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Reziwelten

Fünfzehn

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Die Pelze wärmten ihre Schultern und ihre Beine, eine Mütze bedeckte ihren Kopf, und dennoch waren Johannas Hände kalt. Sie vergrub sie im Muff. Hoffentlich erreichten sie bald die Herberge, denn die Luft in der Kutsche wurde immer schlechter. Sie mochten sich zwar Wärme schenken, die junge Freifrau, ihre Zofe, der Doktor aus Heidelberg und sein junger Student, aber da niemand die Fenster öffnen mochte, fiel es auch immer schwerer zu atmen.

Müde lehnte sich das Mädchen zurück. Aus dem Fenster zu blicken, brachte keine Ablenkung mehr, denn Dunkelheit war über das Land gefallen und hier oben auf der Alp keine ausgebauten Straßen, keine Gaslaternen wie in den Städten. Die Ungewissheit, was da draußen lauerte, konnte schon Angst machen, auch wenn sie sich diese nicht eingestehen würde. Und dabei hatten sie erst zwei Tage Fahrt hinter sich, mindestens sechs weitere würden noch folgen.

Sie seufzte. Was tat sie nicht alles, um Weihnachten rechtzeitig bei der älteren Schwester zu sein, um sie bei der Pflege ihres Gemahls zu unterstützen und ihr wenigstens ein bisschen Freude zu bereiten.
Luise war immer schon unselbstständiger und schwächer als sie gewesen, dass hatte sich nicht geändert, als sie geheiratet hatte. Friedrich mochte sie zwar auf Händen getragen haben … aber man sah ja, auf was das hinaus lief.
Sie hatte sich vorgenommen, nur einen Mann zu heiraten, der sie auch als gleichwertige Gefährtin anerkannte und ihre Fragen ernst nahm. Der duldete, dass sie viel und gerne las, um den Dingen um sich herum auf den Grund zu gehen und sie zu verstehen. Der ...

Plötzlich schrak sie mit einem kleinen Schrei hoch. „Was ist das?“

Ein Knallen hallte durch die weite Landschaft. Dann noch eines … und noch eines. Ein kalter Schauder rann über den Rücken der jungen Frau. „Schießt jemand mit einer Büchse um sich? Sind wir in Gefahr?“

„Ach ...“ Der Doktor machte eine verächtliche Handbewegung. „Das ist nur der närrische Aberglauben der Leute hier. Beachtet das nicht weiter.“

Johanna biss sich auf die Lippen. Der gelehrte Herr mochte vielleicht so denken, aber ihre Neugier befriedigte das nicht. Sie blickte zu ihrer Zofe, die auch nur mit den Schultern zuckte. „Ich kenne mich nicht damit aus, Herrin Johanna.“

Der vierte im Bunde räusperte sich leise, so dass sich die Aufmerksamkeit der jungen Freifrau nun auf ihn, den jungen bartlosen Burschen in ihrem Alter, richtete. Helle Augen blitzten unter einem lockigen dunklen Schopf hervor. „Das ist ein alter Brauch in diesen Landen“, erwiderte er und ignorierte den Blick seines Lehrmeisters. „Erinnert ihr euch auch an die Hanfseile, die so manches alleinstehende Gehöft und die letzten beiden Dörfer umspannten?“

„Ja, das hat mich auch schon gewundert? Hängt das mit dem Knallen zusammen?“

„Ja, meine Dame. Wir befinden uns nun inmitten der Sperrnächte. Hier hoch droben auf der Alp, aber nicht nur hier, ist es Brauch, in den zwölf Tagen vor Weihnachten, Räuber, Diebe und dunkle Geister fern zu halten.
Die jungen Burschen knallen des Nachts immer wieder mit ihren langen Pferdepeitschen, damit jeder, der das Übel im Herzen trägt, genau weiß, dass jemand in der Dunkelheit Wacht hält und sie aussperrt, damit nichts Böses sich inmitten die Menschen schleicht, die sich mit reinem Herzen und unschuldiger Freunde auf die Geburt Jesu vorbereiten ...“, sagte er zwar ruhig und sachlich, aber doch mit inbrünstiger Überzeugung.

Der Gelehrte schnaubte erneut, um seine Verachtung kund zu tun, aber Johanna fühlte Wärme in sich aufsteigen. Sie lächelte den jungen Mann an. „Das ist ein schöner Brauch. Da fühlt man sich ja gleich doppelt beschützt.“

Der Student nickte und zwinkerte ihr zu, was sie noch mehr zum Strahlen brachte und einen Entschluss reifen ließ. Sie würde bestimmt einen Weg finden, sich noch öfter und mehr mit ihm zu unterhalten und ihn nicht nur zu ignorieren, so wie es eigentlich statthaft wäre … denn sie wurde das Gefühl nicht los, dass ihre Herzen im Gleichklang schlugen – so wie auch die Peitschen in der Nacht nun ihren Rhythmus gefunden hatten …
Stichworte: story
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