stimme, die in deutlichem Gegensatz zu Rodneys herausfordernder stand: „Verstanden. Ich werde dir alles erzählen. Es ist wohl wirklich Zeit dafür. Es wird aber etwas länger dauern.“
„Dann reich mir noch eine Cola zum Wachbleiben rüber und fang an.“
TBC ...