Titel: Zwischenstopp (2/2)
Jack trat zum Fenster, schob die Weihnachtsdekoration zur Seite und stützte sich mit den Händen auf dem Fensterbrett ab. Er starrte für einen Moment in die Nacht, wo nichts außer den wirbelnden Schneeflocken zu sehen war. Vielleicht hatte Daniel recht, so ging es nicht weiter.
Die Spannungen bestanden nicht mehr nur zwischen ihnen beiden, das ganze Team war darin verwickelt. Sam und Teal’c waren in den letzten Wochen auf Distanz gegangen, bedacht darauf, kein falsches Wort zu sagen. Der Zusammenhalt zwischen ihnen war dabei zu zerbröseln. So konnte man auf Dauer nicht zusammen arbeiten. Das Vertrauensverhältnis war gestört und je länger sie es schleifen ließen, umso schlimmer würde es werden. Denn Jack war nicht optimistisch genug anzunehmen, dass dies eine Situation war, die man einfach aussitzen konnte. Klärung musste her.
„Es geht darum, wie du die Situation ausgenutzt hast.“ So, jetzt hatte er es gesagt. Da konnte er auch gleich weitermachen, davon profitieren, dass Daniel ihn mit leicht geöffnetem Mund anstarrte, und endlich einmal sprachlos war. „Ich dachte immer … uns würde so etwas wie Freundschaft verbinden und dann lässt du mich voll ins offene Messer laufen. Vielleicht habe ich dich auf den Missionen davor etwas zu oft abgewimmelt, habe militärische Interessen über archäologische gestellt, aber, hey, wir sind hier auch bei der guten alten Air Force und nicht bei den Sandbuddlern von irgendeinem Forschungsinstitut.“
„Was meinst du mit: ‚Ich habe ich ins offene Messer laufen lassen?’ Verdammt noch mal, du kannst doch nicht mir die Schuld dafür geben, wenn dein Körper auf meine Berührungen reagiert!“ Jetzt war es auch mit Daniels erzwungener Ruhe vorbei.
„Du hast es doch darauf angelegt!“ Wut und Scham kamen wieder in Jack hoch.
„Was?“ Ungläubig starrte Daniel Jack an.
„Komm mir nicht mit der Unschuldslamm-Masche. Du wolltest mich reinlegen, und da schien es dir als das geeignete Mittel, es mir heimzuzahlen. Und das ist dir ja auch gelungen.“
Jack erinnerte sich noch ganz genau. ‚Das Heilige Öl teilen’ klang harmlos und so hatte er – auf Daniels Anraten hin – zugestimmt. Wie hätte er ahnen können, dass das Öl ausgerechnet auf dem nackten Körper des Anführers geteilt werden musste? Und ausgerechnet Daniel das Teilen vornehmen musste? Seine schlanken Finger hatten das warme, nach Kräutern duftende Öl überall auf seiner Haut verrieben, hatten mit jedem Strich, Verlangen und viel zu lange unterdrückte Sehnsüchte in ihm geweckt. Hatten für einen zeitlosen Moment die Umgebung ausgeblendet und Jack nur mit den sanften Berührungen zurückgelassen, die sich in seine Haut und seine Psyche eingebrannt hatten und ihn …
„Heimzahlen? Jack, ich … was genau wirfst du mir eigentlich vor?“ Daniel fühlte sich, als sei sein Gehirn draußen in der Kälte eingefroren, und würde noch nicht wieder in voller Geschwindigkeit funktionieren. „Wir haben beide freiwillig an einem Ritual teilgenommen. Du hast auf diese ganze ‚Öl auf deinem Körper verteilen’- Geschichte mit sichtbarer Erregung reagiert, was unsere Gastgeber zum Tuscheln und Grinsen gebracht hat. Gleichzeitig haben sie sich aber auch positiv geäußert, dass ein so starkes Band zwischen uns besteht und haben uns als Zeichen ihrer Zufriedenheit – neben der Adresse mit der Goa’uld Werft – noch ein Dutzend Stabwaffen geschenkt. Ich würde das eine erfolgreiche Mission nennen.“
„Na klar! Du hast ja auch nicht nackt vor deinem Team gestanden. Du musst jetzt nicht mit dem Wissen leben, dass alle wissen, dass es nur ein bisschen Öl und ein paar streichelnde Hände braucht, um den Leiter von SG-1 anzutörnen.“ Die ganze beschissene Situation stand wieder lebhaft vor Jacks Augen.
„Und du glaubst allen Ernstes, ich habe meine ‚magischen Hände’“, Daniel wedelte mit seinen Händen vor Jacks Gesicht herum, „dazu benutzt, dich zu erregen, weil du bei unseren – wohlgemerkt vom Militär finanzierten Missionen – militärische Interessen über archäologische stellst? Entschuldigung, aber klingt das nicht selbst in deinen Ohren etwas weit hergeholt?“ Mit hochgezogenen Brauen musterte Daniel seinen Freund, dessen Gedankengängen er im Moment überhaupt nicht folgen konnte.
„Nein, klingt es nicht“, brachte Jack trotzig hervor. Denn wenn das nicht der Fall, wenn er nicht Daniels heimtückisch eingesetzten Verführungskünsten erlegen war, hieß das im Umkehrschluss, dass es ihm gefallen hatte. Dass es ihm wieder gefallen könnte. Und das war viel schwerer zu akzeptieren als irgendeine abstruse Verschwörungstheorie.
Bisher war es ihm all die Jahre gelungen, aufkeimendes Interesse an einem anderen Mann in ungefährliche Bewunderung umzudeuten. Bei einem Football-Spieler hatte er sich gezwungen, nur dessen sportliche Erfolge zu sehen. Bei Tom, dem Kampfpiloten, hatte er sich ganz auf dessen fliegerisches Geschick konzentriert. Und bisher hatte er angenommen, dass ihm dieser Verdrängungsmechanismus auch bei Daniel gelungen war. Denn mal ehrlich, wer bewunderte nicht Daniels Mut und Entschlossenheit? Wer war nicht beeindruckt von seinen Sprachkenntnissen und seinem Mitempfinden, so fehlgeleitet es auch manchmal war?
Daniel trat neben Jack an das Fenster. Er holte tief Luft uns sagte: „Es tut mir wirklich leid, wenn du die letzten fünf Wochen in der Annahme gelebt hast, das sei … irgendeine Form von Rache gewesen. Das war niemals meine Absicht.“ Wenn Jack ihm glauben sollte, dann musste er wohl jetzt seine Karten auf den Tisch legen. „Ich trage eine Mitschuld, aber ganz anders als du glaubst.“
Er hielt Jack mit einer Handbewegung davon ab, ihn zu unterbrechen und fuhr entschlossen fort: „Ich bin nicht professionell geblieben. Ich habe das Öl nicht so schnell und so effektiv wie möglich aufgetragen, sondern ich … ja, da hast du recht, ich habe die Situation für mich ausgenutzt. Ich habe jeden einzelnen Moment genossen. Es war … als hätten mir die Sacerdoti mit dem Ritual schon vorab mein bestes Weihnachtsgeschenk verabreicht.“ Die letzten Worte flüsterte Daniel nur noch. „Ich hatte endlich einen Vorwand, dich zu berühren. Überall.“
Jack starrte auf Daniels Hände, die direkt neben seine auf der Fensterbank lagen. Wieder und wieder hatte er sich abends, in seinem Bett, die Szene auf Katarenga in sein Gedächtnis gerufen. Hatte mit Wut auf Daniel begonnen und war doch jedes einzelne Mal zum Höhepunkt gekommen, wenn er sich daran erinnerte, wie Daniel vor ihm gestanden hatte und mit Ehrerbietung und Zärtlichkeit über seine Brust gestrichen hatte, wie sein Freund hinter ihm gekniet hatte und die Innenseiten seine Oberschenkel gestreichelt hatte.
Wenn Daniel ihn hatte berühren *wollen* machte es natürlich Sinn, warum er sich so viel Zeit bei dem Ritual gelassen hatte. Machte es auch Sinn, warum es sich für ihn so gut angefühlt hatte. Verflucht, wenn Daniel eingestehen konnte, dass es ihm gefallen hatte, warum konnte er das nicht auch?
Jack schob seine Hand über Daniels, umfasste die kalten Finger und fragte halb hoffnungsvoll, halb resigniert: „Vielleicht war etwas in dem Öl?“
„Nein.“
„Bist du sicher?“
„Hundertprozentig. Janet hat es doch untersucht.“
„Aber …“
Daniel achtete genau auf Jacks Reaktion, als er die nächsten Worte sagte: „Wir können ja einen Vergleichstest machen. Du hast doch bestimmt irgendeine Creme in deinem Koffer. Ich verreibe sie auf dir und wir sehen, ob es dieselbe Wirkung hat.“ Er wollte dem Gespräch ganz bewusst eine leichtere Wendung geben, so würde es Jack auch leichter fallen ‚nein’ zu sagen, falls Daniel sein Interesse falsch eingeschätzt hatte.
„Daniel!“ Schon die Vorstellung genügte, um in Jack ein Sehnen zu erzeugen. Daniel bot ihm genau das an, was er sich in seinen Einschlafphantasien schon gegönnt hatte. Versprach ihm so viel mehr als nur Träume. Doch wenn er ihnen nachgab, gab es kein Zurück mehr. Wenn er Daniel das erlaubte, dann nicht, um eine Mission zu einem erfolgreichen Ende zu bringen. Es stünde kein Allgemeinwohl im Vordergrund, das wären nur er und Daniel und ihrer beider … Vergnügen.
Selbst wenn sein Ausruf wie ein Protest geklungen hatte, seine Hand, die über Daniels lag, machte eine andere Interpretation wahrscheinlicher. Seine Finger hatten sich um Daniels Finger verkrampft, aber als er sie bewusst entspannte, strich sein Daumen über Daniels Handballen.
Ermutigt durch Jacks ausbleibende sofortige Ablehnung fragte Daniel: „Oder traust du dich nicht?“ Jack herauszufordern hatte sich schon oft als die beste Methode erwiesen, das zu bekommen, was man wollte.
„He, komm mir bloß nicht so. Über diese Schiene kriegst du mich nicht!“ Daniel würde doch wohl nicht annehmen, dass er auf diesen alten Trick hereinfiel?
Daniel grinste. „Es war einen Versuch wert. Ich biete dir aber auch gerne Gelegenheit zur … Revanche, wenn dir das lieber wäre.“
Was hieß schon ‚lieber’? Beide Vorstellungen waren gleich verlockend! Wenn er daran dachte, wie fantastisch es sich anfühlten musste, seine Hände über Daniels Körper gleiten zu lassen …
Jack war klar, dass Daniel niemand war, der mit so etwas scherzte. Wenn er es anbot, galt es auch. Und er brauchte jetzt sicher nicht wieder damit anfangen, sich die ganzen Gründe aufzuzählen, die dagegen sprachen. Er hatte die letzten fünf Wochen nichts anderes getan. Er konnte das halbe Dutzend, einschließlich aller Unterpunkte von A bis E, schon gebetsartig herunterleiern. Nur der Hauptgrund – Daniel wollte nichts von ihm – entfiel jetzt. Waren die andere noch gewichtig genug, um jetzt nicht auf Daniels Angebot einzugehen?
Daniel wusste nicht, wie er Jacks Schweigen deuten sollte und befürchtete, dass er den Colonel mit dem Vorschlag überrumpelt hatte. „Jack, wir müssen auch gar nichts machen, wir nehmen das als eine unserer nicht ernst gemeinten Plänkeleien – und das war’s. Nur bitte lass uns zu dem Status quo vor Katarenga zurückkehren, ja?“ Das Letzte, das er wollte, war ihren prekären Frieden wieder zu gefährden. Er hoffte, dass Jack mit seinen Überlegungen nun auf dem richtigen Weg war und er würde ihm gerne noch etwas mehr Zeit geben.
Daniel wollte sich abwenden, als Jack ihn zurückhielt. „Ich habe so eine Männerbodylotion im Koffer. Hat Carter mir letztes Jahr zu Weihnachten geschenkt.“ Immer noch etwas unsicher schaute er Daniel an.
„Gut.“ Daniel warf seinem Freund einen begeisterten Blick zu. Oh Gott, Jack hatte auf seine Weise ja gesagt! Er hatte Mühe, nicht laut loszujubeln. „Klasse.“ Wenn er jetzt mehr sagte, würde er unüberlegt und hoffnungslos kitschig daherplappern, deshalb zwang Daniel sich zu Ein-Wort-Sätzen. Er würde Jack lieber zeigen, wie er empfand.
Ganz behutsam legte er seine Hände auf Jacks Schultern und glitt dann weiter nach oben. Er umfasste mit einer Hand Jacks Wange, wie der das damals auf Klorels Schiff bei ihm gemacht hatte, als sie dachten, es wäre ein Abschied für immer. Jetzt war es – hoffentlich – ein Anfang. Er beugte sich noch ein bisschen weiter vor, doch bevor er seine Lippen auf Jacks pressen konnte, hielt der ihn zurück.
„Teal’c und Carter sind absichtlich vorgefahren, nicht wahr?“
„Ja.“ Daniel nickte. „Es war Teal’cs Idee, die Anfertigung der Übersetzung als Vorwand zu nehmen, damit wir im Auto ein paar ungestörte Stunden zu einer Aussprache hatten. Was dann ja nicht wie geplant geklappt hat“, meinte Daniel mit einem angedeutetem Achselzucken und ließ seine Finger durch die kurzen Haare in Jacks Nacken streicheln. Wie grau sie in den letzten Jahren geworden waren. Einmal mehr wurde ihm bewusst, dass sie nicht unendlich Zeit hatten.
„Sieht so aus, als hätte es sogar besser als geplant funktioniert, dank des Schneesturms.“ Jack gab sich einen Ruck, legte seine Hände auf Daniels Taille und zog ihn näher an sich heran.
„Für den ich aber nichts kann“, stellte Daniel ehrlich wie immer fest.
Jack grinste. „Wenn ich du wäre, würde ich die Lorbeeren dafür einstreichen.“
„Der Zwischenstopp war deine Idee.“ Er hauchte Jack einen Kuss auf die Lippen und machte damit klar, dass sie jetzt in einer neuen Richtung unterwegs waren.
„He, ja, das stimmt!“ Mit einem übermütigen Zwinkern meinte Jack: „Wir werden es zu dem besten Zwischenstopp machen, den wir je hatten!“
„Da kannst du drauf wetten.“ Daniel nickte voller Überzeugung.
Jack lächelte und ließ einen Finger nachlässig über Daniels Wange gleiten. Er würde es jetzt ohne Gewissensbisse genießen, und ohne Publikum, das jede seiner Reaktionen genau beobachtete. Jetzt waren es nur Daniel und er und ein schönes großes Bett.
Er beugte sich vor und ihre Lippen berührten sich zärtlich, ein wenig zögerlich. Dann öffnete Daniel seine Lippen für ihn und schlagartig überflutete Jack Verlangen nach Berührungen, nach Zärtlichkeiten, nach Daniel und allem, was er ihm geben konnte. Mit einem Aufstöhnen ließ sich Jack in den Kuss fallen.
-----------ENDE--------
©Antares, November 2011