A/N: Siehe da, ein neues Kapitel*freu*! Es ging doch schneller als erwartet, daher dürft ihr euch heute schon über neuen Lesestoff freuen. Ich hoffe, ihr habt viel Spaß beim Lesen. Vorher möchte ich euch aber noch einmal kurz darauf hinweisen, dass sich etwas am Rating geändert hat und mit dem nächsten Kapitel ändern wird. Des Weiteren habe ich es endlich fertig gebracht, der Story eine Cover-Fanart zu verpassen. Näheres zum Rating und das neue Cover findet ihr am Anfang der Story- schaut doch mal vorbei!
Nun aber ganz viel Spaß beim Lesen.
LG, eure Moni
PS: Ich werde in diesem zum ersten Mal Kapitel gewaltig auf die Tränedrüse drücken- seid gewarnt! Die Dramaqueen in mir war spielen*grins*.
Kapitel Zehn
Es begann zu schneien, als Karen Hodge ihren Chevy umsichtig auf den verschneiten Parkplatz des ‚San Francisco National Cemetery’ lenkte und das alte, rostrote Gefährt wenige Meter von dem Eingang entfernt abstellte. Einen Momentlang saß Karen regungslos hinter dem Steuer ihres Wagens, das Lenkrad mit ihren knöcherigen Fingern fest umklammernd, und sah durch die Frontscheibe, die wegen der feuchten Kälte bereits nach wenigen Augenblicken beschlug. Fasziniert beobachtete sie den bizarren Tanz der Schneeflocken, die sich zu Hunderttausenden vor dem grauen Wolkenvorhang abzeichneten. Tage, an denen es in San Francisco schneite, waren in der Vergangenheit selten geworden und nachdem die Temperaturen zu Beginn der Woche wieder gestiegen waren, hatte Karen die Hoffnung bereits aufgegeben, sich noch einmal am weißen Treiben erfreuen zu können. Von allen Naturphänomenen, die sie in ihrem Leben hatte beobachten können, war dies hier ihr liebstes, und auf einmal verspürte Karen den dringenden Wunsch das, was sie sah, zu zeichnen. Bedauernd stellte sie fest, dass sie ihren Zeichenblock und die Graphitstifte in ihrem Atelier vergessen hatte. Zudem war sie aus einem ganz anderen Grund hier.
Karen seufzte.
Ein kalter Wind schlug ihr entgegen, als sie die Autotür öffnete, und die feinen Schneeflocken verfingen sich sofort in dem rauen Wollstoff ihres Capes und in ihrem dünnen, mausbraunen Haar, das sie heute an ihrem Hinterkopf zu einem Knoten zusammengebunden trug. Karen erschauderte und schlug den gewebten Kragen ihres Capes hoch, drehte sich anschließend um und schloss ihren Wagen ab. Die Kälte fraß sich durch die Sohlen ihrer Stiefel und durch ihre dicken Wollsocken, als sie vorsichtig den Weg vom Parkplatz zum Friedhofseingang entlang ging. Der Schnee knirschte unter ihren Füßen und die Scharniere des alten, schmiedeeisernen Friedhofstors quietschten, als Karen es öffnete- an beides hatte sie sich gewöhnt und so stapfte sie mit gesenktem Kopf weiter.
Ihr Ziel lag am anderen Ende des Friedhofes und auf ihrem Weg dorthin passierte sie unzählige Grabstätten. Karen ließ ihren Blick im Vorbeigehen über die Grabsteine schweifen, las die Namen, registrierte sie aber nicht wirklich. Der Schneefall hatte inzwischen etwas nachgelassen, weswegen sie auch ihr Tempo etwas anzog, sodass sie ihr Ziel nach wenigen Minuten erreicht hatte. Sie blieb stehen und ließ das Bild kurz auf sich wirken; zwei einzelne Grabsteine, die auf einer kleinen Anhöhe dicht beieinander standen, beide von Schnee bedeckt, der eine neueren Datums, der andere verwittert, dennoch wusste Karen, wessen gedacht werden sollte.
Sie schluckte.
Einmal in der Woche kam sie hierher, jeden Freitag um punkt halb zwölf Vormittags. Sie wusste nicht warum, es hatte sich einfach so ergeben. Weder der Tag, noch die Uhrzeit hatte eine besondere Bedeutung für sie und sie hatte sich schon oft vorgenommen, anstatt freitags einmal montags oder mittwochs hierher zu kommen; am nächsten Freitag, jedoch, hatte sie kurz vor halb zwölf das Friedhofstor passiert, sodass sie pünktlich um halb genau dort stand, wo sie es auch jetzt tat. Es war in ihr drin, sie konnte nichts daran ändern und wenn sie ehrlich sein sollte, war sie froh über diese Konstante, die eine der wenigen in ihrem Leben war.
Karen verließ den Hauptweg und schlug jenen ein, der sie direkt zu den beiden Grabstätten führte. Angekommen, bekreuzigte sie sich rasch und legte dann vor jedem Grabstein eine rote Gerbera nieder, die sie zuvor, auf ihrem Weg hierher, in dem Blumenladen neben ihrem Atelier gekauft hatte.
„Hallo, Tom“, sagte sie leise, als sie die Blumen vor dem verwitterten Grabstein niederlegte, und lächelte. „Heute ist so ein wunderschöner Tag, mein Schatz“, seufzte sie. „Es schneit. Seit langem schneit es endlich mal wieder. Ach, das müsstest du sehen.“ Liebevoll befreite sie den Grabstein von seiner Schneedecke, bis sie den verschnörkelten Namen ihres Mannes entziffern konnte. Thomas Lorne.
Als Nächstes war das nebst gelegene Grab an der Reihe, und Karen biss sich fest auf die Unterlippe, als sie auch diesen Grabstein vorsichtig säuberte. Tränen verschleierten ihre Sicht und sie spürte, wie sie zu zittern begann.
„Und auch Dir wünsche ich einen wunderschönen Tag“, flüsterte sie und fuhr mit dem Finger über die Innenschrift des Grabsteins. „Evan“, entkam es ihr atemlos und sie seufzte erst, dann, auf einmal, schluchzte sie und die Tränen, die sich soeben noch in ihrem Augenwinkeln gesammelt hatten, strömten über ihre Wangen. Weinend lehnte Karen die Stirn gegen den kalten Granit des Grabsteins und schloss die Augen. Wie lange es dauerte, bis ihre Tränen versiegten, wusste sie danach nicht mehr. Sich die Wangen trocknend, richtete sie sich auf und sah auf die Gräber der beiden wichtigsten Männer in ihrem Leben hinab.
Thomas’ Tod war überraschend, aber sanft gekommen. Karen erinnerte sich, wie sie ihm am Abend zuvor einen allerletzten Kuss gegeben hatte; er saß im Wohnzimmer und sah sich ‚Der Preis ist heiß’ im Fernsehen an, als sie sich verabschiedete, um ins Bett zu gehen, nicht ahnend, dass dies das letzte Mal sein sollte, dass sie ihren geliebten Mann lebend sah. Als sie am Morgen aufgewacht war, hatte Tom nicht neben ihr gelegen und leise vor sich hingeschnarcht. Besorgt war sie aufgestanden und nach unten ins Wohnzimmer gegangen, wo sie ihn regungslos in seinem Lieblingssessel gefunden hatte; der Fernseher war die ganze Nacht durchgelaufen. Bei der Obduktion diagnostizierte man später, dass Tom friedlich im Schlaf gestorben war und demnach keine Schmerzen verspürt hatte. Karen war zu diesem Zeitpunkt entsetzt gewesen, doch irgendwann hatte sie sich damit abgefunden. Was jedoch ihren Sohn anging…
Der Tag, an dem Karen Hodge von dem Tod ihres einzigen Kindes erfahren hatte, lag nun mehr als drei Monate zurück, doch sie erinnerte sich, als wäre es erst gestern gewesen. Sie erinnerte sich an jede Einzelheit, an jedes noch so kleine Detail. Sie wusste sogar noch ganz genau, was sie getan hatte, als es an ihrer Haustür geklingelt hatte. Es war früher Nachmittag gewesen und sie hatte gerade einen Apfelkuchen in den Ofen geschoben, als es läutete. Verwirrt, da sie niemanden erwartete, war sie zur Tür gegangen. Schon durch das Fenster, das in das Holz eingelassen war, hatte sie zwei Männer ausmachen können. Zwei Männer in Uniform…
Es war nicht so, dass sich Karen diesen Moment nicht schon einmal ausgemalt hatte, doch in ihrem Innersten hatte sie stets gehofft, dass es niemals dazu kam. Als sie die beiden Männer hereinbat, ahnte sie bereits, dass etwas Furchtbares passiert sein musste. Sie hatte die beiden rein mechanisch gefragt, ob sie etwas trinken oder essen wollten, doch der Ältere hatte dankend abgelehnt; der Jüngere, ein großer, schlanker Mann mit stechenden Augen, wirrem, dunklem Haar und einem frischen Cut unterhalb seiner rechten Schläfe, schwieg und saß regungslos da, selbst als sein offensichtlicher Vorgesetzter Karen die schlimme Nachricht überbrachte, rührte er sich nicht einen Zentimeter.
Nachdem die beiden Männer ihr Beileid bekundet und ihr versichert hatten, dass bezüglich Evans Beerdigung alles in die Wege geleitet werde, gingen sie. Wie lang sie an diesem Tag in dem Sessel vor ihrem Kamin gesessen und ins Feuer gestarrt hatte, wusste Karen heute nicht mehr. Irgendwann- sie glaubte, gegen Abend - war es über sie gekommen und sie hatte schrecklich zu weinen begonnen.
Evan, ihr Evan, ihr über alles geliebter Sohn, ihr einziges Kind, war tot. War während eines Einsatzes in Aufopferung für seine Kameraden und für sein Land ums Leben gekommen. Er war tot.
Sie weinte, trauerte und klagte die ganze Nacht lang, bis zum Morgengrauen. Danach stand sie auf, ging nach oben, duschte, zog sich an und machte sich daran ihren Haushaltspflichten nachzugehen. Erst als der Abend dämmerte, nahm sie sich die Zeit, sich hinzusetzen und nachzudenken, das allerletzte Foto von sich und ihrem Sohn Evan in den Händen haltend.
Drei Monate waren seit diesem Tag vergangen. Drei lange Monate, doch der Schmerz saß noch immer tief, die Wunde, die in ihrem Herzen klaffte würde nie mehr richtig verheilen.
Karen spürte eine weitere Tränenwelle herannahen und zog deswegen rasch ein Taschentuch auf ihrer Hosentasche. Sie wandte sich von den Gräbern ab, um sich die Nase zu schnäuzen, und erst in diesem Augenblick bemerkte sie ihn. Er stand in nicht allzu großer Entfernung, starr wie eine Säule, die Hände in die Taschen seines dunklen Mantels gestopft, und blickte in ihre Richtung. Wie lange er dort bereits stand, konnte Karen nur schätzen. Als sie sich umdrehte und ihn überrascht entdeckte, verrutschte seine strenge Miene um wenige Millimeter.
Karen verharrte in ihrer Bewegung. Es war nicht das erste Mal, dass sie ihn hier antraf. Schon etliche Male zuvor hatte sie ihn dabei beobachtet, wie er sich vor das Grab ihres Sohnes stellte. Jedes Mal hatte er ihr den Rücken dabei zugewandt, sodass Karen nicht sehen konnte, ob er etwas sagte oder nicht. Nach ein paar Minuten ging er wieder, ohne etwas zurückzulassen, aber mit einem harten Zug um sein eckiges Kinn. Auch heute war ihm seine Anspannung anzusehen, auch wenn er zugleich überrascht zu sein schien, sie zu sehen.
Plötzlich, jedoch, zog er die Hände aus den Taschen und setzte sich in Bewegung, schlenderte langsam auf sie zu. Karen konnte den Schnee unter seinen Schuhsohlen knirschen hören und als er sie fast erreicht hatte, erklang seine Stimme, die sie nicht als so warm in Erinnerung hatte.
„Misses Lorne-“ Karen zuckte unwillkürlich zusammen. So hatte sie schon lange niemand mehr genannt. Nach dem Tod ihres Mannes hatte sie wieder ihren Mädchennamen, Hodge, angenommen.
„Colonel Sheppard“, grüßte sie zurück. „Was für eine Überraschung Sie zu sehen.“
Der junge Mann lächelte, wahrscheinlich aber nur aus reiner Höflichkeit, denn das Lächeln erreichte nicht seine Augen; sie waren kalt und leer, so wie das erste Mal, als sie sich gesehen hatten. Doch in allem anderen hatte er sich verändert, stellte Karen fest. Er hatte sich einen Bart stehen lassen, wahrscheinlich um zu verbergen, wie dünn er im Gesicht geworden war. Unter den dunklen Stoppeln waren seine Wangen eingefallen, seine Haut war bleich, seine Augen müde. Er erweckte einen erschöpften Eindruck, auch wenn er das Kinn stolz vorstreckte. Als er den Kopf leicht auf die linke Seite neigte, konnte Karen die feine, aber durchaus sichtbare Narbe an seiner rechten Schläfe erkennen.
Er stellte sich neben sie, schob die Hände wieder in die Taschen und blickte wortlos auf das Grab ihres Sohnes hinab. Karen vermutete, dass er nicht zu der Sorte von Mensch gehörte, die in solchen Situationen gern redete, also ließ sie es auch nicht darauf ankommen, ein Gespräch mit ihm zu erzwingen.
„Ihr Sohn“, begann er nach einer ganzen Weile von allein, „war ein guter Mann, Misses Lorne.“
Karen schaute auf, sah ihn an.
„Er war ein guter Soldat“, fuhr der Colonel fort. „Ein fähiger Mann. Es war mir stets eine Freude mit ihm zusammenzuarbeiten. Er hat seinen Job wirklich sehr gut gemacht. Ich hätte mir keinen besseren stellvertretenden Offizier als Ihren Sohn vorstellen können.“
„St…Stellvertretender Offizier?“, wiederholte Karen schluckend.
„Er hat Ihnen nicht davon erzählt?“, fragte ihr Gegenüber.
Sie schüttelte mit dem Kopf und verneinte. „Evan hat nie sonderlich viel über seinen Beruf erzählt“, antwortete sie. „Und ich habe ihn auch nie wirklich danach gefragt. Ich war einfach nur froh, ihn lebend wiederzusehen und bei mir zu haben.“
Einen Momentlang schwiegen sie und Karen schniefte leise, während der Colonel plötzlich großes Interesse an seinen Schuhspitzen hatte und auf sie hinabstarrte.
„Es tut mir leid“, sagte er schließlich. „Ich hätte es verhindern müssen.“
„Ach, mein Junge“, seufzte Karen, „bitte, geben Sie sich nicht die Schuld daran. Es ist passiert, und auch wenn wir und wünschen, es rückgängig machen zu können, es wird nichts ändern. Es ist nicht Ihre Schuld.“
„Misses Lorne-“ Der Colonel wandte sich ihr zu-„Ihr Sohn stand unter meinem Kommando während dieses Einsatzes.“
„Aber, dass heißt doch noch lange nicht, dass-“
„Er hätte gar nicht auf diesen Einsatz gedurft“, fiel er ihr ins Wort. „Ich hätte ihn gar nicht gehen lassen dürfen, verstehen Sie?“ Er seufzte tief. „Ich habe geschworen, die Sicherheit meiner Leute zu gewährleisten. Dennoch habe ich Evan auf diesen Einsatz gehen lassen, obwohl ich genau wusste, dass ich es nicht gedurft hätte. Ich will nur damit sagen, wenn es einen Schuldigen für den Tod Ihres Sohnes gibt, dann bin ich derjenige. Ich hätte verhindern müssen, dass er zu diesem Einsatz aufbricht!“
„Aber Sie konnten es doch nicht vorhersehen“, erwiderte Karen. „Niemand kann das. Bitte, Colonel, geben Sie sich nicht die Schuld für etwas, das sie nicht vorhersehen konnten.“
Er begegnete ihrem Blick, sagte jedoch nichts. Nach einer Weile sah er weg und Karen betrachtete sein feingeschnittenes Profil, seine tief gebogene Nase, sein spitzes Kinn. Seine Kiefer mahlten aufeinander und sie konnte in seinen Augen sehen, dass er sich, ganz gleich, was sie auch zu ihm sagen würde, nicht verzeihen würde. Der Schmerz über Evans Verlust schien auch bei ihm tief zu sitzen.
„Wissen Sie-“ Er begann mit einem Seufzen-„ als Soldat sollte man eigentlich daran gewöhnt sein, dass manchmal nicht alle von einem Einsatz zurückkommen. Ich habe das sehr oft am eigenen Leib erfahren, zu oft.“ Sein Blick glitt in die Ferne. „Der Krieg ist hart, Misses Lorne, und es gibt immer welche, die ihm zum Opfer fallen.“
Karen schluckte.
„Ich habe schon oft Männer fallen sehen“, fuhr der Colonel fort, sein Blick leer und dennoch irgendwie verhangen. „Und sehr oft haben mir diese Männer etwas bedeutet. Wir waren nicht nur einfach Kollegen; wir waren Kameraden… Freunde. Wir waren so etwas wie eine Familie.“
„Eine Familie“, wiederholte Karen leise, und der Mann zu ihrer Rechten nickte.
„Eine Familie, ja“, bestätigte er, räusperte sich. „Und es ist schlimm, wenn man hilflos mit ansehen muss, wie ein Mitglied dieser Familie entrissen wird. Und dann ohne dieses Mitglied nach Hause zurückkehren zu müssen…“ Er holte tief Luft. „Es ist hart, es ist sehr hart.“
„Gehörte Evan… gehörte er zu Ihrer Familie?“, fragte Karen vorsichtig. Ein einfaches ‚Ja, das tat er’ war die Antwort.
„Ihr Sohn war ein herzensguter Mann“, sagte Colonel Sheppard. „Selbst im Angesicht des Todes dachte er nicht an sich. Ich… ich erinnere mich noch genau an den Ausdruck in seinen Augen, als… als er….“ Er brach ab, zog die Hand aus der Manteltasche und machte eine hilflos wirkende Geste.
Karen Augen brannten. „Sie… Sie waren bei ihm, als er…“ Auch sie brachte den Satz nicht zu Ende.
„Ja, das war ich“, entgegnete der Colonel ihr und senkte den Kopf. „Diesen Moment, bevor er… Ich… ich werde diesen Moment nie vergessen. Ihr Sohn, Misses Lorne, war stark. Er war stärker, als ich es an seiner Stelle jemals hätte sein können. Für einen kurzen Moment habe ich ihn um diese Stärke beneidet und weil er nicht an meinerstatt war und es hilflos mit ansehen musste. Glauben Sie mir, ich hätte alles getan, um Ihren Sohn…“
„Auch Sie waren sehr tapfer“, führte Karen das Gespräch weiter, als sie sah, dass ihr Gegenüber dazu nicht in der Lage war. „Sie sind bei ihm geblieben. Sie haben ihn während dieser schweren Augenblicke nicht allein gelassen und dafür danke ich Ihnen.“ Wortlos griff sie nach seiner warmen Hand und drückte sie.
„Ich danke Ihnen dafür.“
„Aber ich habe ihn nicht retten können“, widersprach er ihr, und Karen schüttelte mit dem Kopf.
„Aber Sie waren für ihn da“, sagte sie. „Sie waren für meinen Evan da und haben ihn nicht alleingelassen. Glauben Sie mir, Sie waren mindestens genau so tapfer wie er. Sie sollten sich wirklich nicht die Schuld daran geben, mein Junge. Lassen Sie es gut sein.“
Die Hand des Colonels lag warm in ihrer und wenngleich er sie völlig erstarrt ansah, spürte sie, dass seine Finger eiskalt wurden und zu zittern begannen. Plötzlich lächelte er und es war kein Lächeln aus reiner Höflichkeit; es erreichte seine Augen und brachte sie, wenn auch minimal, zum Leuchten. Karen fand, dass er ein nettes Lächeln hatte, leicht schief, irgendwie bubenhaft. Er sollte öfter lächeln, sagte sie sich und hoffte, dass er es jetzt, wo sie ihm gut zugeredet hatte, auch öfter tat.
„Danke“, sagte er leise.
„Sie müssen sich nicht bedanken“, winkte Karen ab. „Ich danke Ihnen, dass Sie so freimütig zu mir waren. Das zeugt von Mut.“
Das Lächeln des Colonels verrutschte leicht. „Glauben Sie mir“, seufzte er, „im Moment bin ich alles andere als mutig. Ich glaube, ich… war es mal, aber jetzt…“
„Lassen Sie sich nicht unterkriegen“, ermunterte ihn Karen und drückte erneut seine Hand. „Irgendwann“, meinte sie, „wird dieses Gefühl vorübergehen. Es wird etwas dauern, aber es wird vorübergehen- das versichere ich Ihnen.“
Schmallippig sah er sie an. „Und wie ist es mit Ihnen? Kann ich davon ausgehen, dass es auch bei Ihnen vorübergehen wird?“
Karen seufzte. „Ich wünschte, ich könnte Ihnen darauf eine Antwort geben“, sagte sie und blickte zu den Grabsteinen ihres Mannes und ihres Sohnes herüber. „Eines Tages, ja, vielleicht.“
„Ja, eines Tages“, wiederholte Colonel Sheppard ihre Worte. Danach sprachen sie kein Wort mehr miteinander. Karen ließ seine Hand los und er schob sie wieder in die Manteltasche zurück. Schulter an Schulter standen sie noch eine ganze Weile schweigend nebeneinander und betrachteten die Gräber. Es hatte wieder zu schneien begonnen und ein kalter Wind war aufgekommen und irgendwann war es schließlich soweit. Der Colonel verabschiedete sich von ihr, zollte Evans Grab einen kurzen Salut und ging. Karen blieb allein zurück, lauschte den davongehenden Schritten, bis der Schneefall jedes Geräusch verschluckte.
Erst als sie sich ganz sicher war, dass sie allein war, fiel die Anspannung von ihren Schultern ab und Karen Hodge begann erneut zu weinen.
ooOOoo
Teyla starrte gedankenverloren in die halbhohen Flammen des Kaminfeuers, als es an der Tür klopfte. Ohne sich vom Feuer abzuwenden, rief sie: „Herein!“
Sie hörte, wie die Tür geöffnet wurde und sah, als sie einen kurzen Blick über ihre Schulter warf, Rodney McKay das Hotelzimmer betreten.
„Sie sollten die Tür wirklich besser abschließen“, kam es statt einer Begrüßung aus seinem Mund. „Wer weiß, was für Gestalten abends hier so durch die Gänge streunen.“
Schmunzelnd drehte sich Teyla zu ihm um. „Ihre Sorge rührt mich, Rodney, aber ich denke, dass ich sehrwohl auf mich allein aufpassen kann.“
„Nun ja…“ Der Kanadier errötete und trat unsicher von einen Fuß auf den anderen. „Ich will halt nicht, dass… dass Ihnen irgendwas passiert. Hier auf der Erde“, meinte er, „geht es anders zu, als in der Pegasusgalaxie oder auf Neu Athos.“ Auf ihre gehobene Augenbraue folgend, gestand er ein: „Gut, vielleicht wimmelt es hier nicht allzu oft von blutrünstigen, lebenskraftraubenden Weltraumvampiren, aber-“ Er holte kurz Luft- „seien Sie trotzdem etwas vorsichtig, ja?“
„Selbstverständlich“, erwiderte Teyla und neigte den Kopf leicht zur Seite. „Ist sonst noch irgendetwas oder war es das, was Sie mir sagen wollten?“, fragte sie dann.
„Was? Oh!“ Rodney schüttelte mit dem Kopf, dann nickte er oder wog zumindest den Kopf von rechts nach links. „Nein, eigentlich wollte ich Sie fragen, ob Sie vielleicht auch etwas essen wollen. Ronon und ich wollten jetzt nämlich mal schauen, was unten so angeboten wird. Falls Sie also Lust haben…“ Er ließ den Satz unbeendet, vollführte stattdessen nur einladende Handbewegung.
Teyla lächelte, lehnte aber dankend ab. „Ich habe heute Abend nicht wirklich großen Appetit“, sagte sie. „Ich werde noch etwas meditieren und dann früh zu Bett gehen. Es war ein paar anstrengende Tage und etwas Schlaf wird mir sicher gut tun. Amüsieren Sie beide sich schön.“
„Ich befürchte nur, dass Ronon und ‚sich amüsieren’ nicht unbedingt kompatibel sind“, gab Rodney stirnrunzelnd zu Bedenken. „Ich weiß ja nicht, wie Sie das mit ihm aushalten; dieser Kerl ist wirklich ein Eisschrank. Ich schwöre Ihnen, im Vergleich zu Ronon redet selbst meine Großmutter mehr- und die ist seit Jahren tot!“
„Vielleicht müssen Sie ihn nur ein bisschen aus sich herausholen“, schlug Teyla lachend vor. „Glauben Sie mir, Ronon kann ein sehr angenehmer Gesprächspartner sein.“
Rodney verdrehte die Augen. „Und Sie wollen uns wirklich nicht begleiten? Ich habe gehört, das Büfett soll hier wirklich ausgezeichnet sein.“
Kopfschüttelnd schob Teyla ihren Kollegen in Richtung Zimmertür. „Sie zwei werden sicher ganz viel Spaß zusammen haben und einen schönen Abend miteinander verbringen.“
„Ja, ähem… okay.“ Sonderlich überzeugt klang das nicht, aber auf dem Weg nach draußen schien sich Rodney mehr und mehr mit seinem Schicksal abzufinden. Vor der Tür, auf dem Flur, angekommen, drehte er sich aber noch einmal zu ihr um.
„Und das geht wirklich in Ordnung?“
„Ja, Rodney“, antwortete Teyla. „Machen Sie sich keine Sorgen um mich. Wir sehen uns morgen.“
„Okay, dann… gute Nacht.“
„Gute Nacht, Rodney“, erwiderte Teyla und sah ihrem Kollegen nach, bis er in seinem Zimmer verschwand, das ein paar Meter weiter auf der anderen Seite des Flurs lag. Sie schloss die Tür und lehnte sich kurz dagegen, atmete tief ein und wieder aus. Die Sorge ihrer Freunde rührte sie, aber nach drei Abenden, die sie in Gesellschaft von Ronon und Rodney verbracht hatte, wünschte sie sich nichts sehnlicher als einen Abend nur für sich. Sie hatte sich vorgenommen zu meditieren, verwarf den Plan jedoch wieder und beschloss stattdessen ein wenig Ordnung zu schaffen und danach ein schönes, heißes Bad zu nehmen.
Das wenig Unordnung, das sie in den drei Tagen, die sie nun schon hier waren, gemacht hatte, war schnell beseitigt. Ihre Kleidung hatte sie ordentlich auf der Couch zusammengelegt, den Rest hatte sie gar nicht erst aus dem Koffer, den sie unter dem Bett verstaute, geholt, denn schon übermorgen würde es zurück nach Atlantis gehen.
Teyla blickte der Rückkehr mit gemischten Gefühlen entgegen, aber hauptsächlich fühlte sie sich verzweifelt. Drei Tage waren vergangen, seit sie John gebeten hatte, doch im Hotel vorbeizuschauen, aber er hatte sich weder blicken lassen, noch hatte er ihr oder den anderen eine Nachricht am Empfang hinterlassen. Sie wollte nicht schwarz malen, aber so langsam beschlich Teyla das ungute Gefühl, dass sie umsonst hoffte und wartete.
Seufzend entledigte sie sich auf dem Weg ins Badezimmer ihrer Kleidung, knöpfte ihre Bluse auf und stieg aus ihrer Hose. Sie drehte den Hahn der Badewanne ziemlich weit in den roten Bereich, gab etwas Badezusatz in das einfließende Wasser, band sich die Haare zurück und wartete dabei, dass die Wanne halbvoll lief, griff hinter sich und öffnete den Verschluss ihres BHs. Zum Schluss hakte sie die Finger in den Bund ihres Slips und zog diesen an ihren Beinen hinunter.
Das Wasser war heiß, fast zu heiß, und Teyla entkam ein zischender Laut, als ihre Fußsohle die schaumige Wasseroberfläche berührte. Behutsam kletterte sie in die Wanne, ließ sich langsam sinken, bis Wasser und Schaum sie ummantelten. Nach einer Weile spürte sie die Hitze nicht mehr so intensiv wie zu Anfang, also sank sie tiefer in das warme Wasser und schloss die Augen.
Ihre Arme und Beine begannen im Wasser zu schweben, ihre verspannten Schultern lockerten sich ein wenig und ein wohliges Gefühl überkam die Athosianerin, die ihren Kopf seufzend gegen den Badewannenrand zurückfallen ließ.
Ganz allmählich begann sie sich zu entspannen und mit ihren Händen durch das warme Wasser zu gleiten, vor und zurück, vor und zurück, den Schaum in der ganzen Wanne und auf ihrem Körper verteilend. Lächelnd schob sie einen kleinen Schaumberg von rechts nach links, streifte dabei immer wieder mit den Fingerkuppen ihren Bauch. Jedes Mal, wenn sie sie die leichte Rundung, die für Außenstehende zu diesem Zeitpunkt kaum erkennbar war, ertastete, durchfuhr sie ein kalter Schauer und sie zog ihre Finger schnell zurück, nur um sie Sekunden später erneut nach ihrem Bauch auszustrecken.
Teyla wusste, dass diese Geste zu dem natürlichsten auf der Welt zählte, trotzdem fühlte sie sich jedes Mal komisch dabei. Während ihrer ersten Schwangerschaft war das ganz anders gewesen; sie hatte es genossen, ihren Sohn in sich heranwachsen zu spüren, war entzückt gewesen, als Torren sich das allererste Mal in ihrem Inneren bewegt hatte. Dieses Mal, jedoch, verspürte sie diese Gefühle nicht. Sie freute sich auf dieses Kind, auch wenn es nicht geplant gewesen war, und sie liebte es, aber da war immer noch dieses eine Etwas, das sie daran hinderte, sich vollends fallen zu lassen. Teyla wusste nicht, was es war, sie wusste nur, dass es da war und sie daran hinderte, diese Schwangerschaft in vollen Zügen zu genießen.
Eine ganze halbe Stunde lag sie dösend in dem immer kälter werdenden Wasser, bis sie schließlich den Stöpsel zog, aus der Wanne kletterte und sich ein großes Handtuch um den Leib schlang. Während sie darauf wartete, dass ihre Haut trocknete, putzte sie sich die Zähne und kramte unter der Bettdecke ihr Nachtblouson und das dazu passende Unterteil hervor.
Sie hatte sich gerade so weit für die Nacht fertig gemacht, als es auf einmal erneut an ihrer Tür klopfte. Klopf, klopf, klopf. Insgesamt dreimal, kurz aber kräftig, so dass man es nicht überhören konnte. Den letzten Knopf ihres Blousons schließend, schritt Teyla zur Tür und öffnete sie. Das Erste, was sie sah, war eine Faust, die sich gerade daran machen wollte, ein zweites Mal zu klopfen. Dann erst sah sie das Gesicht des Mannes und erstarrte.
„John?“
„Oh, hey.“ John Sheppard zog die Hand zurück und lächelte sie an. Ein warmes Gefühl durchströmte Teylas ganzen Körper, als sie ihn vor ihrer Tür stehen und lächeln sah, und ihr Herz begann in ihrer Brust zu flattern.
„Hey“, erwiderte sie.
Johns Blick fiel auf ihre für die Nacht bereite Aufmachung. „Komme ich ungelegen?“, fragte er unsicher. „Ich wusste nicht, ob-“
„Nein, nein“, fiel Teyla ihm ins Wort, „Du kommst überhaupt nicht ungelegen.“ Zaghaft lächelte sie ihn an, wahrlich entzückt von seinem unerwarteten Erscheinen. „Willst Du nicht reinkommen?“, fragte sie und musterte ihn kurz. Seine Wangen waren gerötet und er roch nach Kälte und Schnee. Sein Mantel stand offen und er hatte den Schal recht unordentlich um seinen Hals geschlungen. Das dunkle Haar stand wie gewohnt in alle Himmelsrichtungen von seinem Kopf ab, bis auf ein paar etwas längere Strähnen, die ihm in die Stirn hingen. Alles in allem erweckte er einen ziemlich gehetzten Eindruck und seine Augen zuckten nervös von rechts nach links.
„Klar“, antwortete er, klang dabei überraschend gefasst und ruhig. Teyla trat zur Seite und gewährte ihm Einlass. Ohne zu zögern betrat John das Hotelzimmer in zügigen Schritten, doch seine langen Beine brachten ihn nicht allzu weit. Er machte kehrt, bevor Teyla die Tür geschlossen hatte, langte mit dem Arm über ihre Schulter und erledigte den Rest. Die Tür war kaum ins Schloss zurückgefallen, da spürte Teyla schon seine Arme, die sie gierig umschlangen. Überrascht sah sie ihn an, hatte aber kaum genügend Zeit, um zu realisieren, was gerade passierte, da drängte sie John bereits zurück gegen die Tür.
„John, was-“ Ganz egal, was in ihn gefahren war, er schien keine Zeit verlieren zu wollen. Hart senkte er seinen Mund auf ihren, schnitt ihr so das Wort ab und küsste sie stürmisch. Seine Hände lösten sich von ihren Ellenbogen, und er strich über ihre Arme, hinauf zu ihren Schultern, dann wieder hinunter zu ihrer Taille und zu ihren Hüften. Teyla japste, als Johns Hände sie harsch packten und näher an seinen Körper zogen. Ihre Lippen öffneten sich dabei leicht, was dem dunkelhaarigen Mann, der sie küsste, nicht entging. Auf einmal waren seine Hände wieder an ihrem Gesicht und seine Zunge in ihrem Mund. Sie spürte sie an ihren Zähnen, an ihrer Wangeninnenseite, spürte, wie sie sie zu einem feurigen, feuchten Tanz anzustacheln versuchte. Als sie sich nicht sofort darauf einließ, drang ein tiefer, unzufriedener Laut aus Johns Kehle und er biss ihr zur Strafe kurz in die Unterlippe.
Dann, plötzlich, ließ er sie los und sie fuhren auseinander, um nach Luft zu schnappen. Atemlos ließ sich Teyla gegen die Tür zurückfallen, holte ein paar Mal tief Luft, ehe Johns Lippen wieder auf ihren waren. Ihr Gesicht in beiden Händen haltend, schmiegte er seinen Körper an ihren, seufzte, als die Anspannung endlich von ihr abfiel und sie seinen Kuss zu erwidern begann. Teyla stellte sich auf die Zehenspitzen, um ihn besser erreichen zu können, und wühlte durch sein kurzes, dunkles Haar.
„John¬-“ Sie keuchte, ihr Atem heiß an seiner Haut. Seinen Mundwinkel küssend, wölbte sie den Rücken durch und presste sich noch enger an ihn. Seine Lippen verließen ihre, aber sie spürte sie keine zwei Sekunden später an ihrem Kinn, dann an ihrem Hals, dann, plötzlich, an dem Übergang zwischen Schulter und Hals. John hatte die obersten Knöpfe ihres Blousons unbemerkt geöffnet und den Stoff etwas beiseite geschoben, so dass ihre halbe rechte Schulter freilag und ihm und seinen heißen Küssen schutzlos ausgeliefert war.
„John“, versuchte Teyla es wieder, stöhnte, als seine hungrigen Lippen einen besonders empfindlichen Punkt in der Senke ihres Halses fanden. Angetrieben von ihrer prompten Reaktion liebkoste John die Stelle weiter, bis die Athosianerin sich wimmernd in seinen Armen wand und ihn heiser anflehte, nicht damit aufzuhören, sondern weiterzumachen.
„Wie Du willst“, raunte er, schob die Arme unter ihre Kniekehlen und hob sie hoch. Kichernd schlang Teyla ihre Beine um seine Hüften und ließ sich von ihm zu ihrem Bett tragen, jauchzte, als er sie schwungvoll auf die Matratze beförderte. Lachend rollte sie sich auf den Bauch, doch er lag bereits neben ihr, packte sie an den Hüften und rollte sie wieder auf den Rücken. Mit einem Mal war er über ihr und sein glühendes Gesicht schwebte über ihrem. Teyla hielt den Atem an. Johns Pupillen waren groß, seine Augen dunkel. Sein Atem ging schnell, kam in abgehackten Stößen, und seine Schultern bebten, hoben sich ruckartig, sanken zitternd.
„John-“
„Ssht, nicht.“ Er brachte sie mit einem weiteren Kuss zum Schweigen. „Bitte sag mir nur, dass Du das auch willst“, hauchte er gegen ihre Lippen. „Bitte, Teyla, sag es.“
Die Athosianerin streckte die Hand aus und strich ihm die störrischen Haarsträhnen aus der Stirn, setzte sich dann weit genug auf, um ihn küssen zu können. Die Augen schließend, schloss sie ihre Lippen zu einem alles sagenden Kuss zusammen, legte dann die die Arme um seine breiten Schultern, schloss die Augen und ließ sich fallen.
Fortsetzung folgt…