Titel: Guten Tag, Fräulein (1/3)
Autor: Antares
Serie: SG-1
Pairing: Jack/Sam/Daniel
Rating: PG-13
Beta: Besten Dank an Aisling!
Länge: 12118 Wörter
Inhalt: Eine kleines Missgeschick und schon finden sich Sam, Jack und Daniel in Berlin wieder. 1929. Zwar können sie auch die "Goldenen Zwanziger" genießen, doch ihr vorrangiges Bestreben ist es, wieder in ihre Zeit zurückzukehren. Vorher müssen sie jedoch noch etwas erledigen...
Anmerkungen:
Da die Story etwas länger geworden ist, gibt es sie in drei Teilen.
Ich habe mich vor allem an der Biographie Christopher Isherwoods orientiert, dessen Leben die Vorlage für den Film „Christopher and His Kind“ (2011) und in abgewandelter Form auch für das Musical „Cabaret“ bildet.
Für das Cover habe ich Bilder der Malerin Tamara de Lempicka von dieser hervorragenden Seite: http://www.tamara-de-lempicka.org/ verwendet.
Einen guten Eindruck wie modern Berlin 1929 schon war, vermitteln z.B. Videos wie dieses: http://www.youtube.com/watch?v=XtoRYmKRwIE
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Sam, Daniel und Jack standen in einem Labor des Stargate Centers um das Artefakt, das SG-4 von PX4 446 mitgebracht hatte, herum. Es war eine sechseckige, gut einen halben Meter hohe Metallstele, mit knapp vierzig Zentimetern Durchmesser. ‚Klein und fett’, wie Jack sie liebenswürdigerweise charakterisiert hatte. Sie wies auf allen sechs Seiten unterschiedliche Schriften auf, von denen Daniel bisher nur Goa’uld und die Schrift der Asgard mit Sicherheit bestimmt hatte. Er brannte darauf, sich an die Übersetzung zu machen, um herauszufinden, ob sie es hier mit so etwas wie dem Stein von Rosetta zu tun hatten, der sie einen Riesenschritt in der Entschlüsselung auch von anderen Artefakten mit unbekannten Sprachen voranbringen würde.
Aber im Moment untersuchte Carter die Stele etwas genauer, da sie eine schwache Energiesignatur von sich gegeben hatte und Sam feststellen wollte, ob das auf naquadahaltiges Material zurückzuführen war. Wäre das der Fall, müsste man PX4 446 für eine nähere Untersuchung auf die Liste der durchzuführenden Missionen setzen.
Jack lungerte in dem Labor herum, damit seine beiden Wissenschaftler nicht den Absprung verpassten, denn in einer dreiviertel Stunde waren sie mit Teal’c und dem Team von Ferretti zum Bowling verabredet. Es ging um nicht weniger als Halbfinale der SGC internen Meisterschaften. Naquadah und Steinwörterbücher waren da keine gute Voraussetzung, um halbwegs pünktlich zu erscheinen und so hatte er lieber ein Auge auf seine Doktoren.
„Dauert’s noch lange, Leute?“, fragte Jack zum dritten Male und piekste seinen Zeigefinger gegen eine Seite der Stele. Die Reaktion seiner beiden Wissenschaftler war wie erhofft.
„Jack!“
„Sir!“
„Was denn?“ Jack grinste beide frech an.
„Noch ein paar Min… oh, was ist denn das für ein Energieanstieg?“ Sam drehte hektisch an dem Regler ihres Messgeräts und brüllte nur eine Zehntelsekunde später:„In Deckung!“
Es sprach für ihre guten Reflexe, dass niemand zögerte und sofort sprang – aber dennoch war es zu spät.
Drei gleißende, bläulich schimmernde Strahlen schossen aus der Stele, und wie zielgerichtete Blitze trafen sie Sam, Daniel und Jack, die sich noch versuchten am Labortisch festzuhalten.
Doch vergebens, alles verschwamm, die Beine gaben nach und alle drei verloren das Bewusstsein.
Was für ein beschissener Grund, gegen Ferrettis Team zu verlieren, konnte Jack noch denken, ehe auch er, recht unsanft auf dem harten Zementfußboden in sich zusammen sackte.
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„Fräulein Ostenhofer?“
Sam brauchte eine Weile, um sich bewusst zu werden, dass sie gemeint war. Aber mit einem raschen Blick stellte sie fest, dass sie die einzige weibliche Person in diesem … Labor? Büro? Diesem mit lauter antiken Vasen, Schatullen, Bildern und Kisten voll gestellten Raum war. Außer ihr waren noch drei weitere Männer anwesend.
Der gut fünfzigjährige Mann, der von der Tür aus mit ihr gesprochen hatte und zwei jüngere Männer. Der eine saß verkehrt herum auf einem Stuhl neben ihr, der andere lehnte gegen die Tischplatte, saß halb auf dem Arbeitstisch, auf dem … eine sechseckige Stele stand, die der Stele, die sie gerade mit einem Energieschub getroffen hatte, zum Verwechseln ähnlich sah, nur dass sie etwas kürzer war. Sam schüttelte den Kopf und wurde sich bewusst, dass sie dem Frager noch eine Antwort schuldig war.
„Professor von Wustenow?“, lieferte ihr Unterbewusstsein den Namen für den Mann an der Tür.
„Ich wollte nur wissen, ob Sie Ihre Mittagspause hier verbringen, oder ob ich absperren soll?“, wiederholte der Mann offensichtlich die Frage, die sie vor kurzem verpasst hatte.
„Ich bleibe heute hier“, stellte sie mit einem entschiedenen Kopfnicken fest.
„Gut, bis später dann.“ Der Mann schloss die Tür hinter sich. Sam war mit den beiden anderen Männern allein.
„Carter?“, fragte der Mann, der halb auf ihrem Tisch saß.
„Sir?“
„Sam?“, fragte der jüngere Mann neben ihr zur gleichen Zeit.
„Daniel?“ Sie wandte sich zu ihm um.
„Wo sind wir denn hier gelandet?“, fragte Jack, der in einem Männerkörper steckte, der etwa dreißig Jahre alt, groß und schlank war und einen graumelierten Anzug mit Weste und Krawatte trug. Über seinem angewinkelten Arm hing ein Mantel und er hielt einen Hut in der Hand hielt.
Dann schaute er sich seine Leute genauer an. Carter trug einen weißen Laborkittel über einem olivgrünen Rock und einer hellen Bluse. Ihre mittelbraunen Haare waren kinnlang geschnitten, er schätzte sie auf Mitte Zwanzig.
Etwa dasselbe Alter wie der Mann in dem Daniel steckte. Keine Brille, aber ebenfalls ein Anzug, Krawatte, Hut und Mantel und einen Schal, den er fest um sich gewickelt hatte und bis zur Nase hochgezogen hatte. Da war es wohl offensichtlich jemandem fröstelig.
Sie alle sahen aus, als könnten sie bei „Pearl Harbor“ mitspielen und so änderte Jack seine Frage in: „Vielleicht sollte ich nicht ‚wo’ sondern ‚wann’ fragen: In welche Zeit hat es uns verschlagen?“
Daniel schaute sich kurz um, aber es gab keinen Kalender in diesem Raum. Er zog ein Schriftstück heran, das in einem Stapel von Papieren lag. „Die Kopie dieses Briefes hier datiert vom 7.2.1929 und wurde vom „Historischen Institut für Altertumsforschung“ in Berlin abgeschickt. Also würde ich mal Februar 1929 sagen.“
„Dienstag, 19. Februar“, präzisierte Sam, die einen Datumsstempel gefunden hatte. „Und wenn ich ‚Fräulein’ Ostenhofer bin, sind wir wohl tatsächlich in Berlin.“ Carter seufzte tief auf.
„Und dieses blöde Teil hat uns hergebracht“, meinte Jack und warf einen anklagenden Blick auf die Stele.
„Dann wird es uns auch wieder zurückbringen, Sir“
„Na schön. Was müssen wir tun?“
„Die Energiestrahlen traten aus, nachdem Sie die Stele angefasst hatten, Sir. Wir sollten diesen Vorgang wiederholen.“
Doch Daniel hatte einen Einwand. „Wer garantiert uns, dass es uns wieder in unsere eigene Zeit zurückbringt?“
„Niemand, Daniel. Aber …“
„Sollten wir dann nicht lieber erst versuchen, die Inschriften zu entziffern?“ Daniel lief um die Stele herum, bis er auf der Seite mit den Goa’uld Schriftzeichen war.
„Wie lange brauchst du dafür?“, fragte Jack.
Daniel runzelte die Brauen und beugte sich noch etwas weiter vor. „Das ist … ein alter Dialekt, das kann ich nicht einfach so lesen. Vielleicht … zwei Stunden? Drei maximal.“
„So viel Zeit haben wir nicht, der Professor wird wohl kaum drei Stunden zu Mittag wegbleiben. Wenn wir es versuchen wollen, dann in der nächsten halben Stunde.“ Jack trat neben Daniel. „Du hast fünfzehn Minuten, dann machen wir einen Versuch.“
„Aber, Jack, damit…“
„Vierzehneinhalb Minuten.“
Daniel beugte sich vor, murmelte irgendwelche abydonischen Flüche und fuhr mit seinem Finger die Schriftzeichen entlang, ohne die Stele zu berühren.
Nach fünfzehn Minuten hatte er etwas von „Reisen“ und „Göttern“ und „Planeten“ entziffert, aber nichts, das ihnen wirklich weiterhalf.
Sam hatte die Stele derweil von allen Seiten mit dem Photoapparat, den sie in einem der Regale gefunden hatte, abgelichtet. „Müssen wir nur noch sehen, wo es hier die Dunkelkammer gibt, damit wir den Film entwickeln können.“
„Vielleicht brauchen wir das nicht, weil wir vorher schon wieder weg sind.“ Jack wandte sich an Daniel. „Und? Ist das ein Verzeichnis für Reiserouten auf dem Teil?“
„Kann ich nicht sagen.“
„Irgendwelche Einwände, es jetzt zu versuchen?“
„Dieselben wie vor einer viertel Stunde“, brummte Daniel.
„Also keine“, grinste Jack und trat auf die Stele zu. „Wir probieren es jetzt. Steht ihr so nah dran, wie gerade auch? Gut, dann stupse ich das verdammte Ding jetzt an.“
Er tat es – und nichts geschah. Kein Blitz, kein Summen, kein Transport und keine neue Umgebung.
Jack ließ ein von Herzen kommendes „So ein Mist!“ hören. Die anderen konnten ihm nur beipflichten.
Sie versuchten es noch weitere Male, fassten alle die Stele an, fassten sie in einer bestimmten Reihenfolge, in einer bestimmten Abfolge und mit wechselnden Abständen an, aber nichts geschah.
„Was nun?“ Sam schaute die beiden Männer an.
„Auf keinen Fall lassen wir das Schätzchen hier“, Jack tätschelte das Artefakt, „aus den Augen. Das ist Ihre Aufgabe, Carter. Daniel und ich …“
„Wir werden in eine Bibliothek gehen, um herauszufinden, ob wir wirklich in der irdischen Vergangenheit gelandet sind, oder in einem Paralleluniversum. Ob wir es also mit dem Großvater-Paradoxon zu tun haben, oder nicht. Entsprechend vorsichtig müssen wir nämlich auch sein.“
„Gut, dann versuche ich mich bis dahin als Historikerin durchzuschlagen, ohne aufzufallen“, seufzte Sam. „Hätte das Gerät nicht dich in diesen Körper tauschen können?“, wandte sie sich an Daniel.
Daniel lachte. „Dann würdest du jetzt in einem Männerkörper stecken.“
„Was in diesen Zeiten vielleicht auch nicht verkehrt ist.“
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Am Abend holten Jack und Daniel ihre Teamkollegin wieder am Historischen Institut ab.
„Und?“ Sam brannte vor Neugierde.
„Wir sprechen darüber, wenn wir zu Hause sind“, erklärte Daniel und hielt ihr den Mantel hin, so dass sie reinschlüpfen konnte. Sie setzte noch einen Hut auf, dann trat sie mit Daniel in die kalte Februarluft hinaus, wo Jack an der Tür des Instituts auf sie wartete. Sie setzen sich in Bewegung und an der nächsten Straßenecke bugsierten Jack und Daniel sie in eine cremefarbene Straßenbahn.
„Wenn wir zu Hause sind?“, platzte Sam eine halbe Minute später neugierig heraus. Glücklicherweise ratterte die elektrische Bahn so laut, dass niemand der Umherstehenden ihre Frage verstehen konnte.
„Ja, Elise“, nickte Jack breit grinsend. „Elise Ostenhofer.“
„Oh, mein Gott, das stimmt“, stellte Sam überrascht fest. „Das bin ich. Aber wieso wisst ihr das? Habe ich … habe ich etwas verbrochen, so dass ich in der Zeitung stehe und ihr habt darüber gelesen?“
Daniel beruhigte sie. „Nein, keine Sorge. Jack hat das herausgefunden. Nach zweieinhalb Stunden hat ihn das Sichten der alten Zeitungen etwas … ermüden lassen. Und jetzt kommt das Tolle: wenn du dich nicht konzentrierst, wenn du das Denken einstellst …“
„Danke, Daniel.“
„Hey, es stimmt doch!“
„Ja, ja. Man kann es aber auch netter ausdrücken. Wenn man zulässt, dass das eigene Unterbewusstsein zum Vorschein kommen darf …“
„Wenn du dich nicht konzentrierst, kannst du das Bewusstsein deines Wirtskörpers anzapfen“, verkündete Daniel begeistert.
Jack nickte dazu. „Yep. Wie sind so was wie Goa’uld – nur ohne die Schlangen.“ Er zog dazu ein Gesicht, das deutlich machte, dass ihm dieser Vergleich nicht besonders gut gefiel.
Sie gaben ihr eine halbe Minute Zeit das zu verdauen, dann meinte Jack mit einer angedeuteten Verbeugung: „Darf ich vorstellen? Carl Windfield, Schriftsteller aus Baltimore, seit drei Jahren in Berlin. Ich schreibe ab und zu eine Kolumne für den „Baltimore Herald“ und halte mich damit so halbwegs über Wasser.“ Er machte eine einladende Handbewegung zu Daniel hin.
„William Fitzmountain, Engländer, von seinen Freunden ‚Fitz’ genannt. Ich bin seit dreieinhalb Jahren in Berlin, um meine Doktorarbeit über Wilhelminische Architektur zu schreiben. Ich spiele manchmal abends in einem Kabarett Klavier …“ Er stockte, holte tief Luft und fügte hinzu: „Und am Wochenende arbeite ich als Eintänzer.“
„Gigolo“, ergänzte Jack hilfreich.
Daniel protestierte. „Das stimmt nicht. Ich habe keine sexuellen Beziehungen zu den Frauen. Ich fordere sie nur zum Tanzen auf und werde dafür von dem Hotel bezahlt.“
„Wie dem auch sei.“ Jack klopfte Daniel auf die Schulter. Er wandte sich an Sam: „Sie sind die einzige, die ein regelmäßiges Einkommen bezieht und damit unsere Miete sichert.“
„Unsere Miete?“
„Ja, wir wohnen alle zusammen in derselben Pension, wo wir uns ein Zimmer mit Kochgelegenheit und Etagenbad teilen.“
„Und da fahren wir jetzt hin?“, schlussfolgerte Sam.
„Exakt.“
Drei Stationen später stiegen sie aus, und nach einem etwa zehnminütigen Fußweg standen sie vor einem ziemlich neuen Mietshaus mit fünf Etagen – ohne Aufzug – und einer Mansardenwohnung, deren eine Hälfte sich als die ihre herausstellte.
Ein war ein recht großes Zimmer mit Bett, Tisch, Stühlen, Sofa, Schrank, Kommode, einem bodentiefen Spiegel und einem Schreibtisch mit einem weiterem Stuhl davor. Alle Möbelstücke und Accessoires in unterschiedlichen Hölzern, von hell bis dunkel und nur zwei Stühle hatten denselben Polsterstoff. Vor den Fenstern, die in drei kleinen Dachgauben untergebracht waren, hingen bunt gemusterte Gardinen, deren Stoff auch für die Tagesdecke benutzt worden war, die über dem Bett lag. Und es gab elektrisches Licht, was Jack nicht unbedingt erwartete hatte. Er spielte, nur weil er es konnte, ein paar Mal mit dem Lichtschalter.
Ein Kohleofen, der gleichzeitig der Herd für die kleine Küche war, wartete dringend darauf, dass Kohlen nachgelegt wurden. Neben dem Ofen standen noch zwei nicht zusammen passende Küchenschränke, einer davon mit einem Glaseinsatz hinter dem man das Geschirr sehen konnte. Dazu gab es noch ein Spülbecken mit einem Heißwasserboiler darüber, daneben ein kleines Regal, in dem Wassergläser mit Zahnbürsten standen, Handtücher, Bürsten und Kämme lagen und diverse Kosmetikartikel, die in einem Karton aufbewahrt wurden.
Es war nicht ungemütlich in dem Zimmer, aber es war so kalt, dass man beim Sprechen den Atem sehen konnte. Jack warf erst einmal zwei Schaufeln Kohlen nach.
„In dieser Wohnung ist es im Winter bestimmt immer eisig und im Sommer fließt man weg“, stellte Sam fest, die auf der Suche nach etwas Essbarem fündig geworden war. Irgendjemand hatte bereits einen Graupeneintopf vorgekocht, der nur noch warm gemacht werden musste.
Sie fanden auch noch Brot in einem der Schränke und setzten sich, ohne ihre Mäntel auszuziehen, an den Tisch.
„Wie weit sind Sie mit dem Artefakt gekommen?“, wollte Jack kurze Zeit später zwischen zwei Bissen wissen.
„Ich fürchte, dass wir irgendeine Energiequelle brauchen, um es in Betrieb zu nehmen. Aber ohne meine Messinstrumente kann ich natürlich nur Vermutungen anstellen.“
„Warten wir also auf eine Sonneneruption wie 1969?“
„Oder auf einen Blitzeinschlag, wie bei „Zurück in die Zukunft“?“, trug Jack hilfreich bei.
„In beiden Fällen wussten die Leute, die es nutzen wollten, wann sich diese Ereignisse ereignen würden. Wenn also jemand von euch von einem Gewitter weiß – dann lasst es mich wissen“, erwiderte Sam. „Erzählt mir lieber, was ihr über diese Zeitlinie herausgefunden habt.“
„Ich denke, es ist unsere“, meinte Daniel. „Wir haben Zeitungen und Bücher gewälzt und alle Ereignisse stimmen mit denen überein, die ich in ‚unserer’ Zeitlinie sicher zuordnen kann. Keinerlei Abweichungen.“
„Dann müssen wir also extrem vorsichtig sein“, nickte Sam. „Ähm …Wie gefährlich ist Berlin 1929?“
„Das kommt auf deine politische Gesinnung an. In der letzten Reichstagswahl im Mai `28 konnte die NSDAP zwar nur 2,6 % der Stimmen gewinnen. Aber die Sturmtruppen, die regen Zulauf haben, provozieren gerade auch hier in Berlin immer wieder Schlägereien und Straßenschlachten mit politischen Gegnern.“
„Wie stecken unsere drei … äh … Gastgeber in der Sache drin?“, wollte Sam wissen.
„Sie sind ziemlich politikverdrossen, wollen sich nicht einmischen und genießen lieber die positiven Seiten, die Berlin zu bieten hat.“
„Zum Beispiel?“
„Meinen Auftritt im Kabarett“, seufzte Daniel herzzerreißend. „Ich muss da gleich hin und offensichtlich begleitet ihr mich oft, weil es dort wärmer ist als hier.“
„Dann sollten wir das auch heute tun“, entschied Jack. „Vielleicht ist es dann ja etwas eingeheizt, wenn wir anschließend zurückkommen.“
Sie zogen alle wieder Schals und Handschuhe an und fuhren mit der Straßenbahn bis zu Daniels Wirkungsstätte, dem „Café Noir et Blanc“. Ein in schwarz-weiß gehaltener Raum, in dem dicker Zigarettenrauch hing, den sie schon lange nicht mehr gewohnt waren. Sam und Jack setzten sich an einen der Tische und bestellten ein Bier.
Daniel verschwand hinter der Bühne.
Um eine viertel Stunde später wieder in einem eleganten schwarzen Smoking mit weißer Weste und weißem Einstecktuch am Klavier Platz zu nehmen. Seine Haare waren mit Brillantine gefügig gemacht worden und er trommelte nervös mit seinen Fingern auf seinen Knien.
„Kann Daniel Klavier spielen?“, wollte Sam flüsternd von Jack wissen.
„Er hat ein Klavier in der Wohnung, wollen wir mal hoffen, dass das dort nicht nur zur Zierde steht.“
Jedenfalls war Daniel ziemlich aus der Übung und so geriet das erste Lied recht holperig. Daniel war klar, dass er so den Abend nicht durchstehen würde. Er musste seinem Wirt mehr Freiheiten gewähren. Das Problem war nur, William war ziemlich schockiert darüber, in seinem Kopf nicht alleine zu sein, und so musste Daniel eine prekäre Gratwanderung zwischen ihren beiden Bewusststein machen. Genug, dass William Klavier spielen konnte, aber nicht so viel, dass er in Panik geriet.
Im Endeffekt war es kein Abend, der in die Annalen der Geschichte eingehen würde, aber glücklicherweise auch kein Desaster. Sie hatten sich recht und schlecht hindurch gemogelt, froh über jede Sängerin, die auftrat und etwas von der Aufmerksamkeit des Publikums auf sich zog.
Wieder daheim war es tatsächlich etwas wärmer in der Wohnung und sie konnten die Mäntel ablegen.
„Ich komme mir vor, als wäre ich in einen dieser alten Schwarz-Weiß-Film gefallen“, meinte Sam und brühte sich mit dem heißen Wasser, das auf dem Herd stand, noch einen Tee auf. „Es ist anders als bei unserem Ausflug nach 1969. Da hatten wir eine Mission, mussten zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort sein und wussten, wenn alles klappt, sind wir wieder raus. Hier ist alles so ungewiss.“
„Eine Mission haben wir aber dennoch“, meinte Daniel.
„Klar, sicher, unsere Heimreise.“ Jack ließ sich auch eine Tasse Tee geben. „Und wir könnten einen gewissen Herrn killen, wenn wir schon mal hier sind. Würde vielen Millionen das Leben retten.“
„Es würde aber auch unsere Zeitlinie auslöschen“, gab Sam zu bedenken.
Daniel legte ihr eine Hand auf den Arm. „Aber wäre es das nicht wert?“
„Wahrscheinlich schon.“ Sie nickte. „Aber ich sehe da dennoch ein Problem: er ist noch nicht so berühmt, dass wir wissen, wo er sich im Moment aufhält und wir wissen nicht, ob wir genügend Zeit haben, ein Attentat vorzubereiten.“
Daniel seufzte. „Und falls die Geschichte doch festgeschrieben ist und von uns nicht verändert werden kann – dann wird es uns auch nicht gelingen. Dann wird der Zug liegen blieben in dem wir sitzen, dann wird er gerade abgereist sein, wenn wir ankommen, oder etwas ähnlich Belangloses wird unseren Erfolg vereiteln.“
„Wir wissen aber nicht, ob die Ereignisse nicht veränderbar sind“, gab Jack hartnäckig zu bedenken.
„Nein, wissen wir nicht. Und wenn es doch schon mal jemand ausprobiert und geschafft hat, so wissen wir es dennoch nicht, weil sich dann ja eine alternative Zeitlinie ergeben hat“, bestätigte Sam.
„Ist es also nicht einen Versuch wert?“, beharrte Jack.
Die drei schauten sich an. Es war schon verlockend, so in den Ablauf der Geschichte eingreifen zu wollen.
„Warum gehen wir denn nicht parallel vor?“, war Daniels Vorschlag. „Wir versuchen alles über Hitlers Aufenthaltsort und Gewohnheiten herauszubekommen, gleichzeitig aber machen wir den kleinen Schritt und verhindern wenigstens, dass dieses Zeitreisgerät, die Stele, den falschen Leuten in die Hände fällt. Überlegt euch nur, welchen Unsinn man damit zum Beispiel in fünfzehn Jahren, anstellen könnte.“ Daniel klaute sich einen Schluck Tee aus Sams Tasse.
„Mist, wenn die Nazis 1944 in die Vergangenheit zurückreisen können …“ Sam schüttelte den Kopf.
„Ich würde sagen, wir müssen als Erstes zusehen, dass diese Stele aus dem Historischen Institut verschwindet.“ Daniel gab Sam ihre Tasse zurück.
„Klar, das ist eine gute Idee, seinen Arbeitgeber zu bestehlen, sehe ich genauso.“ Sam war von der Aussicht nicht begeistert.
„Sie können das Ding doch als so uninteressant klassifizieren und ganz hinten im Archiv – oder wo auch immer Sie die Artefakte aufbewahren – verschwinden lassen, oder nicht?“
„Schon, aber…“
„Du musst einfach die Aufmerksamkeit des Professors auf etwas Anderes lenken. Ich werde morgen noch mal mitkommen und dann sehen wir mal, ob da nicht was rumliegt, was unbedenklich ist, aber prestigeträchtig. Irgendetwas, was wir in unserer Zeit schon entschlüsselt haben, die hier aber noch nicht, womit du dann glänzen kannst.“
„Kling für mich nach einem Plan“, stellte Jack mit einem Gähnen fest.
Sam stimmte zu, weil sie auch keinen besseren hatte.
In dem Zimmer war es immer noch nicht so warm, dass man jemanden aufs Sofa verbannen konnte und so schlüpften sie nach einer Katzenwäsche und der Überwindung, die Zahnbürste von Carl, Fitz und Elise zu benutzen, alle in dem breiten Bett unter die Decken. Sam nahmen sie in die Mitte, damit sie es am wärmsten hatte.
Fünf Minuten vergingen, der Atem wurde gleichmäßiger und alle trudelten so langsam in den Schlaf hinüber. Es war ziemlich ruhig in dem Zimmer und man hörte nur ab und zu mal ein Knacken im Ofen, bis Sam plötzlich: „Heiliger Himmel!“ rief.
Jack lachte. „Hey, Daniel, ich glaube, Carter hat soeben festgestellt, wozu Elise das Bett benutzt, wenn sie nicht schläft.“
Sam setzte sich auf. „Sie … sie hat sich gleich zwei Männer zugelegt!“, rief sie erstaunt.
„Nicht ganz“, meinte Jack. „Sie hat sich in Fitz verliebt, der hat aber niemals ein Hehl daraus gemacht, dass er … auch noch andere Vorlieben hat. Und so hat er eines Tages Carl angeschleppt. Tja, und seitdem ist das hier ein Dreier, denn Elise fand auch Carl ganz schnuckelig.“
„Wieso wisst ihr das alles? Ich kann kaum einen Gedanken von Elise erhaschen.“
Daniel antwortete an Jacks Stelle: „Du hast den ganzen Tag konzentriert gearbeitet, da ist das nicht verwunderlich. Erst jetzt, kurz vor dem Einschlafen, warst du gelöst genug. Jack und ich dagegen, haben heute schon den ganzen Nachmittag damit herumprobiert und auch wenn Jack es nicht gerne hört, er kann einfach am besten abschalten und hat von daher schon die meisten Informationen sammeln können.“
„Yup, manchmal ist die Aufmerksamkeitsspanne eines Goldfisches eben auch nützlich“, redete Jack seinen Beitrag klein und grinste.
„Das muss ich erst mal in Ruhe sortieren“, meinte Sam und rutschte wieder unter die Decken.
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TBC ...