Titel: Stargate Atlantis - Der 'Alte Rat'
Fandom: SGA
Autor: Gwelwen
Personen: John Sheppard, Dr. Rodney McKay, Teyla Emmagan, Ronon Dex, Dr. Jennifer Keller
Rating: PG12
Klappentext:
Kurz nach der Rückkehr in die Pegasus-Galaxie
Es sollte eine einfache und kurze Mission werden: Colonel Sheppard und sein Team suchen zusammen mit Dr. Jennifer Keller eine Heilpflanze, die nach den spärlichen Angaben der Antiker sehr hilfreich für die Menschen wäre. Doch bereits kurz nach der Ankunft auf dem Planeten nehmen unvorhergesehene Dinge ihren Lauf: Das Team klagt über Kopfschmerzen und eine Gruppe Krieger, die in einer ihnen fremden Sprache kommunizieren, nimmt sie gefangen, Ohne Möglichkeit auf Verständigung finden sie sich in einem gut bewachten Höhlenverlies wieder. Die einzige Person, mit der sie sich schließlich verständigen können, ist eine weitere Gefangene. Was hat es mit dieser geheimnisvollen jungen Frau auf sich? Und was ist der 'Alte Rat', von dem sie spricht und den Teyla und Ronon aus alten Erzählungen kennen?
Disclaimer:
Das Produkt Stargate Atlantis und die darin vorkommenden Personen gehören MGM, 20th Century Fox, den verantwortlichen Produzenten und Autoren sowie allen anderen Anspruchsinhabern. Weitere Personen, Völker, Orte, etc. wurden von mir kreiert und mit Leben gefüllt. Jegliche Ähnlichkeiten zu lebenden oder toten Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Widmung:
Diese Geschichte widme ich Rachel, Jewel, Jason, David, Joe und allen anderen der Atlantis-Crew, die meine Phantasie durch den 'Ring der Vorfahren' in die Pegasus-Galaxie getragen haben. Auf dem Weg zurück in die Milchstraße brachte sie dann diese Geschichte mit...
Hinweis:
Ich habe versucht diese Geschichte so zu schreiben, dass auch Leser, die Stargate Atlantis nicht kennen, die Zusammenhänge verstehen. Daher werden einige Erklärungen für die SGA-Kenner überflüssig sein...
Und nun geht's los! Viel Spaß beim Lesen!
Prolog
„Könnt ihr mir mal erklären, warum ich unbedingt hierhin mitkommen sollte? Das MALP hat keinerlei Zivilisation angezeigt. Keinerlei Technologie – geschweige denn einem Lebenszeichen von auch nur einem Menschen! Dieser Planet besteht nur aus Gestrüpp!“ missmutig folgte Rodney seinem Team, das einen schmalen Trampelpfad entlang ging. Die Spuren im Boden ließen vermuten, dass es sich dabei um einen Wildwechsel von reh- oder hirschähnlichen Tieren handelte. Der Wald zu beiden Seiten war dicht und urwüchsig und schloss sich über ihren Köpfen wieder zusammen. Nichts deutete auf die Anwesenheit von Menschen hin. Die einzigen Geräusche um sie herum kamen von den Tieren, die hier lebten. Vögel zwitscherten, mal leise und melodisch, mal laut und schrill, und Insekten surrten und brummten flink hin und her. „Ich bin der brillanteste Wissenschaftler auf Atlantis und sollte mich um die Entdeckung und Erforschung unbekannter Technologie kümmern! Und was mache ich anstelle dessen? Ich krieche hier durch diesen Urwald und verplempere meine kostbare Zeit – während in Atlantis die Arbeit auf mich wartet!“ fuhr er fort, während er etwas ungelenk über einen umgestürzten Baumstamm kletterte.
Es stimmte: Dr. Rodney McKay war wirklich ein ausgezeichneter Wissenschaftler. Gerade etwas über 30 Jahre alt, hatte er einige bemerkenswerte Theorien aufgestellt und konnte nahezu jede fremde Technologie, ungeachtet ihres Alters oder Zustandes, zum Leben erwecken. Doch seine soziale Kompetenz tendierte gegen Null.
In der Regel überhörten seine Teamkollegen seine Ausbrüche. Sie waren es gewohnt, dass Rodneys Meckereien den größten Teil ihres Weges begleiteten. Doch sie wussten auch, wenn es darauf ankam, würde Rodney ihnen zur Seite stehen.
Auch jetzt ignorierten Teyla und Ronon ihn. Sie wechselten nur einen kurzen Blick und gingen weiter.
Teyla Emmagan, die Führerin der Athosianer, einem Volk, das auf Atlantis Schutz gefunden hatten, war eine junge Frau mit wachen, tiefgründigen Augen. Sie kannte die Gefahren der Pegasus-Galaxie und unterstützte die Atlantis-Mission bei ihren Expeditionen durch das Sternentor. Sie war nicht nur eine weise Führerin, sondern auch eine ausgezeichnete Kämpferin, die mit nahezu tänzerischen Bewegungen ihre Feinde besiegte. Sie gehörte seit den Anfängen zu dem Team und trug die Uniform der Atlantis-Mission genauso selbstverständlich, wie die Kleidung ihres Volkes.
Ronon Dex gehörte ebenfalls zu der Expedition, doch er trug stets seine eigene Lederkleidung. Er war ein ausgebildeter Krieger und einer der wenigen Überlebenden seines Volkes. Mit seinen fast zwei Metern Länge, seiner kräftigen Statur und seinen wilden Rasterzöpfen hatte er bereits viele wichtige Kämpfe ausgefochten und gewonnen. Sein Kampfgeist loderte stets in seinen braunen Augen – eine ungezähmte Kraft, die sich jederzeit offenbaren konnte.
„Jetzt klettern wir schon über eine Stunde hier herum und haben nichts erreicht! In der Zwischenzeit hätte ich auf Atlantis ganze Galaxien erforschen können!“ maulte Rodney weiter. „Ist das so schwer zu verstehen, dass ich dort gebraucht werde?“
„Die wöchentliche Übertragung zur Erde, die heute ansteht, macht doch Selenka!“ meldete sich nun eine entnervte Stimme von vorne. „Und soviel ich weiß, sind es immer dieselben langweiligen Handgriffe! Nichts, wofür man ein Genie wie Sie bräuchte!“ Lieutenant Colonel John Sheppard war nicht nur der Anführer dieses Außenteams, sondern er war auf Atlantis das hochrangigste Militärmitglied. Dabei war er eigentlich kein Vorzeigesoldat. Sein Eigenwille hatte ihm bei seiner Militärkarriere oft mehr geschadet als genutzt. Doch hier am anderen Ende des Universums hatte ihn und sein Team genau dieser Eigenwille oft das Leben gerettet. Er war in die Rolle des Chefs unverhofft hinein gestoßen worden, als sein Vorgesetzter getötet worden war. Doch er war mit seinen Aufgaben gewachsen und füllte nun diese Rolle souverän aus. Obwohl viele seiner Untergebenen wesentlich älter waren als er, wurde er von seinem Team geschätzt und akzeptiert. Sie standen geschlossen hinter ihm und vertrauten seinen Entscheidungen. Und auch er verließ sich auf sie. Trotz allem, was er bisher an Schrecklichem erlebt hatte, hatte er sich neben seinem Eigenwillen, seinen trockenen Humor und seine Lausbubenhaftigkeit bewahrt, die durch seine locker gestylte Kurzhaarfrisur – nicht gerade sehr Militärkonform – offenkundig wurde.
Rodneys Ausbrüche kannte er nur zu gut. Er wusste, dass Rodney nicht so schnell verstummen würde, konnte sich jedoch den etwas spöttischen Ausspruch nicht verkneifen. Und wie er vermutet hatte, nahm Rodney den dargebotenen Faden sofort auf: „Es geht doch nicht um diese alberne Datenübertragung! Es geht um Atlantis! Atlantis – eine riesige Stadt, die es zu erforschen gilt! Hinter jeder Tür kann sich eine Sensation verstecken! Und ich bin genau der Richtige, um diese Sensationen zu finden!“
Sheppard grinste: „Soviel ich weiß, sind wir wegen so einer Sensation hinter einer von Atlantis Türen hier an diesem Ort!“
„Pah!“ Rodney verzog verächtlich das Gesicht. „Dieses Gewächs soll eine Sensation sein?“
„Dieses Gewächs ist eine Pflanze von unschätzbarem Wert!“ ertönte nun eine zarte weibliche Stimme. „Wenn die Angaben in der Datenbank der Antiker stimmen, könnte diese Pflanze eine ganze Menge unserer Krankheiten heilen. Krebs, Aids… das könnte schon bald der Vergangenheit angehören!“ Die Stimme gehörte Dr. Jennifer Keller, einer hervorragenden Medizinerin, die seit einiger Zeit die Krankenstation auf Atlantis leitete. Sie hatte in den vergangenen Minuten aufmerksam die Umgebung nach dieser Pflanze abgesucht. Dabei hatte sie ihren Kopf so sehr hin und her bewegt, dass der geflochtene Zopf ihrer blonden Haare an ihrem Rücken stetig hin und her geschwungen war. Nun ließ sie jedoch für eine Sekunde von ihrer Suche ab und blickte Rodney tadelnd an. „Es muss nicht immer nur Technologie sein, die der Menschheit hilft!“
Rodney war für einen Augenblick verstummt. Er ärgerte sich innerlich. Er mochte Jennifer sehr und ahnte, dass seine Worte nicht unbedingt nett gewesen waren. Seitdem sie beide befreundet waren, versuchte er, darauf zu achten, was er sagte. Doch das war überhaupt nicht leicht.
Jennifer, die ihn ja nur zu gut kannte, wartete nicht auf eine Antwort, sondern drehte sich um und machte sich wieder auf die Suche.
Teyla und Ronon traten an Sheppard vorbei und folgten der Ärztin. Als Rodney ebenfalls an Sheppard vorbei trat, meinte dieser trocken: „So beeindrucken Sie sie nicht!“
Rodney seufzte innerlich und folgte den anderen schweigend.
Sheppard schmunzelte, als er ihm hinterher sah. Gerade als er seiner Gruppe folgen wollte, zuckte plötzlich ein stechender Schmerz durch seinen rechten Unterarm. Er verzog das Gesicht und ballte seine Hand zu einer Faust. Sekunden später war der Schmerz verflogen. Nur noch ein leichtes Spannungsgefühl blieb zurück – das gleiche, dass er schon eine ganze Weile verspürte und sich inzwischen bis in den Kopf ausbreitete. Er hatte sich wohl beim morgendlichen Kampftraining mit Teyla eine Zerrung geholt. Kopfschüttelnd lockerte er seinen Arm und schritt zügig aus, um zu den Anderen aufzuschließen.
„Alles in Ordnung?“ fragte Teyla, die nun den Schluss der Gruppe bildete.
„Klar!“ meinte Sheppard und versuchte, das Pochen in seinem Arm zu ignorieren.
„Dort ist sie!“ jubelte in diesem Augenblick Dr. Keller. Sie hatten eine kleine Lichtung erreicht und dort in der Sonne wuchs der gesuchte kleine Strauch. Jennifer verließ den Trampelpfad und lief zu ihm hinüber. Dort angekommen, besah sie sich den Strauch ehrfürchtig von allen Seiten. Der reich verzweigte Busch war noch nicht mal einen halben Meter hoch. Seine runden, fingernagelgroßen Blätter waren tief grün und ledrig und die stecknadelkopfgroßen weißen Blüten verströmten einen schweren Duft.
„Ist der Duft nicht herrlich?“ fragte Jennifer und sog genießerisch die geschwängerte Luft ein.
Als Rodney den Duft wahrnahm, musste er sofort heftig niesen. „Oh nein! Das auch noch!“ Mit einer abwehrenden Handbewegung wich er einige Schritte zurück.
Sheppard hatte zu der Gruppe aufgeschlossen und trat an Rodney vorbei, ohne auf seinen Ausspruch zu reagieren: „OK, Doc. Wir haben die Pflanze gefunden – was nun?“
„Wir werden zwei oder drei dieser Setzlinge mitnehmen.“ antwortete Jennifer und machte sich direkt an die Arbeit. Teyla kniete sich neben sie und half ihr dabei, die kleinen Pflanzen auszugraben.
„OK, während hier dieses Gestrüpp ausgebuddelt wird, werde ich schon mal zum Tor gehen und auf Atlantis Bescheid sagten.“ meinte Rodney, der aufgeregt seinen Puls gefühlt hatte, und wollte gehen, doch Sheppard trat ihm in den Weg: „Wir werden gemeinsam zurückgehen, McKay! Ob Sie nun ein paar Minuten eher oder später zurück auf Atlantis sind, ist doch wohl egal!“
„Dafür habe ich keine Zeit. Ich habe ein paar ganz eindeutige Anzeichen einer allergischen Reaktion. Ich muss also sofort aus diesem Umfeld!“ entgegnete Rodney aufgeregt.
„Allergische Reaktion?“ Sheppard sah ihn skeptisch an.
„Schnupfen, Halsschmerzen, Fieber, Kopfschmerzen, Herzrasen…!“ zählte Rodney atemlos auf. „Wahrscheinlich ist es dieses Kraut da!“
„Das glaube ich nicht!“ erwiderte Jennifer, ohne sich von der Pflanze abzuwenden. „Davon stand nichts in der Antiker-Datenbank.“
„Abgesehen davon, dass ich kein Antiker bin, sondern ein Mensch und somit eine ganz andere Physiologie habe, möchte ich nicht warten, bis ich in einen anaphylaktischen Schock falle um damit den Beweis zu erbringen, dass meine Theorie stimmt!“ entgegnete Rodney aufgebracht.
„Wenn wirklich die Gefahr bestehen sollte, dass Sie keine Luft mehr bekommen sollten, wäre es dann nicht klüger, in der Nähe des Doktors zu bleiben?“ fragte Sheppard und sah ihn fragend an.
„Ich bilde mir diese Kopfschmerzen nicht ein!“ knurrte Rodney und ballte seine Fäuste. Doch da er der Logik in Sheppards Worten nichts entgegenzusetzen hatte, nickte er widerstrebend.
Um Sheppards Mundwinkel zuckte es verdächtig, als er sich wieder der Medizinerin zuwandte: „Wie weit sind wir?“
„Fast fertig!“ antwortete Teyla und erhob sich. Nachdem sie einen kurzen Blick auf Rodney geworfen hatte, der in einiger Entfernung ungeduldig wartete, trat sie an Sheppard heran: „Mit einem hat Rodney Recht: Auch ich habe Kopfschmerzen. Sie haben angefangen, kurz nachdem wir durch das Tor gegangen waren. Zuerst war es nur ein dumpfes Gefühl, aber inzwischen sind sie stärker geworden. Auch Jennifer hat mir eben gestanden, dass sie Kopfschmerzen hat. Sie hatte es jedoch auf die Aufregung zurückgeführt.“
„Und ich dachte, Rodneys stundenlanges Gejammer wäre der Grund für meine Kopfschmerzen!“ meinte Sheppard nun doch etwas beunruhigt.
„Ich fürchte nicht!“ Teyla sah ihn aufmerksam an.
„Wir werden den kürzesten Weg zurück nehmen!“ entschied Sheppard. „Rodney sollte davon jedoch vorerst nichts erfahren, sonst werden wir ihn den ganzen Rückweg tragen müssen!“
„OK, wir sind soweit!“ rief Jennifer zufrieden und stand auf.
„Na endlich!“ meinte Rodney und machte sich sofort auf den Weg. Doch bereits nach wenigen Schritten blieb er wie vom Donner gerührt stehen. Mit angehaltenen Atem und weit aufgerissenen Augen starrte er auf die rußgeschwärzte Lanzenspitze, die seine Weste in Brusthöhe berührte und aufzuspießen drohte. Die Hände, die diesen Speer umschlossen, gehörten einem kräftigen jungen Mann in einem braunen Lendenschurz. Seine wirren braunen Haare wurden von einem breiten roten Stoffband aus dem Gesicht gehalten. Die braunen Augen blickten Rodney starr an.
Sheppard und Teyla hatten sofort ihre P-90 gehoben und zielten zunächst auf den einzelnen Angreifer und auch Ronon hatte seine Energie-Waffe gezogen. Doch plötzlich tauchten um sie herum weitere Krieger auf, die mit Lanzen oder Pfeil und Bogen auf das Außenteam zielten. Schließlich waren sie von ungefähr 20 der Fremden umstellt. Jennifer ließ erschrocken den Setzling fallen, den sie gerade in ihre Tasche packen wollte und zog sich hinter Teyla zurück.
„Nicht schießen!“ rief Sheppard seinen Leuten zu.
Für einen Augenblick herrschte Stille. Dann rief einer der Fremden ihnen etwas zu. Es waren Worte in einer völlig fremd klingenden Sprache.
Als er verstummt war, stellte Sheppard sich vor, der böses ahnte: „Ich bin Lieutenant Colonel John Sheppard. Wir sind in friedlicher Absicht hier. Wir wollten nur etwas von dieser Pflanze für wissenschaftliche Zwecke! Wir…“ Er brach ab, als ein neuer Schwall der fremden Worte zu hören war.
„Teyla, Ronon, könnt ihr verstehen, was dieser freundliche Herr uns mitteilen will?“ fragte Sheppard, ohne den Krieger aus den Augen zu lassen.
„Ich habe diese Sprache noch nie gehört!“ antwortete Ronon sofort.
„Tut mir Leid, ich erkenne sie ebenfalls nicht!“ verneinte auch Teyla.
Sheppard seufzte: „Da habe ich schon zwei Aliens im Team und kann trotzdem auf keinen Dolmetscher zurückgreifen!“
„Vielleicht kann einer von ihnen die allgemeine Verkehrssprache der Antiker?“ überlegte Rodney, der ein paar Schritte zurückgewichen war.
„Dann sollten Sie es einfach mal testen!“ forderte Sheppard ihn auf.
„Warum ausgerechnet ich?“ fragte Rodney. „Jeder im Team hat doch inzwischen genug Unterricht gehabt, um ein paar Brocken zu sprechen!“
„McKay!“ erklang Sheppards mahnende Stimme.
Rodney schloss für einen kurzen Augenblick die Augen und holte tief Luft. Dann begann er stockend in der Sprache der Lantianer: „Mein Name ist Doktor Rodney McKay. Wir sind Forscher und in friedlicher Absicht hier!“
Der Krieger, der ihn mit der Lanze bedrohte, sah ihn weiter mit dem gleichen Ausdruck an. Auch die anderen Krieger zeigten mit keiner Regung, ob sie die Worte verstanden hatten.
„War einen Versuch wert!“ murmelte Sheppard.
„Und was tun wir jetzt?“ fragte Ronon.
Sheppard dachte nach. Er wusste genau, dass es sinnlos wäre. Selbst mit ihren Automatikwaffen würden sie nicht alle Angreifer abwehren können und vielleicht gab es noch weitere Krieger, die sich irgendwo versteckt hatten. Und der Weg bis zum Tor war einfach zu weit, um sich bis dorthin den Weg frei zu schießen. Außerdem wollte er nicht wegen simplen Sprachproblemen ein Blutbad anrichten. „Nehmt die Waffen runter und sichert sie!“
„Wir sollen uns doch nicht etwa ergeben?“ fragte Rodney erstaunt.
„Doch, genau das will ich. Bisher scheinen es nur Sprachschwierigkeiten zu sein. Wenn wir uns nicht aggressiv verhalten, werden sie uns vielleicht als ungefährlich ansehen und freilassen!“ antwortete Sheppard, während er seine Waffe mit vorsichtigen Bewegungen sicherte.
„Und wenn nicht?“ fragte Rodney entsetzt.
„Nun, dann wird Major Lorne seinen Einsatz bekommen und uns retten!“ antwortete Sheppard schlicht und legte seine Waffe vorsichtig auf den Boden. Zögernd folgten Teyla und Ronon ihm.
Die Fremden hatten aufmerksam jede Bewegung der Eingekreisten beobachtet. Nun kamen sie vorsichtig auf die Gruppe zu. Während die meisten weiter die Bogen gespannt hielten, traten einige vor und nahmen die Schusswaffen an sich, sowie auch sämtliche Ausrüstungsgegenstände. Dann banden sie ihnen mit Seilen die Hände auf den Rücken.
„Ich weiß nicht, ob das so ein toller Plan war!?“ zweifelte McKay.
Als einer der Krieger Sheppards rechten Arm anfasste und nach hinten zog, um ihn zu fesseln, durchzuckte ihn ein stechender Schmerz. Ihm kamen langsam Zweifel, dass dies wirklich nur eine simple Zerrung war.
***
Die Krieger traten nun mit ihnen auf einem anderen Pfad in den Wald hinein. Völlig lautlos und mit geschmeidigen, anmutigen Bewegungen führten sie das Team einen Weg entlang, der schließlich an einem Felsenhang hinauf führte. Hier angekommen, verließen ein paar der Krieger den Weg und tauchten in den dichten Wald ein. Wenige Augenblicke später waren sie nicht mehr zu sehen.
„Kein Wunder, dass wir sie nicht vorher gesehen oder gehört haben!“ meinte Ronon halblaut.
„Ja, wirklich hervorragende Waldläufer!“ wisperte Sheppard.
„Sie sind bestens ausgebildet für den Kampf! Ihre gesamten Körperbewegungen zeugen davon!“ fuhr Ronon fort.
„Ich unterbreche ja nur ungern, aber diese Waldläufer haben uns gefangen genommen! Sollten wir nicht lieber einen Plan ausarbeiten, wie wir heil hier raus kommen können?“ unterbrach Rodney.
„Ich denke, wir werden gleich sehen, ob Plan A funktioniert!“ meinte Sheppard, da sie in diesem Moment um den Felsen herum auf eine weite flache Ebene traten. In der Ferne erhoben sich schneebedeckte Berge. Doch hier unten blühten die Wiesenblumen und verströmten einen würzigen Duft, der bunte Schmetterlinge anlockte. Im sanften Wind flatterten sie von einer Blüte zur anderen. Ein Bach plätscherte leise vor sich hin. Er floss in einer weiten Wellenlinie durch die Ebene. Auf der anderen Seite des Baches lag die Siedlung. Sie bestand aus einfachen Holzhütten oder großen Zelten aus Stoff und Leder. Hinter den Hütten waren kleine Gartenparzellen angelegt.
Ein paar Kinder spielten Fangen und liefen ausgelassen hin und her. Bei diesem Spiel kamen sie einer älteren Frau in die Quere, die zwischen zwei Hütten heraustrat und einen großen Weidenkorb trug. Mit einer kurzen Handbewegung verscheuchte sie die Kinder und trat zu ein paar anderen Frauen, die in einer Gartenparzelle Gemüse ernteten. Der Wind trug ihre klaren Stimmen über die Ebene zu den Ankömmlingen.
„Sie singen!“ Rodney sah verblüfft zu den Frauen hinüber, während sie langsam auf die Siedlung zugingen.
„Es hört sich wundervoll an!“ sagte Jennifer, die für einen kurzen Augenblick ihre Angst vergaß.
„Wisst ihr eigentlich, wann wir das letzte Mal auf ein Volk getroffen sind, das so friedlich gelebt hat?“ fuhr McKay fort. „Nichts scheint sie zu beunruhigen! Ich meine: Seht euch nur dieses Utopia an!“
„Nur weil die Frauen singen, heißt das noch lange nicht, dass die Wraith nicht hier herkommen. Vielleicht ist das ihre Kultur, ihre Art zu leben!“ überlegte Sheppard. Die Wraith waren grausame Lebewesen, die sich von der Lebensenergie der Menschen, die in dieser Galaxie lebten, ernährten. Sie verbreiteten nicht nur während ihren Erntefeldzügen Angst und Schrecken. Auch in ihrer Abwesenheit prägten sie das Leben der Menschen, die sich nie wirklich sicher fühlen konnten.
Das Lied der Frauen war inzwischen verstummt. Sie hatten die Gruppe bemerkt und kamen ihnen langsam entgegen. Ihre Bewegungen waren genauso fließend und leicht wie die der Krieger. Es war ihnen keine Spur von Furcht oder Argwohn anzusehen, als die Gefangenen an ihnen vorbei ins Lager geführt wurden. Im Gegenteil, fast sah es so aus, als ob sie neugierig auf sie waren.
Auch in der Siedlung unterbrachen die Bewohner ihre Arbeit und blickten ihnen offen in die Augen. Die gesamte Umgebung strömte tiefe Ruhe und Frieden aus.
„Das ist ja fast unheimlich!“ murmelte Sheppard leise.
„Es ist mehr als das!“ meldete sich Teyla, die neben ihm ging. „Ich spüre keinerlei Angst oder Besorgnis! Keine Dunkelheit! Keinen Schmerz! Weder bei den Frauen und Kindern hier im Dorf, noch bei den Kriegern. Nichts, was darauf deuten könnte, dass Wraith hier waren oder hier her kommen werden! So etwas habe ich noch nie erlebt! Egal wie gut sich die Menschen in ihren Welten darauf einstellen, eine gewisse Furcht bleibt sonst immer spürbar!“
„Könnten die Kopfschmerzen der Grund dafür sein, dass du dies nicht wahrnimmst?“ fragte Sheppard.
„Nein, das glaube ich nicht!“ Teyla schüttelte den Kopf. „Diese Menschen leben in einer Ruhe, die es eigentlich gar nicht geben dürfte! Jedenfalls nicht hier in der Nähe der Wraith!“
***
Die Krieger führten sie zu einer der Hütten im hinteren Bereich der Siedlung. Auf einem Holztisch, der vor der Hütte stand, legten sie die Ausrüstung des Teams. Während zwei Krieger rechts und links des Tisches mit gespanntem Bogen stehen blieben, traten die anderen zurück. Gleichzeitig traten die Bewohner des Dorfes näher heran. Spätestens jetzt erkannte man ihre Ähnlichkeit untereinander. Alle Männer und Frauen waren etwa mittelgroß, und hatten braune oder schwarze Haare und dunkle Augen.
„Nun, bei so vielen Zuhörern stehen unsere Chancen gut, jemanden zu finden, der uns versteht!“ munterte Sheppard seine Leute auf.
„Hoffen wir es!“ Ronon zweifelte daran. „Sie sehen nicht so aus, als ob sie viel mit anderen Völkern handeln würden!“
In diesem Moment ging eine lautlose Bewegung durch die Menge. Ein Mann trat aus der Tür. Er trug eine dunkelbraune Lederhose und ein helles offenes Stoffhemd, das an den Säumen dunkel abgesetzt war und seine kräftigen Muskeln nicht verdecken konnte. An seinem durchtrainierten Körper schien kein Gramm Fett zu viel zu sein. Seine braunen Haare, die ihm bis auf die Schultern fielen, wurden mit einem breiten Band aus seinem Gesicht gehalten. Die fast schwarzen Augen blickten die Fremden durchdringend an. Er war nicht mehr zwanzig, eher etwas über dreißig, doch da in der Siedlung wesentlich ältere Männer – sogar Greise – lebten, war es erstaunlich, dass er der Führer der Gruppe war.
Hinter ihm trat eine junge Frau aus der Hütte, die jedoch nicht an den Tisch und die Gefangenen herantrat. Sie blieb halb im Schatten der Überdachung an einem Holzträger stehen und blickte zu ihnen hinüber. Sie trug wie die meisten Frauen in dieser Siedlung eine hellbraune Lederhose und ein weißes Stoffhemd mit farbigen Absetzungen. Ihre leuchtend blonden Haare fielen ihr in zwei offenen Zöpfen locker vorne über die Schultern bis hinab zu den Hüften. Obwohl man ihr Gesicht im Schatten nur erahnen konnte, bemerkte Teyla eine ungewöhnliche Präsenz, die von ihr ausging. Fasziniert und verwirrt zugleich konnte sie ihren Blick nicht von ihr wenden. Wer war nur diese Person?
Ihre Freunde hatten der Unbekannten nur einen kurzen Blick geschenkt. Sie sahen bereits eine ganze Weile wieder auf den Anführer der Siedler, als auch Teyla ihren Blick von der Frau abwandte.
Der Blick des Anführers hatte sich zunächst starr auf die Fremden gerichtet. Dann blickte er auf den Tisch vor ihm. Er ignorierte jedoch die Waffen, die dort ausgebreitet waren, und nahm einen der verpackten Setzlinge in die Hand. Dann blickte er Sheppard direkt in die Augen und fing an, in der fremden Sprache zu sprechen. Es waren nicht viele Worte, jedoch zeigte sein bohrender Blick, dass er nicht gerade erfreut war. Dieser Blick änderte sich auch nicht, als er schwieg.
Jennifer, die sich für die Gefangennahme verantwortlich fühlte – schließlich waren sie ihretwegen auf diesen Planeten gekommen – versuchte den Blick des Anführers zu ignorieren. Während sie an Sheppard vorbei zum Tisch trat, versuchte sie ihre Anwesenheit zu erklären: „Wir haben erfahren, dass diese Pflanze ein sehr wichtiges Heilmittel gegen viele unserer Krankheiten...“ Sie brach ab, als einer der Krieger vortrat und drohend den gespannten Bogen auf sie richtete. Mit vor Schreck aufgerissenen Augen blieb sie starr stehen.
„Doc, überlassen Sie das mir!“ Sheppard zog sie schnell zurück und stellte sich schützend vor sie. Der Krieger trat sofort in seine alte Position zurück.
Rodney atmete hörbar aus, als sich Jennifer nun wieder in relativer Sicherheit neben ihm befand.
Sheppard konzentrierte sich sofort wieder auf den finster drein blickenden Anführer. Da dieser weiter schwieg, räusperte er sich kurz bevor er sich vorstellte: „Mein Name ist Lieutenant Colonel John Sheppard. Meine Freunde und ich sind in friedlicher Absicht hergekommen!“
Schweigen. Niemand reagierte.
„Kann mich irgend jemand verstehen?“ fragte Sheppard und sah in die Runde.
„Das hatten wir doch schon mal!“ meinte Rodney genervt.
„Dann sind Sie jetzt dran, McKay!“ forderte Sheppard ihn auf. „Versuchen wir es auf Alt-Lantianisch!“
Rodney rollte mit den Augen. Dann sagte er in der alten Verkehrssprache der Antiker: „Ich bin Dr. Rodney McKay. Wir kamen durch das Sternentor als friedliche Forscher! Kann mich jemand verstehen?“
Wieder Schweigen und keinerlei Reaktion.
„Wie ich gedacht habe! Und was nun?“ fragte Rodney Sheppard.
„Haben sie nicht noch ein paar Worte in einer anderen Sprache auf Lager?“ zischte Sheppard.
„Ich bin Wissenschaftler und froh, dass ich trotz der Kopfschmerzen noch einigermaßen klar denken kann!“ antwortete Rodney bissig. „Außerdem bin ich kein Universalübersetzer!“
„Hey, sie meinen so ein Ding, das die Crew der Enterprise besitzt?“ entgegnete Sheppard. „Das ist ein tolles Gerät. – Warum haben wir so etwas eigentlich nicht?“
„Weil wir so etwas bisher nicht gebraucht haben! In der Milchstraße wird nun einmal auf den meisten Planeten eine dem Englischen sehr ähnliche Sprache gesprochen – schließlich stammen die meisten von der Erde. Und hier in der Pegasus-Galaxie hatten wir so etwas auch noch nicht nötig.“ antwortete Rodney altklug.
„Aber jetzt könnten wir so etwas gut gebrauchen, da stimmen sie mir doch zu, oder?“ konterte Sheppard. Als Rodney nickte, fügte er an: „Dann setzen Sie das auf ihre To-Do-Liste! Und zwar möglichst weit nach oben!“
„Dazu müssten wir hier erst einmal raus kommen!“ antwortete McKay schnippisch.
„John!“ Teyla unterbrach den Dialog der beiden, als der Anführer seine Augen zu zwei engen Schlitzen zusammen kniff.
„Was sollen wir tun – jetzt, da wir wissen, dass sie uns nicht verstehen?“ wisperte Ronon in Sheppards Ohr. „Unsere Waffen liegen in Reichweite und werden nur von zwei Bogenschützen bewacht. Ich habe ein Messer und könnte mich losschneiden…“
„Abgesehen davon, dass wir nicht wissen, wie viele sonst noch auf uns zielen, würden wir das Leben der Dorfbewohner riskieren!“ wisperte Sheppard zurück. „Ich denke nicht, dass sie uns töten werden – jedenfalls nicht sofort vor all den Augenzeugen. Wir werden abwarten. Atlantis wird uns Hilfe schicken, wenn wir nicht zurückkommen!“
Der Anführer hatte scheinbar genug gesehen und gab den Kriegern ein Zeichen.